Die Deutschen lernen streiken, die Medien nicht


Die Streikbereitschaft hat in Deutschland zugenommen. Das Recht zum Arbeitskampf wird vielfach als eine Art „Gnadenerweis“ vermittelt

Immer wieder wird von dem Ende der Arbeiterbewegung geredet und suggeriert, dass Arbeitskämpfe ins letzte Jahrhundert gehören. Nun wurden die Ergebnisse einer Langzeitstudie des IW-Gewerkschaftsspiegels[1] bekannt. Danach wurde im vergangenen Jahr in Deutschland so viel gestreikt wie seit 20 Jahren nicht mehr. Dieses Ergebnis dürfte nicht überraschen und deckt sich mit den Alltagserfahrungen vieler Menschen.

Stichworte sind der Streik der Postzusteller, der Kita- und Bahnbeschäftigten. Es waren oft Bereiche der Dienstleistungsbranche und des Verkehrs- und Logistiksektors von Arbeitskämpfen betroffen, so dass sie auch von größeren Teilen der Bevölkerung wahrgenommen wurden. Dagegen konnte ein Ausstand in einem Stahl- oder Bergwerk wirtschaftlich sehr wohl zu Buche schlagen, hatte dabei aber eher das Exportgeschäft als den Alltag der Menschen tangiert.

Arbeitskämpfe mit einer größeren gesellschaftlichen Dimension

Es ist also nicht falsch, wenn von davon gesprochen wird, dass das Ende der fordistischen Produktionsweise auch Einfluss auf die Arbeitskämpfe hat. Aber eben nicht in dem Sinne, dass sie altmodisch und überflüssig geworden sind.  Da Streiks den Alltag der Menschen verstärkt beeinflussen, weil sie sich oft im Dienstleistungs- oder Caresektor abspielen, ist auch eine Unterstützung einfacher möglich. Längst versuchen unterschiedliche Gewerkschaften diesen neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.

Sie arbeiten verstärkt mit Unterstützergruppen zusammen. Das können dann auch Nutzer der Dienstleistungen sein oder Angehörige von Patienten bei Arbeitskämpfen im  Gesundheitssektor. Die Unterstützer begründen ihr Engagement damit, dass eben auch Patienten und ihre Angehörigen ein Interesse daran haben, dass die Pflegekräfte genügend Freizeit haben und ausgeruht sind, um ihre Arbeit gut ausüben zu könnte. So bekommen die Arbeitskämpfe im Zeitalter des Postfordismus eine größere gesellschaftliche Dimension.

Davon profitieren auch Spartengewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer[2] oder Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union[3], die ohne einen großen Gewerkschaftsapparat im Hintergrund vor allem in Klein- und Kleinstbetrieben Arbeitskämpfe führen.

Diese Branchen galten aber immer als unorganisierbar und waren so gewerkschaftsfreie Zonen. Für den DGB galten sie schon wegen der kleinen Belegschaft als nicht interessant. Basisgewerkschaften wie die FAU füllen da eine Lücke aus und sind dann wiederum mit mannigfachen Formen der Repression konfrontiert.

So hat ein Restaurant in Berlin-Mitte der FAU per Einstweiliger Verfügung untersagt[4],  den Namen des  Unternehmens zu nennen. Bei Zuwiderhandlung müsste die FAU eine Strafe bezahlen, die für sie existenzgefährdend wäre.  Zudem würde dem Gewerkschaftssekretär Haft drohen.

Eingeschränktes Streikrecht und geringe Gewerkschaftsfreiheit

Die FAU sprach von einem Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit und organisierte in der letzten Woche eine Demonstration[5] dagegen.  Nicht nur die FAU beklagt sich über mangelnde Gewerkschaftsfreiheit und ein repressives Streikrecht in Deutschland.

Diese These bekräftigt auch der Arbeitsrechtler Rolf Geffken[6].  Er betont, dass der Kampf für ein besseres Streikrecht ganz praktisch geführt werden muss.

Die Nutzung des Streikrechts in der Praxis hat erhebliche Bedeutung auch für die juristischen Grenzen des Streikrechts.

Insofern dürfte die Badische Zeitung gar nicht so falsch gelegen haben, als sie das Ergebnis der Langzeitstudie so kommentierte[7]:

Die Deutschen lernen streiken.

