Berlin: Werbung verbieten!?

Romantische Kulturkritik und „Sexismus shouldn’t sell“ – Generalverbote sind der falsche Ansatz

Im Berliner Mittelstandskiez Schöneberg gibt es viele Initiativen, die sich gegen die Abholzung von Bäumen, für Baumscheiben und Urbangardening und auch für die stadtteilgerechte Nutzung des Baudenkmals Gasometer[1] engagieren. Ein Kritikpunkt der Anwohner ist die Leuchtwerbung[2] an der Außenwand des Gasometers. Hier geht es nicht um die Kritik an der Werbung im Allgemeinen, sondern um konkrete Inhalte. Welche Beweggründe die Kritiker der Werbung haben, kann man nur zwischen den Zeilen lesen. Dort heißt es etwa:

Außenwerbung an einem Industriedenkmal wie dem Schöneberger Gasometer ist durchaus nicht selbstverständlich. Da der Gesamteindruck des Bauwerks durch das Geflimmer der Leuchtwerbung erheblich beeinträchtigt wird, müssen aus Sicht der Genehmigungsbehörde besondere Gründe erkennbar sein, die das rechtfertigen. Ein solcher Grund war in diesem Fall, die Zusage des Eigentümers, den Gasometer zu sanieren.

Bi-Gasometer.de[3]

Nun könnte man denken, dass man schon wohlhabend genug ist, um sich Gedanken zu machen, ob eine Außenwerbung die Außenwirkung des Berliner Gasometers beeinträchtigt. Viele würden sagen, die Lichtwerbung bringt sie überhaupt dazu, mal dort hinzugucken. Dass es sich nicht um grundsätzliche Werbekritik geht, zeigt sich schon daran, dass Bi-Gasometer lediglich kritisiert, dass die Werbeeinnahmen nicht für die Sanierung des Gasometers verwendet werden. Hier geht es wohl eher um unterschiedliche Konzepte der Aufwertung eines Stadtteils.

Zwischen Recht auf Stadt und romantischer Kulturkritik

Dagegen hat die Initiative Berlin Werbefrei[4] eine grundsätzliche Kritik. Sie bereitet einVolksbegehren[5] vor, um die Außenwerbung in Berlin stark einzuschränken. Dabei vermischen sich bei ihr Kritik an der kapitalistischen Zurichtung öffentlicher Räume mit konservativer Kulturkritik. So lautet ein Kritikpunkt:

Die massive Zunahme und neue Formen von Werbung wirken sich negativ auf das Stadtbild aus. Das individuelle Gesicht der Stadt verschwindet. Stadt- und Landschaftsräume werden durch Werbung verunstaltet. Die Stadt wird von immer mehr Plakat-, Licht- und Display-Werbung überflutet. Der öffentliche Raum wird banalisiert.

Volksentscheid Berlin Werbefrei[6]

Hier klingt unverkennbar die Kulturkritik der Romantik durch. Bereits im 19 Jahrhundert wurde beklagt, wie die Landschaft und die historischen Bauten von Fabrikschloten und Eisenbahnen banalisiert und abgewertet werden. Ansonsten betonen die Initiatoren des geplanten Volksbegehrens, dass es ihnen nicht darum gehe, Werbung generell aus der Stadt zu verbannen.

Sie wollen einen „verträglichen Umgang mit Werbeflächen im Öffentlichen Raum“ durchsetzen. Nur ist es fraglich, ob es eine Einigung darüber geben wird, wie der „verträgliche Umgang“ denn aussieht. Auffallend ist, dass bei den Werbekritikern der Zusammenhang zwischen Reklame und Kapitalismus gänzlich ausgespart wird. Dem belesenen Taz-Kolumnist Helmut Höge ist dieser Zusammenhang natürlich nicht entgangen.

Er verweist in seiner Kolumne[7] auf die Gedanken des marxistischen Wirtschaftstheoretikers Alfred Sohn-Rethel[8], wonach es in der kapitalistischen Produktion von Anfang an eine Überproduktion gab, die ständigen Absatzdruck hervorruft. Dabei wird die Werbung immer wichtiger.

Hierin liegt auch der Grund, warum es in den nominalsozialistischen Gesellschaften kaum Produktwerbung, dafür aber Parolen gab, um die Menschen zu guter Arbeit anzustupsen. Die Werbekritiker, die den Zusammenhang zwischen den Objekten ihrer Kritik und dem Kapitalismus nicht erwähnen, geraten so schnell in die Gefilde romantischer Kulturkritik und die Beschwörung von unverfälschter Natur -und Stadtbilder.

„Sexismus shouldn’t sell“

Eine große Diskussion hat auch die Initiative des Bezirksamt des Berliner Stadtteils Kreuzberg-Friedrichshain[9] zur Eindämmung und möglichen Verbannung als sexistisch eingeschätzte Werbung[10] in dem Stadtteil ausgelöst.

Hier geht es nicht um eine generelle Kritik an der Werbung, sondern an den Inhalten. Auch da wird es natürlich schwer sein, eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber zu finden, wann Werbung diskriminierend und sexistisch ist. In einem Taz-Interview[11]erklärte die Gleichstellungsbeauftrage von Friedrichshain-Kreuzberg, Petra Koch-Knöbel[12], dass für sie Bordellwerbung dazu gehören würde .

Taz: Bordellwerbung halten Sie für diskriminierend?
Petra Koch-Knöbel: Auf jeden Fall, ja. Frauen werden hier als käufliche Sexualobjekte dargestellt. Damit sollte man Jugendliche nicht pausenlos konfrontieren.
Taz: Die Grünen wollten doch bisher die Stigmatisierung der Sexarbeiterinnen beenden und ihren Beruf normalisieren. Und denen sagen Sie jetzt, dass sie für ihren Beruf nicht werben dürfen?
Petra Koch-Knöbel: Nicht auf großen Plakaten im öffentlichen Raum. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin für die Rechte der Prostituierten. Aber es ist nicht wegzudiskutieren, dass das ein Beruf mit einem problematischen Frauenbild ist, für den man nicht öffentlich mit Großplakaten werben sollte.

Interview Taz: „Sie werden Frischfleisch genannt“[13]

Hier wird der Widerspruch deutlich, dass einerseits Sexarbeiterinnen nicht mehr diskriminiert werden sollen und anderseits durch das Werbetabu doch wieder eine neue Schranke eingebaut wird. Auch die Frage, ob Werbung mit rosa T-Shirts diskriminierend ist, dürfte die Gemüter erhitzen.

Taz: Rollenstereotype lehnen Sie auch ab und wollen sie nicht mehr auf Plakaten reproduziert sehen. Heißt das: Kein rosa T-Shirt mehr für Mädchen?
Petra Koch-Knöbel: Genau. Die Eltern können ruhig auch mal nachdenken darüber, wie sie ihre Kinder einengen, wenn sie sie nur in Klischeeklamotten stecken.

Interview Taz: „Sie werden Frischfleisch genannt“[14]

In den USA gab es heftige Diskussionen über den möglicherweise rassistischen Anteilen in einem kurzen Werbeclip der Kosmetikfirma Dove[15]. Hierbei wird aber auch die Problematik deutlich, wenn man die Klassenverhältnisse vergisst. Wo der akademische Mittelstand darüber diskutiert, ob diese oder jede Werbung diskriminierend ist, fragen sich einkommensarme Menschen, ob sie sich die beworbenen Produkte leisten können.

Es ist auch bezeichnend, dass bei der Werbekritik selten thematisiert wird, dass und wie durch Werbung das Begehren nach oft besonders teuren Modeprodukten gefördert werden. Es werden Jugendliche gemoppt, wenn sie sich die angesagten Klamotten bestimmter Sportfirmen nicht leisten können. Ist dieses Problem heute nicht in den Schulen relevanter als das vielzitierte rosa T-Shirt?

Zudem finden sich in Berlin an einigen exponierten Stellen Werbung für die Polizei und Sicherheitsdienste. Auf einem Poster ist ein Mann zu sehen, der von der Polizei in einer U-Bahnstation in Polizeibegleitung abgeführt wird. Sofort werden Assoziationen zu einkommensarmen Menschen wach? Ist eine solche Werbung nicht auch diskriminierend?

Adbusting statt Werbeverbote

Solche Fragen stellen sich eher Gruppen, die nicht unbedingt für ein Verbot, sondern für einen kreativen Umgang mit der Werbung eintreten. Längst gibt es Adbusting-Workshops[16], wo diese Art der Werbekritik auch praktisch eingeübt werden kann. Eine solche Herangehensweise ist staatlichen oder kommunalen Verboten eindeutig vorzuziehen.

Sie führt dazu, dass sich Menschen selber Gedanken über die Werbung machen, die sie aushalten wollen oder nicht. Wenn Menschen eine Werbung als sexistisch empfinden, ist es alle Mal besser, sie drücken diese Kritik am konkreten Produkt aus, als dass sie einen Antrag ausfüllen, der zu einem Verbot führen soll.

Bei einer solchen kreativen Werbekritik geht es dann tatsächlich um die Inhalte der Werbung und nicht um ein Beklagen von angeblich geschädigter Natur oder Landschaft.

Ein Generalverdikt gegen die Werbung an sich verbietet sich schon deshalb, weil mittlerweile auch die Kunst in die Branche eingezogen ist. Ästhetisch sind solche Produkte gegenüber den grauen Betonwänden auf jeden Fall ein Gewinn.

https://www.heise.de/tp/features/Berlin-Werbung-verbieten-3858720.html

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3858720

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bi-gasometer.de/
[2] http://www.bi-gasometer.de/leuchtwerbung/
[3] http://www.bi-gasometer.de/leuchtwerbung/
[4] https://berlin-werbefrei.de/
[5] https://berlin-werbefrei.de/gesetzestext_und_begruendung.html
[6] https://berlin-werbefrei.de/aussenwerbung.html
[7] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5450748&s=&SuchRahmen=Print
[8] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118615246
[9] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg
[10] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/gleichstellung/frauenfeindliche-werbung/
[11] http://www.taz.de/!5450696/
[12] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/gleichstellung/
[13] http://www.taz.de/!5450696/
[14] http://www.taz.de/!5450696/
[15] https://www.nytimes.com/2017/10/08/business/dove-ad-racist.html
[16] http://www.adbusters.org/

Rettung des Klimas oder Rettung der Arbeitsplätze?

Klimabündnis diskutiert über den Umgang mit Gewerkschaften und Kohlekumpel

Das Ende-Gelände-Bündnis organisierte vom 24. bis 29.August weitere Aktionen gegen für den Ausstieg aus der Kohlewirtschaft im Rheinischen Braunkohlerevier. Es dürfte interessant sein, ob es gelingt, zumindest mit einigen der dort Beschäftigten und vielleicht auch einigen Gewerkschaftern in den Dialog zu treten.

Schließlich haben sich bereits am 1.Mai 2016 kohlekritische Gewerkschaftsmitglieder mit einem Flugblatt zu Wort gemeldet, in dem sie die Pro-Kohle-Positionierung des DGB Berlin-Brandenburg heftig kritisieren. «Wollt ihr wirklich die Vernichtung der Lausitzer Dörfer wie Proschim, Kerkwitz, Atterwasch, Grabko, Rohne, Mühlrose, Mulknitz, Schleife, Trebendorf etc. für Braunkohle? Wir können es nicht glauben. Aber genau das fordert der DGB Bezirk Berlin Brandenburg in seinen ‹Anforderungen an die künftige Landespolitik in Berlin›», beginnt das Flugblatt, das «Klimaaktive Gewerkschaftsmitglieder nicht nur aus der Lausitz» unterschrieben haben.

