
In der Moderne dominierte der Glaube, die Welt ließe sich gestalten und der Fortschritt sorge quasi automatisch für ein besseres Morgen. Erderwärmung, Wachstumskrise und subjektive Überlastungen haben diesen Optimismus erschüttert. Heute geht es in erster Linie darum, die …
… Katastrophe abzuschwächen.“ Das schreibt der Berliner Soziologieprofessor Philipp Staab in seinem neuen Buch mit dem bezeichnenden Titel „Anpassung“. Doch an was sollen sich die Menschen anpassen, etwa an die Strukturen, die die Krise hervorgerufen haben? Diese Frage stellt sich Staab auf den 240 Seiten nicht.
Vielmehr geht es dort durchaus philosophisch um den Gegensatz von Anpassung und Selbstentfaltung. Wobei Staab unter Selbstentfaltung alle Formen der menschlichen Emanzipation versteht, sich also nicht nur auf manche Marotten der letzten 20 Jahre beschränkt. In dieser Zeit betrachteten es manche als Akt ihrer Selbstentfaltung, mit dem Flugzeug zum Diskobesuch nach Berlin zu jetten.
Selbsterhaltung statt Selbstentfaltung
Dass Staab einen viel umfassenderen Begriff von Selbstentfaltung infrage stellt, wird schon im ersten Satz seines Buches deutlich: „Könnte es sein, dass die moderne Semantik des Fortschritts, der Individualisierung, der Emanzipation und der Demokratisierung die falschen Anker für eine Analyse der Gegenwart und der erwartbaren Zukunft liefert?“ Staab bezieht sich hier auf Ulrich Becks Klassiker „Die Risikogesellschaft“, der 1986 ebenfalls im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Damals war es der Atomunfall von Tschernobyl, aber auch die Angst vor einem Atomkrieg, die Beck als Beleg für eine sich selbst gefährdende Zivilisation anführte.
Bei Staab kommen heute die Klimakrise und die Erfahrungen der Corona-Pandemie hinzu, die eine „Rückkehr von Selbsterhaltungsfragen umso dringender auf die Tagesordnung stellen“. Wenn er nun eine Gesellschaft beschreiben will, die vor allem von der Selbstentfaltung bestimmt ist, fallen ihm mit Verweis auf die Philosophin Eva von Redecker die Pilze „als Gegenmodell zum isolierenden Individualismus der Moderne“ ein. Es wirft schon Fragen auf, wenn auch linke AutorInnen auf eine Lebensform als Vorbild zurückgreifen, die sich kaum bewegt und damit als Gegenmodell zum flexiblen Menschen, der die Welt erkundet, gelten kann.
Ist das auch eine Absage an einen Begriff von Zivilisation, wie er nicht zuletzt im Umfeld der Frankfurter Schule vertreten wurde? Zivilisation hat demnach begonnen, als der Mensch nicht mehr nur den Unbilden der Natur ausgesetzt war. Deshalb war die Beherrschung des Feuers in der Frühzeit der Menschheit ein wichtiger Einschnitt auf dem Weg zur Zivilisation. Doch gerade Pilze sind Lebensformen, die ganz unmittelbar von ihrer natürlichen Umgebung abhängig sind. Wird hier nicht der gesamten Zivilisation eine Absage erteilt?
Rhetorik von Verzicht und Akzeptanz
Zumal Staab in seinem Buch von den gesellschaftlichen Bedingungen schweigt, die erst zu der Umweltkrise führten. So wird man in dem Buch den Begriff „Kapitalozän“ vergeblich suchen. Damit wollen antikapitalistisch Denkende betonen, dass es sich um eine vom Kapitalismus verursachte Umweltkrise handelt, für die eben nicht alle Menschen gleichermaßen verantwortlich gemacht werden können. Eine Kritik an den ökonomischen Grundlagen der heutigen Gesellschaft fehlt bei Staab, was umso erstaunlicher bei einem Philosophen ist, der in seinen Texten über den digitalen Kapitalismus bewiesen hat, dass er Karl Marx gelesen hat.
