
Als »Reformer der Gewerkschaftspresse« wird Hermann Scheffler vom Historiker und emeritierten Politikprofessor Siegfried Mielke in einem kürzlich im Metropol Verlag erschienenen Band charakterisiert. Doch dass der Verlag den bisher weitgehend unbekannten Scheffler auf 194 Seiten würdigt, liegt vor allem daran, dass er …
… Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime war. Es ist das jüngste Buch der verlagseigenen Reihe »Gewerkschafter im ationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration«. Im Vorwort stellt Mielke den Band in einen größeren Zusammenhang: »Die vorliegende Biographie über Hermann Scheffler im Widerstand gegen das NS-Regime ist Teil eines größeren Projekts über Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen während der NS-Zeit. In überschaubare Einzelprojekte aufgeteilt, wird der Versuch unternommen, die vom DGB in den 1950er und 1960er Jahren geplanten Projekte einer ›Ehrentafel‹ bzw. eines ›Goldenen Buches der Treue‹, die beide in den Anfängen stecken blieben, zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen« (S. 7). Schon wenige Jahre nach dem Ende des NS hatten ehemalige Nazis in der Bundesrepublik
wieder Fuß gefasst. Aktiver Widerstand gegen den NS war dagegen nicht karrierefördernd. Dieses politische Klima zeigt sich auch darin, dass nach Schefflers frühem Tod 1951 seine antifaschistische Arbeit vergessen wurde.
Das Buch holt die ausgebliebene Würdigung fast 75 Jahre nach Schefflers Tod nach und schreibt ein Stück bisher weitgehend unbekannter Geschichte des gewerkschaftlichen Widerstands gegen den NS. Erfreulich ist, dass dabei die bis heute offenen Fragen klar benannt werden.
Verdienste, Illusionen, Widerstand
Zunächst wird Schefflers Aufstieg im Deutschen Holzarbeiter-Verband (DHV) beschrieben, der vor dem Ersten Weltkrieg begann und mit einer aktiven Mitgliedschaft in der SPD verbunden war. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgenden revolutionären Ereignisse, die die Spaltung der Arbeiter:innenbewegung vorantrieben, scheinen Scheffler wenig tangiert zu haben. Mielke schreibt, dass er »weder zu den Anhängern der Anti-Kriegs-Opposition noch zu Beginn der Novemberrevolution zu deren aktiven Unterstützern« (S. 32) gehörte. Bekannt wurde er in der Weimarer Republik als Erneuerer der Gewerkschaftspresse. In einem Protokoll des Verbandstags des Deutschen Holzarbeiter-Verbands wird »Hermann Schefflers Rolle bei der Revolutionierung der Aufmachung der Gewerkschaftspresse« (S. 35)
besonders hervorgehoben. Ihm sei es zu verdanken, dass die Holzarbeiter-Zeitung (HAZ) von einem tristen Funktionärsblatt zu einer Zeitung wurde, die auch von den Frauen der überwiegend männlichen Gewerkschaftsmitglieder gelesen wurde. Sowohl eine moderne Gestaltung als auch die Erweiterung des Themenspektrums – Unterhaltung und Kultur, aber auch Rechtliches fanden Platz – machten die HAZ attraktiver. Im Weiteren geht Mielke auf Schefflers Haltung zum aufsteigenden Nationalsozialismus ein. Mit vielen sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär:innen teilte er 1933 noch die
Illusion, die Gewerkschaften könnten ihre Rolle als Verhandlungspartner bei der Aushandlung des Preises der Ware Arbeitskraft behalten. »Noch am 15. April 1933 vertrat die HAZ, deren langjähriger Redakteur Scheffler war, die Parole ›Gewerkschaften sind unentbehrlich‹, denn ohne die ›leistungsfähigen Gewerkschaften‹ seien die Probleme der kranken deutschen Wirtschaft nicht zu lösen« (S. 46). Doch spätestens nach der Zerschlagung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) am 2. Mai 1933 musste auch Scheffler erkennen, dass das NS-Regime für den Betriebsfrieden die Hilfe der Reformgewerkschaften nicht brauchte. Er verlor damit auch seine Anstellung als Redakteur der HAZ. Von politischer Verfolgung blieb Scheffler zunächst verschont, was Mielke auch damit erklärt, dass er kein politisches Amt in der SPD ausgeübt hatte. »Unter Widerstand verstand Scheffler in erster Linie, den Zusammenhalt zwischen den ehemaligen DHV-Mitgliedern zu wahren und den Gewerkschaftsgedanken aufrechtzuerhalten« (S. 114), betont Mielke. Im Unterschied zu den Kommunist:innen verzichteten die sozialdemokratischen Gewerkschafter:innen in ihrem Kampf gegen den NS weitgehend auf das
Verteilen von Flugblättern und das Abhalten von Konferenzen. Im Buch geht Mielke ausführlich auf die Arbeit des Vertrauensnetzwerks ehemaliger
DHV-Mitglieder und der »Illegalen Reichsleitung der Gewerkschaften« (IRL) ein. Dabei betont er, dass deren Bedeutung für den Widerstand gegen den NS bis heute strittig ist: »Trotz intensiver Recherchen, um entsprechende Belege für eine ›Illegale Reichsleitung‹ des DHV als organisatorischen Unterbau der IRL zu finden, blieb das Ergebnis eher unbefriedigend« (S. 101). Bewiesen ist allerdings, dass Scheffler seine Arbeit in einem Verlag nutzte, um Kontakte zu ehemaligen Funktionär:innen und Mitgliedern des DHV aufzubauen. Auch bei seinen Geschäftsreisen ins Ausland traf er ehemalige Gewerkschaftskolleg:innen. Dafür hat Mielke zahlreiche Zeugnisse gefunden. Unklarer ist die Quellenlage über die Intensität der internationalen Kontakte, vor allem mit holländischen Gewerkschafter:innen.
