»Ein Streik ist noch nicht revolutionär«

Manuel Müller studiert im 12. Semester Medizin und engagiert sich bei den Kritischen Medizinerinnen und Medizinern. Er ist Pressesprecher der Hochschulgewerkschaft »unterbau«, deren Gründungskongress vom 18. bis 20. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main stattfindet.

Manuel Müller studiert im 12. Semester Medizin und engagiert sich bei den Kritischen Medizinerinnen und Medizinern. Er ist Pressesprecher der Hochschulgewerkschaft »unterbau«, deren Gründungskongress vom 18. bis 20. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main stattfindet.

In Ihrer Presseerklärung steht: »Wir werden versuchen, die Verhältnisse an der Universität Frankfurt gründlich und grundlegend aufzuwühlen, um damit eine Wende gegen die Neoliberalisierung der Hochschule einzuleiten.« Ist das angesichts der politischen Kräfteverhältnisse nicht Revolutionsromantik?

Wir sind uns der herrschenden Kräfteverhältnisse bewusst. Wir sehen selbstverständlich, dass reaktionäre Kräfte Auftrieb haben, dass die Linke orientierungslos und ohnmächtig ist. Aber was hilft es, in Anbetracht dessen den Kopf in den Sand zu stecken? Trotz der aktuellen Entwicklungen sehen wir uns nicht in der Position, unsere Ansprüche aufzugeben und in Resignation zu versinken. Unser Anspruch ist es, dem neoliberalen Kapitalismus nicht nur, aber vor allem, an der Hochschule entgegenzutreten, weil wir eben an der Hochschule arbeiten oder studieren. Und darüber hinaus, weil es dort auch viele Probleme gibt: Die Studien- und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und junge Akademikerinnen und Akademiker haben immer schlechtere Perspektiven.

Haben Sie bereits Arbeitskämpfe geführt?

Viele von uns waren und sind beispielsweise an der Hiwi-Initiative beteiligt und haben dort durchaus Praxis in Arbeitskämpfen der wissenschaftlichen Hilfskräfte sammeln können. Andere Mitglieder konnten in diversen weiteren Strukturen und Gruppen ähnliche, für uns sehr wertvolle Erfahrungen sammeln. Ich war beispielsweise 2012 an den Aktionstagen und Demonstrationen für eine Entlohnung im Praktischen Jahr von Medizinstudierenden beteiligt.

Kapitalismuskritik ist an den Hochschulen heutzutage eher minoritär. Wie wollen Sie das mit Ihrem Konzept ändern?

Wir versuchen, auf die Perspektivlosigkeit zu antworten, indem wir für eine praktische Wiederbelebung des Anarchosyndikalismus und Rätesozialismus stehen. Und wir sind der Überzeugung, dass eine nachhaltige Politisierung und Organisation ausgehen muss von konkreten Problemen innerhalb der gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionssphäre.

Ergeben sich mit der Aufkündigung des Klassenkompromisses von oben nicht wieder Spielräume für linke Interventionen in den DGB-Gewerkschaften?

Zwar wurde die Sozialpartnerschaft in der Praxis dadurch einseitig erschüttert, doch folgen die DGB-Gewerkschaften insgesamt noch immer einer sozialpartnerschaftlichen Doktrin, die – mit wenigen Ausnahmen – keinen Klassenantagonismus kennt und die Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betont. Heute ist es sehr wichtig, zu erkennen, dass eine solche sozialpartnerschaftliche Doktrin auch der Kern von Standortpolitik und Nationalismus ist. Gegen jedweden Korporatismus setzen wir ein klassenkämpferisches Bewusstsein. Ein Streik ist noch nicht revolutionär. Da unser politischer Horizont jedoch auf das Fernziel einer selbstverwalteten Hochschule und Gesellschaft ausgerichtet ist, ist eine Organisation außerhalb der DGB-Gewerkschaften notwendig – denn dieses Ziel teilt keine DGB-Gewerkschaft.

An einer Diskussionsveranstaltung Ende Oktober mit dem Titel »Verwalter oder Spalter: Wie weit können Gewerkschaften an der Uni gehen?« haben sich unter anderem die GEW und »Unterbau« beteiligt. Wie soll die künftige Kooperation denn aussehen?