Hier wird anerkannt, dass der Streik die Ausübung eines Grundrechts ist, das jedem Menschen zustehen müsste. Aus dieser Perspektive sind die Meldungen über eine vermehrte Streikbereitschaft auch in Deutschland tatsächlich hoffnungsvoll. Ein Recht wird auch in Anspruch genommen. Doch ein großer Teil der Medien sieht in der Zunahme der Streiks gar nicht in erster Linie die Wahrnehmung von Rechten.

So machte die Wirtschaftswoche mit der Schlagzeile auf: Angestellte gehen auf die Barrikaden[8]. Dort wird dann auch vorgerechnet, wie viele Arbeitsstunden durch die Arbeitskämpfe verloren gegangen  sind.

Hier steht nicht mehr die Wahrnehmung eines Grundrechts im Mittelpunkt, sondern ein angeblicher volkswirtschaftlicher Schaden, der durch die Arbeitskämpfe entstanden sei. Hier schimmern immer noch volksgemeinschaftliche Vorstellungen durch, nach denen alle Menschen einer Nation für deren Gedeihen und Wachsen verantwortlich sind.

Wer da nicht mit tut, sondern beispielsweise für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn in den Ausstand tritt, versündigt sich dann an diesem imaginierten gemeinsamen nationalen Interesse.

Die Parole „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ war nicht nur im NS, sondern auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit der BRD noch maßgeblich für die Abwehr von Streiks.

Wenn die EM beginnt, soll Schluss mit Streiken sein

Man braucht nur die Kommentare über die aktuelle Welle der Arbeitskämpfe in Frankreich in großen Teilen der deutschen Presse zu lesen, um zu erkennen, dass da viele nicht von der Wahrnehmung von Grundrechten ausgeben. Sie sehen Arbeitskämpfe als Störung bei einem Ziel, das wohl auch über den Grundrechten stehen soll – dem Recht, sich beim Profitmachen von nichts und niemand stören zu lassen, und dem, bei der Fußball-EM nicht auch noch von Menschen behelligt zu werden, die ihre Grundrechte wahrnehmen.

Daher tauchten in den letzten Tagen immer wieder die Fragen auf, ob es die französischen Arbeiter tatsächlich darauf anlegen, ihren Streik fortzusetzen, wenn die Fußball-Europameisterschaft begonnen hat. Schon der Zusammenhang, der hier gezogen wird, ist völlig absurd. Warum sollen die Arbeiter auf die Ausübung eines Grundrechts verzichten, weil die EM beginnt? Hier wird schon deutlich, dass viele Kommentatoren  den Streik eher als ein Gnadenerweis betrachten, den man wieder  entziehen kann, wenn er zu oft gebraucht wird.

„Kein Gerücht ist zu einfältig, um es in der deutschen Presse nicht französischen Gewerkschaften unterzuschieben“, kommentiert[9] der Publizist Rudolph Walter die deutsche Medienreaktionen auf die Streiks und Proteste in Frankreich. Um was es in dem Konflikt geht, stellt Walter auch prägnant klar. „Die Streiks und die Protestbewegung von „Nuit Debout“ gelten einer Arbeitsrecht-„Reform“, die drei Ziele verfolgt: „mehr arbeiten, weniger verdienen, leichter entlassen“.

Streik gegen Agenda-2010-Export

Walter zieht auch eine Parallele zur Politik der Agenda 2010 in Deutschland, mit der – wie durch die französischen Reformen – der Preis der Ware Arbeitskraft gesenkt werden sollte. „Die momentane Streikbewegung gegen die ‚Modernisierung‘ des Arbeitsrechts nach dem Vorbild der deutschen Agenda-Politik wird von 70 Prozent der Citoyennes und Citoyens befürwortet“, beobachtet Walter.

Die DGB-Gewerkschaften dachten vor mehr als 10 Jahren gar nicht daran, gegen die Agenda 2010-Politik den Streik überhaupt nur zu diskutieren. Vielmehr wurde die von  der SPD geführt Bundesregierung von Teilen der Gewerkschaftsführung bei dieser Politik unterstützt. Die mit wenig Widerstand verbundene Durchsetzung der Niedriglohnpolitik in Deutschland bewirkte einen Dumpingwettbewerb im gesamten EU-Raum. So hatte der geringe Widerstand gegen die Agenda-Politik hierzulande dafür gesorgt, dass andere EU-Staaten niederkonkurriert und unter ein Austeritätsdiktat gestellt wurden.

