Teufelswerk?Neue Studie zur RGO –

 

 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010, 34,80 Euro, ISBN 978-389965-406-6

Das Argument, die Kandidatur auf eigenen Listen gefährde die Gewerkschaftseinheit und die Mitglieder solcher „alternativer“ Listen hätten aus der Geschichte nichts gelernt, ist bis heute verbreitet und wird manchmal bis hinein in die Gewerkschaftslinke vertreten. Damit wird auf die Endphase der Weimarer Republik Bezug genommen, als sich nicht nur SPD und KPD feindlich gegenüberstanden. Auch auf Gewerkschaftsebene lieferten sich der SPD-nahe Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die der KPD nahestehende Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) heftige Auseinandersetzungen. Für manche war schon damals klar, wer hinter der Spaltung steht: „Ihr seht auf der anderen Seite das Werk von Moskau.  Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen, mit den gemeinsten und verwerflichsten Mitteln, mit Lügen und Verleumdungen in Deutschland in Szene gesetzt, zum Schaden der deutschen Arbeiterklasse, zum Wohle der Kapitalisten“ (S. 442), so drosch die Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder auf die linke Konkurrenz ein. Diese Lesart der Geschichte hat sich weitgehend durchgesetzt. Die RGO-Politik wird als Werk der Kommunistischen Internationale und des Zentralkomitees der KPdSU angesehen.

Der Berliner Politikwissenschaftler Stefan Heinz hat jetzt in einer monumentalen Arbeit diese These infrage gestellt. Heinz widmet sich auf 572 Seiten der Vorgeschichte, der Entstehung, der Arbeit und dem Ende des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins, des ersten Verbands innerhalb der RGO. Dazu wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven der beiden Gewerkschaftsverbände aus, aber auch Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und der SPD sowie Artikel aus der linken Presse, die weder der KPD noch der SPD nahestand. An erster Stelle sind die Berichte der Publikation „Gegen den Strom“ zu nennen, die der Kommunistischen Partei Deutschlands – Opposition (KPO) verbunden war. Sie hatte schon früh für eine Zusammenarbeit aller Arbeiterparteien gegen den NS geworben und analysierte die Ereignisse rund um die Betriebsarbeit mit analytischer Schärfe und ohne parteipolitische Einseitigkeit. Für Heinz liegen die Wurzeln der RGO nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker Arbeiteraktivisten herausgebildet, die sich in Opposition zu den offiziellen Gewerkschaften befanden und während der Novemberrevolution 1918 die Räte als Alternative zu den durch die Burgfriedenspolitik kompromittierten Gewerkschaften propagierten. Viele dieser Aktivisten bildeten den Kern der Revolutionären Obleute, die entscheidenden Anteil am Ausbruch der Novemberrevolution hatten. Viele von ihnen engagierten sich auch im linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). In den ersten Jahren der Weimarer Republik initiierten sie Proteste für eine Räteverfassung, die im Januar 1920 in Berlin von der Reichsregierung blutig unterdrückt wurden. Heinz beschreibt dies am Beispiel zweier führender Arbeiteraktivisten, die sich später in der RGO engagierten. „Arbeiter wie Hermann Braun und Karl Jarick erlebten erneut, wie der Ausnahmezustand über Berlin verhängt wurde und 42 Arbeiter bei Protesten ums Leben kamen“ (S. 391). Solche Erlebnisse bestärkten eine ganze Generation von Metallarbeiteraktivisten zum Widerstand gegen die offizielle ADGB-Politik. Dadurch standen sie zugleich immer am Rande des Ausschlusses und wurden mit allen administrativen Mitteln von der Gewerkschaftsbürokratie bestraft. Sie bildeten die Basis für die spätere RGO-Politik, wie Heinz betont.

„Ab 1930/31 konnten die ›roten Verbände‹ dort am ehesten Resonanz beanspruchen, wo bereits in der Anfangsphase der Weimarer Republik in der USPD auf Autonomie gerichtete Radikalpositionen in der Gewerkschaftsfrage vertreten wurden“ (S. 395).

Rationalisierung und Radikalisierung

Sehr gut zeigt Heinz auch die ökonomischen Aspekte auf, die die Herausbildung der RGO begünstigten. Da wären in erster Linie die Folgen der Rationalisierung zu nennen, wodurch vor allem im Metallbereich viele Arbeitskräfte freigesetzt wurden, was die kommunistischen GewerkschafterInnen besonders tangierte. So hieß es in dem Bericht einer kommunistischen Betriebszelle in den Berliner AEG-Werken aus dem Jahr 1926: „Wir haben durch die Rationalisierung 50 Prozent, darunter zwei Drittel unserer aktiven Genossen, verloren. Durch die fortgesetzte Akkordpreissenkung und die Einführung des Fließbandsystems haben unsere Genossen nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit, eine größere mündliche Agitation während der Arbeitszeit betreiben zu können“ (S. 418). Zudem ging die ADGB-Bürokratie in der Endphase der Weimarer

 

Zeit verstärkt dazu über, Kollegen durch ihre Unterschrift bestätigen zu lassen, dass sie die Gewerkschaftspolitik der KPD nicht unterstützten. Wer sich weigerte, konnte ausgeschlossen werden. Die Zahl der Ausgeschlossenen  stieg schnell, als infolge der Weltwirtschaftskrise die Angriffe auf die Löhne und die erkämpften sozialen Rechte der Lohnabhängigen von Seiten der Wirtschaft und der Politik zunahmen. Als sich im  Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, war das der unmittelbare Anlass für die Gründung des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlin (EVMB), des ersten RGO-Verbands. Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der KI, sondern von der Basis ausging. Viele vom ADGB ausgeschlossene GewerkschafterInnen hatten schon lange auf eine eigene kommunistische Gewerkschaft gedrängt.