Statt Konkurrenz wünschen wir uns einen einvernehmlichen, solidarischen Wettbewerb um die beste Form der Organisation der Interessen der Belegschaften. Wir können derzeit sicherlich noch nicht alles leisten, was die etablierten Gewerkschaften bieten. Deswegen halten wir Doppelmitgliedschaften für sinnvoll. Zudem organisieren sich bei uns auch Menschen erstmals gewerkschaftlich, die sich aufgrund ihres politischen Anspruchs niemals ernsthaft in einer DGB-Gewerkschaft engagieren würden. Auch in der Hinsicht sehen wir also ein Ergänzungspotential.

Wir solidarisieren uns uneingeschränkt mit allen anderen gewerkschaftlichen Kämpfen, die zum Aufbau eines klassenkämpferischen Bewusstseins an den Hochschulen und in der Gesellschaft beitragen. Hier unterstützen und begrüßen wir die wichtigen Impulse, die auch von der GEW ausgegangen sind, beispielsweise mit dem Templiner Manifest zur prekären Arbeit im Wissenschaftsbereich. Das war ein wichtiger Beitrag zur Schaffung eines Problembewusstseins. Befristung und Wettbewerbsorientierung werden auch dank dieser Initiative immer häufiger als problematisch wahrgenommen.

Im vergangenen Jahr organisierte die Basisgewerkschaft FAU in Jena einen Arbeitskampf in einem Callcenter der Universität. Sollen solche Interventionen künftig unter dem Dach der Hochschulgewerkschaft laufen?

Dieser Arbeitskampf ist ein sehr gutes Beispiel für die Wirkmächtigkeit basisdemokratisch organisierter Gruppen bei Arbeitskämpfen. Für uns ist dieser Fall vor allem deshalb exemplarisch, da sich die Beschäftigten an eine Organisation gewandt haben, die unseren Prinzipien sehr nahesteht. Das genannte Callcenter war bis dahin für eine enge Verbindung zu den etablierten großen Gewerkschaften bekannt. Vermutlich war dies ein Grund dafür, dass sich die Beschäftigten an eine alternative Struktur wie die FAU gewandt haben. Die Schwelle, eigenes Engagement einzubringen, ist hier wesentlich niedriger, als wenn Beschäftigte sich neben ihren Problemen am Arbeitsplatz noch durch existierende Funktionärsstrukturen kämpfen müssen, um in einen Arbeitskampf einzutreten. Ähnliche Aktionsformen werden auch für uns relevant werden, sobald wir uns als »Unterbau« in praktische Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen einbringen.

Interview: Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/46/55209.html

Unter_bau

Eine neue Gewerkschaft für eine neue Hochschule
Interview mit Pressesprechern

Unter_bau nennt sich eine neue Basisgewerkschaft im Hochschulbereich, die sich im April an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gegründet hat. Peter Nowak sprach mit den Pressesprechern Anna Yeliz Schentke und Manuel Müller.

Was sind eure konkreten Forderungen?
Unser Ziel ist eine soziale Hochschule in basisdemokratischer Selbstverwaltung: Ihre Angehörigen sollen gleichberechtigt entscheiden und ihr Profil nicht von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein. Ein solches Ziel erfordert eine Gewerkschaftspolitik, die Tageskampf und grundlegende Veränderung zusammendenkt.

Wie wollt ihr das in der wirtschaftsliberal ausgerichteten Hochschullandschaft umsetzen?
Grundsätzlich geht es darum, Einfluss auf Alltag und Struktur der Hochschule zu nehmen, sowie kontinuierlich Erfahrungen aus Arbeitskämpfen weiterzugeben. Dadurch soll eine Gegenmacht entstehen, mit der sich die Herrschaftsstrukturen an der Hochschule aufbrechen lassen, sodass alternative Strukturen Raum greifen können. Arbeitsbedingungen werden prekarisiert und Stellen abgebaut, Arbeiten outgesourct und Belegschaften gespalten, der Zwang im Studium erhöht und kritische Inhalte verdrängt, die soziale Selektion verschärft und Bildung der Verwaltung von Humankapital unterworfen.

Aus diesen Zuständen ergeben sich für uns unter anderem folgende konkrete Forderungen: Wiedereingliederung von outgesourcten Arbeitsplätzen, Tarifverträge für alle Beschäftigtengruppen, mehr Raum für kritische Studieninhalte, die nicht nach rein ökonomischen Interessen ausgerichtet sind. Dazu gehören auch Forderungen nach mehr unbefristeten Stellen, insbesondere im Mittelbau, und nach einer ausreichenden Finanzierung aller Fächer. Dies lässt sich nur verwirklichen, indem wir die Probleme an der Wurzel packen und die Hochschule zu einer grundlegenden Veränderung ihrer Struktur drängen. Dies soll Antrieb und Anfangspunkt für eine gesamtgesellschaftliche Transformation sein.

