Kommunismus wird in der Öffentlichkeit noch immer weitgehend mit dem Stalinismus gleichgesetzt. Nur wenig bekannt ist von der vielfältigen Opposition, die es bereits in den 20er Jahren im Umfeld der KPD gegen die Politik der Stalinisierung gab.
Nach der Öffnung der Archive in den nominalsozialistischen Ländern wurden erst viele neue Quellen zugänglich. So konnte es gelingen, eine die vergessenen Spuren einer dissidenten Geschichte des Kommunismus wieder aufzunehmen. Der Historiker Marcel Bois hat im Klartext-Verlag auf knapp 600 Seiten eine umfassende Darstellung der relevanten Strömungen der Kommunistischen Opposition in der Weimarer Republik vorgelegt. Um eine erste Gesamtdarstellung der kommunistischen Opposition, wie es auf der Rückseite des Buches angekündigt, handelt es sich allerdings nicht. Schließlich wird auf die räte- und linkskommunistischen Strömungen, die bereits nach um 1919 oder nach der Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt mit der Politik der Komintern gebrochen haben, ebenso wenig eingegangen wie auf die bordigistische Strömung, die Mitte der 20er Jahre in Opposition zur Politik der sowjetischen Machthaber geriet. Diese Feststellung soll verhindern, dass vorschnell neue Schließungen in der Forschung der dissidenten kommunistischen Strömungen erfolgen und kleinere, weniger bekannte Gruppen unerwähnt bleiben. Bois ist allerdings kein Vorwurf zu machen, dass er nicht sämtliche Facetten der kommunistischen Dissidenz berücksichtigt. Werden doch bei seiner Arbeit die großen Schwierigkeiten deutlich, das Phänomen des Linkskommunismus begrifflich zu fassen, Bois zeigt gut auf, dass das Gemeinsame dieser Strömung gar nicht einfach zu benennen ist. Selbst die Ablehnung der Stalinisierung kann als kleinster gemeinsamer Nenner erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre geltend gemacht werden. Zuvor haben einige der späteren linkskommunistischen AkteurInnen wie Werner Scholem in Stalin einen Bündnispartner und in Trotzki einen Exponenten der Rechten in der kommunistischen Bewegung gesehen.
Bis zum Ende der Weimarer Republik erschwerten diese Widersprüche in der linken Opposition eine Kooperation. Diese internen Probleme wurden von der KPD-Führung natürlich weidlich ausgenutzt. So wurden oppositionelle KommunistInnen mit wenig innerparteilichen Rückhalt, wie die Gruppe um den besonders sektiererisch Auftretenden Iwan Katz schnell ausgeschlossen. Seine vor allem in Hannover relevanten AnhängerInnen machten es ihren Kontrahenten einfach, weil sie die Redaktion der Parteizeitung in Hannover besetzten und militant gegen Angehörige der anderen Strömung vorgingen. „Rabbatz ist in der Tat eine treffende Umschreibung für den Umgang, den Katz und seine Anhänger mit politischen Kontrahenten pflegten“, schreibt Bois. Diese sektiererische Linie setzte Katz auch in der Opposition fort, so dass der von ihm mitbegründete Spartakusbund Nr. 2 bald in der Versenkung verschwandt. Wesentlich bekannter war die Gruppe Entschiedene Linke, die wesentlich von Karl Korsch mitbegründet wurde. Seine im Exil verfassten Texte zur marxistischen Philosophie beeinflussten die Neue Linke in den 60er Jahren . Seit Wirken als marxistischer Politiker in nach seinen Ausschluss außerhalb der KPD wird von Bois nachgezeichnet. Echte Pionierarbeit leistete Bois bei der Forschungsarbeit über die Weddinger Opposition, eine vor allem aus dem Arbeiterradikalismus gespeisten linken Parteiflügel, der über den Berliner Stadtteil hinaus landesweit aktiv wurde. Ihr gelang es noch bis Anfang der 30er Jahre in der KPD aktiv zu bleiben. Die Parteiführung ging mit der gut verankerten Strömung vorsichtiger als mit marginalen Oppositionsgruppen um. Bois zeigt allerdings auch, dass vor allem in den frühen 30er Jahren manche oppositionellen Kommunisten wieder die Nähe zur KPD suchten. Die Gefahr des Nationalsozialimus ließen für mache die Differenzen in den Hintergrund treten.
Doch gerade Trotzki erregte zu dieser Zeit auch über das kommunistische Milieu hinaus Beachtung, weil er für eine Aktionseinheit von SPD und KPD eintrat und den NS viel gründlicher als die KPD-Führung analysierte. Anders als diese sah er in den verschiedenen Faschismen kein Werkzeug des Großkapitals sondern eine eigenständige Bewegung des abstiegsbedrohten Mittelstands, die von Teilen der Eliten und der Wirtschaft allerdings für ihre Zwecke benutzt wurde. Auch mit seinen frühen Warnungen vor den Gefahren der Nazis für die Arbeiterbewegung und alle demokratischen Bewegungen sollte Trotzki wesentlich realitiätsnäher sein, als die KPD-Führung mit ihren Zweckoptimismus, die ein Hitlerregime für eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zur Revolution erklärte. Unabhängig voneinander kamen auch die als Rechtsabweichler aus der KPD ausgeschlossenen Kommunisten Heinrich Brandler und August Thalheimer zu einer ähnlichen Einschätzung des NS wie Trotzki. Alte Feindschaften aus den 20er Jahren verhinderten allerdings eine Kooperation dieser unterschiedlichen kommunistischen Dissidenten. Umso wichtiger waren die wenigen Menschen, die sich nicht an kleinlichen innerorganisatorischen Streitereien beteiligten, wie die Publizisten Alexandra Ramm und Franz Pfemfert. Wie Bois nachweist, haben sie einen großen Anteil an der Veröffentlichung dissidenter KommunistInnen und sorgten auch dafür, dass der exilierte Trotzki in Deutschland seine Positionen bekannt machen konnte.
Der große Vorzug von Bois Arbeit besteht darin, dass er keine Heldengeschichte der linken Opposition schreibt, sondern detailliert zeigt, dass sie oft nicht weniger autoritär auf abweichende Meinungen reagierte wie die stalinistische Mehrheitsströmung. Daher bleibt Bois bei der Frage vorsichtig, ob die dissidenten Kommunisten, hätten sie sich durchgesetzt, eine Alternative gewesen wären. „Möglicherweise wäre tatsächlich ein unabhängiger deutscher Kommunismus entstanden, der nicht jeden Schwenk aus Moskau mitgemacht hätte. Doch denkbar ist , dass … die Entdemokratisierung der Partei fortgesetzt worden wäre“ (S.529). fragt Bois. Kritisch anzumerken bleibt, dass Linkskommunisten wie Scholem einen Kommunismus ohne nationale Vorzeichen anstrebten, deshalb gegen den Sozialismus in einem Land auftraten. Ein spezifisch deutscher Kommunismus hätte ihm ferngelegen. Bois hat mit seinen Buch eine wichtige Arbeit geleistet geleistet, in dem er einen großen Teil der kommunistischen Opposition bekannt machte, ihre politischen Thesen vorstellte und auch ihre Schwächen und Fehler nicht verschweigt.
Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Essen 2014. 613 Seiten, ISBN 978 3-8375-1282-3, 55, 85 CHF
Peter Nowak