e Klimabewegung steckt in einer Krise: Repression, Rückzug und Wahlerfolge rechter Parteien hemmen den Aktivismus. Das Buch «Kipppunkte» analysiert 15 Jahre Klimaaktivismus und zeigt Wege aus der Krise. Simon Schaupps «Stoffwechselpolitik» plädiert für eine proletarische Klimapolitik, die Arbeiter:innen in den Fokus rückt.

Arbeiter:innen und Klimabewegung gemeinsam

Grebenjak Manuel (Hg.), Kipp-Punkte, Strategien im Ökosystem der Klimabewegung, Unrast-Verlag 2024, 397 Seiten, ISBN: 978-3-89771-378-9, 22 Euro. Schaupp Simon, Stoffwechselpolitik, Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten, Suhrkamp-Verlag, 420 Seiten, ISBN:978-3-518-02986-2, 24 Euro.

«Die Klimabewegung befindet sich im Tiefschlaf, um es nett auszudrücken. Und so können jene, die für die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind, wieder
ruhig schlafen und ihre Vorlagen durchpushen», schreibt Siro Torresan im vorwärts 35/36/2024. Kein Zweifel, die Klimagerechtigkeitsbewegung ist in der Krise, das hört man auch von Aktivist:innen aus vielen Ländern. Die Repression gegen völlig gewaltfreie Aktionen wächst in vielen Staaten. Zudem erzielen rechte Parteien Wahlerfolge, gerade weil sie – wie Donald Trump – eine Rückkehr zu den Zeiten versprechen, in denen von der Klimakrise noch keine Rede war. Doch wie soll die sehr heterogene Klimabewegung auf diese Rückschläge reagieren? Diese Frage stellt …

… Manual Grebenjak in seinem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch «Kipp-Punkte»

Der Rückgang hat verschiedene Gründe
Auf fast 400 Seiten ziehen mehr als 29 Autor:innen und mehrere Initiativen eine Bilanz von über 15 Jahren Klimaaktivismus. Dabei kommen Menschen aus
denkbar unterschiedlichen Spektren der Bewegung zu Wort. Auch weniger bekannte Organisationen aus dem deutschsprachigen Raum wie Klimavolksbegehren aus Österreich oder der Verein Klimaschutz Schweiz werden vorgestellt. Natürlich dürfen auch die bekannten Akteure wie Fridays For Future, Letzte Generation und Extinction Rebellion nicht fehlen. In Kurzbeiträgen stellen Aktivist:innen ihre Organisationen selber vor. Dabei
kommen fast alle Gruppen zu dem Schluss, dass nach dem klimabewegten Aufbruch um 2018/2019 spätestens ab 2022 der Winter der Bewegung eingesetzt hat. Dieser Rückgang hat verschiedene Ursachen: Die Corona-Pandemie und die Monate des Lockdowns waren ein wesentlicher, aber nicht der einzige Grund. Schliesslich war die Klimabewegung Ende 2019 noch in der Aufschwungphase, als ihr ab März 2020 durch die Pandemie und die
Lockdowns der öentliche Raum genommen wurde. Es setzte auch der Prozess der Normalisierung und des Verdrängens ein. Viele Menschen wollen von immer neuen apokalyptischen Meldungen nichts mehr hören und
schalteten im wahrsten Sinne des Wortes ihre Kommunikationsgeräte ab.

Rückzug und Burn-out
Die Krise des Klimaaktivismus bezieht sich auf die Binnenstruktur der Gruppen. Aktivist:innen ziehen sich zurück wegen scheinbarer Erfolglosigkeit, wegen Burnout oder wegen beruficher Perspektiven. Gruppen lösen sich auf. In dieser Situation wachsen auch eher irrationale Bewegungen, die sich eher einen Weltuntergang als ein Ende des Kapitalismus vorstellen können. Ein Grund
für solche Vorstellungen liegt auch in manchen apokalyptischen Erzählungen in der Klimakrise, die von einem baldigen Ende der Menschheit sprechen. In dem Buch Kipppunkte vertreten nur wenige Autor:innen einen solchen Diskurs. Eine negative Ausnahme ist hier die Mitbegründerin des Netzwerks Klimaaktivismus Sara Schurmann, die schon im Titel «Abgrund: Wie die Klimakrise eskaliert» den Ton vorgibt. In der Folge werden unterschiedliche Wetterphänomene benannt, ohne zu gewichten, welche mit dem Klimawandel in Verbindung stehen und welche immer wieder vorkommende Wetterereignisse sind. Aber eine solche Unterscheidung ist nötig, um überhaupt sinnvoll über den Klimawandel diskutieren zu können.