Und ebenfalls im vergangenen Jahr hat sich im Rheinland eine Initiative «GewerkschafterInnen für Klimaschutz» gebildet, nachdem die IG BCE mit der Kampagne «Schnauze voll» der Klimabewegung den Kampf angesagt hatte. Mit ihrem Aufruf, sich dem entgegenzustellen und klare Kante für Klimaschutz zu zeigen, hat eine gewerkschaftliche Stimme die Öffentlichkeit erreicht, die sich ausdrücklich für die schnelle Beendigung der Braunkohleförderung ausspricht und gleichzeitig fordert, dass die Beschäftigten eine weitgehende soziale Absicherung erhalten. Die Initiative hat zum diesjährigen Klimacamp im Rheinland aufgerufen und ihre Teilnahme an der Großdemonstration am 26.August angekündigt.

Es gibt also durchaus gewerkschaftliche Ansprechpartner für eine Klimabewegung, die das Ziel haben muss, einen Ausstieg aus der Kohle nicht einfach gegen die Beschäftigten durchsetzen zu wollen. Doch genau darüber wird im Klimabündnis gestritten.

«Ende Gelände sollte auf den Applaus der nationalen Gewerkschaften und anderer VertreterInnen des (fossilen) Kapitalismus freimütig verzichten», schreibt der Sozialwissenschaftler Thalestris A. Zetkin, der bei «Ende Gelände» und in der Interventionistischen Linken (IL) aktiv ist. Mit seinem Beitrag wendet er sich gegen Positionen in Teilen der Linkspartei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, denen er vorwirft, den Kohlekumpel zu Hilfe zu eilen, weil sie einem sozial abgefederten, auf einen längeren Zeitraum sich hinziehenden Ausstieg aus der Kohlewirtschaft das Wort reden.

Nun ist es eine Sache, sich klar gegen eine Gewerkschaftsführung und auch Teile von Belegschaften zu positionieren, die im Kampf für den Erhalt der Kohleindustrie gemeinsam mit den Bossen demonstrieren oder gar, wie in der Lausitz 2016 geschehen, mit lokalen Neonazis gegen linke Klimaaktive vorgegangen sind. Eine andere Sache ist es aber, mit jenen Beschäftigten, die sich fragen, welche Alternativen sie eigentlich haben, wenn der Kohleausstieg kommen soll, in eine Debatte zu treten.

Dann könnte auch wieder auf Modelle der Konversion zurückgegriffen werden, die schon in den 70er und frühen 80er Jahren in der Diskussion waren. Damals ging es konkret darum, dass sich Beschäftigte aus der Rüstungsindustrie Gedanken machen, wie sie mit ihren Wissen und den Maschinen Produkte für das Leben statt für die Rüstung herstellen könnten. So könnten aktuell auch in der Kohle- und der Autoindustrie mit den Beschäftigten zusammen Konzepte für eine andere Produktion entwickelt werden. Damit würde bei den Kollegen auch wieder eine Vorstellung entstehen, dass sie, und nicht die Bosse, über die Produktion entscheiden sollten. Für eine Klimabewegung, die größtenteils aus dem akademischen Milieu kommt und wenig Ahnung von den konkreten Produktionsabläufen in der Kohleproduktion hat, wäre ein Kontakt zu Kohlekumpeln und kritischen Gewerkschaftern ein Gewinn.

Doch Thalestris A. Zetkin lehnt es explizit ab, sich mit den konkreten Problemen der Kohleabwicklung zu beschäftigen und verweist auf ein höheres Ziel, die Klimarettung. «Denn wenn die 20000 deutschen Kumpel ihre Arbeit auch nur für weitere zehn Jahre behalten dürfen, söffen wesentlich mehr als 20000 Menschen im globalen Süden ab, für die eine Anmeldung beim Arbeitsamt Cottbus und Köln ein unerreichbarer Luxus wäre», schreibt Zetkin.

Hier wird eine Analyse durch ein fragwürdiges Moralisieren ersetzt. Wenn es die Klimaaktiven mit der Verbindung von Ökologie und sozialer Frage ernst meinen, müssen sie sich sehr wohl Gedanken machen, welche Folgen ein Ausstieg aus der Kohle für die Kumpel in der Lausitz und im Rheingebiet hat und wie gemeinsam Alternativen erarbeitet werden können.

aus Sozialistische Zeitung (SoZ,9 September 2017:

Rettung des Klimas oder Rettung der Arbeitsplätze?

Peter Nowak

Krumme Gurken in Neukölln

PRACHTTOMATE Der Stadtteilgarten ist bedroht, ein Drittel der Fläche steht vor dem Verkauf. Die Politik wird wohl nicht helfen 

Die Strategie der krummen Gurke“ heißt ein Film, der ein erfolgreiches Projekt solidari- scher Landwirtschaft in Freiburg vorstellt. Er wird am 31. Au- gust im bedrohten Neuköllner Stadtteilgarten Prachttomate in der Bornsdorfer Straße gezeigt. Anschließend werden VertrerInnen verschiedener Gartenprojekte in Berlin darüber dis- kutieren.

Die Veranstaltung dient auch der Solidarität mit der Prachtto- mate, dem Urban-Gardening- Projekt, dessen Existenz aktuell bedroht ist. Denn die Grundstücksgemeinschaft „Heinlein, Hensel, Dr. Seiffert GbR, der das Areal gehört, hat für einen Teil der Fläche eine Kündigung ausgesprochen, mit Duldung bis Mitte November.

„Mit der Kündigung würde uns ein Drittel der bisherigen Fläche genommen. Der Garten könnte in der bisherigen Form nicht mehr weiterbetrieben werden“, sagt Thomas Herr. Er gehörte zu der Gruppe der engagierten HobbygärtnerInnen, die im Frühjahr 2011 auf einer ehemals zugemüllten Brache Beete anlegten.
Schon lange ist die Stadtteilgarten Prachttomate zum Treffpunkt nicht nur für NachbarInnen, sondern für Interessierte aus der ganzen Stadt geworden. Denn dort wurde nicht nur gesät und gejätet. Im Gartenkino wer- den regelmäßig politische Filme gezeigt. Es gibt einen Tausch- und Schenkmarkt sowie Workshops für Kinder aus benachbarten Schulen.

Herr und die anderen GärtnerInnen wollen sich nicht damit abfinden, dass der beliebte Stadtteiltreffpunkt jetzt der Profitlogik weichen soll. Dochaus der Politik bekommen sie wenig Ermutigung. Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) sieht keine Möglichkeit, die privaten Grundstücke zu kaufen, um damit den Garten in seiner bisherigen Form zu erhalten. Dabei liegt der Garten im Sanierungsgebiet Karl-Marx- Straße, das die Handlungsspielräume des Bezirks deutlich erweitert.

„Wir müssen dahin kommen, dass ein selbst organisierter Nachbarschaftsgarten für das Stadtwohl genauso eine Bedeutung wie die Errichtung einer Schule hat“, fordert Herr. Von einer Verlegung der Prachttomate hält er wenig. „Einen Garten kann man nicht einfach verpflanzen. Ein Großteil der NachbarInnen wäre dann nicht mehr dabei.“ In der nächsten Zeit wollen die GärtnerInnen mit Berliner MieterInneninitiativen kooperieren, sich etwa am 9. Sep- tember an der Demonstration unter dem Motto „Wem gehört die Stadt“ beteiligen. Am kommenden Samstag lädt die Prachttomate von 14–22 Uhr zum Sommerfest, das auch der Vernetzung dient.
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aus: Taz, die Tageszeitung29.8.2017
Peter Nowak

Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik


„Autobauer sind die Gewinner“ und „Bundesregierung möchte Autoindustrie schonen“ lauten die Schlagzeilen nach dem mit hohen Erwartungen überfrachteten sogenannten Diesel-Gipfel.

Zeitweise sah es so aus, als werde im Sommer 2017 der Anfang vom Ende der Autogesellschaft in Deutschland eingeleitet. Die Serie der Skandale und Krisen in der deutschen Autoindustrie wuchs. Und neben den Abgasmanipulationen kommen jetzt auch noch die Vorwürfe der Kartellbildung auf den Tisch.

Doch es war tatsächlich naiv, davon zu sprechen, dass die Autoindustrie vor dem Ende stehe. Schließlich trägt die Inszenierung von immer neuen Skandalen eher zu einer Übersättigung des Publikums bei. Es wird nicht lange dauern und die öffentliche Meinung will von dem Thema nichts mehr hören. Wenn dann auch noch deutlich wird, dass praktisch alle Autofirmen bei den Abgaswerten manipuliert haben, wird dieser Übersättigungstrend noch verstärkt.

Schon bildet sich eine Lobby zur Verteidigung der deutschen Autoindustrie, an der sich neben führenden Konzernen auch die Gewerkschaft IG-Metall beteiligt. Sie erklären schon jetzt, dass es langsam genug mit der Kritik an der Autoindustrie sei, und warnen vor der Gefahr für den Standort Deutschland. Damit kann man zumal in Deutschland noch jede kritische Diskussion beenden, bevor sie richtig angefangen hat. Die Debatte um die Abgaswerte gehört dazu.

Massenhaft Körperverletzung durch Autoimmissionen kein Grund für Empörung

Es gab hierzulande keine relevante Bewegung, die die millionenfache Körperverletzung auch mit Todesfolge durch den Ausstoß der Autoabgase als die konzerngesteuerte Menschenrechtsverletzung angesprochen hat, die sie darstellt. Man muss nur einen Vergleich ziehen zwischen der öffentlichen Empörung über militante Aktionen gegen den G20-Gipfel in Hamburg und der Ignoranz, mit der gesamtgesellschaftlich auf die Tatsache reagiert wird, dass die Autokonzerne permanent höhere Abgaswerte in Kauf nehmen, als gesetzlich vorgeschrieben, und damit für den Tod von Menschen mit verantwortlich sind.

Nun sparen die Grünen und viele Umweltverbände nicht mit Kritik an dem Krisenmanagement von Verkehrsminister Dobrinth. Doch auch sie gehen nicht an die Wurzel, wenn sie Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik monieren. Da hat Dobrinth selber eine sehr realistische Erklärung[1] abgegeben. Es sei absolut unberechtigt, von einer Kumpanei zwischen Politik und der Automobilbranche zu sprechen. Es gebe aber generell eine Partnerschaft zwischen der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Das sei die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft.

Damit hat er eigentlich auf den Punkt gebracht, was hier jetzt so stark kritisiert wird, nämlich das Wesen der sozialen Marktwirtschaft. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann hat das längst begriffen und seine Politik entsprechend ausgerichtet. Alle Parteien, die hierzulande mitregieren wollen, würden es nicht anders machen. Solange sie in der Opposition sind, können sie sich noch etwas kritischer gerieren.

Auch alle wirtschaftsnahen Medien sagen[2] nun ganz deutlich: „Die Grenzen zwischen normaler technischer Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Bildung eines verbotenen Kartells sind fließend.“ Deshalb sind viele dieser aktuellen Skandalisierungen eben auch dem nahen Wahlkampf geschuldet und haben wenig Substanz.

Diskussion über eine andere Kooperation

Zudem ist es auch politisch fraglich, warum genau diese Kooperation und nicht die Kapitalinteressen im Mittelpunkt der Kritik stehen. Gar nicht diskutiert wird eine andere Form der Kooperation, die vor 40 Jahren durchaus eine Rolle spielte.

Es ging darum, dass engagierte Betriebsräte, Gewerkschaftler und Wissenschaftler überlegten, wie sie eine Alternative zum Automobil mit den gleichen Maschinen entwerfen können. Diese Art der Autokonversion wäre heute wichtiger denn je, in einer Zeit, in der so viel über die Endlichkeit der Kraftstoffe geredet wird und die Autoemissionen als permanente Körperverletzung dargestellt werden.

