Hermann G. Abmayr (Hg.): Willi Bleicher. Texte eines Widerstän- digen. Briefe aus dem KZ, Reden und Interviews. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2025, 460 Seiten, 24,80 Euro

Nicht kleinmachen lassen

Ein Buch erinnert an den antifaschistischen Gewerkschafter Willi Bleicher. Früh warnte Bleicher auch vor dem wieder erstarkenden Antisemitismus in der BRD. Weil er im KZ Buchenwald den jüdischen Jungen Jerzy Zweig vor der Deportation versteckt hatte, wurde Bleicher 1965 in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. Es ist gut, dass Abmayr mit dem Buch an ihn erinnert. Er ist noch heute eine Inspiration.

Du sollte Dich nie vor einem lebenden Menschen bücken«: Dieser Satz hat in den späten 1970er-Jahren in der BRD viele junge Leute inspiriert. Es war das Lebensmotto von Willi Bleicher, einem linken IG-Metall-Gewerkschafter, der damals für viele Menschen ein Vorbild war, die sich gegen alte und neue Nazis engagierten. Heute ist der schon 1981 verstorbene Bleicher wenig bekannt. Da ist es um so erfreulicher, dass der Historiker Hermann G. Abmayr …

… mit einem neuen Buch an ihn erinnert.

In dem umfangreichen Band sind Texte aus verschiedenen Lebensphasen des Gewerkschafters abgedruckt. Darunter die Rede, die Bleicher zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Preises im Jahr 1978 gehalten hat. Darin geht er auf die Hinter- gründe des so viel zitierten Satzes ein: »Ich liebte sie nicht, meine Schullehrer, die mir als siebenjäh- rigen Jungen befahlen, mich zu bücken, damit der Rohrstock nicht nur meinem Hinterteil Schmerzen bereitete, sondern auch meinem kindlichen Gemüt. So lernte ich beizeiten die Erkenntnis, mit welchen Mitteln und Methoden die Menschen kleingemacht werden« (S. 420).

Gewerkschafter und Kommunist

Bleicher war kein Intellektueller, er war zunächst Hilfsarbeiter im Bäcker-, dann im Metallgewerbe. Nach 1945 war er Funktionär der IG Metall in Baden-Württemberg und gehörte dort zu den linken Gewerkschafter*innen mit kommunistischem Hintergrund. Selbst für ihn gilt, dass Arbeiter*innen wenig schriftliche Zeugnisse hinterlassen.

Auf den ersten 100 Seiten des Buches sind die Briefe abgedruckt, die Bleicher aus den verschie- denen NS-Gefängnissen und dann dem KZ Buchenwald an Familienmitglieder geschrieben hatte. Fast in allen diesen Schreiben betont er, dass es ihm gut gehe und sich die Adressant*innen keine Sorgen machen sollten. Wie er sich wirklich fühlte, erzählt Bleicher 1973 in einem Interview mit dem Fernsehjournalisten Klaus Ullrich, das in dessen Nachlass gefunden wurde und im Buch erstmals veröffentlicht wird. Darin schildert Bleicher, wie er nach der Verbüßung seiner Haftstrafe in das KZ Bu- chenwald deportiert wurde, wo er Teil der kommu- nistischen Widerstandsbewegung wurde. Dort blie- ben ihm auch die mit schwerer Folter verbundene Verschleppung in den Bunker und die Todesmär- sche in den letzten Wochen des NS nicht erspart.

Das Interview gibt auch gute Einblicke in die Politisierung eines Arbeiterkindes. Die Schule erlebte er als ungeliebte Zwangsanstalt. Erst im kommunistischen Jugendverband verschaffte er sich Bücher und gründete einen Lesekreis zum Thema Geschichte der Arbeiter*innenbewegung. Bleicher beschrieb, wie er in Opposition zum Kurs der KPD unter Thälmann geriet und sich in der Kommunistischen Par- tei-Opposition (KPO) organisierte, die schon früh für ein großes Bündnis der Arbeiter*innenparteien gegen die wachsende Nazibewegung eintrat und sich in der Gewerkschaftspolitik ebenfalls am Ein- heitsgedanken orientierte. Doch auch mit der KPO machte Bleicher nicht nur positive Erfahrungen. So berichtete er, dass er auf der Flucht vor der Verfol- gung ohne Geld und Kontakte in einer französischen Stadt von Genoss*innen abgewiesen wurde. Später erfuhr er, dass er aufgrund einer innerparteilichen Intrige für einen Nazispitzel gehalten wurde. Ein einschneidendes Erlebnis, das Bleicher noch 50 Jah- re später in Erinnerung blieb.

Er stürzte sich wieder in die politische Arbeit

Doch er entschloss sich trotz der drohenden Verhaftung zurück nach Deutschland zu gehen. Seine Arbeit in der illegalen KPO setzte er trotz der Enttäu- schungen bis zu seiner Verhaftung 1936 fort. Erst im April 1945 wird er von der US-Armee befreit. Er kehrt zurück nach Stuttgart und stürzt sich wie viele Widerstandskämpfer*innen sofort wieder in die politische Arbeit in der IG Metall und der KPD, aus der er 1950 austrat.

Im zweiten Teil des Buches sind neben einem Interview mit Erasmus Schöfer und Erhard Korn verschiedene Reden von Bleicher auf Gewerk-schaftskongressen veröffentlicht. Nach seinem Ausscheiden aus allen Gewerkschaftsfunktionen mit Erreichen des Rentenalters hatte Bleicher nur noch wenige Jahre Gelegenheit, auf antifaschistischen Demonstrationen oder Preisverleihungen aufzutreten. Oft sprach er als Redner für die VVN-BdA, de- ren Mitglied er bis zu seinem Tod war. Auch diese Reden sind dokumentiert.

Er meldete sich zu Wort, wenn alte SS-Männer sich zu Kameradschaftstreffen versammelten, und er warnte vor allen Formen des Neonazismus. Dabei sah er die Gefahr nicht nur am rechten Rand. Besonders die Kanzlerkandidatur des CSU-Rechtsaußen Franz Josef Strauß, der bekanntlich beste Kontakte zu Faschisten im In- und Ausland hatte, war für Bleicher Anlass zu Warnungen vor einer neuen Form des Fa- schismus. Früh warnte Bleicher auch vor dem wieder erstarkenden Antisemitismus in der BRD. Weil er im KZ Buchenwald den jüdischen Jungen Jerzy Zweig vor der Deportation versteckt hatte, wurde Bleicher 1965 in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. Es ist gut, dass Abmayr mit dem Buch an ihn erinnert. Er ist noch heute eine Inspiration. Peter Nowak

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