Autobahnen als Orte von Nationalismus, Moderne und Männlichkeit

Immer nur rechts abbiegen

Conrad Kunze: Deutschland als Autobahn Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus Transcript-Verlag, Bielefeld 2022 458 Seiten, 48 Euro ISBN 978-3-8376-5943-6 ----------------------------- Ausstellung „A 100 – Operation Beton“ bis 24.9. im Museum Neukölln, Gutshof Britz, Alt-Britz 81, tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei 26./27.8. Festival der Entschleunigung 2.9., 10 Uhr Baustellenbegehung

Bundesverkehrsminister Volker Wissing macht immer wieder deutlich, dass er den Bau weiterer Autobahnen fortsetzen will. Dazu gehört auch die Stadtautobahn A100 in Berlin. Der FDP-Minister und Freund der Automobilindustrie beruft sich dabei auf Pläne aus den 1990ern und ignoriert die Klimadebatte der letzten Jahre. Der Bau neuer Autobahnen ist das ganz falsche Signal. Doch es gibt auch historische Gründe, die für einen Kampf gegen Autobahnen sprechen. Diese hat der Kulturwissenschaftler Conrad Kunze von der FU Berlin in seinem Buch …

… „Deutschland als Autobahn“ auf über 450 Seiten zusammengefasst. Der Untertitel „Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus“ wird dem Buch gerecht. Kunze schöpft in seinem Buch aus seinen profunden Kenntnissen von Kunst, Literatur und Filmen, die sich mit dem Automobil befassen, und macht die LeserInnen mit wenig bekannten Texten aus Kulturgeschichte und Philosophie vertraut.

Begehrte Autos 

Er bedient sich im Umgang mit Wissen und Wissenschaft der Methode des „Umherschweifens“, französisch dérive (Rabe Ralf April 2023, S. 7), entwickelt in den 1960er Jahren von den SituationistInnen, auf die sich Kunze im Buch positiv bezieht. Im Vorwort schreibt er: „Was dieses Buch anbietet, ist ein historisch vorantastendes Fragen, warum viele Menschen Autos so sehr begehren, dass sie lieber ihren Kindern und Enkeln einen ruinierten Planeten hinterlassen wollen, als Kleinigkeiten wie Rasen und SUV aufzugeben.“

Immer wieder unternimmt Kunze Exkurse zur Geschichte. Er wehrt sich vehement gegen alte und neue Totalitarismustheorien, in denen Hitlerdeutschland und die Sowjetunion in eins gesetzt werden. Gegen solche Gleichsetzung erhebt Kunze an verschiedenen Stellen in einer heute seltenen Klarheit Einspruch, ohne ein Parteigänger des autoritären Staatssozialismus zu sein. „Die Prämisse für eine Kritik der DDR, die frei wäre von einer Fortsetzung des Hitlerschen Antikommunismus, ist die bedingungslose Anerkennung ihrer Existenzberechtigung, resultierend aus Stalingrad, Buchenwald und Auschwitz. Von diesem und nur von diesem Punkt aus sollte die DDR in aller nötigen Schärfe kritisiert werden.“

Im Anschluss wird beschrieben, wie auch in der DDR ein Autobahnnetz gebaut und das Auto zum Maßstab für Wohlstand erhoben wurde. Allerdings weist Kunze darauf hin, dass es in der DDR-Nomenklatura aus unterschiedlichen Gründen auch immer wieder Kritik am Autobahnausbau gegeben hat, dass der Ausbau des Nahverkehrs Priorität hatte und auch ein Tempolimit auf den Autobahnen galt. Wie das Kapitel zur DDR zeichnen sich auch die übrigen Teile des Buches durch eine strenge Orientierung am Quellenmaterial aus.

Autobahn-Propaganda der NSDAP 

Dabei lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass das Projekt Autobahn nicht zufällig immer wieder mit Nazis verbunden wird. Als die ehemalige TV-Moderation Eva Herman 2007 in der Johannes-B.-Kerner-Show erklärte, die Nazis hätten immerhin die Autobahnen gebaut, auf denen heute alle fahren würden, wurde sie der Sendung verwiesen. Was von Herman als Provokation gemeint war, ist allerdings in der Sache richtig, wie Kunze nachweist. Er zeigt auf, dass der Autobahnbau in den 1930er Jahren in großen Teilen der Bevölkerung noch unbeliebt war. Nur sehr wenige Menschen konnten sich damals ein Auto überhaupt leisten. Dass die NSDAP 1933 die in den Schubladen von großen Autokonzernen liegenden Autobahnpläne aufgriff, sei auch ein Signal der Naziführung an die Kapitalfraktionen gewesen, dass sie unter ihrer Regierung gut bedient werden, so Kunze.