Alternativen zur Autoproduktion wären eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der die Beschäftigten, aber auch Räte des guten Lebens beteiligt sein müssten, damit alle Aspekte in die Diskussion gebracht werden könnten. Doch eine solche Kooperation ist natürlich nur jenseits der kapitalistischen Verwertungsinteressen möglich. Weil in diese Richtung heute kaum mehr gedacht wird, bleibt auch die Debatte über die Bewältigung des Dieselgates so systemimmanent. Die Flut von immer neuen Skandalen verpufft und die Autoindustrie bleibt wieder einmal der Gewinner.

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http://www.heise.de/-3792136

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.zeit.de/mobilitaet/2017-08/alexander-dobrindt-verbrennungsmotoren-auslaufdatum-kartell-verdacht
[2] http://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2017140002&artsubm=ueberblick

Viel heiße Luft um die US-Klimapolitik


Moralische Sichtweisen dominieren in Berichten über Trumps Klimapläne. Aber es geht nicht um Moral oder ein umweltbewusstes Lebensgefühl, sondern um Interessen

Überraschend kam der neueste Vorstoß der Trump-Administration nicht. Er hat Teile von Obamas Umweltpolitik entschärft. Erklärtes Ziel von Trump ist es, die Kohlebranche von Reglementierungen durch die Umweltbehörden weitgehend freizuhalten. Damit setzt er ein Wahlversprechen um. Schließlich ist er auch von Menschen in diesem Sektor gewählt worden, die entweder schon arbeitslos sind oder fürchten, ihre Beschäftigung zu verlieren.

Trump hatte versprochen, die Deindustrialisierung der USA zu stoppen. Die Revitalisierung der Kohleindustrie gehört dazu. Mit dieser Maßnahme dürfte Trump bei einem Teil der fordistischen Arbeiter und ihrer Gewerkschaften auf Zustimmung stoßen.

Wie die fordistischen Arbeiter abgewertet werden

Dass Trump den Erlass medienwirksam vor applaudierenden Bergarbeitern unterzeichnet hat und in die Kamera hielt, ist Teil seiner Medienkampagne, sich als Protegé der hart arbeitenden männlichen fordistischen Arbeiter zu inszenieren. Dem wird in der medialen Öffentlichkeit das Silicon Valley als Zentrum der modernen postfordistischen Arbeit gegenübergestellt. Dass es auch ein Hort der Ausbeutung[1] wie in Zeiten des Frühkapitalismus ist, wird nicht so oft erwähnt.

Hier stehen sich zwei Akkumulationsmodelle des Kapitalismus gegenüber, die mit einer völlig konträren Kultur und auch differenten Subjektivität der Beschäftigten gelabelt werden. Der postfordistische Arbeiter wird mit umweltfreundlichem Verhalten, bewusster und gesunder Ernährung sowie mit Begriffen wie Offenheit, Toleranz, Diversität assoziiert. Den fordistischen Arbeitern werden die konträren Adjektive zugeschrieben: ignorant gegen Umwelt und Gesundheit, standortnationalistisch und rassistisch.

Dass diese Zuschreibungen keine objektiven Kriterien, sondern Wertungen von Medienvertretern sind, die schon durch ihre Lebens- und Arbeitsrealität mehr mit Silicon Valley als mit einem Kohlebergwerk verbunden sind, wird natürlich nicht erwähnt. Nun kommt aber noch eine weitere Komponente dazu. Die alten fordistischen Industrien sollen jetzt sogar mit dafür verantwortlich sein, dass die Menschheit insgesamt gefährdet ist.

Die eigenen Profite und das Klima retten

Diese moralische Sichtweise kann man in vielen Berichten über Trumps Klimapläne wiederfinden. Diesen Plänen wird unterstellt, dass sie zur Klimakatastrophe beitragen, während die von Obama verantworteten Maßnahmen Teil der Klimarettung seien. Solche in der Umweltbewegung verbreiteten Methapern tragen schon seit Jahrzehnten dazu bei, dass die Linke von Moral statt von Interessen redet.

Dass heute dort, wo besonders laut von Klima- und Errettung die Rede ist, die Lobby eines bestimmten kapitalistischen Akkumulationsmodells gegen ein anderes in Stellung gebracht wird, wird oft gar nicht wahrgenommen. Wo es um nichts weniger als die Klima- oder Erdrettung geht, haben Interessen wohl zu schweigen.

Wer heute mit dem Umweltlabel auftritt und die Welt retten will, wird oft gar nicht mehr als Lobbyorganisation wahrgenommen. Deshalb wird auch über die Sinnhaftigkeit und die Folgen bestimmter als ökologisch etikettierter Maßnahmen nicht mehr geredet. Wenn Menschen gegen Windräder und die Folgen auf die Straße gehen[2], haben sie heute mit so wenig Verständnis zu rechnen wie vor drei Jahrzehnten die AKW-Gegner.

Damals war das fordistische Akkumulationsmodell angekratzt, aber noch in großen Teilen der Bevölkerung hegemonial. Heute haben es Nachrichten schwer, die das neue Akkumulationsmodell genau so kritisch unter die Lupe nehmen. Dass die EU als angeblichen Beitrag zum Klimaschutz auf Holz setzt und dabei die Wälder im globalen Süden zerstört[3] ist eine wenig erwähnte Tatsache.

Nur bei der energetischen Sanierung in Deutschland zieht das Ökolabel nicht mehr. Die ist allgemein als ein Geschäftsmodell bekannt, mit dem Mieterrechte ausgehebelt[4] und massive Mieterhöhungen gerechtfertigt werden[5]. Wenn irgendjemand das Klima retten will, ist also zunächst einmal nach dem Profiten zu fragen, die bestimmte Branchen damit retten wollen.


Die moderne Pilgerfahrt oder die Logik des Verzichts

Die Kehrseite ist die Logik des Verzichts und des Entsagens, die vor allem für die Subalternen mit dem Welt- und Klimarettungsdiskurs geschaffen wird. Da lädt die Linksjugend Solid unter dem Motto Global denken und lokal handeln[6] mit Raphael Fellmer[7] einen Guru der Verzichtslogik ein, der vor über 100 vor allem jungen Menschen begeistert berichtet, wie er fünf Jahre ohne Geld durch die Welt gezogen ist[8].

Dass er nach der modernen Pilgerreise Geld doch nicht mehr ganz so sehr verabscheut und in die Startup-Branche gegangen ist, führte zumindest im Publikum nicht zu größeren Nachfragen. Wenn Fellmer dann bis ins Detail erklärte, wie man ohne Geld lebt und als Beispiel anführte, man könne statt Toilettenpapier die Papierservietten, die täglich in vielen Restaurants unbenutzt entsorgt werden, als Ersatz benutzen, hätte doch eigentlich auf der Veranstaltung eines Verbands, der sich Linksjugend nennt, mal die Frage kommen müssen, was die totalsanktionierten Hartz IV-Empfänger, die zwangsweise ohne Geld leben müssen, zu solchen Vorschlägen sagen.

Das Publikum hätten sich auch fragen können, ob nicht die Verzichtsideologie eines Teils des Bürgertums, das temporär freiwillig auf einen Teil des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes verzichtet, den Druck auf diejenigen erhöht, die nicht die Wahl haben und die schon heute zwangsweise zu einem Leben mit wenig Geld gezwungen sind. Theorie war aber in Fellmers Ausführungen nicht mal in Spurenelementen vorhanden.

Als jemand mehr zum Thema Staatsschulden wissen wollte, fragte Fellmer ins Publikum, ob jemand eine Zahl parat habe. Sonst müsste er selber ins Internet gehen. Dabei war es doch ein Erfolg, dass vor 170 Jahren andere vermögende Bürgerliche ihr Geld dafür verwandten, um wenn schon nicht die Welt besser zu machen, diese zumindest besser zu erkennen. In den auch mit Unterstützung des Fabrikantensohns Friedrich Engels ermöglichten Schriften von Karl Marx, gibt es wichtige Hinweise auf die Rolle des Geldes im Kapitalismus.

Lebensreform statt Gesellschaftsveränderung

Sie zeigen auf, dass eine reine Ablehnung des Geldes, ohne den Kapitalismus auch nur zu erwähnen, Menschen vielleicht ein gutes Gewissen verschafft, aber gesellschaftlich rein gar nichts bringt. Denn auch die Güter, die nach Fellmer eben ohne Geld besorgt werden sollen, müssen produziert werden und das ist im Kapitalismus ohne Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft nicht möglich.

Dass auf einer Solid-Veranstaltung diese moderne Pilgerreise beworben wird, zeigt auch den Zustand einer Linken, bei der es eher um Lebensreform als um Gesellschaftsveränderung geht. Dazu braucht es aber keine Linke, da kann man auch ein Gerät namens Amphiro[9] kaufen, das einen beim Warmduschen durch ein Bild mit einem Eisbären auf einer schrumpfenden Scholle immer an den ökologischen Fußabdruck erinnert[10].

Damit ist nicht das Klima sondern der eigene Gefühlshaushalt wieder in Ordnung gebracht. „Ich habe etwas für das ich kämpfen kann, meinen persönlichen Eisbär“, beendet die Deutschlandfunk-Journalistin ihren Beitrag.

So sichert man die Profite eines neuen kapitalistischen Akkumulationsmodells, während es gleichzeitig die ideologischen Vorarbeiten für neue Verzichtsideologien liefert. Dabei wäre beim gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte ein schönes Leben für Alle, das nicht gleichzusetzen ist mit Prunk und immer schnelleren Autos, aber auch nicht damit, um Servietten zu betteln, möglich.

Dazu müsste man sich aber vielleicht die Mühe machen, auch mal Bücher zur Hand zu nehmen, die nicht gleich das individuelle Lebensglück und die perfekte Balance im Gefühlshaushalt versprechen.


Kapitalistische Verwertungslogik müsste in der Kritik stehen

Dagegen haben es Ansätze schwer, die sich wirklich anstrengen, die Klima- und Umweltthematik durch die Brille von Marx zu betrachten. „Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen – Begründungen einer Postwachstumsökonomie“, heißt das Buch[11] des Sozialwissenschaftlers Athanasios Karathanassis[12], der überzeugend darlegt[13], dass die kapitalistische Verwertungslogik und nicht die individuelle Lebensführung im Fokus der Kritik stehen müsste, wenn es um Natur- und Klimaverhältnisse geht.

Dass davon die Lobbyisten des modernen Akkumulationsregimes nichts wissen wollen, ist verständlich. Es verstößt gegen ihre Interessen. Dass aber die vielen Menschen, die ihren persönlichen Eisbären retten und sich auf moderne Pilgerfahrten begeben wollen, auch nicht solche Fragen an sich heranlassen, liegt an ihrem Gefühlshaushalt.

Der könnte schließlich durcheinander geraten, wenn man erfährt, dass all die vielen Rettungsprogramme zur Klimarettung vor allem heiße Luft sind und dass der Unterschied zwischen Trump und Obama in zwei unterschiedlichen Akkumulationsmodellen des Kapitalismus besteht.