Die Streiks und Proteste momentan in Frankreich gehören zu einem Widerstandszyklus, der bereits in andere Ländern gelaufen ist. Das weitgehende Fehlen einer europaweiten Kooperation macht Erfolge schwierig. So ist es bezeichnend, dass von größeren Solidaritätsaktionen für die Streiks in Frankreich in Deutschland nicht berichtet werden kann.

Die DGB-Gewerkschaften äußern sich gar nicht dazu. Schließlich stehen sie mit den Gewerkschaften, die den Streik in Frankreich hauptsächlich tragen, nicht in Verbindung. Am vergangenen Samstag hat die Basisgewerkschaft FAU vor der französischen Botschaft ihre Solidarität mit den Streiks zum Ausdruck gebracht[10].  Auf der Demonstration redete auch ein von Abschiebung bedrohter Roma, der die Solidarität zwischen Geflüchteten und Gewerkschaften beschwor.

Auch diese Position ist bei den  DGB-Gewerkschaften momentan stark der Minderheit. Wenn die größere Streikbereitschaft in Deutschland sich verstetigen würde, gäbe es vielleicht die Chance, das sich da etwas ändert.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48475/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.iwkoeln.de/infodienste/gewerkschaftsspiegel

[2]

http://www.gdl.de/

[3]

https://www.fau.org/

[4]

https://berlin.fau.org/kaempfe/xxxxxx

[5]

https://berlin.fau.org/news/demonstration-fuer-gewerkschaftsfreiheit-durch-berlin

[6]

http://www.drgeffken.de/index.php?id=1

[7]

http://www.badische-zeitung.de/wirtschaft-3/so-viele-arbeitskaempfe-wie-seit-20-jahren-nicht-die-deutschen-lernen-streiken–122812511.html

[8]

http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/streiks-in-deutschland-angestellte-gehen-immer-oefter-auf-die-barrikaden-/13693440.html

[9]

http://www.taz.de/!5306834

[10]

https://berlin.fau.org/text/cnt-solidaritaetsadresse-bzg-barist?lang=de

Gegen staatlich verordnete Tarifeinheit

Der Bundestag hatim Mai 2015 das umstrittene Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Der Arbeitsrechtler Rolf Geffken hält es für rechtswidrig. . In einer im VAR-Verlag erschienenen Broschüre unter dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« hat der Arbeitsrechtsanwalt Argumente für seine Position zusammengetragen.  Die 80seitige Broschüre  ist nicht nur ein Plädoyer gegen die Tarifeinheit. Doch der seit 1977 als Fachanwalt für Arbeitsrecht tätige Geffken kritisiert auch den angemaßten den Monopolanspruch des DGB.

Spätestens Ende 2016 wird das Tarifeinheitsgesetz noch einmal Thema.  Dann will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerden entscheiden, die Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund, die GDL und der Deutsche Journalistenverband gegen das Gesetz eingereicht hatten. r Rolf Geffken ist zuversichtlich, dass es  gekippt wird

In seiner Analyse setzt er sich auch kritisch mit vor allen von linken DGB-GewerkschafterInnen  verwendeten Argumenten  auseinander, dass die  Einheitsgewerkschaft aus der Erfahrung gegründet wurde, dass die ArbeiterInnenbewegung 1933 gespalten gegen den Nationalsozialismus  unterlegen ist.

„Es  waren die Vorläuferorganisationen  des heutigen DGB, nämlich vor allem der ADGB, der Ende  April 1933  ….  dazu aufrief, sich an den „Nationalen Aufmärschen“ zum 1. Mai 1933 zu beteiligen“,  erinnert  Geffken auf historische Tatsachen. Leider wird in der insgesamt lesenswerten Broschüre  die  FAU   von Geffken nicht erwähnt, obwohl sie   bei Tarifkonflikten vielfältigen Repressalien ausgesetzt ist, die nicht nur bei der Tarifeinheit beginnen und weitere höchst kritikwürdige Elemente der deutschen Rechtsprechung zur Gewerkschaftsfreiheit offenlegen.

