Thorsten Fuchshuber 2019: Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft. ça ira Verlag, Freiburg. ISBN: 978-3-86259-145-9. 674 Seiten. 34,00 Euro.

Die Herrschaft der Banden

Das voluminöse Werk diskutiert Horkheimers Entwürfe zur Racket-Theorie unter dem Eindruck des damals siegreichen Nationalsozialismus und seiner Verbündeten. Wer sich mit der Entwicklung der Racket-Theorie bei Adorno und Horkheimer beschäftigen will, dem sei die überarbeitete Dissertation des Politikwissenschaftlers Thorsten Fuchshuber empfohlen. Leser*innen sollten sich von dem Umfang des Werkes nicht abschrecken lassen: Fuchshuber versteht es, die recht trockene Materie verständlich zu vermitteln.

„Der Racket ist nicht nur ein Tennisschläger. Das Wort bezeichnet im amerikanischen Slang eine Bande, die Schutzgeld erpresst“ – so erklärte jüngst der Bremer Gewerkschaftler und Politikwissenschaftler Kai Lindemann in einem Interview mit der Wochenzeitung der Freitag einen Begriff, der in der letzten Zeit zunehmend inflationär in der politischen Debatte verwendet wird. Vorzugsweise werden Regime oder Staaten als Rackets bezeichnet, die vom globalen Westen als geopolitische Gegner*innen ausgemacht sind. So ist es kein Zufall, dass auch das russische Regime unter Putin als „Racketgesellschaft“ bezeichnet wird. Es verwundert daher beinahe, dass der schon erwähnte Kai Lindemann den Racket-Begriff nicht zur geopolitischen Feindmarkierung nutzt. Für ihn begünstigt der Neoliberalismus mit seinem eingeschriebenen Anti-Kollektivismus die Entstehung von Rackets, die Stärkung von Eigentums- und Vertragsrechten schaffe ihnen Spielräume. Lindemann sieht darum auch in der Stärkung von Kollektivrechten wie Gewerkschaften ein Gegenmittel zu den Rackets. Er steht damit den Intentionen der Stichwortgeber des Racket-Begriffs recht nahe: den Philosophen …

… der Frankfurter Schule Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Nur kannten diese beiden das Wort Neoliberalismus nicht und hätten es wahrscheinlich auch nicht verwendet, weil sie den Kapitalismus als allumfassendes, gesellschaftliches System kritisierten. 

Wer sich mit der Entwicklung der Racket-Theorie bei Adorno und Horkheimer beschäftigen will, dem sei die überarbeitete Dissertation des Politikwissenschaftlers Thorsten Fuchshuber empfohlen. Leser*innen sollten sich von dem Umfang des Werkes nicht abschrecken lassen: Fuchshuber versteht es, die recht trockene Materie verständlich zu vermitteln. Vor allem ist die hervorragende Gliederung zu loben, die die Leser*innen nachvollziehen lässt, warum die Theoretiker der Frankfurter Schule die Racket-Theorie vor dem Hintergrund des aufkommenden Nationalsozialismus und der mit ihm verbündeten faschistischen Regime entwickelten – und weshalb sie am Ende doch ein Fragment geblieben ist, dem sich heute wieder viele aus geopolitischem Interesse bedienen.

Rackets als zeitgemäße Klassentheorie

Fuchshuber hebt hervor, dass es Horkheimer mit seiner Arbeit zu den Rackets um eine zeitgemäße Klassentheorie ging, die nicht hinter die Kritik der politischen Ökonomie zurückfällt. In seinem Exkurs zum Gebrauch der Racket-Theorie in den USA in den frühen 1920er Jahren zeigt der Autor auf, dass der Begriff damals schon Teil des ideologischen Klassenkampfes gewesen ist. Es waren die Kapitalverbände, die mit kämpferischen Interessenvertreter*innen die Lohnabhängigen als Rackets diffamierten und sie damit kriminalisieren wollten. Dafür bedienten sie sich auch Gangs, die nach der Aufhebung des Alkoholverbotes in den USA ein neues Betätigungsfeld suchten. Kapital und Gangs einte ihre Feindschaft gegenüber klassenkämpferischen Gewerkschaften. „Von der Chicagoer Presse wurde Capone für seine Verteidigung des freien Marktes ausnahmsweise gelobt“ (S. 70), beschreibt Fuchshuber etwa die zeitweise Kooperation des berüchtigten Gangchefs der 20er Jahre mit dem Kapital. Auch viele nichtklassenkämpferische Arbeiter*innenvertretungen agierten wie Gangs und waren damit Teil dieser Racket-Gesellschaft.

Ein Prototyp des Gang-Gewerkschafters bis in die 1970er Jahre war der Vorsitzende der USA-Lastwagengewerkschaft Jimmy Hoffa, der eng mit der sogenannten Cosa Nostra und anderen Mafiastrukturen kooperierte. Politisch unterstützte er den rechten Flügel der damaligen US-Republikaner unter Ronald Reagan. Hoffas Feinde waren Linke aller Couleur. Nach seinem bis heute unaufgeklärten Verschwinden im Jahr 1975 beschäftigten sich zahlreiche Filme mit dem Leben dieses Racketiers.