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http://www.heise.de/-3671893
Peter Nowak
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[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ausbeutung-2-0-die-coole-schinderei-der-zukunft-13027996.html
[2] http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/puettlingen/puettlingen/Puettlingen-Windenergie-Windparks-Windraeder;art446774,6414178
[3] http://jungle-world.com/artikel/2017/12/55955.html
[4] http://www.gleditschstrasse.de/mieter-demo-bundestag/
[5] https://pankowermieterprotest.jimdo.com/
[6] http://so36.de/events/global-denken-und-lokal-handeln/
[7] http://www.raphaelfellmer.de/
[8] http://www.raphaelfellmer.de/2016/02/25/warum-ich-fuenf-jahre-ohne-geld-lebte/
[9] https://www.amphiro.com
[10] http://www.ardmediathek.de/radio/Umwelt-und-Verbraucher-Deutschlandfunk/Energiesparen-bei-der-K%C3%B6rperpflege-Tech/Deutschlandfunk/Audio-Podcast?bcastId=21627714&documentId=41885470
[11] http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/kapitalistische-naturverhaeltnisse
[12] https://www.ish.uni-hannover.de/2043.html
[13] http://jungle-world.com/artikel/2016/04/53406.html

Schmähpreis für Manager von Coca Cola

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite der mexikanische Sozialaktivist Huberto Juárez Núñez und auf der anderen Seite die Coca-Cola-Vorstände Muhtar Kent und James Quincey sowie die Großaktionäre Warren Buffet und Herbert Allen. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Preise, die ihnen am Samstag im Berliner Pfefferberg von der Stiftung Ethik und Ökonomie (Ethecon) verliehen wurden. Für Coca Cola gab es den Schmähpreis »Black Planet Award«. Damit will Ethecon die Rolle des weltweit größten Getränkekonzerns in der Umwelt- und Weltpolitik anprangern. Auf das Konto der Coca-Cola-Manager »gehen der Ruin der menschlichen Gesundheit und die Zerstörung der Umwelt im großen Stil, ja selbst der Tod vieler Menschen. Die genannten Personen stellen nicht nur eine Gefahr für den Frieden und die Menschenrechte dar, sondern auch für die Demokratie, die Ökologie und die Menschheit insgesamt«, erklärte Ethecon-Vorstand Axel Köhler-Schnura.

Die Angesprochenen selbst dürfte die Verleihung des Negativpreises wenig tangieren. Gefreut hat sich hingegen Huberto Juárez Núñez über die Verleihung des »Blue Planet Award«, mit dem Ethecon jährlich Personen oder Institutionen auszeichnet, »die in herausragender Weise menschliche Ethik im Spannungsfeld Ethik und Ökonomie schützen und verteidigen«.

Dem Management des VW-Konzerns dürfte der Name des mexikanischen Wissenschaftlers und Sozialaktivisten Núñez nicht unbekannt sein. Schließlich war der 62-Jährige mit daran beteiligt, dass sich in den mexikanischen VW-Werken unabhängige Gewerkschaften gegründet haben, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern.

Auch wissenschaftlich befasst sich Núñez seit vielen Jahren mit der Situation der Beschäftigten in den Filialen ausländischer Konzerne in Mexiko. Im Rahmen seiner Arbeit knüpfte er internationale Kontakte zu engagierten Wissenschaftlern und Gewerkschaftern. In seiner engagierten Dankesrede prangerte Núñez die unheilvolle Rolle an, die ausländische Konzerne in Mexiko seit Jahrzehnten spielen. Besonders im Fokus seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit stehen die Maquiladoras, in denen multinationale Unternehmen, hauptsächlich entlang der US-amerikanischen Grenze, importierte Einzelteile zu Produkten montieren lassen. Die Arbeit sei schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen schlecht und die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Organisierung würden massiv eingeschränkt, fasste der Wissenschaftler seine Kritik zusammen. Núñez, der seine wissenschaftliche Arbeit immer als Teil des Kampfes um soziale Veränderungen gesehen hat, berichtete, wie er mit dazu beitrug, dass sich in den Fabrikhallen kämpferische, unabhängige und auch erfolgreiche Gewerkschaften gebildet haben. So musste im Oktober 2001 ein Unternehmen, das Textilien für den Sportartikelhersteller Nike produzierte, einen Vertrag unterzeichnen, der die Löhne und die Arbeitssituation der überwiegend weiblichen Beschäftigten verbesserte. Vorausgegangen war ein langer Arbeitskampf, bei dem die Streikenden nicht nur von der mexikanischen, sondern auch von der US-amerikanischen Zivilgesellschaft unterstützt wurden. Damit waren die Maquiladoras keine gewerkschaftsfreie Zone mehr, ein Erfolg, an dem auch Núñez große Verdienste hatte.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1032709.schmaehpreis-fuer-manager-von-coca-cola.html

Peter Nowak

Zehn Minuten Stillstand

Aktionsbündnis blockierte am Sonntagnachmittag Autobahnauffahrt am Dreieck Neukölln

Ab 14.40 Uhr ging an A 100-Auffahrt Grenzallee am Dreieck Neukölln nichts mehr. Rund 200 Gegner des Autobahnneubaus an der A 100 blockierten für zehn Minuten die Straße. Die Aktivisten hatten die kurze Blockade angemeldet, zahlreiche Polizisten achteten darauf, dass der Verkehr in diesem Zeitraum ruhte. »Wir dürfen uns auch von einem rot-rot-grünen Senat nicht in Sicherheit wiegen lassen, der in den Koalitionsverhandlungen behauptet, die A 100 nicht weiterzubauen«, begründete eine Frau ihre Teilnahme an der Aktion.

»Wir fordern von der neuen Berliner Koalition eine Wende hin zu einer nachhaltigen, menschengerechten und ökologischen Stadtentwicklung und Verkehrspolitik«, sagte Tobias Trommer vom »Aktionsbündnis A 100 stoppen«. Die zentrale Forderung der Aktivisten lautet, den laufenden Bau des 3,2 Kilometer langen Autobahnabschnitts zum Treptower Park umgehend zu stoppen und die Trasse bereits an der Sonnenallee enden zu lassen.

Der Weiterbau der A100 ist seit einigen Jahren ein Streitthema in der Berliner Politik. Bereits in der rot-roten Koalition unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatten die Linken einen Weiterbau vehement abgelehnt. 2011 führte die A100 dann sogar offiziell  zum Scheitern rot-grüner Koalitionsgespräche, da auch die Grünen gegen einen Weiterbau waren. Stattdessen kam es zur großen Koalition zwischen SPD und CDU, und im Mai 2013 erfolgte der erste Spatenstich für den umstrittenen 16. Bauabschnitt. Damit soll die Stadtautobahn vom Dreieck Neukölln bis zum Treptower Park verlängert werden. Die Fertigstellung ist für 2021/22 geplant.
Die Aktivisten des Bündnisses „A100 stoppen“ fordern auch einen Baustopp auf diesen Abschnitt. Doch das ist auch das anvisierte rot-rot-grüne Bündnis kein Thema.  Ein Baustopp hätte schwierige juristische und finanzielle Folgen
Trommer lässt diese Argument  nicht gelten.  Sollte der Bau der A100 nicht komplett gestoppt werden, beseht für ihn die Gefahr, dass eine andere politische Konstellation im Abgeordnetenhaus den Autobahnbau erneute auf die Agenda setzt. Zudem könnte die dringend notwendige Umnutzung des Geländes nicht in Angriff genommen werden. Dort könnten nach seinen Vorstellungen Wohnungen zu bezahlbaren Mieten entstehen, die in   Berlin so dringend gebracht werden.
„Wenn der politische Wille vorhanden ist, ließe sich hier sicher en Weg für den Baustopp finden“, gibt er sich überzeugt. Selbst wenn der Baustopp  Kosten verursachen  sollte, könnte durch eine alternative Nutzung der dadurch freiwerdenden  Flächen  Geld  eingenommen werden, gibt Trommer zu bedenken.  Daher sieht er es auch als positives Zeichen, dass die Bundestagsfraktion  der LINKEN   beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags  ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, in die finanziellen Folgen eines Ausstiegs untersucht werden soll. Dabei geht es vor allem um Gelder des Bundes, die für den Bau der Autobahn vorgesehen waren.
Während einige  Mitglieder der Linksfraktion aus dem Berliner  Abgeordnetenhaus an der Protestaktion teilnahmen, waren weder Abgeordnete der Grünen noch anderer Parteien vertreten.   Doch das Aktionsbündnis hat bereits weitere Proteste gegen den Autobahnbau angekündigt. Am 22.11. will  es  um 15 Uhr vor dem Paul-Löbe-Haus des Bundestags die A100 abblasen. Die Teilnehmer werden aufgefordert,  Lärminstrumente mitzubringen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1031965.zehn-minuten-stillstand.html
Peter Nowak

Giftige Geschäfte

Nach einer Umweltkatastrophe in Vietnam im Frühjahr halten die Proteste gegen das verantwortliche Unternehmen und die vietnamesische Regierung, die mit dem dubiosen Konzern kooperiert, an.

Unabhängige Umweltschützer sind bei vielen Regierungen nicht gerne gesehen. Das ehemals realsozialistische Vietnam, das schon längst den Weg der kapitalistischen Marktwirtschaft eingeschlagen hat, geht derzeit gegen Menschen vor, die die Umweltverbrechen des taiwanesischen Konzerns Formosa Plastics Group (FPG) in Vietnam öffentlich machen wollen. So wurden von der vietnamesischen Regierung kürzlich Repressalien gegen Blogger verschärft, die Videos über weltweite Aktionen ins Netz stellen, mit denen eine angemessene Entschädigung für die Umweltverschmutzungen des Konzerns in Vietnam und die Bestrafung der dafür Verantwortlichen gefordert wird.

Anfang April waren über mehrere hundert Kilometer an der Küste Vietnams Millionen toter Meereslebewesen angeschwemmt worden. Zudem gibt es Berichte über schwere Erkrankungen von Menschen, die Fisch aus diesem Gebiet verzehrt haben. Die Formosa Ha Tinh Steel Company soll zuvor 200 Tonnen hochgiftige Chemikalien ins Meer geleitet haben (Jungle World 25/2016). In Vietnam waren daraufhin wochenlang Menschen aus Protest gegen den Umweltskandal auf die Straße gegangen.

FPG hat zwar mittlerweile eine Entschädigung von 500 Millionen US-Dollar zugesagt. Für die Kritiker des Unternehmens ist diese Summe angesichts der immensen Umweltschäden in Vietnam und der Vergiftung der Meere jedoch völlig unzureichend. Zudem ist noch unklar, wie viele Menschen Gesundheitsschäden durch die Aktivitäten von FGB erlitten haben. Bekannt ist bisher nur, dass ein Taucher gestorben ist, nachdem er in dem Teil des Meeres unterwegs gewesen war, in den FPG das Gift geleitet hatte. Dass die vietnamesische Regierung die Aufklärung der Umweltschäden und der Folgen erschwert, zeigte sich, als Experten vor Ort recherchieren wollten. Die vietnamesische Regierung erlaubte ihnen nicht, Meerwasserproben zu entnehmen, so dass sie sich auf die Daten der Regierung stützen mussten.

Der 1954 in Taiwan gegründete Konzern Formosa war im antikommunistischen Klima des Vietnamkrieges zum weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Chemie und Biotechnologie geworden war. Daher erstaunt die heutige Kooperation, doch schon lange unterhält die Volksrepublik Vietnam, die mit China über Grenzfragen zerstritten ist, gute Kontakte mit Taiwan. Zudem könnte eine unabhängige Zivilgesellschaft die Kritik auch auf die Umweltbilanz vietnamesischer Unternehmen ausweiten. Das wollen die vietnamesischen Behörden verhindern. Dennoch haben sich am 17. Juni anlässlich der FPG-Jahreshauptversammlung in Taiwan neben internationalen Umweltschützern auch Vietnamesen in verschiedenen Ländern an Protesten beteiligt. In Köln organisierte die Gruppe »Viet Zukunft« an diesem Tag eine Unterschriftenkampagne für eine angemessene Entschädigung. Um politische Verfolgung in Vietnam zu vermeiden, unterhält die Initiative aber keine Homepage und es finden sich auch keine Videos über die Aktion.