Ermordete Kollegen
Ins Visier der NS-Repressionsorgane geriet Scheffler erst, als ihnen nach der Besetzung des tschechischen Sudetenlandes durch die Wehrmacht Dokumente der »Auslandsvertretung der Deutschen Gewerkschaften« (ADG) in die Hände fielen. Auch als Büros des deutschsprachigen Internationalen Metallarbeiterverbands in der Tschechoslowakei durchsucht wurden, fand
man Zeugnisse über Schefflers Aktivitäten gegen den NS. Am 3. Juli 1939 wurde er wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« verhaftet. Zunächst war er im Polizeipräsidium am Berliner Alexanderplatz inhaftiert, von dort wurde er ins KZ Sachsenhausen verbracht und dann bis zum Beginn des Prozesses in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Scheffler schrieb in der Haft Tagebuch, zwei Seiten daraus sind im Buch abgedruckt. Dort notierte er: »Ich könnte mich beinahe vor mir selber fürchten. In diesen zwanzig Wochen Haft
mit den vielen Herz und Nieren verzehrenden Erlebnissen bin ich um mindestens zehn Jahre gealtert« (S. 56). Zu besagten Erlebnissen gehört die Ermordung der Gewerkschafter Lothar Erdmann und Hermann Jochade im September 1939 im KZ-Sachsenhausen, die Scheffler mitbekam. Sie wurden von der SS tagelang schwer gefoltert. »Besonders der Tod von Lothar Erdmann, den Hermann Scheffler als Vorsitzender des Fachausschuss der Gewerkschaftspresse gut kannte, muss ihn tief getroffen haben« (S. 57), schreibt Mielke. 1946 verfasste Scheffler Erinnerungen, in denen er auf die grausigen Details des Mords einging: »Durch das Schlagen und Treten in alle Körperteile hatten auch die inneren Organe schweren Schaden gelitten. Erdmann konnte, als ich ihn sprach, schon seit Tagen keinen Urin lassen, hatte keinen Stuhlgang mehr, weil seine Organe nicht mehr funktionierten. Daher auch sein aufgedunsenes Gesicht und sein geschwollener Körper. ›Lieber S.‹, stammelte er unter Tränen, ›ich muss sterben (…)‹. Zwei Tage später war er tot« (S. 57). Scheffler wurde am 4. Oktober 1940 mangels Beweisen aus der Haft entlassen. In den folgenden Jahren arbeitete er u.a. als Schriftleiter für Fachzeitungen, die auch NS-freundliche Artikel veröffentlichten. Das wurde ihm nach 1945 von Gewerkschaftskolleg:innen vorgeworfen. Genutzt hatte ihm seine Tarntaktik allerdings nur bedingt – er stand weiterhin unter Beobachtung der Gestapo und riskierte u.a. ein weiteres Hochverratsverfahren. Auch auf diese Auseinandersetzung unter Gewerkschafter:innen nach dem Nationalsozialismus geht Mielke im Buch ein. Ihm ist es gelungen, den Widerstand eines Gewerkschafters bekannt zu machen, ohne ihn auf ein Denkmal zu stellen. Die Würdigung von Schefflers Arbeit, die vor
Jahrzehnten versandete, wird damit heute nachgeholt.
- Peter Nowak ist freischaffender Journalist und Aktivist.
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