Peter Nowak

Geffken Rolf, Streikrecht Tarifeinheit Gewerkschaften – Aktuelle Analyse zur Koalitionsfreiheit in Deutschland, VAR-Verlag Arbeit & Recht, 81 Seiten, 12Euro,  ISBN: 3-924621-09-8

aus Direkte Aktion: Sonderausgabe Mai 2016

Unmut im Unterbau

Lohndumping und Outsourcing gehören zum fragwürdigen Geschäftsmodell deutscher Universitäten. Um dies zu ändern, hat sich in Frankfurt am Main eine neue Basisgewerkschaft gegründet.

Lange haben Studierende und Beschäftigte an Universitäten nicht mehr mit Streiks auf sich aufmerksam gemacht. Das könnte sich ändern, zumindest in Frankfurt am Main. Dort hat sich in der vergangenen Woche eine Hochschulgewerkschaft gegründet, die sich Unterbau nennt. Dass es sich nicht um eines der vielen linken Hochschulprojekte handelt, die die Semesterfe­rien nicht überleben, zeigt schon der lange Vorlauf. Über ein Jahr lang hätten knapp 50 Beteiligte die Gründung vorbereitet, berichtet die Pressesprecherin von Unterbau, Anna Yeliz Schentke, im Gespräch mit der Jungle World. Ihr Kollege Manuel Müller betont, dass die neue Gewerkschaft basisdemokratisch organisiert sei, womit die Bürokratisierung verhindert werden solle. Damit unterscheide sie sich von den beiden DGB-Gewerkschaften Verdi und GEW, die im Bildungsbereich tätig sind. Zudem habe die neue Gewerkschaft ein Ziel, das über die reine Tarifpolitik hinausgeht. »Ziel ist eine Transformation der Universität, die nur durch ein Infragestellen der be­stehenden Machtstrukturen umsetzbar wird«, so Müller.

Schentke ergänzt, dass das Konzept von der basisdemokratischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) inspiriert sei. Die Gründung von Unterbau betrachten Schentke und Müller nicht als Versuch der Spaltung der bestehenden Gewerkschaften: »Wir machen lediglich Gebrauch vom Recht auf Gewerkschaftspluralismus und Koalitionsfreiheit, wie es allen Arbeitnehmern gesetzlich zusteht.« Sie wünschen sich eine Kooperation der Gewerkschaften. Tatsächlich haben sich bei Unterbau neben Mitgliedern von DGB-Gewerkschaften und der FAU auch Beschäftigte organisiert, die vorher noch keine Gewerkschaftsmitglieder waren.

Die Gründung der neuen Basisgewerkschaft ist ein Zeichen des Hegemonieverlusts der DGB-Gewerkschaften auch im Bildungsbereich. Der Arbeitsrechtler Rolf Geffken hat in einer 2015 erschienenen Broschüre mit dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« den Monopolanspruch des DGB kritisiert, der weder historisch noch politisch zu begründen sei. Geffken plädiert für eine Gewerkschaftseinheit in konkreten Arbeitskämpfen. Das kommt den Vorstellungen der Gründer von Unterbau sehr nahe.

Diese könnten über Frankfurt hinaus Nachahmer finden. Denn längst sind die Hochschulen zu Wissenschaftsunternehmen geworden, deren Verantwortliche beim Outsourcing und bei Dumpinglöhnen Pionierarbeit leisten. Davon sind Wissenschaftler, Dozenten und studentische Hilfskräfte ebenso betroffen wie das Reinigungspersonal und Beschäftigte in der Mensa. In Berlin sind es derzeit die Beschäftigten des zur Freien Universität gehörenden Botanischen Gartens, die soziale Forderungen auf dem Campus wieder zu Gehör gebracht haben und von studentischen Gruppen unterstützt werden (Jungle World 52/2015).