Doch FPG ist nicht erst wegen der Umweltschäden in Vietnam in die Kritik geraten. Bereits 1998 wurden Konzernmitarbeiter dabei erwischt, wie sie 3 000 Tonnen giftiger Abfälle vor der kambodschanischen Hafenstadt Sihanoukville im Meer versenken wollten. Auch in Kambodscha geht die dortige eng mit der vietnamesischen Regierung verbündete Kommunistische Partei seit Jahren repressiv gegen zivilgesellschaftliche Initiativen und Gewerkschaften vor. In Taiwan ist in den vergangenen Jahren die Kritik an dem Gebaren des Konzerns gewachsen. Mittlerweile steht FPG auf einer Liste der zehn größten Umweltverschmutzer des Landes. Unabhängige Gewerkschaften prangern auch die Arbeitsbedingungen in dem Konzern an. Immer wieder komme es in Betrieben von FPG zu Todesfällen und anderen Unfällen, schreibt auch die Stiftung Ethecon, die dem Konzern bereits 2009 ihren alljährlich ausgelobten Schmähpreis Black Planet Award verliehen hat. Ethecon hat unter anderem die Forderungen der internationalen Protestbewegung gegen FPG in Deutschland bekannt gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2016/34/54726.html

Peter Nowak

Tropfen auf den heißen Stein

Stahlkonzern zahlt Entschädigung für Umweltschäden und Fischsterben

Das taiwanesische Stahlwerk Formosa Plastic Group (FPG) steht seit Jahren wegen der Schädigung der Umwelt in der internationalen Kritik. Die Proteste zeigen mittlerweile Wirkung. So hat sich der Konzernvorstand zur Zahlung von 500 Millionen US-Dollar Entschädigung wegen der massiven ökologischen Schäden und des Fischsterbens in Vietnam bereit erklärt.

»Offenkundig haben unsere internationalen Proteste in Kooperation mit Partnern in Vietnam, Taiwan und anderen Ländern Wirkung gezeigt«, erklärt die Geschäftsführerin der Stiftung Ethecon, Sarah Schneider, gegenüber »nd«. Die Nichtregierungsorganisation hatte 2009 der Formosa Plastic Group den Schmähpreis »Black Planet Award« verliehen. »Die Geschichte des Konzerns ist begleitet von einer andauernden Folge sozialer und ökologischer Verbrechen in aller Welt«, hieß es in der Begründung.

Die Ursprünge des Konzerns liegen im Kalten Krieg: 1954 wurde er in Taiwan gegründet und hat sich zu einem führenden Biotechnologie- und Chemieunternehmen entwickelt. Immer wieder geriet er mit Umweltskandalen in die Kritik. So wurde 1998 bekannt, dass FPG 3000 Tonnen giftigen Abfall vor Kambodschas Küste illegal entsorgte. Immer wieder gibt es auch Verletzte und Tote unter den Beschäftigten des Konzerns, der in Taiwan als einer der zehn größten Umweltverschmutzer gilt, die für ein Viertel der im Land produzierten Treibhausgase verantwortlich sind.

Obwohl FPG im auch gegen Nordvietnam gerichteten Kalten Krieg groß geworden ist, will die heute auf dem Pfad der Marktwirtschaft wandelnde vietnamesische Regierung es sich mit dem Unternehmen nicht verderben. »Umweltschützer werden nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen«, erklärt Schneider. Ein internationales Expertenteam, das die Verschmutzung untersuchen wollte, durfte keine eigenen Meerwasserproben entnehmen, sondern musste sich auf Daten der Regierung stützen. Gegen Blogger, die Videos über die Proteste gegen den Konzern veröffentlichen, gehen die vietnamesischen Behörden mit Repressionen vor.

Daher hat die Gruppe »Viet Zukunft« auch keine eigene Homepage. Sie besteht aus in Deutschland lebenden Vietnamesen, die in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Sie beteiligten sich am 17. Juni parallel zur Jahreshauptversammlung von FPG in Taiwan an einer Unterschriftenkampagne in Köln.

In vielen Ländern wurde an diesem Tag eine angemessene Entschädigung für die Umweltverbrechen gefordert. »Die 500 Millionen US-Dollar sind viel zu gering«, betont Schneider. Ethecon fordert auch die Bestrafung der für die Umweltverbrechen Verantwortlichen im Konzern. Von der vietnamesischen Regierung wird eine vollständige Transparenz über das Ausmaß der Umweltverschmutzung abgemahnt. Das Thema wird auch auf der Ethecon-Jahreshauptversammlung am 19. November in Berlin eine Rolle spielen. Wer diesmal den Black Planet Award für besonders große unternehmerische Verantwortungslosigkeit verliehen bekommt, gibt Ethecon am 19. September bekannt.

Peter Nowak

Das gierige Start-up

Mitfahrdienst Blablacar führt Gebühren in Deutschland ein – und erntet Kritik

Wer derzeit über das Onlineportal Blablacar eine Mitfahrgelegenheit buchen will, muss mehr Geduld aufbringen. In letzter Zeit ist die Anzahl der dort angebotenen Fahrten zurückgegangen. Grund ist das neue Bezahlsystem, das der Internetdienst kürzlich eingeführt hat. Fahrten können nur noch im Voraus per Kreditkarte, Paypal oder Sofort-Überweisung bezahlt werden. Kürzlich hat das 2006 in Paris gegründete Unternehmen, das seit 2013 auch in Deutschland aktiv ist, eine Vermittlungsgebühr eingeführt, die von der Länge der angebotenen Strecke abhängig ist. Für die Fahrt von Berlin nach Hamburg etwa fallen für Autobesitzer Zusatzkosten von drei Euro an. Reservierungsgebühren sind offenbar ebenfalls im Gespräch.

Das wollen viele Mitfahrer nicht akzeptieren. In einer Pressemitteilung erinnert die Internetplattform Fahrgemeinschaften.de daran, dass bereits 2013 der Onlinedienst mitfahrgelegenheit.de mit der Einführung von Gebühren gescheitert ist. Immer mehr Nutzer suchten nach Alternativen und kurze Zeit später wurde der Betreiber von Blablacar aufgekauft. »Kostenlos sind wir schon«, positionierte sich der französische Konzern damals gegen seinen Kontrahenten. Diese Aussage halten empörte Nutzer Blablacar jetzt Nutzern in sozialen Netzwerken vor. »Die haben schon vor der Einführung des Bezahlsystems Texte gestrichen oder verändert. Ich glaube denen kein Wort«, schreibt ein Kommentator.

Mit der Plattform fahrgemeinschaft.de steht eine vorerst gebührenfreie Alternative bereit. Das Unternehmen erklärt, die täglichen Nutzerzahlen hätten sich verdreifacht, seit Blablacar die Gebührenregelung einführte. Auf der Plattform von fahrgemeinschaft.de wird Blablacar zudem vorgeworfen mit Fake-Profilen, einen größeren Nutzererfolg vorzutäuschen. Der Kontrahent spricht indes von unwahren Behauptungen und prüft rechtliche Schritte.

Das französische Unternehmen, dessen Firmenwert von Investoren zuletzt auf rund 1,4 Milliarden Euro taxiert wurde, sieht sich auch nach der Einführung des Gebührenmodells in Deutschland weiter auf Wachstumskurs. Ein Sprecher verweist auf Frankreich, Italien und Spanien, wo Blablacar trotz Gebühren Marktführer bei den Mitfahrzentralen blieb. Allerdings werden in diesen Ländern Mitfahrgelegenheiten generell weniger genutzt als in Deutschland.

Auch am Konkurrenten fahrgemeinschaft.de gibt es Kritik – wegen seiner Kooperation mit dem Automobilclub ADAC. So schreibt ein Nutzer auf einer Facebook-Seite, auf der über einen Blablacar-Boykott diskutiert wird: »Sollten die es wirklich schaffen und Blablacar ablösen – wer weiß, was dann wieder passiert.« So könnte der »Aufstand der Mitfahrer«, von dem das »Handelsblatt« spricht, nur dazu führen, dass statt Blablacar ein anderes Unternehmen das Geschäft mit der Vermittlung macht. Schließlich gehört es zum Geschäftsmodell von Start-up-Unternehmen, zunächst mit Gratisdiensten zu expandieren und die Konkurrenz zu schlucken, um danach die Nutzer zur Kasse zu bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1022206.das-gierige-start-up.html

Peter Nowak

Glyphosat: Deutsche Retourkutsche für den VW-Skandal?

Warum soll das Prinzip „im Zweifel für die Gesundheit“ nicht auch bei anderen Chemikalien, Medikamenten und auch beim Autoverkehr gelten?

Na also, die SPD kann sogar mal in die Politik eingreifen und deutlich machen, dass sie nicht immer als Merkels Bettvorleger landet. Weil die SPD-Minister allen Druck von Wirtschaftslobbyisten und Koalitionspartner widerstanden haben, musste sich Deutschland bei der Abstimmung in der EU über die erneute Zulassung des Pestizids Glyphosat enthalten. Wahrscheinlich wird es trotzdem nicht vom Markt genommen.

Jetzt muss erst einmal ein Vermittlungsausschuss einen Kompromiss finden. Kommt es nicht dazu, kann die EU-Kommission immer noch in eigener Regie die Zulassung genehmigen. Nur kann die SPD dann im Wahlkampf sagen, es liegt an der EU, wenn das Pestizid weiterhin Verwendung findet. Lob bekommt die SPD für ihre Haltung aus grünennahen Kreisen. So schrieb[1] der für die Landschaft zuständige Taz-Redakteur Jost Maurin:

Dieses Mal haben sie uns nicht verraten, die Sozialdemokraten. Dank ihres Vetos enthielt sich Deutschland am Montag bei der EU-Abstimmung über eine neue Zulassung für das unter Krebsverdacht stehende Pestizid Glyphosat. Da nicht die nötige Mehrheit für den Unkrautvernichter zustande kam, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erlaubnis Ende Juni ausläuft. Und das ist gut so.

Dabei fällt zunächst auf, dass Maurin gar nicht erwähnt, dass die EU-Kommission eine Erlaubnis für das Pestizid erlassen kann.

Keine eindeutigen wissenschaftlichen Urteile

Für einen wissenschaftlichen Laien ist es nicht einfach, sich ein Urteil darüber zu bilden, wie gesundheitsschädlich das inkriminierte Pestizid nun tatsächlich ist. Es gibt darüber in der Wissenschaft selber auch noch keine abschließenden Urteile[2]. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass Glyphosat in bestimmten Fällen tatsächlich krebserregend ist.

Der Grundsatz „im Zweifel für die Gesundheit“ ist auch grundsätzlich gut. Doch dann wäre zu fragen, warum wird in der Debatte gleich in mehrerlei Hinsicht mit zweierlei Maß gemessen?

So wurde Glyphosat jahrelang bei der Bekämpfung des Cocaanbaus in Kolumbien eingesetzt[3]. Obwohl viele Dorfbewohner in den mit dem Pestizid besprühten Gebieten jahrelang über Gesundheitsschäden klagten, wurde das Problem lange Zeit ignoriert. Im letzten Jahr wurde die Verwendung von Glyphosat mit Verweis auf die Berichte über die Krebsgefahr auch in Kolumbien untersagt[4].

Müssten nicht diejenigen, die von der Gesundheitsschädlichkeit des Pestizids überzeugt sind, fordern, dass die Menschen, die mit dem Stoff in Verbindung gekommen sind, medizinisch untersucht werden? Schließlich gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Glyphosat nur für Europäer krebserregend ist.

Müsste nicht das Autofahren massiv eingeschränkt werden?

Es gibt aber auch die Doppelstandards im Inland. Müssten nicht eine Menge weiterer Pestizide und anderer chemischer Produkte vom Markt genommen werden, wenn bei ihnen die gleichen Maßstäbe angelegt würden, wie es jetzt von den Kritikern bei Glyphosat getan wird? Und noch wichtiger: Wenn das Prinzip „im Zweifel für die Gesundheit“, das die SPD jetzt im Fall von Glyphosat anwenden will, auch für die Beurteilung des Autoverkehres gelten würde, würden die Straßen und Autobahnen wieder zu Zonen des Lebens.