Horkheimer sieht Vorformen der Rackets in den Freikorps, die zu Beginn der Weimarer Republik mit Unterstützung der Mehrheitssozialdemokratie die Rätebewegung und streikende Arbeiter*innen blutig niederschlugen. Fuchshuber gräbt aus den zahlreichen hinterlassenen Schriften und Notizen des jungen Akademikers Horkheimer Stellen aus, die bereits seine Racket-Theorie ankündigten. So war er in den Tagen der Münchner Räterepublik in der bayerischen Hauptstadt und wandte sich in einem Brief an eine Freundin gegen die gegenrevolutionäre Propaganda, die die blutige Niederschlagung dieser Selbstorganisation der Arbeiter*innen vorbereitete. „Traue den Lügen über München nicht. Die Lügner wollen morden – um Geld morden; hier herrscht nicht Wahnsinn und Ungerechtigkeit.“ (S. 124) Wenn man weiß, dass aus dem Ferment der Münchner Gegenrevolution über den Thule-Bund die NSDAP entstanden ist, bekommen diese Notizen eine noch größere Bedeutung.

„Horkheimer benennt bereits in diesen Zeilen ein strukturelles Element, das er in der Theorie über die Rackets aufnehmen wird: Die Gewalt, vor der die Banden warnen, geht von ihnen selber aus – sie sind es, die die Situationen und Verhältnisse hervorbringen, gegen die sie das Antidot zu haben behaupten.“ (S. 125) 

Bandenherrschaft im NS

Der Hauptteil von Fuchshubers voluminöser Arbeit beschäftigt sich mit Horkheimers Entwürfen zur Racket-Theorie unter dem Eindruck des damals siegreichen Nationalsozialismus und seiner Verbündeten. Dabei geht er ausführlich auf die zahlreichen Kritiker*innen ein, die es auch unter den Mitarbeiter*innen des Instituts für Sozialforschung gab. Denn „[w]ährend Horkheimer intensiv an einem Entwurf der Racket-Theorie arbeitet, lassen sich seine Mitarbeiter nicht recht für sein Konzept begeistern“ (S. 252). Viele lehnten den Ansatz ab. Den letzten Versuch Horkheimers, Mitarbeiter*innen für sein Racketprojekt zu gewinnen, datiert Fuchshuber auf 1943. Aber auch hier hatte er wenig Erfolg. Es blieb ein Fragment. Der Autor geht auf die Grenzen von Horkheimers Arbeiten ein und kritisiert dabei mehrfach dessen ökonomistischen Blick auf die Gesellschaft. Damit habe sich Horkheimer nicht erklären können, warum es in Deutschland zum NS-Regime kam, während die bürgerliche Demokratie in den USA erhalten blieb.

Von den Rackets zur verwalteten Gesellschaft

Natürlich spielen auch die außenpolitischen Ereignisse jener Jahre für die Theoriebildung eine zentrale Rolle. Der Nationalsozialismus und seine Verbündeten gingen ab 1943 einer Niederlage entgegen. Auch zahlreiche Intellektuelle bereiten sich auf die Zeit nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus vor. Fuchshuber zeigt auf, dass auch Horkheimer in den 1950er Jahren nicht mehr von Rackets, sondern von der verwalteten Gesellschaft sprach. Das war die Zeit, in der der ehemalige Marxist in der Pax America einen seidenen Faden hängen sah. Da ging es dann nur noch um die „weniger barbarische Variante“ (S. 538) dieses auf Dauer gestellten Kapitalismus. Dass die USA damals einen barbarischen Krieg in Vietnam führten, schien aber keine Rolle für Horkheimer zu spielen. Auch die Emanzipationskämpfe im globalen Süden, wie sie in der kubanischen Revolution zum Ausdruck kamen, blieben unberücksichtigt. Auf diesen späten Horkheimer beruft sich ein Teil der ehemaligen antideutschen Strömung, der sich seit einigen Jahren ideologiekritisch nennt, wenn er zur Verteidigung des Westens aufruft. Solche Töne finden sich im Buch nicht. 

Im letzten Kapitel, in dem es um die Aktualität der Racket-Theorie geht, liefert der Autor zudem auch noch einige erhellende Überlegungen zur Verfasstheit des russischen Staates, die diskutiert werden sollten. Fuchshuber betont dabei immer wieder den revolutionären Impetus der von ihm rekonstruierten Theoriefragmente: 

„Horkheimer hält demgegenüber mit der Racket-Theorie an einer Überwindung der Herrschaftsverhältnisse, an Überwindung von Zwang, Gewalt und Herrschaft und damit an der Versöhnung von Allgemeinen und Besonderen fest.“ (S. 514)

Es lohnt, sich mit dieser Theorie zu beschäftigten, deren Geschichte, aber auch deren Grenzen Fuchshuber hervorragend nachgezeichnet hat – und es lohnt, mit denen zu streiten, die sie heute inflationär anwenden. Peter Nowak