Lisa Yashodhara Haller/Alicia Schlender (Hg.): Handbuch Feministische Perspektiven auf Eltern- schaft. Verlag Barbara Budrich, 620 S., geb., 59,90 €.

Zeiten ändern sich

Lisa Yashodhara Haller und Alicia Schlender über feministische Perspektiven. Mehrere Aufsätze untersuchen den Wandel des Konzepts der Mutter- und Vaterschaft in einer historischen Perspektive

Das klassische Bild von Müttern und Elternschaft hat sich im Laufe der Jahr- zehnte massiv gewandelt. Das stellt auch die feministische Theorie und Praxis vor große Herausforderungen. So war es in den 70er Jahren in feministischen Kreisen regelrecht verpönt, sich mit Elternschaft und Familie zu beschäftigen. Leitbild war die Frau, die sich …

… von Familie und Mutterrolle emanzipiert. Als Mitte der 80er einige Frauen bei den Grünen ein Müttermanifest verfassten, wurde das sogar von Feministinnen innerhalb und außerhalb der Partei als Kampfansage aufgefasst.

»Ein Bedeutungswandel in der Perspektive auf Elternschaft hält Einzug in feministische Auseinandersetzungen und Kämpfe. Nicht länger richten diese sich gegen die Familie, sondern gegen Verhältnisse, in denen das Leben mit Kindern zur Zumutung wird«, konstatieren Lisa Yashodhara Haller und Alicia Schlender. Die beiden Sozialwissenschaftlerinnen haben ein Handbuch herausgegeben, in dem 50 Autor*innen Beiträge zu Mutter-, Vater- und Elternschaft verfasst haben. Die Beiträge geben einen kurzen, auch für Nicht- akademiker*innen verständlichen Überblick zum Thema. Es geht um »Elternschaft in feministischen Theorien und Debatten«, um Perspektiven der Elternschaft, Wege in die Elternschaft, Elternsein und die damit verbundenen Herausforderungen für eine feministische Familienpolitik.

Mehrere Aufsätze untersuchen den Wandel des Konzepts der Mutterschaft in einer historischen Perspektive. Lisa Malich und Susanne Weise unterscheiden in der Frauenbewegung drei unterschiedliche Konzepte von Mutterschaft. In der bürgerlichen Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts wurde das politische Potenzial der »guten Mutter« beschworen, deren zentrale Aufgabe das Erziehen und Pflegen sei. Während die zweite Welle der Frauenbewegung von der Ablehnung der Mutterrolle geprägt war, dominiert in der dritten Welle die »Super Mom«, die Erwerbstätigkeit und Mutterrolle vereint.

Kritisch befassen sich Malich und Weise mit der zunehmenden Akademisierung der Frauenbewegung. »Fragen materieller Verteilungsgerechtigkeit gerieten mitunter in den Hintergrund und wurden mit dem Fokus auf Anerkennung und Performativität untersucht.« Teile der feministischen Bewegung diskutieren mehr darüber, ob alle Tätigkeiten gendergerechte Bezeichnungen haben, während die Fragen des Lohnes eine geringere Rolle spielen. Nur kurz gehen die Autorinnen auf die Situation der Frauen in der DDR ein, der sie einer »paternalistisch-patriarchale Gleichberechtigungspolitik« vorwerfen. Da bei hätte es sicher kompetente Autor*innen gegeben, die zur Debatte um die Verankerung von Frauenrechten in der DDR-Gesetzgebung authentischer Auskunft hätten geben können.

Dennoch ist das Buch mit Gewinn für alle zu lesen, die sich einen Überblick über aktuelle feministische Debatten verschaffen wollen. Dabei werden erfreulicherweise Konflikte in der Theorie und Praxis nicht ausgespart. So beschäftigten sich mehrere Autor*innen auch mit dem Wandel des Vaterbildes. Jochen König, alleinerziehender Vater zweier Kinder, verweist darauf, dass es nicht aus- reicht, wenn Männer gelegentlich Windeln wechseln: »Wer es mit feministischer Vaterschaft erst meint, muss bereit sein, auch wesentlich mehr als 50 Prozent der offensichtlichen Aufgaben zu übernehmen.« Peter Nowak

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