Kritik aus der KPD

Vor allem die vom ADGB Ausgeschlossenen und Gemaßregelten standen im EVMB auch für einen Kurs der strikten Abgrenzung von den alten Gewerkschaften und zogen sich damit schnell den Unmut der KPD zu. Vor allem, nachdem sich bald herausstellte, dass dem linken Verband eine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft nicht gelingen würde und dass vom EVMB organisierte Streiks deshalb bis auf seltene Ausnahmen erfolglos abgebrochen werden mussten, begann eine Auseinandersetzung mit den KPD-Gremien, die sich bis in die Phase der Illegalität beider Organisationen während des NS hinzog. Die Parteigremien warfen den roten Verbänden vor, die Bündnisarbeit mit den noch unorganisierten Kollegen zu vernachlässigen. „Ich habe in Berlin kontrolliert, dass die Funktionäre der EVMB seit Monaten nicht die reformistischen Zeitungen gelesen haben. Sie haben keinen Dunst, wie man die reformistischen Gewerkschaftsmitglieder für die Oppositionsarbeit im DMV gewinnen will“ (S.231), lautete die Kritik auf einer Sitzung der Kommunisten im Reichskomitee der KPD. Dabei handelte es sich um politische Gegensätze. Während die KPD eine linke Fraktionstätigkeit im DMV nicht aufgeben wollte, wurde eine solche Option immer unwahrscheinlicher, je mehr sich der EVMB als eigenständiger roter Gewerkschaftsverband verstand. Diese Auseinandersetzung sollte 1933/34 noch einmal an Schärfe gewinnen. Während die KPD die Taktik des trojanischen Pferdes propagierte und einen Eintritt von linken GewerkschafterInnen in die nazistische Deutsche Arbeitsfront vertrat, lehnten viele EVMBAktivistInnen diesen Schritt vehement ab. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB in der Illegalität zunächst konsolidiert. Doch durch mehrere Verhaftungswellen wurden in den Jahren 1933 und 1934 die Strukturen des Verbandes empfindlich geschwächt. Im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den Sozialdemokraten propagierte, wurde der EVMB von der KPDFührung schließlich aufgelöst, vor allem weil er die Volksfrontpolitik und den taktischen Eintritt in die DAF nicht mitmachen wollte. Doch viele der AktivistInnen setzten ihren Widerstand fort. Heinz zieht Verbindungen bis zur Uhrig-Gruppe, die während des zweiten Weltkrieges kommunistische Widerstandszellen in vielen Berliner Betrieben aufgebaut hatte. Nachdem die Gestapo ihnen auf die Spur gekommen waren, wurden viele ihrer Mitglieder hingerichtet.

Widerspenstige Genossen

Stefan Heinz hat in seinem Buch die Geschichte einer Generation von ArbeiteraktivistInnen  nachgezeichnet, die im Widerstand gegen die Kriegspolitik des ersten Weltkriegs politisiert, in den Wochen der Novemberrevolution radikalisiert wurden und die syndikalistische Tradition auch in der Auseinandersetzung mit den KPD-Strukturen verteidigt haben. „Ihr im ›roten Metallarbeiterverband‹ praktiziertes, oft widerspenstiges Verhalten gegenüber der eigenen Partei wandten einige Personen später auch in der SED an. Es führte nach den Worten Peschkes (eines EVMB-Aktivsten, P.N.) dazu, dass manche frühere EVMB-Führungskräfte wie er nur ungern als ›erste Garnitur‹ der Partei- und Staatsführung verwendet wurden“ (S. 474). Kennzeichnend  für die EVMB-Aktivisten sind nach Heinz unter anderem „Elemente syndikalistischer Politik, der radikale Anspruch und der sozialrevolutionäre Bewegungscharakter, die Forderung nach eigener Entscheidungsfreiheit, die Verweigerungshaltung bei Eingriffen von Außen“ (S. 475). Mit der gründlichen historischen Rekonstruktion dieser linken Gewerkschaftsopposition liegt eine gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise verdienstvolle und interessante Studie vor – auch wenn das Buch aufgrund seines wissenschaftlichen Stils oft nicht ganz leicht zu lesen ist. Mit seinem Blick auf die Akteure vor Ort beantwortet Stefan Heinz zugleich auch die Frage des Titels: Das waren keine Söldner Moskaus – wie die RGO-AktivistInnen noch heute gerne dargestellt werden.

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/10

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Peter Nowak


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