Schläge in der Fleischfabrik

Die Arbeitsbedingungen vor allem für osteuropäische Migranten in Deutschland erinnern teils an frühkapitalistische Zustände. Das Projekt »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« setzt sich deshalb für die Stärkung der Rechte von Beschäftigten im EU-Raum ein.

Der Kampf dauert mittlerweile fast zwei Jahre. Dennoch haben die acht rumänischen Bauarbeiter bislang keinen Cent ihres Lohns erhalten. Sie waren auf der Baustelle des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« tätig. Doch ihre Arbeitgeber haben ihnen den Lohn vorenthalten. Die Beschäftigten gewannen, unterstützt von der Basisgewerkschaft FAU, mehrere Prozesse. Doch auch das nützte nichts. Denn die beklagten Unternehmen gingen durch alle Gerichtsinstanzen, nur um am Ende Insolvenz anzumelden. Die Arbeiter befinden sich mittlerweile längst wieder in Rumänien oder arbeiten in anderen europäischen Ländern.

Simina Guga hält Kontakt zu ihnen und informiert sie über die juristische Entwicklung ihrer Klagen in Deutschland. Guga ist die für Rumänien zuständige Koordinatorin des Projekts »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship«, das sich der Stärkung der Rechte von Beschäftigten in der EU widmet. Wie notwendig das ist, zeigen die von dem Projekt gesammelten Erfahrungsberichte von Beschäftigten aus verschiedenen süd- und osteuropäischen Ländern, die in Deutschland unter miserablen Bedingungen gearbeitet haben. Sie sind auf dem Portal www.testing-eu-citizenship.de nachzulesen.

»Nach unseren Untersuchungen leiden Arbeitsmigranten in der Fleischverarbeitungsindustrie an physischen Verletzungen und kältebedingten Folgeschäden aufgrund mangelnder Arbeitssicherheit. Ermöglicht durch ausgeprägtes Subunternehmertum werden Arbeiter aus anderen EU-Ländern in diesen Branchen häufig unterbezahlt, durch Scheinselbständigkeit der Sozialleistungen beraubt und in einigen Fällen sogar physisch und psychisch bedroht«, berichtete die Berliner Projektkoordinatorin Hannah Heyenn bei der Vorstellung des Abschlussberichts im Juli in Berlin. Zu Beginn wurde der kurze Dokumentarfilm »Der Fleischalbtraum« von Magdalena Pięta-Stritzke und Michał Talarek gezeigt, der Ausbeutungsverhältnisse offenlegt, wie sie eigentlich für den Frühkapitalismus typisch waren. »Wir fühlten uns wie in einem Arbeitslager. Die Unterkunft war schmutzig. An den Wänden war Schimmel«, berichtet ein polnisches Ehepaar in dem Film über seine Erfahrungen in einer Fleischverarbeitungs­fabrik mit angeschlossener Unterkunft in der Nähe von Leipzig. Nach einer Zwölfstundenschicht sollten die Polen noch Überstunden leisten, Krankheiten sollten sie mit Alkohol auskurieren. Wer sich krankschreiben ließ, sei mit Lohnabzug bestraft worden, so die Beschäftigten in dem Film. Als ein Kollege die Arbeits- und Wohnbedingungen nicht mehr aushielt und kündigte, sei er von Beauftragten des Unternehmens geschlagen und schwer verletzt worden.

Kamila Schöll-Mazurek, die am Abschlussbericht von »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« mitgearbeitet hat, hob die zentrale Rolle hervor, die das System der Scheinselbständigkeit und des Subunternehmertums für solche Arbeitsverhältnisse in Deutschland spielt. In der Praxis habe sich gezeigt, dass es damit Beschäftigten schwer gemacht wird, ihre Rechte durchzusetzen, selbst wenn sie Gerichtsprozesse gewinnen. Jochen Empen vom Projekt »Faire Mobilität«, das beim DGB angesiedelt ist, benannte konkrete Maßnahmen, die die Rechte der Beschäftigten stärken sollen. Dazu gehört die transnationale Strafverfolgung, die es ermöglichen soll, Unternehmen wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht über Ländergrenzen hinweg juristisch zur Verantwortung zu ziehen.

