Eva Brunnemann, Tobi Rosswog (Hrsg): VW heißt Verkehrswende Konversion und Vergesellschaftung zwischen Theorie und Praxis Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2024 70 Seiten, 5 Euro ISBN 978-3-939045-52-6

In der Höhle des Löwen

Eine Broschüre zeigt, wo der Schlüssel für eine Verkehrswende liegt, die wirklich funktioniert. Interessant ist auch der Beitrag des langjährigen Bochumer Opel-Betriebsrats Wolfgang Schaumberg, der auch als Rentner noch seine Erfahrungen über linke Betriebsarbeit vermittelt.

VW steht für Volkswagen, den Inbegriff des deutschen Automythos – bekanntlich mit NS-Hintergrund …

…  (Rabe Ralf August 2023, S. 23). Wenn jetzt ein Büchlein den Titel „VW heißt Verkehrswende“ trägt, dann hört sich das zunächst größenwahnsinnig an. Doch liest man die knapp 70-seitige Broschüre, merkt man, dass selbst in Wolfsburg, wo die Autostadt von allen Seiten zu sehen ist und die Straßen nach der Porsche-Familie benannt sind, die Kritik an der Automobilgesellschaft ihren Platz gefunden hat.

Das ist auch ein Verdienst des Wohnprojekts Amsel 44, das im Sommer 2022 in Wolfsburg eingezogen ist, mit dem klaren Vorsatz, in der Höhle des Löwen den Kampf um die Verkehrswende aufzunehmen. Den theoretischen Hintergrund lieferte den jungen Leuten ein Zitat des Soziologen Stephan Lessenich. „Wer die kapitalistischen Produktionsverhältnisse umgestalten, ja umbrechen möchte – zum Schutz der natürlichen Restressourcen der Welt und zum Wohle der arbeitenden Menschen auf ihr“, so Lessenich, „der muss, statt in die Reservate der Paradiesvögel, in die Höhle des Löwen gehen: in die kapitalistische Produktion.“

Auto-Beschäftigte kommen zu Wort

Die AktivistInnen hätten sich auch von Johanna Schellhagens Film „Der laute Frühling“ inspirieren lassen können, in dem eine animierte Szene zeigt, wie Umweltaktive und VW-ArbeiterInnen gemeinsam dafür kämpfen, dass statt Autos sinnvollere Produkte produziert werden (Rabe Ralf August 2022, S. 23).

So weit sind sie bei VW noch nicht. Aber wer die gut strukturierte Broschüre liest, merkt, dass in und um Wolfsburg doch schon einiges in Bewegung geraten ist in Sachen Verkehrswende. Ein Höhepunkt war ein mehrtägiges Verkehrswende-Camp im Mai 2023 in der Wolfsburger Innenstadt. Diese kurze Geschichte, die noch nicht zu Ende ist, wird in der Broschüre in 30 kurzen Kapiteln erzählt. Es sind Stichpunkte, die zum Weiterlesen anregen sollen. Praktischerweise sind unter jedem Kapitel weiterführende Literatur- oder Film-Hinweise angegeben. Diese Aufbereitung des Themas soll wohl vor allem junge Menschen animieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ohne sie zu überfordern, werden sie an das Thema Verkehrswende herangeführt.

Es sind tatsächlich sehr viele Aspekte der Verkehrswende in der Broschüre versammelt und erfreulicherweise wird der anfangs formulierte Anspruch eingelöst. Man ist in die kapitalistische Produktion gegangen und hat unterschiedliche Beschäftigte der Autobranche zu Wort kommen lassen.

Nach der Kündigung die Fabrik besetzt

Ein Kapitel schreibt Dario Salvetti vom Fabrikkollektiv GKN in Campi Bisenzio bei Florenz. Die 422 ArbeiterInnen des Autozulieferers wurden im Juni 2021 fristlos gekündigt. Doch ein großer Teil von ihnen besetzte die Fabrik, mit dem Ziel, das Salvetti so beschreibt: „Die private Autoindustrie gibt Arbeitsplätze auf. Gibt Fabriken auf. Stattdessen ist unser Vorschlag, in die Produktion von öffentlichen Verkehrsmitteln zu investieren – die einzige wirklich nachhaltige Mobilität, die umweltverträglich, elektrisch und kostenlos ist.“