Die Gesundheitsschädlichkeit von erhöhten Feinstaubwerten ist, anders als beim Glyphosat, eindeutig erwiesen[5]. Wiederholt hat die EU-Kommission die deutsche Politik gerügt[6], weil sie zu wenig zur Verminderung des Feinstaubs unternimmt.

Da stellt sich doch die Frage, warum beschäftigt Glyphosat seit Wochen die deutsche Politik und die SPD bleibt sogar standhaft bei ihrem Nein? Warum aber gibt es von keiner Partei einen ähnlichen Widerstand gegen den gesundheitlich viel gefährlicheren Feinstaub? Geht es bei der großen Aversion gegen Glyphosat in Deutschland also nicht um andere Gründe als die Angst vor den Gesundheitsschäden?  Ist Glyphosat deshalb so unbeliebt, weil es kein Produkt „Made in Germany“ ist, sondern von Monsanto produziert wird, das meistens in kritischer Absicht mit dem Adjektiv berüchtigter Gentech-Konzern[7] belegt wird?

Nun gibt es sicher viele Gründe für Kritik an Monsanto. Warum wird dann aber der Bayer-Konzern in den Medien nicht ebenfalls immer mit dem Adjektiv „berüchtigt“ belegt? Die Diskussionen um die geplante Übernahme von Bayer durch Monsanto in Deutschland machten deutlich, dass mehrheitlich nicht über die Fusion von zwei kritikwürdigen Konzernen geredet wurde, deren Produkte unter gesellschaftlicher Kontrolle auf ihre Gesundheitsschädlichkeit und Nützlichkeit untersucht werden müssen.

Die Übernahme-Diskussion wurde häufig so dargestellt, als würde das „berüchtigte Monsanto“ das deutsche Traditionsunternehmen Bayer übernehmen wollen. Es blieb Initiativen wie der Coordination gegen Bayer-Gefahren[8] überlassen, auch an die spezifischen deutschen Traditionen des Bayer-Konzerns zu erinnern, die bei Überlebenden des NS-Regimes noch sehr lebendig sind[9].

So wird  man den Verdacht nicht los, dass die Glyphosat-Debatte eine deutsche Retourkutsche auf den VW-Skandal in den USA ist. Schließlich haben die US-Behörden damit all jene blamiert, die die USA immer als Wüste in Sachen Umweltschutz brandmarken wollen. Als nun VW als großer Umweltsünder mit krimineller Energie bloßgestellt wurde, spielten bei den US-Behörden sicherlich ebenso Standortinteressen eine Rolle wie jetzt bei der Aversion gegen Glyphosat in Deutschland.

So wurde wohl in beiden Fällen aus fragwürdigen Gründen Entscheidungen getroffen, die an sich begrüßenswert sind. Denn die Welt wäre sicher in ökologischer und gesundheitlicher Hinsicht ohne Glyphosat und manipulierten VWs eine bessere.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48459/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2016-06/37605354-taz-taz-kommentar-von-jost-maurin-zu-glyphosat-abstimmung-spd-ist-ausnahmsweise-standhaft-007.htm

[2]

http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-zuarbeit-im-eu-genehmigungsverfahren-von-glyphosat-abgeschlossen.pdf

[3]

http://www.aljazeera.com/news/americas/2013/10/colombia-chemical-spraying-furor-continues-201310291027411132.html

[4]

http://www.bbc.com/news/world-latin-america-32677411

[5]

http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2015-09/luftverschmutzung-feinstaub-tote-weltweit

[6]

http://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/eu-kommission-rugt-deutschland-wegen-zu-hoher-feinstaub-belastung/

[7]

http://www.zentrum-der-gesundheit.de/monsanto-glyphosat-krebserregend-ia.html

[8]

http://www.cbgnetwork.org/

[9]

http://www.berliner-zeitung.de/eva-mozes-kor-war-im-vernichtungslager-testperson-des-ss-arztes-josef-mengele—jetzt-verklagt-sie-die-deutsche-bayer-ag-was-hat-bayer-mit-auschwitz-zu-tun–16342110

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48459/1.html

Peter Nowak

„Der Kapitalismus muss weg“

Athanasios Karathanassis ist Lehrbeauftragter an der Universität Hannover. Im Jahr 2015 hat er im VSA-Verlag das Buch „Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen – Begründungen einer Postwachstumsökonomie“ herausgegeben. Der vorwärts sprach mit dem Soziologen über den Pariser Klimagipfel, Naturzerstörung und den Kapitalismus.

vorwärts: Der Pariser Klimagipfel ist Geschichte und hinterher gaben sich fast alle zufrieden. Wie würden Sie im zeitlichen Abstand einiger Wochen die Ergebnisse beschreiben?
Athanasios Karathanassis: Angesichts des nicht mehr zu leugnenden Klimawandels musste es nach all den gescheiterten Verhandlungen das vordringlichste Ziel sein, Erfolge zu präsentieren. So wird ein Minimalkonsens auf Basis einer „freiwilligen Verbindlichkeit“
ohne Sanktionsmöglichkeiten als historischer Durchbruch interpretiert. Die Ergebnisse des Gipfels haben so den Charakter eines moralischen Imperativs. In der Praxis wird die Moral aufgrund mächtiger ökonomischer und politischer Interessen, die ihr entgegenstehen, aber in ihre Schranken verwiesen. Erfolg misst sich letztlich nicht daran, was ausgehandelt wird, sondern an konkreten praktischen Massnahmen. Und es sollte auch nicht – wie auf der COP 21 beschlossen – erst nach fünf Jahren überprüft werden, ob diese auch wirklich umgesetzt wurden. Wäre man vom Erfolg der Verhandlungen so überzeugt, wie es nach aussen scheint, wären Rücktrittsankündigungen verantwortlicher Politikerinnen und Unternehmensschliessungen nur konsequent, falls es in bestimmter Zeit nicht gelingt, klimarelevante Gase signifikant zu senken.
vorwärts: Was wäre für Sie der Massstab für einen Gipfelerfolg gewesen?
Athanasios Karathanassis: Eine wirklich historische Wende hin zu einer „Dekarbonisierung“ wäre etwas anderes gewesen: Das verbindliche Abschalten von Kohlekraftwerken, das sofortige Bereitstellen der erforderlichen finanziellen Mittel für den Aufbau regenerativer
Energiequellen, die ersetzend und nicht ergänzend zu fossilen eingesetzt werden und vieles mehr. Würden Dekarbonisierungsmassnahmen nicht umgesetzt, müssten spürbare und schnellstmögliche ökonomische Sanktionen folgen. Ein Grossteil der fossilen Energieträger musste also in der Erde bleiben; das bedeutete aber entgangene Profite. All das geschieht nicht oder nicht ausreichend, so dass sich auch hier mal wieder zeigt, wie mit zweierlei Mass gemessen wird. Im Zuge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 war es äusserst schnell und unbürokratisch möglich, „Rettungsschirme“ in Milliardenhöhe für systemrelevante
Banken auf Kosten von Millionen von Menschen bereitzustellen. Die Menschen und die äussere Natur, die von der Klimakrise betroffen sind, scheinen nicht als systemrelevant zu gelten. Das System der Kapitalakkumulation hat also Priorität. Es scheint so, als müsse
man sich einer versachlichten, gottähnlichen Macht – der Macht der Kapitale – alternativlos beugen. Doch zumindest eines ist klar: Es gibt keine Alternativen zur Natur; es gibt auch keine Alternativen zur Ökonomie, aber es gibt Alternativen zur kapitalistischen Form der
Ökonomie.


vorwärts: In den Reihen der Klimabewegten wird auch der Kapitalismus kritisiert, zum Beispiel in dem Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“ von Naomi Klein. Wie tief geht deren Kapitalismuskritik?

Athanasios Karathanassis: Die Qualität von „Kapitalismus vs. Klima“ liegt darin, ein Türöffner für einen kritischen Blick auf kapitalistische Naturverhältnisse sein zu können. Es weist also in die richtige Richtung, bleibt aber zumeist bei einer Kritik am Neoliberalismus,
was eine Verkürzung ist, die nur eine Variante des Kapitalismus in den Vordergrund stellt. Fragen nach den gesellschaftlich-ökonomischen Ursachen des Klimawandels und weiteren krisenhaften Naturveränderungen lassen sich aber nur durch tiefer gehende Kritik an kapitalistischen Grundprinzipien, die in allen kapitalistischen Phasen existieren und in verschiedenen historischen Varianten ihrer Umsetzung ihre praktische Wirkkraft entfalten, beantworten. Hierzu gehört zuallererst die allen Kapitalismen innewohnende Masslosigkeit in einer begrenzten Welt.


vorwärts: Sie haben im VSA-Verlag ein Buch mit dem Titel „Kapitalistische Naturverhältnisse“ veröffentlicht. Was verstehen Sie darunter und welche Rolle spielt die marxsche Ökonomiektitik dabei?

Athanasios Karathanassis: Zunächst einmal sollte man betonen, dass Marx mehr als einen Blick für den kapitalistischen Umgang mit der Natur hatte. Das liesse sich mit einer Reihe von Zitaten belegen. Aber insbesondere seine Kritik der Politischen Ökonomie ist geeignet,
über die Analyse ökonomischer Gesetzmässigkeiten Verhältnisse von Kapital und Natur zu entschlüsseln. Diese Kritik ist zwar nicht ausreichend aber unerlässlich. In „kapitalistische Naturverhältnisse“ geht es, verkürzt gesagt um die Fragen, wie der Kapitalismus
mit der Natur umgeht, was die Gründe dafür sind, welche Folgen das hat und welche Bedeutung das letztlich für die Entwicklung gesellschaftlich-ökonomischer Alternativen hat. Eine Abgrenzung vom marxschen Fortschrittsglauben, wie zum Beispiel im „Kommunistischen Manifest“ beschrieben, ist hierbei insbesondere für die Skizzierung dieser Alternativen wichtig, da – anknüpfend an Walter Benjamins kritischen Verweis auf das marxsche Revolutions- und Fortschrittsverständnis – nicht nur die Geschwindigkeit der Entwicklung, sondern vor allem die Richtung des Fortschritts in Frage gestellt werden muss.


vorwärts: Ein Kapitel Ihres Buches befasst sich mit postfordistischen Naturverhältnissen. Was sind deren besondere Kennzeichen?

Athanasios Karathanassis: Postfordistische Naturverhältnisse sind zunächst nicht dadurch gekennzeichnet, dass mit wesentlichen fordistischen Wachstumstreibern, wie zum Beispiel der Steigerung der Produktivkräfte oder des Massenkonsums, gebrochen wird. Im
Gegenteil: Sie werden auf entwickelterer Stufe, etwa durch Mikroprozessoren gesteuerte Produktionssysteme und elektronische Massenwaren, weitergeführt, so dass Märkte durch Informations- und Kommunikationstechnologien erweitert und vertieft werden. Der Einzug von „Biotechnologien“ in Produktionsprozesse und die Zunahme gentechnisch veränderter Waren kennzeichnen ebenfalls eine neue Qualität im Umgang mit der Natur. Diese wird nicht mehr nur von aussen, sondern nun auch von innen nach renditeorientierten Kriterien verändert. Kriterien der Kapitalverwertung werden so der Natur innerlich. Ähnlich wie es zunehmend von Lohnarbeitenden gefordert wird, die Interessen des Unternehmens zu verinnerlichen, sich mit diesem bis zur Unkenntlichkeit ihres Selbst zu identifizieren,
werden der Natur ihr fremde „Gesetze“ aufgezwungen. Diese globalen Überformungen sind nur einige neue Schritte der Gestaltung von Gesellschaften und Natur nach den Massgaben der Kapitalrentabilität. So sind wir auf dem Weg zu einer globalen „Kapitalgesellschaft“, in der sowohl die Menschen als auch die äussere Natur zunehmend als Mittel zum Zweck der Profitmaximierung instrumentalisiert werden.


vorwärts: In den letzten Kapiteln sprechen Sie von einer Postwachstumsökonomie. Was verstehen Sie darunter?

