40 Jahre nach Entebbe

vom 26. September 2023

Eine Flugzeugentführung unter deutscher Beteiligung und die Frage nach dem Verhalten deutscher Linker

In Israel hat der 27.Juni 1976 eine  große Beachtung gefunden. Die Entführung eines Flugzeugs, das auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris war, durch ein multinationales Guerillakommando ist auch nach 40 Jahren nicht vergessen[1].

Überlebende und ihre Angehörigen kommen ebenso zu Wort wie…

…die Nachfahren der Geiseln und israelischen Soldaten, die im Rahmen der Entführung und der Befreiungsaktion in der Nacht vom 3. auf den  4. Juli 1976 ihr Leben verloren. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gedachte[2] der Befreiungsaktion am historischen Ort in Uganda gemeinsam mit dem Politikern des Landes.

Für Netanyahu hatte die Aktion noch eine ganz persönliche Note. Sein Bruder Jonathan gehörte zu den Toten von Entebbe. Nach ihm wurde die Befreiungsaktion posthum benannt[3]. Seine  Ehrung war nie unumstritten.  Israelische Militärs und Historiker werfen ihm einen militärischen Fehler vor, der die Aktion sogar hätte gefährden können. Es sei geplant gewesen, dass die israelischen Soldaten sich unbemerkt dem entführten Flugzeug in Entebbe nähern und den Überraschungsangriff für die Befreiung nutzen sollten. Die ugandischen Wachen am Flughafen sollten umgangen werden. Doch Netanyahu habe diese Pläne ignoriert und die Soldaten erschossen.

„All die Arbeit der letzten Woche hatte darauf gezielt, dass wir heimlich still und leise bis zum Haupteingang des Terminals gelangen konnten. (…) Wir waren dabei, einen Fehler zu machen“, beschrieb Netanyahus Beifahrer Muki Betser 1996 den Einsatz. Dass in Entebbe auch ugandische Soldaten ums Leben gekommen sind, wurde bisher kaum erwähnt. Schließlich war bekannt, dass die Regierung von Uganda unter dem Diktator Idi Amin mit den Entführern paktiert haben soll. Die Soldaten, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren, galten als Kollateralschaden oder wurden einfach ganz verschwiegen.

Es ist dem Sozialwissenschaftler Markus Mohr[4] zu verdanken, dass an die toten ugandischen Soldaten erinnert wurde.  Es ist ein Detail, in dem vor wenigen Wochen im Unrast-Verlag erschienenen Buch Legenden um Entebbe[5], das sich mit den Ereignissen rund um die Flugzeugentführung und mit bisher ungeklärten Fragen beschäftigt und dabei auf eine reiche Auswahl an Quellen zurückgreift.

Gedenken auch an die Entführer?

Gleich zu Beginn des Buches findet sich eine Widmung: „Den Toten von Entebbe 3./4.Juli 1976“. Dort sind neben den toten Geiseln auch die toten Soldaten und sogar die Mitglieder des Guerillakommandos aufgeführt, darunter die aus der linken außerparlamentarischen Bewegung kommenden Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann. Im Vorwort begründet Mohr die Entscheidung für die Würdigung aller Toten:

Ein Buch, um den in der Bundesrepublik faktisch inexistenten Forschungsstand in dieser Angelegenheit voranzubringen, war nicht der erste von mir verantwortete Anspruch dieses Projekts. Wichter ist mein Anliegen, mit diesem Projekt einen reflektiert-freien Beitrag zu dem spätestens seit dem 30.Januar 1933 fundamental gestörten Verhältnis zwischen Deutschen und Juden zu leisten. Wenn das auch nur in Ansätzen aufscheint, darf ich das als ein weiteres Schmuckstück in meiner Intellektuellenvita betrachten.

Und diese entfaltet sich in einer Welt, in der allerdings die Existenz von Palästinensern und Afrikanern nicht zu unterschlagen, sondern zu würdigen ist. Auch aus diesem Grund ist dieses Buch allen bislang bekannt gewordenen Toten von Entebbe vom 4.Juli 1976 gewidmet. Ihre Namen wurden aus der im Juni 2005 von der ugandischen und israelischen Regierung am Flughafentower in Entebbe angebrachten Memorialplatte, sowie der Ausgabe der in Kampala erscheinenden Tageszeitung Voice of Uganda am 5. Juli 1976 entnommen.

Eine Provokation ist die Nennung aller Toten schon deshalb, weil die Entebbe-Entführung unter Beteiligung deutscher Linker als Beweis für einen linken Antisemitismus gilt. Die Entführung unter Beteiligung von Deutschen hatte für zeitgenössische Beobachter und auch einige der Geiseln Assoziationen zur deutschen Vernichtungspolitik gegenüber den Juden hervorgerufen. Schließlich hatten die Entführer die Geiseln „sortiert“ und einen Teil freigelassen.

Seit Jahren gibt es Streit darüber, nach welchen Kriterien diese Trennung erfolgte. Wurden alle Juden oder alle israelischen Staatsbürger von den übrigen Passagieren getrennt?

Mohr positioniert sich bereits im Vorwort:

Mit diesem Buch möchte ich zeigen, dass die als Tatsache erhobene Behauptung, es sei auf dem Flughafen von Entebbe zu einer Selektion zwischen Juden und Nichtjuden ist, Unfug ist.

Tatsächlich führen Mohr und die fünf weiteren Autoren des Buchs einige Hinweise an, die dafür sprechen, dass die Trennung der Passagiere nach der Staatsbürgerschaft erfolgt sein könnte. Allerdings kann keineswegs davon gesprochen werden, dass die Angelegenheit damit geklärt wäre. Im Buch werden Beispiele dafür genannt, dass auch Juden, die keine israelischen Staatsbürger  waren, unter den Aussortierten waren.