Dem Konzept von Unterbau zufolge sollten unterschiedliche Statusgruppen in einer Gewerkschaft kämpfen und, wenn nötig, gemeinsam die Hochschule bestreiken. Doch die Bereitschaft von Studierenden, sich zu organisieren, ist bisher nicht besonders hoch. Zudem gehen sie an der Universität keiner Lohnarbeit nach, es sei denn als Hilfskraft, was ihren Status fundamental von dem der Beschäftigten unterscheidet. Der von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten zur basisdemokratischen IWW übergewechselte Gewerkschafter Harald Stubbe kritisiert linke Studierende in seinem politischen Umfeld, »die immer überlegt haben, wen sie organisieren« könnten. In dem Buch »Dabei geblieben. Aktivistinnen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen« schreibt er: »Nur nicht sich selbst wollten sie organisieren. Obwohl sie alle prekäre Jobs hatten und viel weniger Risiko eingingen als eine Küchenhilfe, die davon leben muss.« Auch Studierende, die sich an einer von GEW und Verdi unterstützten Initiative für die Durchsetzung eines neuen Tarifvertrags für studentische Hilfskräfte an Berliner Hochschulen beteiligen, kritisierten das geringe Engagement ihrer Kommilitonen. Unterbau kann nun den Beweis antreten, dass eine basisdemokratische Gewerkschaft die Organisierungsbereitschaft erhöht.

http://jungle-world.com/artikel/2016/17/53913.html

Peter Nowak

Tarifeinheit: Gesetz ohne Anwendung

Ende 2016 entscheidet Karlsruhe über umstrittene Regelung

»Hände weg vom Streikrecht, für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit«, lautete im letzten Jahr das Motto einer Kampagne von Sparten- und Basisgewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz. Es sieht vor, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften in einem Betrieb, nur die Organisation mit den meisten Mitgliedern einen Tarifvertrag abschließen kann. Den Minderheitengewerkschaften bleibt dieses Recht versagt. Dagegen mobilisierten die Kritiker, doch ohne Erfolg. Am 22. Mai 2015 beschloss der Bundestag das Tarifeinheitsgesetz.

Heute, ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten, ist nicht viel damit passiert. »Das Gesetz wurde bisher nicht angewendet. Daher planen wir im Augenblick keine Aktionen«, bestätigte Willi Hajek gegenüber »nd«. Der Basisgewerkschafter war im letzten Jahr an der Kampagne gegen das Tarifeinheitsgesetz beteiligt. »Die Diskussion wird wieder aufflammen, wenn Gewerkschaften außerhalb des DGB für einen Tarifvertrag kämpfen«, ist Hajek überzeugt.

»GDL droht die Entmachtung«, hatte die »Frankfurter Rundschau« bald nach der Verabschiedung des Gesetzes getitelt. Damals befand sich die Lokführergewerkschaft in einer Tarifauseinandersetzung mit der Deutschen Bahn und hatte mehrfach zum Streik aufgerufen. Die GDL konnte letztlich eine Vereinbarung durchsetzen, die die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes bis 2018 ausschließt. Die DGB-Eisenbahnergewerkschaft EVG hat in den meisten Bereichen des Unternehmens mehr Mitglieder.

Spätestens Ende 2016 wird das Gesetz noch einmal Thema. Dann will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerden entscheiden, die Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund, die GDL und der Deutsche Journalistenverband gegen das Gesetz eingereicht hatten.

Rolf Geffken ist zuversichtlich, dass das Tarifeinheitsgesetz gekippt wird. In einer im VAR-Verlag erschienenen Broschüre unter dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« hat der Arbeitsrechtsanwalt Argumente für seine Position zusammengetragen. Er weist den Monopolanspruch des DGB zurück. Eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung könne im Tarifkampf durchaus von Vorteil sein. Doch die müsse von den Mitgliedern getragen an der Basis entstehen und könne nicht durch gesetzliche Maßnahmen verordnet werden, betont Geffken.

Folgen die Richter seiner Argumentation, könnte das Tarifeinheitsgesetz juristisch gestoppt werden. Die Mobilisierung dagegen hatte auch darunter gelitten, dass Vorstände der DGB-Einzelgewerkschaften außer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der NGG und der GEW das Tarifeinheitsgesetz unterstützt hatten. Die Gegenkampagne wurde von Gewerkschaftslinken, den Spartengewerkschaften aber auch Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterunion (FAU) getragen.

Die Berliner FAU-Sekretärin Jana König weist gegenüber »nd« darauf hin, dass es neben der Tarifeinheit zahlreiche Möglichkeiten gibt, Gewerkschaftsrechte einzuschränken. So wurde der Berliner FAU Ende März unter Androhung von bis zu 250 000 Euro Strafe oder ersatzweiser Haft von bis zu sechs Monaten für die amtierende Sekretärin untersagt, den Namen eines Restaurants in Berlin-Mitte zu nennen, von dem ein Gewerkschaftsmitglied ausstehende Löhne einfordert.

