Ausstellung »A 100 – Operation Beton« im Museum Neukölln, Alt-Britz 81, Berlin, tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei, bis 24. September. Infos: Schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/ausstellungen/A-100

Rennpisten und Naziideologie

In Berlin-Neukölln erinnerte der Autor Conrad Kunze unter anderem daran, dass der Bau der Rennpisten für den motorisierten Verkehr in der Nazizeit viele Opfer unter Zwangsarbeitern forderte.

Aber Hitler hat doch die Autobahn gebaut. Diesen Spruch, der das verbrecherische NS-Regime relativieren sollte, hörte man bis in die 1980er Jahre in der BRD sehr oft. Als die ehemalige TV-Moderation Eva Herman 2007 in einer ARD-Talkshow behauptete, wir führen heute alle auf von den Nazis gebauten Autobahnen, wurde sie der Sendung verwiesen. Dabei hatte Herman in der Sache recht, sagt der Kulturwissenschaftler Conrad Kunze. Er hat über die Geschichte der Schnellstraßen in Deutschland geforscht und seine Ergebnisse in dem Buch »Deutschland als Autobahn« (Transcript-Verlag) veröffentlicht. Am Donnerstagabend stellte er seine Thesen in Berlin zur Diskussion. Während der Veranstaltung, die zum Begleitprogramm der aktuellen Ausstellung »A 100 – Operation Beton« im Museum Neukölln gehört, erläuterte er, dass der Autobahnbau in den 1930er Jahren in großen Teilen der Bevölkerung …

… auf Skepsis stieß. Nur sehr wenige Menschen konnten sich damals ein Auto leisten. Dass die NSDAP 1933 die in den Schubladen von Automobilkonzernen liegenden Straßenbaupläne aufgriff, sei auch ein Signal des Hitlerregimes an die Kapitalfraktionen gewesen, dass ihre Interessen bedient werden. Schließlich gab es in vermögenden Kreisen Irritationen über manche Forderung des sogenannten linken Flügels der NSDAP, etwa jene nach »Brechung der Zinsknechtschaft«. Schon früh habe es aber auch Spenden aus der Industrie an die NSDAP gegeben. Kunze verwies auf Fritz Thyssen, der mit dem Bekenntnis »Ich bezahlte Hitler« in den 1940er Jahren bekannt wurde. Weniger bekannt sei, dass mit Ford und Shell auch führende Konzerne des nichtdeutschen fossilen Kapitals Förderer der Nazis waren.  Damit haben sie in die aus ihrer Sicht richtige Partei investiert. Schließlich hatte die NSDAP in ihrem Programm festgeschrieben, den technischen Fortschritt fördern zu wollen. Kunze verweist auf die theoretischen Bezüge zum Futurismus, einer künstlerischen Strömung, die Nationalismus und Antifeminismus mit einem Bekenntnis zu schnellen Autos und Geschwindigkeitsrausch verband. Einige Exponenten des Futurismus wurden frühe Anhänger von Hitler und Mussolini. Kunze betont, dass man sich auch heute kritisch mit den deutschen Autobahnen beschäftigen sollte. Er verweist darauf, dass in der Zeit des NS-Regimes ein Großteil der Autobahnen durch Zwangsarbeit errichtet wurde und bei der harten Arbeit viele Menschen starben. Bis heute gibt es weder einen Gedenkort für sie, noch wurden Entschädigungszahlungen diskutiert. »Die meisten der Überlebenden oder ihre Verwandten haben den ihnen zustehenden Stundenlohn geschweige denn eine Entschädigung nie erhalten. Es ist höchste Zeit dafür«, so Kunze. Auch das heutige Engagement gegen weitere Autobahnen habe eine »antifaschistische Komponente«, meint Cunze. Er erinnerte daran, dass heute rechte Bewegungen wie die AfD oder die in den sozialen Medien Hass verbreitende Bewegung »Fridays for Hubraum« jeden Eingriff in den individuellen Straßenverkehr als Angriff auf ihre Freiheitsrechte bekämpften. Solche Hetze trage mit dazu bei, dass etwa Klimaaktivist*innen attackiert würden, wenn sie für kurze Zeit den Automobilverkehr unterbrechen. Einige von ihnen waren beim Vortrag in den Räumen der A 100-Ausstellung anwesend. In dem Raum waren große graue Bauelemente nicht zu übersehen. Sie sind Teil der Ausstellung »A 100 – Operation Beton«. Thema der von den Künstlerinnen Christina Zück und Petra Kübert gestalteten Ausstellung ist der Streit um den Weiterbau der Stadtautobahn A 100 in Berlin. In den Hörstationen kommt auch ein Verantwortlicher der Bauleitung zu Wort. Doch überwiegen die Stimmen von Anwohner*innen, Klimaaktivist*innen und Politiker*innen, die sich gegen einen Ausbau wehren. Sie betonen, dass sich dieser in Zeiten der Klimakrise verbietet. Ausstellung »A 100 – Operation Beton« im Museum Neukölln, Alt-Britz 81, Berlin, tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei, bis 24. September. Infos: Schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/ausstellungen/A-100 

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