Combe Sonia, Loyal um jeden Preis – Linien-treue Dissidenten im Sozialismus, Christian Links-Verlag, 268 Seiten, 25 Euro, ISBN: 978-396289-141-1

Linientreue Dissident:innen in der DDR

Die Historikerin Sonia Combe greift in ihrem Buch das Thema von linken Intellektuellen in der DDR auf, die kritisch der SED-Führung gegenüberstanden. Für diese Menschen kam eines nie infrage: Nach «Drüben» zu gehen, in das Land der Gehlens und Globkes.

«Georg Lukàcs empfängt Anna Seghers, die mit der tschechoslowakischen Fluggesellschaft angekommen ist, auf dem Flughafen Budapest, Februar 1952». So lautet die Bildlegende unter einem Foto, das zwei bekannte kommunistische Künstler:innen mit einer teilweise sehr unterschiedlichen Biographie zeigt.  Anna Seghers gilt als DDR-Schriftstellerin, die zumindest nach Aussen hin keine Differenzen zur SED-Politik zeigte, was dann mit dem fragwürdigen Adjektiv «linientreu» garniert wird. Georg Lukàcs war Aktivist der kurzlebigen ungarischen Räterepublik und avancierte später mit seinem zentralen Werk «Geschichte und Klassenbewusstsein» zum wichtigen Philosophen der kommunistischen Bewegung. Weil er 1956 kurzzeitig Kulturminister in der Regierung des Nationalkommunisten Imre Nagy war, wurde er für einige Jahre …

… zum kommunistischen Dissidenten. Den ungarischen Versuchen eines Reformsozialismus wurde bald ein Ende gemacht. Danach war Lukacs zur Persona non grata in Ungarn geworden.

Angebliche konterrevolutionäre Handlungen
Seine Freundin Anna Seghers versuchte ihn gemeinsam mit weiteren bekannten DDR-Schriftstell-er:innen in die DDR zu holen. Auch der damalige Kulturminister Johannes R. Becher war eingeweiht, zog sich aber sofort zurück, als die SED-Führung um Walter Ulbricht ihr Veto einlegte. Er wollte in dieser Frage auch keinen Konflikt mit der Sowjetunion riskieren. Die Angelegenheit hatte für einige der beteiligten Schriftsteller:innen wie Walter Janka und Wolfgang Harich noch ein unerfreuliches Nachspiel. Sie wurden 1957 wegen angeblich konterrevolutionärer Handlungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Prozess wurde ihnen ihr Kontakt und ihre Freundschaft zu Georg Lukàcs vorgeworfen. Als Janka und seine Verteidi-gung beantragten, Anna Seghers und sogar den DDR-Kulturminister Johannes Becher als Zeugen dafür zu laden, dass sie gemeinsam Lukàcs vor möglicher Ver-folgung retten wollten, wurde das von der Justiz empört als Provokation zurückgewiesen. Seghers und Becher schwiegen. Diese Details kann man in dem informativen Buch der französischen Historikerin Sonia Combe nachlesen, das kürzlich im Christoph Links-Verlag in deutscher Übersetzung erschienen ist. 

Bezug auf die Adenauer-BRD
Es ist ein wichtiges Buch, weil Combe ohne das westdeutsche Furore auskommt, nach dem alle Schriftsteller:innen, die in der DDR für eine sozialistische Gesellschaft kämpften, schon verdächtig sind. Combe hingegen zeigt, dass viele linke DDR-Intellektuelle immer mehr an der Praxis des SED-Sozialismus zweifelten und verzweifelten, aber aus ihrer antifaschistischen Biographie heraus nie auf den Gedanken gekommen wären, «dorthin zu gehen, wo die Gehlens und Globkes sind». Mit dieser Zwischenüberschrift nimmt Combe Bezug auf die Adenauer-BRD, wo Altnazis wieder in führenden Positionen sassen. In einem eigenen Kapitel zeigt Combe auf, dass in der DDR tatsächlich viel mehr Ex-Nazis verurteilt wurden, andere flohen in den Westen. Die sozialistischen und kommunistischen Aktivist:innen, die in der DDR das sagen hatten, schenkten ihren Antifaschismus einer deutschen Bevölkerung, die eben mehrheitlich im NS-Staat mitgemacht hatte. Dafür erwarteten die DDR-Eliten Loyalität beim Aufbau ihres Staats. 