Peter Nowak

Wer streikt, hat Recht

Bald finden die ersten Lesungen des Tarifeinheitsgesetzes im Bundestag statt. Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« planen Gewerkschafter den Protest gegen das Gesetz

Im November konnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland stehe kurz vor einer Revolution. Zumindest, wenn man die Reaktionen vieler Medien und konservativer Politiker zum Maßstab nahm, als das in der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) organisierte Bahnpersonal für einige Tage die Arbeit niedergelegt hatte. Kaum zeigt ein Streik Wirkung, wird hierzulande vor einem Missbrauch des Streikrechts gewarnt und nach dem Gesetzgeber gerufen. Nach dem Ende des GDL-Streiks geht das gesetzliche Prozedere zur Einschränkung des Streikrechts, das unter dem Namen Tarifeinheit schon lange vor dem Streik des Bahnpersonals auf den Weg gebracht wurde, weiter. Anfang März ist die erste Lesung des geplanten Gesetzes zur Tarifeinheit im Bundestag vorgesehen. Für den 23. März ist die öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss »Arbeit und Soziales« geplant. Kurz darauf sollen bereits die zweite und dritte Lesung stattfinden.

Ende Januar trafen sich in Kassel etwa 50 linke Gewerkschafter und Unterstützer zu einer Konferenz, die unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!« stattfand. In den Redebeiträgen der Teilnehmer wurde vor allem betont, dass das Streikrecht ein Grundrecht sei und es sich bei jeder Einschränkung um eine Grundrechtsverletzung handele. Diese Argumentation findet sich auch in dem Aufruf »Juristen gegen das Tarifeinheitsgesetz«, der von dem Hamburger Rechtsanwalt Rolf Geffken initiiert wurde. Im Aufruf wird festgestellt, dass mit dem Tarifeinheitsgesetz gleich mehrere Grundrechte verletzt werden. Eine solche Argumentation mag bei einer Prüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wichtig sein, zur Mobilisierung von Widerstand, um dieses Gesetz zu verhindern, trägt der Verweis auf das Grundgesetz aber wohlkaum bei. Da wäre eine transnationale Solidarität der Gewerkschaften in Europa, die sich von Standortnationalismus und Sozialpartnerschaft abgrenzt, wohl der bessere Weg. Auf der Konferenz in Kassel wurde die transnationale Dimension des Angriffs auf das Streikrecht angesprochen. »Was aktuell in der Bundesrepublik noch in der Planungsphase ist, ist in anderen westeuropäischen Ländern teilweise schon Realität«, sagte ein Konferenzteilnehmer.

Das Streikrecht und die Zulässigkeit anderer Protestformen werden insbesondere für Basisgewerkschaften immer mehr eingeschränkt. Damit würden Grundlagen für die Kriminalisierung und die politische Verfolgung geschaffen, hieß es auf der Konferenz. Als Beispiel wurde das in Spanien im Dezember vorigen Jahres in Kraft getretene Gesetz »zur Sicherheit der Bürger« genannt, das von der Opposition als »ley mordaza« (Knebelgesetz) bezeichnet wird, weil es das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Straße stark einschränkt. Mitte Januar wurden fünf Bergarbeiter aus Asturien nach diesem Gesetz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wurden beschuldigt, im vorigen Jahr mit militanten Streikaktionen gegen die Schließung der Bergwerke protestiert zu haben. Ebenfalls Mitte Januar erhielt in Spanien der 21jährige Gewerkschafter Alfonso Fernández Ortega eine Haftstrafe von vier Jahren. Er wurde beschuldigt, auf dem Weg zum Generalstreik in einem Rucksack Explosivstoffe mitgeführt zu haben. Alfon, wie der Angeklagte von der Solidaritätsbewegung genannt wird, bestreitet die Vorwürfe, seine Fingerabdrücke wurden nicht auf dem Rucksack gefunden. Bereits vor einem Jahr wurden in Spanien Gewerkschafter zu Haftstrafen verurteilt, weil sie beim Generalstreik im März 2012 als Streikposten tätig waren.

