Das einigende Band des Sozialchauvinismus
Die Sarrazin-Debatte ist ein Jahr alt. Zeit für eine kritische Reflexion oberhalb der Mediendebatte. Ein Sammelband bietet die Gelegenheit.
Vor mehr als einem Jahr sorgte ein ehemalige Berliner Senator und spätere Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Thilo Sarrazin für großes Medienecho mit gesellschaftlichen Folgen. „Dass mediale Ereignis der „Sarrazindebatte“ führte zu einer breiten gesellschaftlichen Verschiebung nach rechts, enttabuisierte rassistisches Denken und verband in besonderer Weise Rassismus mit Elite- und Nützlichkeitsdenken“. Zu diesem Fazit kommen der Publizist Sebastian Friedrich, der in den Münsteraner Verlag edition assamblage einen Sammelband herausgegeben hat. 15 Autoren aus Politik, Kunst und Wissenschaft analysierten unterschiedliche Aspekte dieser Debatte. Obwohl die Beiträge von unterschiedlicher Qualität sind, leistet das Buch die bisher fundierste Auseinandersetzung mit der Sarrazindebatte. Während sie in großen Teilen der Medien nur auf Ressentiments gegen den Islam reduziert wurde, wird hier aufgezeigt, dass es im Kern um einen Nützlichkeitsrassismus aus der Mitte der Gesellschaft geht. Zu seinen Feindbild zählen alle, die dem Standort Deutschland nicht nützen. Dass können Hartz IV-Empfänger genau so sein, wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Aber er ist nur der Lautsprecher eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit den Bild-Leser zusammenschweißt. Der selbsternannte Neoaristokrat und Sarrazin-Verteidiger Peter Sloterdijk hat diesen Nützlichkeitsrassismus in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Während im ökonomischen Altertum“ die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der „ökonomischen Moderne“ die „Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben.
Die „Leistungsträger“ gegen die Unproduktiven lauten die zentralen Kategorien in diesem sozialchauvinistischen Diskurs. Letzte werden auch gerne als Transferleistungsbezieher diffamiert. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein, wie ganze Staaten, wie die Kampagne gegen die „Pleitegriechen“ in der letzten Zeit zeigt. Viele Autoren weisen in dem Buch darauf hin, dass dieser Nützlichkeitsrassismus in Sarrazin seinen Lautsprecher gefunden hatte, aber in der Mitte der Gesellschaft fest verankert ist. Dazu ist auch der Multikulturalismus keineswegs ein Widerspruch, wie die Kulturanthropologin Sabine Hess nachweist. „Die guten, sprich bunten, kreativen Kulturen in die Karnevalsaufstellung, die schlechten nicht-vermarktbaren Kulturen in die Arbeitszwangsmaßnahme und das Quartiersmanagement“, lautet die Devise. Die Soziologin Juliane Karakayali zeigt auf, wie auch eine bestimmte Spielart des Feminismus mit sozialrassistischen Denken kompatibel ist.
Während die Kapitel zu Migration und Rassismus, Bevölkerungs- und Biopolitik, Kapital und Nation viele interessante Anregungen bieten, bleiben die beiden Aufsätze unter dem Oberbegriff Interventionen und Perspektiven schwach. Eine sinnvolle Intervention kann das Buch dennoch sein, über die Diskusion über die darin vertretenen Thesen.
Friedrich Sebastian, Rassismus in der Leistungsgesellschaft, Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte“, editon Assamblage, Münster 2011, 262 Seiten 19, 80 Euro, ISBN 978-3-842885 01-0
https://www.neues-deutschland.de/artikel/210086.im-namen-der-nuetzlichkeit.html
Peter Nowak
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