Schon früh habe es auch Spenden aus der fossilen Industrie an die NSDAP gegeben. Kunze verweist auf Fritz Thyssen, der mit dem Bekenntnis, „Ich bezahlte Hitler“ schon Anfang der 1940er Jahre bekannt wurde. Weniger bekannt sei, dass mit Ford und Shell auch führende Konzerne des nichtdeutschen fossilen Kapitals Förderer der Nazis gewesen seien. Damit hatten sie in die aus ihrer Sicht richtige Partei investiert. Denn die Nazis ließen nicht nur die deutschen Autobahnen bauen, sie machten ein unbeliebtes Projekt erst populär. Kunze zeigt hier viele kaum bekannte Beispiele aus Film, Roman und Fotografie. Selbst auf Streichholzschachteln wurde das Lob des Autobahnbaus angestimmt.

Kein Gedenkort für die Opfer

Schließlich hatte die NSDAP in ihr Programm auch das Lob von technischem Fortschritt und Geschwindigkeit geschrieben. Kunze verweist auf die theoretischen Bezüge zum Futurismus, einer künstlerischen Strömung, die Nationalismus und Antifeminismus mit einem Bekenntnis zu schnellen Autos und Geschwindigkeitsrausch verband. Einige Exponenten des Futurismus – es waren alles Männer – wurden frühe Anhänger von Hitler und Mussolini.

Kunze betont, dass man sich auch aus antifaschistischer Sicht kritisch mit den deutschen Autobahnen beschäftigen sollte. Er benennt im Buch die Opfer des Autobahnbaus. Es waren zunächst Arbeiter und Arbeiterinnen, die in den Anfangsjahren der NS-Zeit öfter gestreikt haben. Später wurde ein Großteil der Autobahnen in Zwangsarbeit errichtet. Viele Menschen kamen dabei um. Bis heute gibt es weder einen Gedenkort für sie noch wurde über Entschädigungszahlungen diskutiert. „Die meisten der Überlebenden oder ihre Verwandten haben den ihnen zustehenden Stundenlohn nie erhalten geschweige denn eine Entschädigung. Es ist höchste Zeit dafür“, befindet Kunze.

Aber auch der Kampf gegen weitere Autobahnen habe eine antifaschistische Komponente. Kunze erinnert daran, dass heutige rechte Bewegungen wie die AfD oder auch die Facebookgruppe „Fridays for Hubraum“ jeden Eingriff in den motorisierten Individualverkehr als Einschränkung ihrer Freiheitsrechte massiv bekämpfen und mit besonderem Hass Klimagruppen angreifen, die für kurze Zeit den Automobilverkehr unterbrechen. Sie knüpfen damit an alte und neue rechte Ideologien an. Umgekehrt ist der Kampf gegen weitere Autobahnen auch eine Absage an solche Ideologien.

Operation Beton

Kunze stellte sein Buch im Juli im Rahmen der Ausstellung „A100 – Operation Beton“ vor, die noch bis zum 24. September im Gutshof Schloss Britz zu sehen ist. Dort widmen sich die Künstlerinnen Christina Zück und Petra Kübert mit Fotos, Hörstationen und Videos dem aktuellen Weiterbau der A100 in Berlin. In den Hörstationen kommen Anwohnerinnen, Klimaaktivisten und Politikerinnen zu Wort, die beschreiben, was die A100 für sie bedeutet. Ein Video zeigt einen Drohnenflug über den 3,2 Kilometer langen neuen Bauabschnitt, begleitet von sakraler Musik mit eingesprochenen Texten unter anderem von Greta Thunberg.

Peter Nowak

Conrad Kunze:
Deutschland als Autobahn
Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus
Transcript-Verlag, Bielefeld 2022
458 Seiten, 48 Euro
ISBN 978-3-8376-5943-6

Kostenloser Download: www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5943-6

Ausstellung „A 100 – Operation Beton“
bis 24.9. im Museum Neukölln, 
Gutshof Britz, Alt-Britz 81, 
tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei
26./27.8. Festival der Entschleunigung
2.9., 10 Uhr Baustellenbegehung 
www.museum-neukoelln.de

Conrad Kunze:
Deutschland als Autobahn
Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus
Transcript-Verlag, Bielefeld 2022
458 Seiten, 48 Euro
ISBN 978-3-8376-5943-6

Kostenloser Download: www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5943-6

Ausstellung „A 100 – Operation Beton“
bis 24.9. im Museum Neukölln, 
Gutshof Britz, Alt-Britz 81, 
tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei
26./27.8. Festival der Entschleunigung
2.9., 10 Uhr Baustellenbegehung 
www.museum-neukoelln.de