Hannes Giessler Furlan will kommunistische Ökonomie solidarisch kritisieren - springt aber erheblich zu kurz.

Planende Vernunft, bürokratische Herrschaft

Hannes Giessler Furlan: Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie. Zu Klampen Verlag, 345 S., 28 €.

Ihrer Idee nach sollte die kommunistische Gesellschaft nach Marx zum »Verein freier Menschen« führen. Doch viele Staaten, die im 20. Jahrhundert beanspruchten, auf dem Weg zum Kommunismus zu sein, werden eher mit autoritärer Bürokratie und Mangelwirtschaft in Verbindung gebracht. Ganze Bibliotheken füllt die Frage, warum diese Systeme in ihrer Praxis so sehr von dem abgewichen sind, was sie anstrebten. Waren wirklich nur die objektiven Bedingungen für diese Entwicklung verantwortlich, wie im Marxismus oft behauptet? Dieser Position zufolge fanden die sozialistischen und , kommunistischen Versuche zu falscher Zeit am falschen Ort statt. Schließlich war das zaristische Russland im Jahr 1917 nicht das Land, das nach den Vorstellungen von Marx und Engels eine Pionierrolle auf dem Weg zum Sozialismus zugeschrieben wurde. Sie dachten eher an Länder wie Deutschland und Großbritannien mit ihrer breit ausgeprägten Arbeiter*innenklasse. Für Hannes Giessler Furlan ist dieser Verweis auf schlechte objektive Bedingungen jedenfalls keine überzeugende Erklärung für das Scheitern bisheriger Sozialismusmodelle. In seiner Dissertation, die nun im Zu Klampen Verlag erschienen ist, bemüht sich der Historiker und Philosoph um eine »Kritik des Kommunismus«, die ….

….»dessen Beweggründe teilt und der Marx’schen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft verbunden ist«. Man könne auch sagen, umreißt er sein Vorhaben, »der Autor laboriert am Kommunismus«.

Mit Grundsympathie, aber ohne falschen Respekt fragt der Autor, warum die kommunistische Idee eines vernünftig eingerichteten Produktionsprozesses in der Realität eines gewaltigen Staats- und Planungsapparats bedurfte. Dabei richtet er den Fokus seiner Kritik auf die Ökonomie des Kommunismus. Als Stichwortgeber bezieht sich Giessler Furlan auf die späten Schriften der Frankfurter Schule – Theodor W. Adorno und Max Horkheimer -, den Anarchokommunisten Peter Kropotkin, den sozialdemokratischen Juristen Hans Kelsen, aber sehr häufig auch auf die Marktradikalen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, die zu den wirksamsten Vertretern des Neoliberalismus zählen.

Adorno befand in seiner Vorlesung über Fragen der Dialektik in den Jahren 1963 und 1964, dass »rationale Planung ihrem eigenen Wesen nach mit der Herrschaft verbunden ist«. Dieses Diktum verfolgt Giessler Furlan zunächst durch Zeiten, die vom Kommunismus noch nichts wussten. Bereits in den Utopien des Thomas Morus oder Tommasso Campanella – die Lenin 1918 als Vorläufer des Kommunismus hatte ehren lassen – stößt er auf diesen Nexus von planender Vernunft und autoritärer Ordnung.

Sein Hauptaugenmerk aber liegt auf den Vorstellungen von Staat und Ökonomie bei Marx und Engels, zumal auf denjenigen Texten, in denen diese nach einem Ersatz für den Akkumulationstrieb des Kapitals suchen, der wesentlich war für Erfindungen und technische Neuerungen. »Es müsste ja nicht gleich die Hast der kapitalistischen Produktionsentwicklung beibehalten werden«, so der Autor, »aber es müsste zumindest so viel Kontinuität gewahrt bleiben, dass der Organismus weiter produzierte, nicht unbedingt Autos und Smartphones, aber unbedingt die Nahrungsmittel, Werkstätten, Kleider und Arzneien für die sieben Milliarden Menschen«.

Wie geht Wirtschaft ohne kapitalistisches Leistungsprinzip? Marx sah Arbeitsscheine als Notlösung: »Die Produzenten mögen meinetwegen papierne Anweisungen erhalten, womit sie den gesellschaftlichen Konsumtionsvorräten ein ihrer Arbeitszeit entsprechendes Quantum entziehen.« Der Verweis auf die Schwierigkeit der Berechnung dieses Quantums ist plausibel. Berechtigt ist auch Giessler Furlans Frage: »Aber, wer soll die Gesellschaft sein, die Arbeitsscheine ausstellt und die Arbeitskraft wie auch die Produktionsmittel verteilt?«

Die Antwort darauf sucht der Autor jedoch in den Schriften der Marktradikalen. Nicht erwähnt werden hingegen die Überlegungen, die etwa der dem Rätekommunismus nahestehende Karl Korsch bereits 1919 in seiner Schrift »Was ist Sozialisierung« vorgebracht hat: Die Problemlage sah er ähnlich wie Giessler Furlan. Doch hielt er das Rätemodell für ein Mittel gegen den Bürokratismus. Korsch wird von Giessler Furlan nicht einmal in der Literaturliste erwähnt. Auch diese schwer nachvollziehbare Textselektion mag dazu beigetragen haben, dass dem Autor im Schlusswort kaum mehr einfällt als der sozialdemokratische Gemeinplatz, »die Errungenschaften der Arbeiterbewegung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu verteidigen«. Recht großzügig schreibt er dabei den bürgerlichen Nationen Demokratie, Rechtsordnung sowie die Presse- und Meinungsfreiheit gut. Doch mussten diese Werte nicht fast immer erst gegen die bürgerliche Nation erkämpft werden? Offensichtlich wendet Giessler Furlan die kritischen Methoden, mit denen er die verschiedenen Formen des nominal existierenden Sozialismus untersucht, nicht auch auf die bürgerliche Gesellschaft an.

Teils sogar befremdlich ist das kurze Kapitel über Chile unter dem demokratisch gewählten Salvador Allende. Hier behauptet der Autor, dass »99,5 Prozent der Lastkraftwagenfahrer als Kleinunternehmer gegen ihre Verstaatlichung streikten«. Doch war der Unternehmerstreik von 1973 Teil des Plans zu seinem Sturz. Und einige der wirtschaftsliberalen Ökonomen, die Giessler Furlan zitiert, haben den Putsch und den folgenden diktatorischen Marktradikalismus des Augusto Pinochet begrüßt.

Zumal zu Chile hätte man sich im Buch doch deutlich mehr Gedanken gewünscht. Hier bewies sich überaus blutig, dass Marktradikalität zwar der Planung abschwört, aber dennoch nicht den Staat abbaut. Hier war dann zwar die Wirtschaft von staatlicher »Repression« befreit – die Menschen aber beileibe nicht.

Hannes Giessler Furlan: Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie. Zu Klampen Verlag, 345 S., 28 €.