Auf der Konferenz wurde auch deutlich, wie gespalten der DGB in der Frage der Tarifeinheit mittlerweile ist. Das kann man schon als Erfolg der Gegner des Gesetzes werten, schließlich ging die erste Initiative für eine Tarifeinheit im Jahr 2011 aus der Kooperation des DGB mit dem Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hervor. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi distanzierte sich wegen des Protests der Basis als erste DGB-Gewerkschaft von der Tarifeinheitsinitiative. Sie begründete diesen Schritt auch damit, dass Verdi in manchen Betrieben mittlerweile die Minderheitsgewerkschaft darstellt und sich damit selbst schwächen würde. Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur noch die Gewerkschaft, die in einem Betrieb die meisten Mitglieder hat, Tarifverträge aushandeln darf.

Der Vorstand der IG Metall propagiert hingegen weiterhin das Tarifeinheitsgesetz. »Gewerkschaftskonkurrenz schwächt nicht nur die betriebliche Interessenvertretung – sie schwächt die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Deshalb unterstützt die IG Metall den vorgelegten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit«, heißt es auf der Homepage der IG Metall. Als Negativbeispiel wird das Agieren von Verdi angeführt, die Dienstleistungsgewerkschaft konkurriert in einigen Branchen mit der IG Metall um Mitglieder. Auch zwischen anderen DGB-Gewerkschaften wie der IG Bau und der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) ist ein Kampf um die Mitglieder entbrannt. Dass DGB-Gewerkschaften nun den Gesetzgeber einschalten, um die Konkurrenz durch andere, unter dem Dach des DGB organisierte Gewerkschaften klein zu halten, ist ein Novum. Zur innergewerkschaftlichen Solidarität dürfte es kaum beitragen.

Allerdings wurde auf der Konferenz in Kassel deutlich, dass der Kurs der IG Metall auch von einigen ihrer Mitglieder abgelehnt wird. Vertreter dieser Opposition innerhalb der IG Metall waren auch in Kassel vetreten. Sie beklagten, dass die Kritiker des Tarifeinheitsgesetzes es schwer hätten, sich in der Organisation Gehör zu verschaffen. So übe die Leitung der IG Metall Druck auf Bildungssekretäre und Funktionäre aus, in keiner Betriebsversammlung und in keinem Bildungsseminar das Tarifeinheitsgesetz zur Debatte zu stellen. Bei der Delegiertenversammlung der IG Metall in Köln sei es gelungen, über das Gesetz zu diskutieren. Eine mehrheitliche Ablehnung durch die Delegierten sei die Konsequenz gewesen, berichteten sie in Kassel.

Im März plant das Solidaritätskomitee mehrere Aktionen für die Erhaltung des Streikrechts, etwa eine zentrale Veranstaltung in Berlin oder rund um die »Blockupy«-Aktionstage in Frankfurt. In den kommenden Wochen soll es entsprechende Plakate, Flugblätter und Aufrufe unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für die gewerkschaftliche Aktionsfreiheit« geben. Mehrere Konferenzteilnehmer kündigten an, ihre Arbeit auch fortzusetzen, wenn es nicht gelinge, das Tarifeinheitsgesetz zu verhindern. Man wolle sich in diesem Fall darauf konzentrieren, die Umsetzung des Gesetzes zu verhindern. Angesichts der geringen Solidarität für Gewerkschafter, die in Ländern wie Spanien von Repression und Kriminalisierung betroffen sind, kann man bei solchen Ankündigungen skeptisch bleiben. Auch die Einschränkungen gewerkschaftlicher Grundrechte, die es hierzulande bereits ohne das Tarifeinheitsgesetz gibt, haben bisher keine großen Proteste zur Folge gehabt. Das muss derzeit die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) erfahren. Sie vertritt seit mehreren Wochen acht rumänische Bauarbeiter, die beim Bau der Mall of Berlin mitgearbeitet hatten und weiterhin auf ihren Lohn warten. Der ehemalige Generalunternehmer der Mall of Berlin, Andreas Fettchenhauer, setzte eine einstweilige Verfügung gegen die FAU-Berlin durch. Die darf nun nicht mehr behaupten, mit seiner Firma in einem Arbeitskampf zu stehen. Bei Zuwiderhandlung droht der FAU ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft für den Gewerkschaftssekretär.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51372.html

Peter Nowak