Angry Workers, Class Power! Über Produktion und Aufstand, Unrast Verlag 2022, 525 Seiten

Klassenmacht und Aufstand

Acht Jahre lang hat die Gruppe Angry Workers durch ihre Fabrik-intervention Erfahrungen gesammelt. Das Buch dazu mit dem Titel «Class Power! Über Produktion und Aufstand» ist nun auf Deutsch erschienen.

«Im Jahr 2014 entschieden wir uns, in ein Arbeiterviertel Westlondons zu ziehen. Wir hatten das dringende Bedürfnis, aus der kosmopolitischen Blase auszubrechen und unsere Politik im Alltagsleben der Arbeiter*innenklasse zu verankern». Mit diesem Bekenntnis leitet die Gruppe Angry Workers (wütende Arbeiter*innen) ihr Buch «Class Power!» ein. «Diejenigen, die Kategorien mögen, können uns als Linkskommunisten einordnen. Das mag wenigen etwas sagen, und es ist nicht wirklich wichtig, dass unserem Verständnis nach revolutionärer Politik auf der Selbstorganisation der Arbeiterklasse beruht», beschreiben die Autor*innen den Ausgangspunkt ihres Engagements. «Als Arbeiter*innen müssen wir gemeinsam den Arbeitsprozess, die Spaltungslinien, die Position des Unternehmens in der Zulieferkette, die rechtliche Situation und den hierarchischen Gewerkschaftsapparat verstehen, um uns effektiv und selbstständig gegen die Bosse zu organisieren». Diesen Anspruch lösen die Angry Workers bei den drei Arbeiteruntersuchungen, die im Buch veröffentlicht sind, gut ein. Sehr detailliert beschreiben sie dort die jeweiligen …

… Fabriken, ihre Rolle in der aktuellen Ökonomie, die Zusammensetzung der Belegschaft. Dabei geht es ihnen immer darum, Anknüpfungspunkte für Unmut, Protest und Widerstand zu finden.

Wand aus Beton
Das Resümee ihrer achtjährigen Fabrikintervention ist nicht von grossen Erfolgen gekrönt. Allerdings konnten sie im Fabrikalltag immer wieder kleine Verbesserungen gemeinsam mit den Kolleg*innen durchsetzen, was ja für die Angry Workers zentral ist. «Warum stehen die Menschen nicht für ihre Rechte ein?» Diese Frage stellt sich ein Mitglied der Angry Workers, die für längere Zeit in der Lebensmittelfabrik Bakkavor arbeitete. Viele der Kolleg*innen hatten einen indischen Migrationshintergrund. Dort startete die Kollegin die Angry Workers und wurde dabei von ihren Genoss*innen ausserhalb der Fabrik durch das Verteilen regelmässiger Flugschriften sowie eines Informationsblattes unterstützt. Die Schriften wurden durchaus gelesen, weil sie eben durch die präzisen Informationen der Kolleg*innen konkrete Probleme in der Fabrik ansprachen. Trotzdem zogen die Angry Workers nach einem Jahr ein ernüchterndes Fazit: «Wir stiessen mit unseren Aktivitäten an eine Wand aus Beton. Weder die Flugblätter noch unser Mitteilungsblatt hatten viel bewirkt.»

Engagement in der Gewerkschaft
Daraufhin engagierte sich die Kollegin in der GMB, einer Gewerkschaft, die sich stark auf Organizingprojekte stützt. Dabei betonten die Angry Workers, dass sich an ihrer linkskommunistischen Kritik an Gewerkschaften, «die existieren, um zwischen Kapital und Arbeit vermitteln, nicht um diesen Gegensatz zu überwinden» nichts geändert hat. Mit der Arbeit in der Gewerkschaft sollte erkundet werden, ob dadurch bessere Verbindungen zu den Kolleg*innen hergestellt werden könnten. Auch hier waren die Ergebnisse durchaus ernüchternd. Dabei lag das Problem nicht an einem Gewerkschaftsvorstand, der Basisaktivitäten hemmt. Vielmehr war der GMB-Vorsitzende für die Branche ein linker Gewerkschafter, der solche Aktivitäten ausdrücklich unterstützte, verantwortlich. Zum Konflikt kam es mit einer Gruppe von männlichen Gewerkschaftern, die aus einer bestimmten indischen Provinz kamen, sich lange kannten und in der linken Neueinsteigerin eine Bedrohung ihrer Macht sahen. In dieser Auseinandersetzung zeigt sich auch, dass die Angry Workers ihre eigene linkskommunistische politische Agenda hat, die eben auch mal mit der Selbstorganisation bestimmter Segmente der Arbeiter*innen in Konflikt geraten.