Athanasios Karathanassis: Um nur einige Schlagworte zu nennen: Ökonomische Prozesse würden nicht mehr auf maximalen Output abzielen, sondern müssten nach Kriterien der Bedarfsdeckungslogik umgestaltet werden. Das heisst, dass die Ökonomie nicht überall
schrumpft, sondern nur das Übermass an Produktion, Verkehr und Konsum verschwindet. Das hätte auch ein gänzlich anderes Krisenverständnis zur Folge. Möglich wäre das nur, wenn an Stelle von Kapitallogiken Logiken der Bedarfsdeckung zur Praxis werden. Problematisch ist hierbei aber nicht nur die Bedarfsbestimmung; was Mensch wirklich braucht, ist nur eine von vielen Fragen einer damit verbundenen Konsumkritik. Entscheidend ist in einer Postwachstumsökonomie, dass weniger stoffgebundene ökonomische
Prozesse stattfinden, denn die Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch und -Zerstörung ist trotz Fortschritten in der Energie- und Materialeffizienz nicht möglich. Man braucht also eine umfassende Wende, sozusagen eine positive Krise, die nicht nur einen
Wertewandel anstrebt und politische Machtverhältnisse in Frage stellt; es ist insbesondere  eine andere Ökonomie notwendig, die nicht mehr auf massloses Wachstum abzielt und vortäuscht, Massenkonsum sei für das Wohl der Menschheit unumgänglich. Das reicht selbstverständlich nicht aus, eine Postwachstumsökonomie zu umreissen. Es kann nur die Richtung andeuten, vieles ist noch unklar, muss beforscht und praktisch entwickelt werden.
vorwärts: In ihren 16 Thesen zur Leipziger Degrowth-Konferenz im Jahr 2014 schreibt die Interessengemeinschaft Roboterkommunismus: „Der Kardinalfehler der gesamten Bewegung besteht in ihrer Überhöhung des Wachstums zum Inbegriff aller Übel, zum scheinbar letzten Grund gesellschaftlicher Prozesse und somit auch zum Hebelpunkt einer qualitativen politischen Veränderung.“ Würden Sie dieser These zustimmen?
Athanasios Karathanassis: Ein Defizit des „Degrowth-Mainstreams“ ist die nicht ausreichende Verknüpfung von Wachstums- und Kapitalismuskritik. Gäbe es diese, wäre es klarer, dass Kapitalismus ohne Wachstum und somit auch ohne wachsenden Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen nicht möglich ist. Bisherige Effizienzfortschritte oder naturschonende Lebensweisen reichen nicht aus und werden von den kapitalistischen Wachstumsausmassen bei weitem überkompensiert. Eine Wachstumskritik, die auf halbem Weg verharrt, kann bestenfalls zur Entschleunigung aber nicht zur Verhinderung von Katastrophen beitragen.


vorwärts: Nach der Lektüre Ihres Buches muss man zu dem Fazit kommen: Im Kapitalismus ist ein Ende der Naturzerstörung nicht möglich. Wäre da eine Revolution nicht der beste Beitrag für den Umweltschutz?

Athanasios Karathanassis: Wenn Probleme letztlich nur dann gelöst werden können, wenn ihre Ursachen beseitigt werden, dann bedeutet das, dass gesellschaftliche Grosskrisen, wie die Ausmasse der Naturzerstörung oder Massenarmut nur dann gelöst werden können, wenn wesentliche Ursachen dieser beseitigt werden. Und damit ist klar: Der Kapitalismus muss weg und emanzipatorischer Widerstand ist im wahrsten Wortsinn notwendig. Offen ist jedoch, auf welchen Wegen das möglich sein wird, so dass die Postkapitalismen auch wirklich emanzipatorisch sein werden. Die Frage, inwieweit das realistisch ist, möchte ich mit Herbert Marcuse beantworten, der sagte: „Der unrealistische Klang dieser Behauptung deutet nicht auf ihren utopischen Charakter hin, sondern auf die Gewalt der Kräfte, die ihrer Verwirklichung im Wege stehen.“

Interview: Peter Nowak
Quelle:
vorwärts – die sozialistische Zeitung.
Nr. 05/06 – 72. Jahrgang – 12. Februar 2016, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch

Internet: www.vorwaerts.ch

»Man braucht eine positive Krise«

Der Politik- und Sozialwissenschaftler Athanasios Karathanassis lehrt an den Universitäten von Hannover und Hildesheim. Im vergangenen Jahr erschien im VSA-Verlag sein Buch »Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen – Begründungen einer Postwachstumsökonomie«. Die Jungle World sprach mit Karathanassis über seine ­Kritik am Kapitalismus, an marxistischen Wachstumsfetischisten sowie an der ­Umweltbewegung.

Nach dem Pariser Klimagipfel (COP 21) Ende vergangenen Jahres gaben sich hinterher fast alle Teilnehmer zufrieden. Wie würden Sie, mit einigen Wochen zeitlichem Abstand die Ergebnisse beschreiben?

Angesichts des nicht mehr zu leugnenden Klimawandels musste es nach all den gescheiterten Verhandlungen das vordringlichste Ziel sein, Erfolge zu präsentieren. So wird ein Minimalkonsens auf der Basis einer »freiwilligen Verbindlichkeit« ohne Sanktionsmöglichkeiten als historischer Durchbruch interpretiert. Die Ergebnisse des Gipfels haben den Charakter eines moralischen Imperativs. In der Praxis wird die Moral aufgrund mächtiger ökonomischer und politischer Interessen, die ihr entgegenstehen, aber in ihre Schranken verwiesen.

Erfolg misst sich letztlich nicht daran, was ausgehandelt wird, sondern an konkreten praktischen Maßnahmen. Und es sollte auch nicht – wie auf der COP 21 beschlossen – erst nach fünf Jahren überprüft werden, ob diese auch wirklich umgesetzt wurden. Wäre man vom Erfolg der Verhandlungen so überzeugt, wie es nach außen scheint, wären Rücktrittsankündigungen verantwortlicher Politiker und Unternehmensschließungen nur konsequent, falls es in einer bestimmten Zeit nicht gelingt, den Ausstoß klima-relevanter Gase signifikant zu senken. Diese blieben bisher aus und der notwendige grundlegende Wandel wurde auch nicht beschlossen.

Was wäre für Sie der Maßstab für einen Gipfelerfolg gewesen?

Eine wirklich historische Wende hin zu einer »Dekarbonisierung« wäre etwas anderes gewesen: das verbindliche Abschalten von Kohlekraftwerken, das sofortige Bereitstellen der erforderlichen finanziellen Mittel für den Aufbau regenerativer Energiequellen, die ersetzend und nicht ergänzend zu fossilen eingesetzt werden, und vieles mehr. Würden Dekarbonisierungsmaßnahmen nicht umgesetzt, müssten spürbar und schnellstmöglich ökonomische Sanktionen folgen. Ein Großteil der fossilen Energieträger müsste also in der Erde bleiben; das würde aber entgangene Profite bedeuten. All das geschieht nicht oder nicht ausreichend, so dass sich auch hier wieder einmal zeigt, wie mit zweierlei Maß gemessen wird. Im Zuge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 war es äußerst schnell und unbürokratisch möglich, »Rettungsschirme« in Milliardenhöhe für systemrelevante Banken auf Kosten von Millionen von Menschen bereitzustellen. Die Menschen und die äußere Natur, die von der Klimakrise betroffen sind, scheinen nicht als systemrelevant zu gelten. Das System der Kapitalakkumulation hat also Priorität. Es scheint so, als müsse man sich einer versachlichten, gottähnlichen Macht – der Macht der Kapitale – alternativlos beugen. Doch zumindest eines ist klar: Es gibt keine Alternativen zur Natur; es gibt auch keine Alternativen zur Ökonomie, aber es gibt Alternativen zur kapitalistischen Form der Ökonomie.

Sie haben im VSA-Verlag ein Buch mit dem Titel »Kapitalistische Naturverhältnisse« veröffentlicht. Was verstehen Sie darunter und welche Rolle spielt die Marxsche Ökonomiekritik dabei? Insbesondere da in der Umweltbewegung Marx vorgeworfen wird, ein Anhänger des kapitalistischen Fortschrittsdenkens gewesen zu sein und keinen Blick für die Probleme der Umwelt gehabt zu haben.

Zunächst einmal sollte man betonen, dass Marx mehr als einen Blick für den kapitalistischen Umgang mit der Natur hatte. Das ließe sich mit einer Reihe von Zitaten belegen. Aber insbesondere seine Kritik der politischen Ökonomie ist geeignet, über die Analyse ökonomischer Gesetzmäßigkeiten das Verhältnis von Kapital und Natur zu entschlüsseln. Diese Kritik ist zwar nicht ausreichend, aber unerlässlich.

In »Kapitalistische Naturverhältnisse« geht es verkürzt gesagt um die Frage, wie der Kapitalismus mit der Natur umgeht, was die Gründe dafür sind, welche Folgen das hat und welche Bedeutung das letztlich für die Entwicklung gesellschaftlich-ökonomischer Alternativen hat.

Eine Abgrenzung vom Marxschen Fortschrittsglauben, wie beispielsweise im »Kommunistischen Manifest« beschrieben, ist insbesondere für die Skizzierung dieser Alternativen wichtig, da – anknüpfend an Walter Benjamins kritischen Verweis auf das Marxsche Revolutions- und Fortschrittsverständnis – nicht nur die Geschwindigkeit der Entwicklung, sondern vor allem die Richtung des Fortschritts in Frage gestellt werden muss.

Ein Kapitel Ihres Buches befasst sich mit postfordistischen Naturverhältnissen. Was kennzeichnet diese?

Postfordistische Naturverhältnisse sind zunächst nicht dadurch gekennzeichnet, dass mit wesentlichen fordistischen Wachstumstreibern gebrochen wird, zum Beispiel der Steigerung der Produktivkräfte oder dem Massenkonsum. Im Gegenteil, sie werden auf höherentwickelter Stufe weitergeführt, etwa durch von Mikroprozessoren gesteuerte Produktionssysteme und elektronische Massenwaren, so dass Märkte durch Informations- und Kommunikationstechnologien erweitert werden. Der Einzug von »Biotechnologien« in Produktionsprozesse und die Zunahme gentechnisch veränderter Waren kennzeichnen ebenfalls eine neue Qualität im Umgang mit der Natur. Diese wird nicht mehr nur von außen, sondern nun auch von innen nach renditeorientierten Kriterien verändert. Kriterien der Kapitalverwertung werden so der Natur innerlich. Ähnlich wie es zunehmend von Lohnarbeitenden gefordert wird, die Interessen des Unternehmens zu verinnerlichen, sich mit diesem bis zur Unkenntlichkeit ihres Selbst zu identifizieren, werden der Natur ihr fremde »Gesetze« aufgezwungen.

Diese globalen Überformungen sind nur einige neue Schritte der Gestaltung von Gesellschaften und Natur nach Maßgabe der Kapitalrentabilität. So sind wir auf dem Weg zu einer globalen »Kapitalgesellschaft«, in der sowohl Menschen als auch die äußere Natur immer mehr als Mittel zum Zweck der Profitmaximierung instrumentalisiert werden, was eine Verkehrung von Verhältnissen ist, in denen sich immer mehr den Interessen der Kapitale unterordnen soll und nicht die Ökonomie primär den Interessen der Menschen dient.