Als weitere aussichtsreiche Möglichkeit zur Eindämmung von Diskriminierung und Lohnbetrug gilt die Kettenhaftung von Unternehmen. Mit ihr könnte in der Bauwirtschaft verhindert werden, dass Beschäftigte auf ihren Lohn verzichten müssen, wenn Subunternehmen in Konkurs gehen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für entgangene Löhne haften. Projekte wie »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« fordern außerdem, Unternehmen dazu zu verpflichten, Rück­lagen zu bilden, damit die Löhne der Beschäftigten auch bei einer Insolvenz gesichert sind. In Österreich sind solche Gesetze bereits in Kraft. In Deutschland muss die Diskussion darüber mit Betroffenen, Gewerkschaften und NGOs erst noch beginnen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/33/54675.html

Peter Nowak

Arbeitsrechte nur auf dem Papier

Sozialdumping in Deutschland vor allem durch das System des Subunternehmertums

»Wir fühlten uns wie in einem Arbeitslager. Die Unterkunft war schmutzig. An den Wänden war Schimmel.« Ein polnisches Ehepaar berichtet in dem Dokumentarfilm »Der Fleischalbtraum« über ihre Erfahrungen an einer Arbeitsstelle in der Nähe von Leipzig. Nach einer Zwölf-Stunden-Schicht in der Fleischverarbeitungsfabrik sollten sie noch Überstunden machen, Krankschreiben wurde mit Lohnabzug bestraft, und als ein Beschäftigter kündigte, wurde er verprügelt.

In dem Film von Magdalena Pięta-Stritzke und Michał Talarek, der am Samstag im Roten Rathaus Berlins Deutschlandpremiere hatte, berichten auch weitere Betroffene über Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus. Nach der Vorführung wurde der Bericht »Sozialdumping durch Subunternehmertum« vorgestellt. Die vom polnischen Sozialrat im Rahmen des EU-Projektes »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« erstellte Studie macht deutlich, dass den polnischen Beschäftigen Rechte verweigert werden, die sie als EU-Bürger eigentlich besitzen. Auch wenn die Rechtsverstöße nicht immer ein Ausmaß annehmen, wie es im Dokumentarfilm geschildert wird, so sind sie doch für die Betroffenen gravierend. Überstunden, Arbeitshetze, Dumpinglöhne und ein schlechtes Arbeitsklima gehören zu den Klagen.

Kamila Schöll-Mazurek, Politikwissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), sieht die Gründe für die Diskriminierungen in einen fragmentierten Arbeitsmarkt in Deutschland. Das System der Scheinselbstständigkeit und der Subunternehmen habe bei der Etablierung schlecht bezahlter Arbeitsplätze eine besondere Bedeutung. In der Praxis werde es damit Beschäftigten schwer gemacht, ihre Rechte durchzusetzen, so die Wissenschaftlerin, die an der EU-Studie mitgewirkt hat. So bekamen Kollegen trotz gewonnener Lohnbetrugsprozesse ihr Geld nicht, weil die Subunternehmen Insolvenz anmeldeten. Mehrmals in der Debatte wurde an den Kampf der rumänischen Bauarbeiter erinnert, die bei der Errichtung des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« um große Teile ihres Lohns betrogen wurden und trotz Öffentlichkeitskampagnen und gewonnener Prozesse bisher leer ausgingen.

Jochen Empen vom DGB-Projekt »Faire Mobilität« forderte als zentrale Maßnahme, um die Diskriminierung der Beschäftigten zumindest zu minimieren, eine transnationale Strafverfolgung. Diese solle es ermöglichen, Unternehmen bei Verstößen gegen die Arbeitsrechte über die Grenzen hinweg juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Als weiteren Schritt zur Eindämmung von Diskriminierung und Lohnbetrug wird die Kettenhaftung der Unternehmen genannt. Vor allem in der Bauwirtschaft könne die verhindern, dass Beschäftigte ihren Lohn nie bekommen, weil die Subunternehmen Pleite gehen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für die entgangenen Löhne haften.

In der anschließenden Diskussion wurde gefordert, dass die Unternehmen verpflichtet werden, Rücklagen zu bilden, damit die Löhne der Beschäftigten gesichert sind. In Österreich sind solche Gesetze bereits in Kraft, in Deutschland hat die Diskussion darüber mit Betroffenen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erst begonnen. Doch viel wird auch davon abhängen, ob sich mehr Betroffene gewerkschaftlich organisieren und gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren.

www.neues-deutschland.de/artikel/1017345.arbeitsrechte-nur-auf-dem-papier.htm
Peter Nowak