Der Hausherr gibt es, der Hausherr nimmt es: Profitgier und Verdrängung im christlichen Immobiliengeschäft ist im November 2023 im Alibri-Verlag erschienen (220 S., 18 Euro)

Missstände bei christlichen Wohnungsunternehmen: „Kirchen behandeln ihre Mieter schlecht“

Im Gespräch: Kirchliche Wohnungsunternehmen werben gerne mit ihrem „christlich-sozialen Auftrag“. Dabei wird Mietern dort genauso übel mitgespielt wie woanders. Publizist Ralf Hutter hat ein Buch über die Heuchelei der religiösen Hausherren geschrieben

Sind christliche Immobilienfirmen sozialer als säkulare? Der Publizist Ralf Hutter hat recherchiert und mit vielen Mieterinnen und Mietern gesprochen. In dem Buch …

 … Der Hausherr gibt, der Hausherr nimmt es hat er seine Ergebnisse veröffentlicht. Ein Gespräch über Profitgier und Verdrängung im christlichen Immobiliengeschäft.

der Freitag: Herr Hutter, warum rücken Sie das christliche Immobiliengeschäft in Ihrem Buch in den Fokus?

Ralf Hutter: Ich berichtete 2019 über den ersten mir bekannten Fall von Kritik an einem kirchlichen Wohnungsunternehmen. Da ging es um ein Haus der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (ASW), dem größten Immobilienunternehmen der katholischen Kirche, in Berlin. Da stellte ich fest, dass es in Köln einen viel größeren Konflikt in einer Siedlung dieser Firma gab. Ich berichtete dann auch darüber, und über den Sektor der kirchlichen Wohnungsunternehmen allgemein. Dabei stellte ich fest, dass offenbar noch niemand größer, also überregional zu diesem Sektor recherchiert hatte. Nachdem dieser größere Beitrag vom Deutschlandfunk gesendet worden war, meldeten sich weitere Betroffene bei mir oder beim Sender. Da ich dann aber nicht mein ganzes Material veröffentlichen konnte, beschloss ich, ein Buch zu schreiben. Noch beim Schreiben stieß ich auf weitere Konfliktfälle. Wirtschaftlich gesprochen: Das Thema war eine Marktlücke. Sonst hätte ich auch nicht so viel Zeit in das Buch gesteckt. Journalistisch gesprochen: Hier gibt es einiges zu enthüllen.

Inwiefern?

Die Wohnungsvermietung ist vielleicht von allen kirchlichen Dunkelfeldern das am wenigsten ausgeleuchtete. Wir wissen nicht, wie groß der Reichtum der beiden großen Kirchen ist, und wie viele sexuelle Übergriffe wie genau vertuscht worden sind – aber wir haben eine Ahnung davon. Von den Missständen bei der Wohnungsvermietung war bis jetzt kaum etwas bekannt.

Welchen Anteil haben kirchliche Unternehmen an der Immobilienbranche insgesamt?

Einen kleinen, zumindest, wenn wir von der Wohnraumvermietung sprechen. Der Verband der katholischen Wohnungsunternehmen vereint auf sich nach eigener Aussage 90.000 Wohnungen, zudem verwalten seine Mitglieder 35.000 Wohnungen, wahrscheinlich von anderen katholischen Institutionen. Der evangelische Verband spricht von 40.000 Wohnungen, die Firmen und Stiftungen gehören. Und ich vermute, dass formal nicht kirchliche, aber an die Kirche gebundene Akteure nicht in Statistiken erfasst werden. Vielleicht braucht es eine Doktorarbeit, um das Ausmaß der kirchlichen Wohnungsvermietung zu erfassen. 

Sie beschreiben, wie die Hilfswerk-Siedlung GmbH, das Wohnungsunternehmen der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, den Mieterschutz untergräbt. Können Sie Beispiele nennen?

Im Untertitel dieses Kapitels schreibe ich, dass das Unternehmen das im großen und im kleinen tut. Letzteres bezieht sich auf konkrete Dinge in seinen Häusern, zum Teil Kleinigkeiten: schlechte Reaktion auf Mängelmeldungen, falsche Nebenkostenabrechnungen. Im großen tut die Firma das durch das politische Engagement des Geschäftsführers gegen starke staatliche Eingriffe. Er hat ab 2019 und noch Ende 2022 massiv gegen das 2021 erfolgreiche Berliner Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Immobilienbestände agiert, von dem die Firma selbst betroffen ist.

Auch christliche Pflege- und Sozialeinrichtungen werden in Ihrem Buch erwähnt. Liegt hier nicht die größere Profitquelle angesichts der Immobilienkrise?

Im Buch geht es um die Schließung von zwei Pflegeheimen einer evangelischen Stiftung in Berlin-Wedding. In einem der Fälle war die Begründung, der Betrieb rechne sich aufgrund einer Mieterhöhung nicht mehr. Steigende Immobilienpreise können da also zum Problem werden. Am meisten Profit bringt, zumindest in Städten wie Berlin, wahrscheinlich das Vermieten und Verkaufen von Immobilien. Die Krise ist ja vor allem eine für Leute, die mieten wollen.