Diese weitgehende Ausblendung von Kapital- und Herrschaftsverhältnissen in dem Buch hat Folgen. So beruft sich der Autor nicht auf diejenigen in der Klimabewegung, die zur Lösung der Klimakrise auch einen „System Change“ fordern. Er bezieht sich stattdessen auf Positionen der vornehmlich bürgerlichen Umweltbewegung, die eine technokratische Herrschaft propagiert, die von politischen Interessen möglichst verschont bleiben soll.
Vor allem im letzten Kapitel macht sich Staab für eine solche Technokratie stark, die er mit verschiedenen freundlichen Attributen belegt. Dabei betont er, dass eine solche Technokratie „keineswegs die entpolitisierte Herrschaft kapitalistischer Sachzwänge“ sein müsse. Da aber im gesamten Buch keine Kapitalismuskritik geübt wird, bleibt dieser Anspruch weitgehend uneingelöst. Zumal die technokratische Herrschaft schon immer behauptet hat, nur Sachzwänge und keinesfalls kapitalistische Einzelinteressen zu vertreten. Es ist nicht erkennbar, wie sich Staabs „protektive Technokratie“ davon unterscheiden soll. Deshalb droht Staabs technokratische Vision eher die Herrschaft einer Kapitalfraktion zu werden, die die Zumutungen für die große Mehrheit der Menschen nun auch mit der Klimakrise begründen und sie von der demokratischen Diskussion fernhalten will.
Weiterentwickeln statt anpassen
„Demokratisierung im Sinne einer Erweiterung deliberativer Beteiligungsverfahren oder subpolitischen Aktivismus bilden im Feld nicht das anvisierte Programm“, formuliert Staab sehr soziologisch verbrämt einen Grundsatz, den die Profiteure der Gesellschaft gerne hören werden. Nicht nur soziale Bewegungen, auch Bürgerräte sollen draußen bleiben.
Irritierend ist auch, dass Staab in einem Kapitel Zitate aus einer nicht repräsentativen Umfrage verwendet, in der Menschen zum Umgang mit der Corona-Pandemie befragt wurden. Dabei wurde über Staatsversagen, aber auch über zu viel Demokratie geklagt. Manche wollen längere Legislaturperioden, andere eine Herrschaft, die über dem Parteienstreit steht. Hier findet man eindeutig Elemente für autoritäre Lösungen, die Staab aber nicht als solche kritisiert. Vielmehr führt er sie an, um seine der Politik enthobene technokratische Herrschaft zu begründen.
Es ist zu hoffen, dass das Buch eine Diskussion auslöst, an der sich auch Klimabewegte beteiligen, die angesichts der Klima- und Umweltkrise nicht der Anpassung an eine angeblich ökologische Technokratie das Wort reden. Das Buch zeigt aber auch, dass eine linke Kritik an Kapital und Herrschaft entwickelt werden muss, die sich in der Auseinandersetzung mit Staabs Thesen bewähren und deutlich machen müsste, dass der Grundpessimismus im Spätkapitalismus nicht das Ende von Zivilisation und Emanzipation sein muss, wenn sich genügend Gegenkräfte für eine andere Gesellschaft mobilisieren lassen. Sie setzen nicht auf die Anpassung an ein kapitalistisches System, sondern auf Widerstand dagegen.
Utopien eines anderen Lebens
Sie verwenden auch nicht eine Rhetorik des Verzichts, sondern stellen die notwendigen Veränderungen in den Kontext einer Utopie des guten Lebens: „Wir können nicht nur einfach sagen, dass wir von allem weniger brauchen – weniger Autos, weniger Kreuzfahrtschiffe, weniger Inlandsflüge –, sondern wir brauchen vor allem mehr: mehr Konzepte, die uns ein Leben ermöglichen, in dem wir produzieren, ohne Körper und Umwelt kaputt zu machen“, schrieb die Ärztin und Klimaaktivistin Lakshmi Thevasagayam in ihrer Klimakolumne in der Tageszeitung Neues Deutschland. „Ein Mehr von einer Gesellschaft, in der sich die Menschen füreinander einsetzen.“
Peter Nowak
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