Zudem ist der Ansatz von Mohr und den Mitverfassern schon kritisch zu hinterfragen. Fängt der Antisemitismus erst da an, wo eine Trennung nach Juden und Nichtjuden stattfindet? Und wo ist der große Unterschied zu einer Trennung in israelische und nichtisraelische Staatsbürger?  Denn das damit israelische Palästinenser  nicht gemeint waren, ist doch evident.

Daher müssten sich die Autoren doch die Frage stellen, ob der Hass auf „Israelis“ hier nicht als die zeitgemäße Variante eines modernisierten Antisemitismus zu begreifen ist – so wie ein regressiver Antizionismus zumindest anschlussfähig an den Antisemitismus ist. Den Autoren dürfte auch die Theorie nicht unbekannt sein, dass im modernen Antisemitismus Israel die Rolle einnimmt, die vorher die Juden hatten. Alles, was Antisemiten den Juden vorwerfen, wird auf Israel projiziert.

Zudem kommt in den im Buch veröffentlichen zeitgenössischen Quellen gut zum Ausdruck, wie die Entführten, aber auch israelische Politiker und Medien, die Entführung des Flugzeugs unter deutscher Beteiligung wahrgenommen haben. Die Empörung, dass 31 Jahre nach der Zerschlagung des NS erneut Deutsche Juden mit gezogener Pistole zwingen, sich ihren Befehlen unterzuordnen, ist nicht davon abhängig, ob die Selektion nach Staatsbürgerschaft erfolge.

Es war klar, dass Juden gemeint waren, und das wird in den Quellen auch sehr deutlich. So zitiert der israelische Historiker Moshe Zuckermann in seinem „Operation Jonathan – Mythos und Ideologie“ überschriebenen Text aus der israelischen Zeitung Yedioth Ahronot vom 1.7.1976:

Mit einem schweren deutschen Akzent befahl der Deutsche all den Israelis, ihre Koffer zu nehmen und in den anliegenden Raum zu gehen. Frauen unter den Israelis weinten, während sie ihre Sachen in die „Halle der Trennung durch Selektion“ (…) brachten“.

Wie kann ein deutsche Linker nur einen solchen Vorschlag machen?

Allein an diesem Zitat wird deutlich, dass eben die Vergleiche mit der NS-Selektion nicht davon abhängig waren, ob nach Juden und Nichtjuden oder nach israelischen Staatsbürgern selektiert wurde. Daher ist es unverständlich, dass gerade diese Frage in dem Buch einen so großen Raum einnimmt.

Wenn Markus dann „vier Protagonisten des Selektionsnarrativs“ – es handelt sich um den Publizisten Henryk M.Broder, den RZ-Aussteiger Hans Joachim Klein, die Revolutionären Zellen und den vom Sponti zum Außenminister mutierte Josef Fischer – exemplarisch in Einzelkapiteln behandel, kann man interessante Details erfahren. Dass aber die Selektion nichts mit Antisemitismus zu tun gehabt haben soll, wird damit keineswegs belegt.

Dass Josef Fischer mehr als 25 Jahre später die Entführung von Entebbe als das Ereignis mythologisierte, das ihn vom autonomen Straßenkämpfer zum bürgerlichen Demokraten gemacht habt, behandelt Mohr mit guten Quellen und mit einem angenehm zu lesenden Sarkasmus.

Informativ ist auch eine Auseinandersetzung mit den Büchern und Romanen, die schon wenige Monate nach Entebbe die Märkte überschwemmten. Die ideologischen Prämissen dieser Erzeugnisse werden gut herausgearbeitet. Der Historiker Gerhard Hanloser hat in seinem Beitrag über den „linken Antizionismus in Westdeutschland und Westberlin“ einige Texte wieder zugänglich gemacht, die bereits Ende den 1970er Jahre sehr fundierte Stellungnahme zu Entebbe und die Folgen gegeben haben.

Dazu zählt die Schrift Stammheim und Tel Zaatar[6] von Moise Postone, der damals in der BRD lehrte. Postone hatte sich  auch bereits 1978  in einem Spiegel-Beitrag mit der Rolle der Deutschen bei der Flugzeugentführung befasst:

Ich habe mich lange mit der Frage geplagt, wie sich deutsche Linke wie Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann dazu bereit gefunden haben, in einer Situation wie Entebbe Juden von Nichtjuden „auszusondern“.

Dann las ich in Kleins Interview, dass Böse einmal vorgeschlagen hat, Simon Wiesenthal zu töten (den Mann, der jahrzehntelang damit zugebracht hat, Informationen über die vergangenen Verbrechen und gegenwärtigen Aufenthaltsorte von Naziverbrechern zu sammeln) und davon nur von Carlos abgebracht wurde, der dagegen hervorbrachte, dass Wiesenthal ein Anti-Nazi ist! Wie kann ein deutscher Linker einen solchen Vorschlag machen.

Diese Frage hat auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48914/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/25905

[2] http://www.zeit.de/news/2016-07/04/uganda-netanjahu-gedenkt-israels-befreiungsaktion-im-ugandischen-entebbe-vor-40-jahren-04170805

[3] http://www.yoni.org.il/en/jonathan.php

[4] https://www.unrast-verlag.de/autor_innen/markusmohr-159

[5] https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/legenden-um-entebbe-detail

[6] https://ildb.nadir.org/89404.html