Das GKN-Kollektiv bekam in der letzten Zeit viel Unterstützung aus der italienischen Umweltbewegung und von linken Gruppen. Es gab einige Solidaritätsdemonstrationen und auch schon mehrere Festivals in der Fabrik. Aber Salvetti verschweigt auch nicht die Probleme, vor denen die Beschäftigten stehen: Sie sind mit einem Bündnis aus italienischer Rechtsregierung und Kapitalverbänden konfrontiert, die verhindern wollen, dass das GKN-Kollektiv Erfolg hat und ein Modell für andere werden kann. „Ich weiß nicht, wie lange wir weitermachen können mit unserem Kampf“, schließt Salvetti. „Hoffen wir, dass, wenn sie es schaffen, uns zu beerdigen, wir zumindest Inspiration sein können für zukünftige Pflanzen, die wachsen werden, für den Kampf in Wolfsburg, für die Vergesellschaftung von Volkswagen.“

Der Betriebsrat der Verkehrswende

Mit Lars Hirsekorn kommt ein langjähriger VW-Arbeiter in der Broschüre zu Wort, der seit 2022 auch VW-Betriebsrat ist. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob mit dem vorhandenen Maschinenpark die Produktion von Bussen und Bahnen statt Autos möglich ist  (Rabe Ralf Dezember 2020, S. 6). „Technisch und sachlich ist das wenig bestritten“, schreibt er. „Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Maschinen und Anlagen, die so speziell sind, dass sie kaum für etwas anderes taugen als zu dem vorgesehenen Zweck. Doch der Großteil lässt sich noch eine Weile verwenden. Grundsätzlich werden Maschinen und Anlagen aber ohnehin regelmäßig erneuert.“

Es gibt also kein technisches Argument gegen die Verkehrswende. Aber ist sie politisch gewollt? Das ist eine Frage von gesellschaftlichem Druck – und das heißt, man muss sich mit dem Kapitalismus anlegen. Hirsekorn spricht ganz deutlich davon, dass erst nach einer Sozialisierung des VW-Werks von einer Umwandlung im Sinne einer Verkehrswende geredet werden kann.

Linke Politik bei der Grünen Jugend

Dem stimmt auch Vito Brullo zu. Der Sprecher der Grünen Jugend Wolfsburg erkennt ganz klar: „Wir brauchen verdammt viele Menschen, die gemeinsam eine Konversion und Vergesellschaftung einfordern.“ Im Weiteren spricht Brullo auch von einem langen Atem, den man im Kampf gegen den Kapitalismus braucht – und davon, dass man mit Demonstrationen und Streiks die eigene Basis verbreitern und die Organisierung vorantreiben kann. Das sind alles richtige Erkenntnisse, nur bleibt die Frage, warum Brullo auch noch im Jahr 2024 glaubt, diese Ziele mit einer grünen Partei erreichen zu können. Schließlich ist es schon einige Jahrzehnte her, dass die organisierten ÖkosozialistInnen die Grünen verlassen haben.

Vielleicht will Brullo die Grüne Jugend ja nach österreichischem Vorbild an sozialistische Gruppen heranführen. In Österreich verbündeten sich maßgebliche Aktive der dortigen Grünen Jugend mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und sorgten für eine Modernisierung der traditionalistischen Partei, die danach beachtliche Wahlergebnisse in Graz, Salzburg und einigen anderen Städten eingefahren hat.

Selbstermächtigung statt Belehrung

Interessant ist auch der Beitrag des langjährigen Bochumer Opel-Betriebsrats Wolfgang Schaumberg, der auch als Rentner noch seine Erfahrungen über linke Betriebsarbeit vermittelt. Er warnt vor der Illusion, dass es schnell möglich wäre, die Beschäftigten von der Verkehrswende zu überzeugen. Spielen doch die meisten von ihnen Lotto – in der Hoffnung, nach einem Gewinn die Fabrik verlassen zu können. Aber Schaumberg sieht durchaus Ansatzpunkte für Aufklärung bei den ArbeiterInnen durch gut geschriebene Flugschriften, die vor den Fabriktoren verteilt werden. Dabei dürfe aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass Gruppen von außen den Leuten im Werk erzählen wollen, was sie machen müssten. Das komme nicht gut an. Ein leicht verständliches Flugblatt hingegen, das die Vorteile der Verkehrswende auflistet, könne Diskussionen in der Belegschaft auslösen, weiß Schaumberg als langjähriger Opel-Beschäftigter.

Es ist zu hoffen, dass die Aktiven in Wolfsburg, ob in der Fabrik oder vor den Werkstoren, den langen Atem aufbringen, der nötig ist, bis VW tatsächlich als Abkürzung für Verkehrswende steht.

Peter Nowak

Eva Brunnemann, Tobi Rosswog (Hrsg):
VW heißt Verkehrswende
Konversion und Vergesellschaftung zwischen Theorie und Praxis
Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2024
70 Seiten, 5 Euro

ISBN 978-3-939045-52-6

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verkehrswendestadt.de/vw-steht-fuer-verkehrswende