Wer pflückt unsere Erdbeeren? Wer erntet den Spargel“ Wer putzt, pflegt und bringt die Pakete? Je schlechter eine Arbeit, je Mieser bezahlt, desto stärker setzt die Branche migrantische Arbeit ein. Kapitalistische Logik: Menschen, die die Landessprache nicht sprechen; Menschen, die die Gesetze nicht kennen; Menschen, die Geld brauchen, weil sich in ihrer Heimat der Kapitalismus ohne soziale Maske zeigt, lassen sich leichter ausbeuten. Peter Nowak schreibt über die migrantische Arbeit in Deutschland und das System der Subunternehmen. …
…. „Eingeflogen, ausgebeutet, infiziert“, lautete kürzlich die Überschrift eines Artikels in der Tageszeitung Neues Deutschland. Dort wurde an die Arbeitsbedingungen der ausländischen Erntehelfer*innen in Deutschland erinnert, die im letzten Jahr kurz im Fokus der medialen und politischen Aufmerksamkeit standen. Es war mitten im ersten Lockdown. Alle Grenzen waren geschlossen, aber Erntehelfer*innen aus Osteuropa durften mit einer Sondergenehmigung nach Deutschland kommen. Schließlich ging es darum, dass die Spargelernte im Kalender stand, und die ließ sich nun nicht verschieben. Ein Jahr später heißt es auf der Internetplattform agrarheute: „Die Corona-Pandemie hält Europa weiter fest im Griff. Dennoch brauchen die Landwirte wieder ausländische Saisonarbeitskräfte zur Ernte von Spargel, Erdbeeren und vielen anderen Kulturen.“ Erleichtert stellen die Landwirt*innen fest, dass mit Ausnahme einiger Virusvariantengebiete die Saisonarbeitskräfte ungehindert nach Deutschland einreisen können.
Es hat sich auch in Pandemiezeiten gezeigt, was die Gewerkschafter*innen Kathrin Birner und Stefan Dietl in der Einleitung ihres kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buches “Die modernen Wanderarbeiter*innen – Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte“ so beschrieben haben: „Zwar ist unklar, wie viele mobile Beschäftigte in Deutschland arbeiten, unübersehbar ist hingegen die enorme Bedeutung migrantischer Arbeitskraft für weite Teile der deutschen Wirtschaft.“ Die beiden Autor*innen haben Recht mit ihrer Einschätzung, dass weite Teile der deutschen Wirtschaft ohne migrantische Arbeitskräfte zum Erliegen kommen würden. In der Regel wird diese Tatsache gar nicht wahrgenommen. Erst unter den Bedingungen der Corona-Pandemie wurde die Überausbeutung thematisiert, unter welcher Lohnabhängige aus unterschiedlichen europäischen und gelegentlich außereuropäischen Ländern in Deutschland schuften müssen.
Neben den ausländischen Erntehelfer*innen war es vor allem das sprichwörtliche Schweine-System von Tönnies und Co., das im letzten Jahr für Schlagzeilen sorgte. Dieses Thema beschäftigte die Medien sogar länger als einige Tage, und die Sozialdemokrat*innen der unterschiedlichen Parteien gaben sich entsetzlich betroffen und versprachen Abhilfe. Dabei setzten sie auf die politische Amnesie vieler Menschen, die nicht wissen, dass die SPD gemeinsam mit den Grünen die politische Grundlage für die besondere Ausbeutung migrantischer Beschäftigter in Deutschland geschaffen haben. Es war die rot-grüne Regierung Schröder-Fischer, die mit der Durchsetzung der Hartz IV-Gesetze in Deutschland einen Niedriglohnsektor geschaffen und auf EU-Ebene einen Dumpingwettbewerb bei Löhnen und Gehältern hervorgerufen hat. Die vor allem von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik auf EU-Ebene sorgte dann dafür, dass eine große Zahl von Arbeitskräften vor allem aus den Ländern der europäischen Peripherie selbst schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse in Deutschland in Kauf nahmen. In ihrer Heimat gab es oft gar keine Lohnarbeit mehr, von der man leben konnte. So entstand neben der Landwirtschaft und der Fleischindustrie auch in der häuslichen Pflege und der Bauwirtschaft ein massiver Import von Arbeitskräften.