Globalismus und Subsistenz
An verschiedenen Stellen im Buch wird diese politische Agenda deutlich, etwa bei der Polemik gegen die Fraktion in der Linken, die auf die angeblich besonders gesunde und natürliche bäuerliche Subsistenzwirtschaft setzt. «In die Verteufelung der Grosskonzerne stimmen wir nicht mit ein. Sie bieten auch Möglichkeiten. Anstatt von einer kleinbürgerlichen Schicht (Kleinunternehmer, Kleinhändler und Bauern) und ihrer konservativen politischen Lobby beherrscht zu werden, liegt die moderne Lebensmittelindustrie in den Händen von Abertausenden global verbundener Arbeiter*innen, die unter denselben, immer schlechter werdenden Bedingungen arbeiten», verteidigen die Angry Workers die Grossproduktion im Lebensmittelbereich gegen manche linke Romantik. An einer anderen Stelle rechnen sie auch vor, dass viele Menschen heute verhungern müssen, wenn weltweit wieder auf Subsistenzwirtschaft gesetzt würde. Die Angry Workers sehen gerade im boomenden Lebensmittelsektor wie allgemein in der Logistikindustrie die Basis für einen neuen weltweiten Aufschwung einer transnationalen Arbeiter*innenbewegung. «Wenn wir uns moderne Lagerhäuser und die Logistik des Lebensmittelhandels ansehen, kommen wir auch zur Frage der Automatisierung, und damit neben der Aufregung rund um die zunehmende Bedeutung des Dienstleistungssektors, einen weiteren ideologischen Hype, der uns glauben machen will, dass manuelle Arbeit im Kapitalismus in den nächsten zwei Generationen verschwunden sein wird», argumentieren die Angry Workers gegen gängige linke Glaubenssätze.

Organisationsfrage ausgeblendet
Ähnlich fundiert nehmen sie die weitverbreitete Ideologie des demokratischen Sozialismus auseinander, die in Grossbritannien vor allem in der kurzen Zeit, als der Sozialist Jeremy Corbin die Laborpartei führte, grosse Teile der parlamentarischen und ausserparlamentarischen Linken in Grossbritannien erfasst hatte. Im Kapitel «revolutionäre Strategie» formulieren die Angry Workers ein kommunistisches Programm, dass doch sehr nach Texten der Bolschewiki in ihrer Aufstandsphase erinnerte.
Im Kapitel «Die Macht der Klasse und ihre ungleiche Entwicklung» beschreiben die Angry Workers sehr detailliert, welche Teile der Mittelschicht in Zeiten des Aufstands gezügelt werden muss. «Die Mittelschicht hat politisches Gewicht und kann sich eines repressiven Apparats bedienen. (…) Die beste Weise, ihren Einfluss zu minimieren, ist es, sie von der essenziellen Produktion und Distribution abzukoppeln». Hier wird etwas abstrakt beschrieben, dass sie in einem revolutionären Prozess gezwungen werden müssen, «sich gerne als Gleiche produktiv in die Gesellschaft einzubringen». Hier sind wir bei Fragen, die sich Lenin 1917 auch gestellt hat. Doch es stellt sich sofort die Frage, wer die revolutionären Ziele umsetzen soll. Die in den vorigen Untersuchungen beschriebene zerklüftete Arbeiter*innenbewegung ist aktuell dazu nicht in der Lage. Da stellt sich eben doch die Frage der Organisation, welche die Angry Workers gerne umgehen wollen. Es ist klar, dass es keine zentralistische Partei wie vor hundert Jahren sein kann. Die Angry Workers stellen die richtigen Fragen und benennen aktuelle Probleme für eine linke Theorie und Praxis. Die Antworten müssen von den Leser*innen kommen. Peter Nowak