2018 wurde in Berlin eine Immobilie der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft besetzt und erst nach einigen Monaten geräumt. Geriet damit das Unternehmen unter Druck?

Durch mich schon. Der Berliner Niederlassungsleiter reagierte mehrmals unwirsch auf meine Anfragen, ich berichtete mehrmals über den Fall. Offenbar war der Druck aber nicht so groß, dass er sich am Riemen riss. Aufgefallen ist mir, dass die Firma zu Beginn meiner Recherchen keine reine Pressesprecherin hatte. Die wurde erst im Laufe des Jahres 2019 eingestellt. Auch das zeigt wohl, dass die Firma bis dahin kaum kritische Presse zu befürchten hatte. Bezeichnenderweise kam die Pressesprecherin vom Immobilienkonzern Vonovia, dem vielleicht damals schon größten Wohnungsunternehmen Deutschlands.

Ihre These ist, dass die Kirchen von Beginn an mit dem Kapitalismus kooperiert haben.

Ja, das betone ich. Ich bin kein Kirchenhistoriker oder Mittelalterexperte, aber als ich nach Gemeinsamkeiten der von mir behandelten Fälle suchte, fiel mir Jakob Fugger ein, der wohl reichste Geschäftsmann seiner Zeit. Er errichtete in Augsburg die angeblich erste, oder zumindest heute älteste Sozialsiedlung der Welt. Das tat er aber, um es, gemäß des herrschenden christlichen Glaubens, nach seinem Tod gut zu haben. Es war eine Investition ins Seelenheil, wie beim Ablasshandel. Sozial war Fugger sonst nicht besonders, er wurde mit Rohstoffabbau in diversen Ländern reich und bereicherte sich auch an der Sklaverei. Darin sehe ich eine Parallele, wenn nicht sogar den Ursprung des heutigen christlichen Wohltätigkeitsdiskurses, der gerade auch im Wohnungsbereich geführt wird. Soziale Projekte zur Linderung der Not konkreter Menschen sollen vor allem für ein gutes Gewissen – wie damals das Seelenheil – der Kirchenleute sorgen. Gesellschaftliche Lösungen strebt die Kirche da nicht wirklich an. Die Wohnungsfrage ist letztendlich nicht ihr Ding. Das zeigt auch der erwähnte Geschäftsführer der Hilfswerk-Siedlung, der seine Firma gerne als sozial bezeichnet, aber sozialistische Maßnahmen grundsätzlich verteufelt.

Wie sind Sie an die vielen, sehr detaillierten Informationen gekommen?

Zum Teil haben mir Betroffene gut zugearbeitet, zum Teil hab ich mir die Zeit genommen, mir von weniger aktiven Leuten ihre Erlebnisse schildern und Dokumente zeigen zu lassen. In einem Fall war ein Grundbuchamt eine sehr wichtige Hilfe, in einem anderen habe ich eine kostenpflichtige Informationsfreiheitsanfrage an den Berliner Senat gestellt, weil es um eine evangelische Stiftung öffentlichen Rechts ging, die ihrer Transparenzpflicht nicht nachkam. In Berlin war ich auch an einer Handvoll Schauplätzen vor Ort.

Sie listen in dem Buch zahlreiche Beispiele für Widerstand von Mietern der christlichen Wohnkonzerne auf. Wie sind die Firmen damit umgegangen?

Eine Konstante, die es bei den meisten anderen Wohnungsunternehmen wohl nicht gibt, ist da die Begleitrhetorik. Diese Unternehmen und ihre kirchlichen Eigentümer sprechen gern von ihrem „christlich-sozialen Auftrag“. Das führt aber auch zu Arroganz. Das Personal ist bisweilen überheblich, auch mir gegenüber. In ein paar Fällen hatte ich den Eindruck, dass gegenüber kämpferischen Mietenden eine moralisierende Überheblichkeit an den Tag gelegt wurde, so nach dem Motto: Nun sind wir schon sozial und stellen benachteiligten Bevölkerungsgruppen Wohnraum zur Verfügung, und dann sind die so undankbar! Da scheint ein kirchlicher Autoritarismus durchzukommen. Im Endeffekt wird so aus dem sozialen Anspruch Heuchelei. Das soziale Entgegenkommen bei Konflikten fand in den von mir behandelten Fällen oft nur in geringem Ausmaß statt. Und am Ende stand doch die Kündigung. Oder zumindest das Ignorieren von Beschwerden.

Interview: Peter Nowak

Das Buch Der Hausherr gibt es, der Hausherr nimmt es: Profitgier und Verdrängung im christlichen Immobiliengeschäft ist im November 2023 im Alibri-Verlag erschienen (220 S., 18 Euro)