Anne Beaumanoir:

Mutige Frau

Anne Beaumanoir weilt diese Woche in Berlin; es wird ihr letzter Besuch in der Hauptstadt Deutschlands sein, meint die 96-jährige, beeindruckende Frau.

Im Alter mögen uns Verhaltensweisen von damals widersinnig erscheinen, wie Jugendsünden, obwohl uns der Gedanke aufdrängt, dass unter ähnlichen Umständen und in derselben Umgebung alles genauso ablaufen würde, wie in der alten Zeit.« Diesen Satz stellt Anne Beaumanoir dem ersten Band ihrer Lebenserinnerungen voran, der jetzt auch auf Deutsch erschienen ist.  Die 1923 in der Bretagne geborene Französin beschreibt zunächst ihre unbeschwerte Kindheit als Tochter einer wohlhabenden bürgerlichen Familie. Damit war es vorbei, als….

….die deutsche Wehrmacht in Frankreich einfiel. Eigentlich schon ein paar Jahre zuvor, mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges im südlichen Nachbarland Spanien. Anne Beaumanoir engagiert sich mit ihrer Mutter in einen Solidaritätskomitee zur Unterstützung der vor den Franco-Faschisten nach Frankreich fliehenden Spanier. Ihren Schritt in die Résistance gegen die deutschen Okkupation schildert sie ohne Heldenpathos: »Und so kam es, dass ich ohne nachzudenken auf den Weg des Engagements in einen Kampf gebracht wurde, dessen Triebfedern ich teilte und dessen Unwägbarkeiten ich auf Anhieb akzeptierte, die – das wussten wir – der Tod sein konnten«.

Anne Beaumanoir wird Mitglied der Kommunistischen Partei, weil diese sich nicht damit begnügte, nur »zu quatschen«. Die 18-Jährige kann in Paris manch waghalsige Aktion erfolgreich durchführen, weil die Besatzungssoldaten in ihr auf Grund ihrer Jugend keine Gefahr sehen. Beaumanoir berichtet über die Liebe unter jungen Genoss*innen trotz unwirtlicher Zeiten, über Streit und Zerwürfnisse im Untergrund. Zu Recht stolz ist sie auf die Rettung von Juden vor der Deportation, die für sie ein selbstverständlichen Akt der Menschlichkeit war. Zwei der Geretteten haben sich später sich dafür eingesetzt, dass Yad Vashem Anne Beaumanoir als »Gerechte unter den Völkern« ehrte.

Nach dem Sieg über den Nazis beendet sie ihr Medizinstudium, heiratet 1948 und engagiert sich mit viel Enthusiasmus in der FKP. Doch dann: »Tausend kleine Resignationen bereiten die große Abdankung vor.« Wachsende Zweifel an der von der sowjetischen KPdSU vorgegebenen Linie sowie Empörung über den Opportunismus ihrer Genoss*innen führen zum Bruch. Aber auch nach dem Austritt aus der Partei hält Beaumanoir an ihren Überzeugungen fest. Sie engagiert sich für die algerische Befreiungsbewegung und wird verhaftet. Nach der Unabhängigkeit Algeriens baut sie dort ein egalitäres Gesundheitswesen mit auf. Über dieses Kapitel in ihrem Leben informiert der zweite Teil ihrer Autobiografie, der hoffentlich auch bald übersetzt sein wird.

Anne Beaumanoir weilt diese Woche in Berlin; es wird ihr letzter Besuch in der Hauptstadt Deutschlands sein, meint die 96-jährige, beeindruckende Frau.

Anne Beaumanoir: Wir wollten das Leben ändern. Bd. 1, 1923 – 1956. Verlag Contra-Bass, 208 S., geb., 15 €. 26 Juni, 19 Uhr, Lesung im Café Paris-Berlin im Haus des Deutsch-Französischen Jugendwerks, Molkenmarkt 1, Berlin-Mitte; 27. Juni, 19 Uhr Gespräch über die algerische Befreiungsfront FNL, Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23, Berlin-Wilmersdorf; 29. Juni, 19 Uhr, Gespräch beim deutsch-algerischen Verein Yedd.e. V. (nur auf Französisch), Buchhandlung ZADIG, Gips-straße 12, Berlin-Mitte.

Peter Nowak

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