Kann sich auch eine Putzfrau oder Mensabeschäftigte bei euch organisieren?
Der Unter_bau ist für alle Statusgruppen, die an der Universität beschäftigt sind, sowie für Studierende offen. Die Universität unterscheidet sich von ihrer Struktur her stark von anderen Arbeitgebern, sie beschäftigt die Arbeitnehmer auf sehr unterschiedliche Weise. Viele Bereiche, wie zum Beispiel der Reinigungssektor oder das Sicherheitspersonal, werden zu weiten Teilen von externen Dienstleistern abgedeckt. Häufig sind die Angestellten höchst prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt.

Studierende, Hilfskräfte, wissenschaftliches Personal und administrativ-technisches Personal arbeiten alle gemeinsam an der Universität. Es ist für alle Gruppen von Beschäftigten offensichtlich, dass nicht nur am eigenen Arbeitsplatz zunehmend Ausbeutungsverhältnisse gefördert werden. Daraus ergeben sich gemeinsame Themenfelder für den Arbeitskampf, die bisher nicht ausgeschöpft wurden. Alle Statusgruppen leiden schlussendlich unter der Ökonomisierung der Hochschule, die sowohl in der Mensa, als auch in Wissenschaft und Lehre ihr Hauptaugenmerk auf Effizienz richtet und dadurch den Bedürfnissen der Menschen an der Universität widerspricht. Eine Trennung von akademischem und nichtakademischem Personal und die damit einhergehende Hierarchisierung lehnt der Unter_bau ab.

Warum organisiert ihr euch nicht bei der GEW oder der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?
Der Unter_bau unterscheidet sich von seiner Struktur her stark von anderen Gewerkschaften, da ihm ein föderales Konzept zugrunde liegt. Entscheidungen werden basisdemokratisch getroffen, mögliche Funktionärsstrukturen werden durch dieses Konzept ausgeschlossen. Es ist wichtig, dass es sowohl GEW, als auch Ver.di gibt, um Arbeitskämpfe zu führen, allerdings ist das Selbstverständnis des Unter_bau insofern weitreichender, als dass es politisch ist. Es geht über einfache Lohnpolitik hinaus, zu seinem Programm gehört die Einmischung in die Gestaltung der sozialen Umwelt. Ziel ist eine Transformation der Universität, die nur durch ein Infragestellen der bestehenden Machtstrukturen umsetzbar wird. Der Unter_bau will den Angehörigen der Universität die Möglichkeit bieten, sich durch statusgruppenübergreifende Solidarität aktiv und orientiert an den eigenen Interessen und Forderungen einzusetzen. Sie müssen sich nicht schon bestehenden gewerkschaftlichen Strukturen unterordnen, sondern gelangen in die Position, selber eine neue Form von Arbeitskampf führen zu können.

Droht durch eure Initiative nicht eine Zersplitterung gewerkschaftlicher Aktivitäten?
Die Gründung des Unter_bau sollte unter keinen Umständen als Spaltungsmoment für die Gewerkschaftslandschaft betrachtet werden: Wir machen lediglich Gebrauch von dem Recht auf Gewerkschaftspluralismus und Koalitionsfreiheit, wie es allen Arbeitnehmern gesetzlich zusteht. Von der Analyse und der Programmatik des Unter_bau ausgehend, kann die Organisierung am Arbeitsplatz durch verschiedene Gewerkschaften, die kollegial und solidarisch miteinander arbeiten, nur begünstigt werden. Dies sollte unserer Meinung nach auch das Verständnis von gewerkschaftlicher Arbeit anderer Genossinnen und Genossen sein, um gemeinsam grundlegende Veränderungen am Arbeitsplatz zu ermöglichen. Die Gründung des Unter_bau sollte daraus folgend keinesfalls als Zersplitterung aufgefasst werden. Sie aktiviert Beschäftigte, die sich durch die vorhandenen Organisierungsangebote nicht angesprochen fühlen.

http://unterbau.org

http://www.sozonline.de/2016/06/unter_bau/

Interview: Peter Nowak

Unmut im Unterbau

Lohndumping und Outsourcing gehören zum fragwürdigen Geschäftsmodell deutscher Universitäten. Um dies zu ändern, hat sich in Frankfurt am Main eine neue Basisgewerkschaft gegründet.

