«Tschikweiber haums uns g’nennt»


Eine Studie über Zigarrenarbeiterinnen in Österreich wurde neuaufgelegt. Diese haben zwei Weltkriege, die Herrschaft der AustrofaschistInnen und der Nazis erlebt. Die Autorin Ingrid Bauer hat mit ihnen ausführliche Gespräche über Zwänge und Hoffnungen, Anpassung und Widerstand geführt.
«Jene Mütter, die selbst schon Tabakarbeiterinnen gewesen waren und dem Staate frühzeitig ihre Gesundheit opferten, mögen es nicht unterlassen, ihren Töchtern, die heute in der Tabakfabrik die Plätze ihrer frühzeitig zugrunde gerichteten Mütter einnehmen, die Notwendigkeit der Organisation vor Augen zu halten, damit sie nicht das gleiche Schicksal ereile.» Mit diesem pathetischen Aufruf in einer sozialdemokratischen Zeitung sollten die Tschikweiber von Hallein in der Nähe vom österreichischen Salzburg zum Eintritt in die Gewerkschaft mobilisiert werden. Tschikweiber wurden die Beschäftigten der Zigarrenfabrik zunächst von den bürgerlichen HalleinerInnen genannt, die halb verächtlich, halb ängstlich von einer Lawine sprachen, wenn die Frauen nach Arbeitsschluss zu Hunderten aus der Fabrik strömten. Bald nahmen die Frauen den Namen selber an.

Im österreichischen Dialekt

«Tschikweiber haums uns g’nennt» lautet auch der Titel einer im Jahr 1988 von der österreichischen Historikerin Ingrid Bauer veröffentlichten Studie über die letzte Generation der Halleiner Zigarrenarbeiterinnen, die von 1921 bis zur Schliessung der
Fabrik im Jahr 1940 dort beschäftigt waren. Bauer gehörte zu einer Generation von jungen Wissenschaftlerinnen, die aus feministischem Interesse an ihre Arbeit heranging. Schliesslich war die Halleiner Zigarrenfabrik in ihrer Zeit eine absolute Ausnahme, weil für die Herstellung der Zigaretten ausschliesslich Frauen beschäftigt waren, die zudem dort eine Vollzeitarbeit hatten. Jetzt hat der Berliner Verlag «Die Buchmacherei» mit der Neuauflage dieser Studie ein wichtiges Zeitdokument erneut zugänglich gemacht. Die Passagen der 18 interviewten Frauen, wovon 12 Zigarrenarbeiterinnen waren, wurden im österreichischen Dialekt belassen. «Das Beibehalten der dialektgefärbten Umgangssprache in der Verschriftlichung der Interviews verlangt zwar eine gewisse Leserarbeit ab, ermöglicht es aber, sich sehr unmittelbar auf die Erfahrungszusammenhänge dieser Frauen einzulassen, die unter anderem auch in ihrer ganz spezifischen Ausdrucksweise bestehen», beschreibt Bauer im Vorwort ihre sehr gute Entscheidung. Tatsächlich gelingt es mit den Interviewpassagen
und den kundigen Erläuterungen der Autorin einen guten Einblick in das Leben dieser Frauen zu bekommen, das in erster Linie aus Arbeit bestanden hat. Sie mussten bereits als Kinder im Haushalt helfen, wurden oft schon in jungen Jahren als Bedienstete zu reichen Leuten gegeben und den kargen Lohn bekamen die Eltern. So empfanden fast alle Frauen die Fabrikarbeit als Befreiung. Sie konnten über ihren Lohn selber verfügen. Doch noch wichtiger war der ständige Austausch unter den Frauen. Sie sangen miteinander, besprachen damalige Tabuthemen wie die Sexualität und vor allem die Vermeidung von Schwangerschaften. Dabei spielten die wenigen politisch in der Sozialdemokratie aktiven Kolleginnen eine wichtige Rolle der Vermittlung.

Streik gegen Faschismus

Eine wichtige Rolle spielte die Gewerkschafterin Agnes Primocic, die als Kommunistin auch die Nazis Widerstand geleistet hat. Ihrem Leben ist eine DVD gewidmet, die dem Buch beiliegt. Doch sie war die Ausnahme. Bauer zeigte, dass der eingangs zitierte Aufruf Erfolg hatte und die Frauen sich für bessere Löhne oder auch gegen die Frechheiten von Direktoren,

die natürlich männlich waren, wehrten und im Jahr 1934 sogar für einen Tag gegen den Austrofaschismus streikten. Darauf waren viele der interviewten Frauen noch mehr als 50 Jahre später stolz und vergassen auch nicht zu erwähnen, dass sie von den Kollegen im Stich gelassen wurden. Denn die Männer haben in Hallein an diesem Tag nicht gestreikt, die Frauen blieben allein und der eintägige Streik blieb so eine wichtige Episode im Leben der Frauen, die sich ihnen eingeprägt hatte, aber für ihr weiteres Leben nur begrenzte Konsequenzen hatte. «Gleichzeitig werden aber die Grenzen dieser emanzipatorischen Prozesse sichtbar, vor allem beim Blick auf Arbeiterinnen über «ihre» Fabrik hinaus. Vielen erschien die «grosse Politik» als etwas von ihrem Leben Getrenntes, das einfach über sie verhängt wurde.

Die Grenzen aktiver Betriebsarbeit

Zur Situation während der Nazis befragt, hiess es von den meisten Frauen: «Hauptsach, dass maunsa Oarbeit ghobt haum.» Für viele der Frauen kam erst dann der Bruch, als sie diese Arbeit verloren haben. Im Jahr 1940 wurde die Zigarrenfabrik
geschlossen und musste der Rüstungsproduktion weichen. Diese Schliessung haben viele Frauen den Nazis übel genommen, doch die NS-Terrorpolitik haben viele nicht zur Kenntnis genommen, denn sie geschah ausserhalb der Fabrik und dort, so die Überzeugung vieler der Frauen, können sie als kleine Leute sowieso keinen Einfluss ausüben. So liefert das Buch auch eine Bestätigung von Lenins umstrittener These vom lediglich tradeunionistischen Bewusstsein, dass Arbeiterinnen und Arbeiter entwickeln, wenn sie sich lediglich auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene engagieren. Der Fall der Halleiner Zigarrenarbeiterinnen liefert dafür ein anschauliches Beispiel. Selbst Frauen, die sich noch mit Verve a  die emanzipatorischen Momente ihres Engagements in der Fabrik erinnern, bleiben seltsam stumm, wenn es um die Politik ausserhalb der Fabrik geht. Die Minderheit der Frauen, die sich in der Sozialdemokratie oder in der kommunistischen Partei engagieren, betätigte sich auch politisch ausserhalb der Fabrik und ist auch im antifaschistischen Widerstand aktiv. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass die Zeit, in denen die Halleiner Frauen offene Gewerkschaftspolitik machen konnten, relativ kurz war. Das austrofaschistische Dollfuss-Regime vor dem Anschluss an Nazi-Deutschland setzte klassenkämpferischer gewerkschaftlicher Tätigkeit schnell enge Grenzen. Die Neuauflage des Buchs ist ein Glücksfall, weil keine der Zigarrenarbeiterinnen heute mehr lebt. Dank Bauers wissenschaftlicher Arbeit blieben ihre Selbstzeugnisse der Nachwelt erhalten.
INGRID BAUER: TSCHIKWEIBER HAUMS UNS G’NENNT. DIE BUCHMACHEREI. BERLIN 2016. 20 EURO

aus: vorwärts – 17. März 2017

Peter Nowak