Deutschland soll wieder kriegsfähig werden, fordern politisch Verantwortliche von Union, FDP, Grünen und SPD. Der russische Angriff auf die Ukraine hat diese Entwicklung beschleunigt, aber nicht ausgelöst. Darauf weist Gerald Grüneklee in seiner gut lesbaren Streitschrift hin. Der Titel „Nur Lumpen werden überleben“ bezieht sich auf das Gerede vom „Lumpenpazifismus“, mit dem Linksliberale wie Sascha Lobo Menschen und Gruppen, die nicht kriegsbereit waren und sind, diffamierten. Grüneklee zeichnet in seinem Buch die lange reaktionäre Tradition nach, missliebige …
… Menschen als „Lumpen“ auszugrenzen. Doch er sieht den Begriff als Auszeichnung. „Die Begriffsherkunft des ‚Lumpen‘ verweist aber auch auf Menschen, die ihren eigenen Kodex hatten, ihre Überlebensstrategien – und die über beachtliche Widerstandskräfte verfügten, die sie jahrhundertelang recht resilient gegenüber staatlichen Zugriffen und Zwangsdiensten machten.“ Der Autor macht auch klar, was das heute bedeutet: „In diesem erweiterten Sinne verstehe ich den Lumpen-Begriff, beinhaltend die von der Gesellschaft Ver- und Ausgestoßenen, die An-den-Rand-Gedrängten, die Überflüssigen und jene, die sich aus unterschiedlichen Gründen dem Zugriff von Staat und Herrschaft so gut wie möglich zu entziehen versuchten.“
Zwischen Angriffskrieg und Neoliberalismus
Es ist zu hoffen, dass es auch im Deutschland des Jahres 2024 noch viele kritische Menschen gibt. Sie könnten durch Grüneklees Streitschrift gute Argumente bekommen. Die kurzen Kapitel werfen Schlaglichter auf den aktuellen deutschen Nationalismus, der mit Begriffen wie Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit um sich wirft. Zur Sprache kommen die Profiteure des Krieges wie der Rheinmetall-Konzern, dessen Aktien seit zwei Jahren im Dauerhoch stehen.
Grüneklee beschreibt auch, wie der Krieg die Klimakrise verschärft, und wirft ein Schlaglicht auf die Ukraine als Labor des Neoliberalismus. Auf die rechte Traditionspflege in dem Land geht er ebenso ein wie auf die libertären ukrainischen Traditionen. Schließlich ist der Autor ein Kenner der Machnobewegung (Rabe Ralf Oktober 2022, S. 22).
Es ist gut, dass Grüneklee in einem eigenen Kapitel auch auf die Rechten in Russland eingeht. Paradox ist, dass ein Libertärer wie er sich vorwerfen lassen muss, das autoritäre Putin-Regime zu verteidigen. Seine Kritik an Nato, EU und ukrainischer Regierung mache „einen Angriffskrieg – nicht nur den Putins – nicht minder verabscheuungswürdig“, erwidert Grüneklee und fügt hinzu: „Man muss dieses Missverstehenwollen als Machtdiskurs deuten: Es gibt eine vorherrschende Meinung, damit eine Deutungshoheit. Wer sich dieser Deutungshoheit nicht beugen will, sieht sich allen möglichen und unmöglichen Vorwürfen ausgesetzt, die das Ziel haben, einen auf jeden Fall zu diskreditieren und auszugrenzen“, so der Autor.
Erfreulich, dass sich Grüneklee davon nicht beeindrucken lässt. Schließlich ist die Diskreditierung von Menschen, die gegen alle Kriege sind, ein Kennzeichen jedes Militarismus und Nationalismus.
Peter Nowak
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