Auch weniger bekannte Intellektuelle
Combe besuchte in den 1980er-Jahren die Nach-kommen der linken DDR-Intellektuellen der Aufbau-jahre, die zu dieser Zeit schon besonders ernüchtert über die Entwicklung im Land waren und trotzdem Respekt vor der Biographie ihrer Vorfahren zeigten. «Beide waren Marxisten, Sozialisten, Antifaschisten, Atheisten. Kritische Marxisten natürlich, keinen dummen SED-Tölpel, sondern skeptisch und witzig. Aber Mitglied der Partei, der SED. Beide», charakterisierte die Schriftstellerin Barbara Honigmann gegenüber Combe ihre Eltern. Das Buch ist auch deshalb besonders interessant, weil sich Combe auch mit heute weniger bekannten Intellektuellen wie Max Schröder oder Wolfgang Heise beschäftigt. Den marxistischen Philosophen bezeichnet sie als heute leider vergessenen wichtigen Intellektuellen in der DDR, der immer SED-Mitglied blieb, bei seinen Vorlesungen aber freie Diskussion zum Prinzip erhoben hatte. 2019 hat sein Sohn, der Filmemacher Thomas Heise, mit dem Film «Heimat ist ein Raum aus Zeit» seine Eltern zumindest in einem kulturinteressierten Milieu bekannter gemacht. Combe geht auch auf die Biographie von Jürgen Kuczynski ein, der sich selber als linientreuen Dissidenten be-zeichnete. Das hinderte ihn nicht, gelegentlich für seinen Freund Erich Honecker Reden zu schreiben.

Offizieller Antisemitismus?
Combe interessierte sich besonders für jüdische Linke in der DDR, daher nimmt auch die Frage, ob es einen DDR-Antisemitismus gab, einen grossen Stellenwert ein. Damit ist natürlich ein offizieller Antisemitismus gemeint, denn dass es einige Jahre nach dem Ende des Naziregimes auch in der DDR lebenden Bevölkerung weiter Antisemitismus gab, dürfte wohl keine Frage sein. Die Frage nach dem offiziellen Antisemitismus bejahte Combe für die frühen 1950er-Jahre, als auch in der DDR eine Kampagne gegen jüdi-sche Kommunist:innen begann, die in der UDSSR ihren Anfang nahm. Die spätere DDR könne allerdings nicht als antisemitisch bezeichnet werden, so Combe. Sie betont, dass eine Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden kann und sprach sich dagegen aus, Antizionismus und Antisemitismus gleichzusetzen. Combe kommt sogar für die spätere DDR zu dem Befund, dass sich dort eine deutsch-jüdische Symbiose für jüdische Kommunist: innen vollendete. Combes Buch liefert eine gute Grundlage für eine linke Debatte über den Charakter der DDR aber auch über den Antisemitismus.

Gegen den Bitterfelder Weg
Interessant ist, dass das Buch öfter Polemiken gegen den Bitterfelder Weg beinhaltet, also den schon in der kommunistischen Arbeiter:innenbewegung der Weimarer Zeit begonnenen Versuch, schreiben-de Arbeiter:innen zu fördern. Dies haben die aus dem Bürgertum stammenden Linken wohl als Kon-kurrenz gesehen und bekämpft. Es wäre interessant zu wissen, ob deswegen manche Linksbürgerliche zu Dissident:innen geworden sind. Es wäre also durchaus die Frage zu stellen, ob hier nicht auch Kommunist:innen mit proletarischem Hintergrund sich gegen Linke aus bürgerlichem Hause wehrten, die mit ihrer Ablehnung des Bitterfelder Weges ihre Privilegien auch in einer sozialistischen Gesellschaft behalten wollten. Es ist bezeichnend, dass auch Combe bei den Konflikten zwischen Intellektuellen und der SED immer für letztere Partei ergreift. Doch insgesamt ist das Buch mit Gewinn zu lesen, weil es die Widersprüche und Diskussionen bei denen aufzeigt, die im Grundsatz den Aufbau einer sozialistischen DDR befürworteten. Interview: Peter Nowak