In den letzten Kapiteln sprechen Sie von einer Postwachstumsökonomie. Was verstehen Sie darunter?

Um nur einige Schlagworte zu nennen: Ökonomische Prozesse würden nicht mehr auf maximalen Output abzielen, sondern müssten nach Kriterien der Bedarfsdeckung umgestaltet werden. Das heißt, dass die Ökonomie nicht überall schrumpft, sondern nur das Übermaß an Produktion, Verkehr und Konsum verschwindet. Das hätte auch ein gänzlich anderes Krisenverständnis zur Folge. Möglich wäre das nur, wenn an Stelle der Kapitallogik die Logik der Bedarfsdeckung zur Praxis wird. Problematisch ist hierbei aber nicht nur die Bedarfsbestimmung; was Menschen wirklich brauchen, ist nur eine von vielen Fragen einer damit verbundenen Konsumkritik.

Entscheidend ist in einer Postwachstumsökonomie, dass weniger stoffgebundene ökonomische Prozesse stattfinden, denn die Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch und -zerstörung ist trotz Fortschritten in der Energie- und Materialeffizienz nicht möglich. Man braucht also eine umfassende Wende, sozusagen eine positive Krise, die nicht nur einen Wertewandel anstrebt und politische Machtverhältnisse in Frage stellt; es ist insbesondere eine andere Ökonomie notwendig, die nicht mehr auf maßloses Wachstum abzielt und vortäuscht, Massenkonsum sei für das Wohl der Menschheit unumgänglich. Das reicht selbstverständlich nicht aus, eine Postwachstumsökonomie zu umreißen. Es kann nur die Richtung andeuten, vieles ist noch unklar, muss erforscht und praktisch entwickelt werden.

Die Interessensgemeinschaft Roboterkommunismus in ihren 16 Thesen zur Leipziger Degrowth-Konferenz im Jahr 2014: »Der Kardinalfehler der gesamten Bewegung besteht in ihrer Überhöhung des ›Wachstums‹ zum Inbegriff aller Übel, zum scheinbar letzten Grund gesellschaftlicher Prozesse und somit auch zum Hebelpunkt einer qualitativen politischen Veränderung.« Stimmen Sie dieser These zu?

Ein Defizit des »Degrowth-Mainstream« ist die nicht ausreichende Verknüpfung von Wachstums- und Kapitalismuskritik. Gäbe es diese, wäre es klarer, dass Kapitalismus ohne Wachstum und somit auch ohne wachsenden Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen nicht möglich ist. Bisherige Effizienzfortschritte und die Natur schonende Lebensweisen reichen nicht aus und werden von den kapitalistischen Wachstumsausmaßen mehr als nur kompensiert. Eine Wachstumskritik, die auf halbem Weg verharrt, kann bestenfalls zur Entschleunigung, aber nicht zur Verhinderung von Katastrophen beitragen.

Nach der Lektüre Ihres Buches muss man zu dem Fazit kommen, im Kapitalismus sei ein Ende der Naturzerstörung nicht möglich. Wäre da eine Revolution nicht der beste Beitrag zum Umweltschutz?

Wenn Probleme letztlich nur gelöst werden können, wenn ihre Ursachen beseitigt werden, dann bedeutet das, dass gesellschaftliche Großkrisen, wie die Ausmaße der Naturzerstörung oder Massenarmut, nur gelöst werden können, wenn wesentliche Ursachen dieser Krisen beseitigt werden. Und damit ist klar: Der Kapitalismus muss weg und emanzipatorischer Widerstand ist im wahrsten Wortsinn notwendig. Offen ist jedoch, wie »gewährleistet« werden kann, dass die Postkapitalismen auch wirklich emanzipatorisch sein werden. Die Frage, inwieweit das realistisch ist, möchte ich mit Herbert Marcuse beantworten, der sagte: »Der unrealistische Klang dieser Behauptung deutet nicht auf ihren utopischen Charakter hin, sondern auf die Gewalt der Kräfte, die ihrer Verwirklichung im Wege stehen.«

http://jungle-world.com/artikel/2016/04/53406.html

Interview: Peter Nowak

Kapitalismus killt Klima und Umwelt

Diskussion Athanasios Karathanassis zeigt, wie das Profitstreben den Raubbau an der Natur vorantreibt

Viel wurde im Vorfeld des Pariser Klimagipfels über die Umwelt und den Klimawandel geredet. »Was aber zumeist ausblieb, ist eine explizite Auseinandersetzung mit dem Konnex Kapitallogiken, Kapitalstrategien, Wachstum und Naturzerstörung«, schreibt der Politologe Athanasios Karathanassis im Vorwort zu seinem kürzlich im VSA-Verlag erschienenen Buches »Kapitalistische Naturverhältnisse«.

Leider erwähnt er die wenigen Ausnahmen nicht. Dabei sorgte die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein mit ihrem im letzten Jahr erschienenen Buch »Die Entscheidung Kapitalismus versus Klima« für heftige Diskussionen in der Umweltbewegung. Auch Klein kam wie Karathanassis zu dem Schluss, dass es mit und im Kapitalismus keine Lösung der Klimakrise geben kann.

Wir haben aber keine Zeit mehr für eine Debatte über die Veränderung der Gesellschaft, antworten viele Umweltgruppen. Damit begründen sie, warum sie die Umweltprobleme mit den kapitalistischen Instrumenten und den Großkonzernen bewältigen wollen. Dagegen richtet sich Karathanassis` Streitschrift. Der Autor verortet die Ursachen der Naturzerstörungen in der kapitalistischen Produktionsweise und zeigt auf, wie illusionär es ist, die Umwelt mit den kapitalistischen Strukturen retten zu wollen.

Im ersten Kapitel widmet sich Karathanassis den Naturverhältnissen, analysiert Ökosysteme und gibt einen Einblick in das Entropiegesetz; damit wird die Transformation von verfügbarer in nicht nutzbare Energie bezeichnet. So entsteht bei der Verbrennung von Kohle und Gas Rauch, der nicht mehr in den Ausgangsstoff zurück verwandelt, also nicht mehr in den Naturkreislauf eingespeist werden kann. Karathanassis zeigt dann auch auf, wie im Laufe der menschlichen Entwicklung diese Entropie immer mehr angewachsen ist. Schon durch die Sesshaftwerdung der Menschen stiegen der Energieverbrauch und auch die Entropie stark an. Doch erst die industrielle Revolution schuf Grundlagen für eine massive Ausbreitung der Entropie. Nicht nur das absolute Ausmaß der Energienutzung, auch der Energiedurchlauf je Arbeitszeiteinheit wuchs enorm an.

In einem eigenen Kapitel zeigt Karathanassis die extensive Ressourcen- und Stoffnutzung am Beispiel von Öl, Kohle und Gas, aber auch an der Überfischung der Meere. An vielen Einzelbeispielen weist er nach, dass es der Drang nach Profit ist, der den Raubbau an der Natur vorantreibt. »Der sich verwertende Wert und die Verknüpfung der Wertsteigerung mit der Steigerung der Stoffnutzung sind kapitalistische Wesenselemente, die der Natur bzw. ökologischen Prozessen widersprechen. Hierdurch werden sie zu Ursachen von Raubbau und Naturzerstörung«, schreibt er.

Dennoch endet sein Buch nicht fatalistisch. In den letzten Jahren sei das Bewusstsein über die Naturzerstörung weltweit gewachsen, schreibt Karathanassis und verweist auf die Vielzahl der Publikationen zum Thema. »Es gibt Alternativen zur kapitalistischen Form der Ökonomie«, schreibt er im letzten Kapitel. Wer ein komplexes Programm erwartet, wird allerdings enttäuscht. Die Alternativen müssten von Basisinitiativen ausprobiert werden, betont Karathanassis. Prägnant begründet er, warum man vom Kapitalismus nicht schweigen kann, wenn es um die Umwelt geht.

Athanasios Karathanassis: Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen, Begründungen einer Postwachstumsökonomie. VSA-Verlag, Hamburg 2015. 240 Seiten, 22,80 EUR.

analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 611 / 15.12.2015

https://www.akweb.de/

Von Peter Nowak

Baumbesetzung endet mit Geldstrafen

Nach ihrem Protest gegen den Weiterbau der Autobahn A 100 landeten Aktivisten vor Gericht

Im Januar 2013 besetzten Aktivisten im Protest gegen den Weiterbau A 100 mehrere Bäume. Der Prozess gegen einzelne Aktivisten endete, vorerst, am Mittwochabend.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte am Mittwochnachmittag zwei Gegner der Autobahn A 100 zu Geldstrafen in der Höhe von 350 bzw. 400 Euro. Sie hatten sich am Widerstand gegen den Weiterbau der Autobahn A 100 beteiligt.

Im Januar 2013 hatte das »Aktionsbündnis A 100 stoppen!« und die Umweltorganisation Robin Wood eine Baumbesetzung an der Grenzallee in Neukölln gestartet. Über ein Jahr blieben die Pappeln besetzt und wurden ein sichtbarer Ort des Widerstandes gegen die Stadtautobahn. Am 3. Februar beendete ein Großaufgebot der Polizei die Besetzung. Unmittelbar danach nahm die Stadt das Gelände in Besitz. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sich am Tag der Räumung auf dem Gelände aufgehalten und damit den Hausfrieden gebrochen zu haben. Zunächst hatten fünf A 100-Gegner Strafbefehle wegen Hausfriedensbruch erhalten und dagegen Einspruch eingelegt. Zwei Verfahren waren bereits vor Wochen eingestellt worden. Am Mittwoch war mit Peter Schwartz ein weiterer Angeklagter freigesprochen worden. »Durch öffentlich zugängliche Foto- und Videoaufnahmen war nachweisbar, dass ich mich außerhalb des Geländes aufgehalten hatte, sodass der Vorwurf Hausfriedensbruch haltlos war. Dies war zuvor im Zuge der Anklageerhebung ignoriert worden«, sagte Schwartz dem »nd« und kritisierte, dass er überhaupt angeklagt wurde.

In Prozesserklärungen haben die Angeklagten auf die politische Dimension des Verfahrens hingewiesen. Sie verwiesen darauf, dass für den Weiterbau der A 100 mittlerweile mehrere gut erhaltene Wohnhäuser in der Beermannstraße in Treptow gegen den Protest von Mietern und der Stadtteilinitiative Karla Pappel abgerissen werden (»nd« berichtete). Selbst der Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja wollte die Gebäude für die Unterbringung von Geflüchteten nutzen.

Die Robin Wood-Pressesprecherin Ute Bertrand sagte, die Proteste gegen die A 100 seien mit großem Aufwand kriminalisiert worden.

Schließlich waren dafür vier Prozesstage angesetzt, was auch für die Angeklagten zusätzliche Belastungen über die Geldstrafen hinaus bedeutete. »Das gesamte Verfahren war nur möglich, da die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch unter Michael Müller (SPD), der inzwischen Regierender Bürgermeister von Berlin ist, einen Strafantrag gestellt hatte, den sie bis heute aufrechterhält«, kritisiert Bertrand.

Dabei hatte Müller in einem Brief an zwei Mitglieder der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, Dirk Behrend und Harald Moritz, betont, dass der Senat nicht gegen alle Personen, die auf dem geräumten Grundstück angetroffen worden waren, Strafantrag stellt. Doch bereits am ersten Verhandlungstag lehnte der A 100-Projektleiter bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Arne Huhn, die Rücknahme der Anzeigen ab. Mit dem Urteil ist die Angelegenheit juristisch noch nicht beendet. Die beiden Verurteilten haben Rechtsmittel angekündigt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/992730.baumbesetzung-endet-mit-geldstrafen.html

Peter Nowak