Lange haben Studierende und Beschäftigte an Universitäten nicht mehr mit Streiks auf sich aufmerksam gemacht. Das könnte sich ändern, zumindest in Frankfurt am Main. Dort hat sich in der vergangenen Woche eine Hochschulgewerkschaft gegründet, die sich Unterbau nennt. Dass es sich nicht um eines der vielen linken Hochschulprojekte handelt, die die Semesterfe­rien nicht überleben, zeigt schon der lange Vorlauf. Über ein Jahr lang hätten knapp 50 Beteiligte die Gründung vorbereitet, berichtet die Pressesprecherin von Unterbau, Anna Yeliz Schentke, im Gespräch mit der Jungle World. Ihr Kollege Manuel Müller betont, dass die neue Gewerkschaft basisdemokratisch organisiert sei, womit die Bürokratisierung verhindert werden solle. Damit unterscheide sie sich von den beiden DGB-Gewerkschaften Verdi und GEW, die im Bildungsbereich tätig sind. Zudem habe die neue Gewerkschaft ein Ziel, das über die reine Tarifpolitik hinausgeht. »Ziel ist eine Transformation der Universität, die nur durch ein Infragestellen der be­stehenden Machtstrukturen umsetzbar wird«, so Müller.

Schentke ergänzt, dass das Konzept von der basisdemokratischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) inspiriert sei. Die Gründung von Unterbau betrachten Schentke und Müller nicht als Versuch der Spaltung der bestehenden Gewerkschaften: »Wir machen lediglich Gebrauch vom Recht auf Gewerkschaftspluralismus und Koalitionsfreiheit, wie es allen Arbeitnehmern gesetzlich zusteht.« Sie wünschen sich eine Kooperation der Gewerkschaften. Tatsächlich haben sich bei Unterbau neben Mitgliedern von DGB-Gewerkschaften und der FAU auch Beschäftigte organisiert, die vorher noch keine Gewerkschaftsmitglieder waren.

Die Gründung der neuen Basisgewerkschaft ist ein Zeichen des Hegemonieverlusts der DGB-Gewerkschaften auch im Bildungsbereich. Der Arbeitsrechtler Rolf Geffken hat in einer 2015 erschienenen Broschüre mit dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« den Monopolanspruch des DGB kritisiert, der weder historisch noch politisch zu begründen sei. Geffken plädiert für eine Gewerkschaftseinheit in konkreten Arbeitskämpfen. Das kommt den Vorstellungen der Gründer von Unterbau sehr nahe.

Diese könnten über Frankfurt hinaus Nachahmer finden. Denn längst sind die Hochschulen zu Wissenschaftsunternehmen geworden, deren Verantwortliche beim Outsourcing und bei Dumpinglöhnen Pionierarbeit leisten. Davon sind Wissenschaftler, Dozenten und studentische Hilfskräfte ebenso betroffen wie das Reinigungspersonal und Beschäftigte in der Mensa. In Berlin sind es derzeit die Beschäftigten des zur Freien Universität gehörenden Botanischen Gartens, die soziale Forderungen auf dem Campus wieder zu Gehör gebracht haben und von studentischen Gruppen unterstützt werden (Jungle World 52/2015).

Dem Konzept von Unterbau zufolge sollten unterschiedliche Statusgruppen in einer Gewerkschaft kämpfen und, wenn nötig, gemeinsam die Hochschule bestreiken. Doch die Bereitschaft von Studierenden, sich zu organisieren, ist bisher nicht besonders hoch. Zudem gehen sie an der Universität keiner Lohnarbeit nach, es sei denn als Hilfskraft, was ihren Status fundamental von dem der Beschäftigten unterscheidet. Der von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten zur basisdemokratischen IWW übergewechselte Gewerkschafter Harald Stubbe kritisiert linke Studierende in seinem politischen Umfeld, »die immer überlegt haben, wen sie organisieren« könnten. In dem Buch »Dabei geblieben. Aktivistinnen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen« schreibt er: »Nur nicht sich selbst wollten sie organisieren. Obwohl sie alle prekäre Jobs hatten und viel weniger Risiko eingingen als eine Küchenhilfe, die davon leben muss.« Auch Studierende, die sich an einer von GEW und Verdi unterstützten Initiative für die Durchsetzung eines neuen Tarifvertrags für studentische Hilfskräfte an Berliner Hochschulen beteiligen, kritisierten das geringe Engagement ihrer Kommilitonen. Unterbau kann nun den Beweis antreten, dass eine basisdemokratische Gewerkschaft die Organisierungsbereitschaft erhöht.

http://jungle-world.com/artikel/2016/17/53913.html

Peter Nowak