Plädoyer für eine proletarische Klima- und Umweltpolitik
Das ist auch die Voraussetzung, um zu erkennen, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung den Kapitalismus zum Gegner hat. Dann ist es ein konsequenter Schritt, sich mit Lohnabhängigen zu vernetzen. Die Initiative
«Wir fahren zusammen» in der Klimaaktivist:innen mit Beschäftigten des Öffentlichen Nahverkehrs kooperieren und für einen Ausbau von Bahnen und Bussen kämpfen, wird nicht zufällig in dem Buch von ganz unterschiedlichen Gruppen als positives Vorbild hervorgehoben. Auch Simon Schaupp benennt die Initiative «Wir fahren zusammen» als das Beispiel einer gelungenen Kooperation zwischen Gewerkschafts- und Klimabewegung. Der in Basel lehrende Soziologe hat kürzlich im Verlag Suhrkamp mit dem Buch «Stoffwechselpolitik» ein Plädoyer für eine proletarische Klimapolitik verfasst. Schaupp kritisiert mit Recht, dass in grossen Teilen der Klimabewegung die arbeitenden Menschen selten als handelndes politisches Subjekt vorkommen. Schlimmer noch, in Teilen der Klimabewegung werden Arbeiter:innen und
nicht die Kapitalist:innen für die Umweltverschmutzung in der fossilen Industrie verantwortlich gemacht, Es fängt am Arbeitsplatz an Schaupp belegt in dem 420-seitigen Buch an historischen Beispielen, dass sich die Lohnabhängigen durchaus für eine saubere und gesunde Umwelt engagieren und dabei an ihrem eigenen Arbeitsplatz beginnen. Hier weist Schaupp auf einen wichtigen Punkt hn, der tatsächlich in Teilen der Klimabewegung oft ausgeblendet wird. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Die grosse Mehrheit der Klimaaktivist:innen zumindest im globalen Norden kommt eher aus einem kleinbürgerlichen als aus dem proletarischen Milieu. Darin liegt
sicher ein Grund, dass die Kämpfe um einen gesunden Arbeitsplatz, wie sie beispielsweise in der Chemieindustrie geführt wurden, oft ausgeblendet wurde. Dabei sollte nicht verschwiegen werden, dass diesen Kampf oft nur von kleinen Teilen der Arbeiter:innen geführt wurde, die damit durchaus nicht selten in Konflikt mit der Gewerkschaftsbürokratie geraten sind.

Proletarischer Eigensinn
Schaupp liefert mit seinem Buch interessante Beispiele des proletarischen Eigensinns, der dabei auch Naturgesetze und Witterungsbedingungen ausnutzt.
Schaupp beschreibt, wie in den Fleischfabriken von Chicago schon Ende des 19.Jahrhunderts erstmals Fliessbänder eingesetzt wurden, bevor sie dann in den Autowerken von Ford zum Inbegriff von fordistischer Ausbeutung wurden. Schaupp beschreibt, wie die kapitalistische Logik dafür sorgte, dass mit dem Fliessband immer mehr aus den Arbeitenden herausgeholt werden konnte.
Aber er zeigt auch, dass die Arbeitenden kein Teil der Maschine sind. «Die Beschäftigten legten eigensinnige Praktiken der Nutzlosigkeit an den Tag, setzten aber auch auf eine starke Bewegung für den Achtstundentag, die ihren vorläugen Höhepunkt mit einem Massenstreik erreichte, an dem sich am 1.Mai 1886 über 90000 Personen beteiligen», so Schaupp (S. 160). Mit dem Begri der Nutzlosigkeit beschreibt Schaupp, dass die Arbeitenden sich nicht den kapitalistischen Verwertungsbedingungen vollständig unterwerfen. Dafür
gibt es in der Geschichte auf allen Kontinenten immer wieder Beispiele, die Schaupp in dem Buch auistet. Diese Kampfgeschichte wird bis heute fortgeschrieben. Auch die Essenslieferant:innen, die sich im Februar 2021weigerten, ihre Gesundheit bei Glätte und Schneematsch aufs Spiel zu setzen und die Essensauslieferung in verschiedenen europäischen Ländern einstellten, gehören dazu. Schaupp liefert eine Fülle von Beispielen, wie
Arbeiter:innen sich gegen ungesunde Arbeitsbedingungen einsetzen. Indem er diese proletarische Geschichte des Kampfes um eine saubere Umwelt in den Fokus rückt, liefert er mit seinem Buch Argumente für die linken Kräfte innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung, denen es nicht um eine romantische Verklärung der Natur geht, sondern um bessere Lebensbedingungen für alle Menschen und die sich für eine Kooperation mit
den Arbeiter:innen und ihren Organisationen einsetzen. Damit leisten sie einen Beitrag dafür, dass die Klimabewegung aus dem beklagten Tiefschlaf erwacht.

Peter Nowak

Grebenjak Manuel (Hg.), Kipp-Punkte, Strategien im Ökosystem der Klimabewegung, Unrast-Verlag 2024, 397 Seiten,
ISBN: 978-3-89771-378-9, 22 Euro.


Schaupp Simon, Stoffwechselpolitik, Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten, Suhrkamp-Verlag, 420 Seiten, ISBN:978-3-518-02986-2, 24 Euro.