System der Subunternehmen
Diese werden meist über Sub- und Subsubunternehmen angeworben. Es sind oft nur Briefkastenfirmen, die Konkurs anmelden, wenn sich migrantische Beschäftigte wehren und den ihnen vorenthaltenen Lohn einklagen. Dafür finden sich bei Birner und Dietl zahlreiche neuere Beispiele aus allen Bundesländern. Dabei betonen die Autor*innen am Schluss jedes Kapitels, dass es Verbesserungen nur geben kann, wenn sich die Betroffenen organisieren und dann auf eine solidarischen Bündnisstruktur treffen. Auch innerhalb der DGB-Gewerkschaften gab und gibt es oft Hindernisse, wenn es um die Organisierung der migrantischen Arbeiter*innen geht. Diese Erkenntnis wird niemanden überraschen, der sich etwas mit der Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg beschäftigt hat.
Dem enormen Arbeitskräftemangel in Westdeutschland, der in den späten 1950er Jahren spürbar wurde und der sich verschärfte, als mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 der Zustrom von Arbeitskräften aus der DDR ausblieb, sollte mit der Anwerbung migrantischer Arbeiter*innen zunächst aus Italien und Spanien, später auch aus Jugoslawien und der Türkei begegnet werden. Doch damals beabsichtigten die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen keineswegs, dass sich diese Arbeiter*innen und ihre Familien in Deutschland niederließen. Es war lange Zeit geplant, dass sie nur für einige Jahre in Deutschland arbeiten und dann in ihre Heimatländer zurückkehren sollten.
In dem im Campus-Verlag 1999 herausgegebenen Sammelband „50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung“ wird die Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte beschrieben. Dort wird gezeigt, mit welch rassistischer Argumentation sich noch in den 1960er Jahren führende Politiker*innen der Union gegen einen Zuzug migrantischer Arbeitskräfte nach Deutschland wandten. Auch die großen DGB-Gewerkschaften verstanden sich zunächst keineswegs als Interessenvertreter*innen der migrantischen Arbeiter*innen. Das änderte sich erst, als diese – die oft Arbeitskampferfahrungen aus ihren Heimatländern mitbrachten – sich zu wehren begannen und eigene Forderungen stellten. Zudem waren es viele der Beschäftigten, die die Entscheidung trafen, mit ihren Familien in Deutschland leben zu wollen. Erst Ende der 1990er Jahre setzte sich auch auf Grund dieser Entscheidung der migrantischen Lohnabhängigen in der Politik langsam die Erkenntnis durch, dass Deutschland ein Einwanderungsland war.
Auch im Jahr 2021 gilt, Kämpfe migrantischer Lohnabhängiger müssen von ihnen selber ausgehen. Dann besteht die Möglichkeit, dass Unterstützer*innen aufmerksam werden und den Kampf in andere Bereiche tragen. Doch der Erfolg ist nie sicher. Ein Beispiel, das bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte, war der mehrjährige Arbeitskampf der rumänischen Beschäftigten der Mall of Berlin, eines Nobelkaufhauses in Berlin-Mitte. Er begann mit Unterstützung der Freien Arbeiter-Union (FAU) im Sommer 2014, wurde von zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen in Berlin und auch in anderen Städten begleitet und ging schließlich den Weg durch die juristischen Instanzen. Er endete am 16. Oktober 2019 vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt, das die Klagen zweier rumänischer Bauarbeiter gegen den Generalunternehmer der Mall of Berlin ablehnte. Zuvor hatten die Beschäftigten mehrere Prozesse gewonnen, ihren Lohn jedoch nicht bekommen, weil die verurteilten Subunternehmen Konkurs anmeldeten.
Olga Schell und Hendrik Lackus, zwei auf Seiten der FAU in dem Arbeitskampf Aktive, haben einige der rumänischen Bauarbeiter mehrere Jahre später an ihren neuen Arbeitsplätzen in Großbritannien besucht. Manche sehen heute die Monate des Arbeitskampfes als verlorene Zeit, andere sprechen von Tagen, in denen sie Solidarität gelernt haben und die sie deshalb nicht missen wollen. Deutlich wurde aber auch, dass sich vor allen manche Kolleg*innen der FAU Illusionen machten, als sie anfangs von einen schnellen Erfolg der Bauarbeiter ausgingen. Es ging tatsächlich nicht um den geschuldeten Lohn, der für den Generalunternehmer aus der Portokasse hätte gezahlt werden können. Doch er war dazu nicht bereit, weil er die Grundlage der besonderen Ausbeutung der migrantischen Arbeitskraft in Deutschland, das System der Unternehmen und Subunternehmen, nicht antasten wollte, welches eine Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist.
Peter Nowak
Zum Weiterlesen:
Hendrik Lackus, Olga Schell (Hg.): Mall Shame, Kampf um Würde und Lohn, Die Buchmacherei, Berlin 2020, 200 Seiten, 10 Euro, ISBN: 978-3-9822036-69. Dietl Stefan, Birner Kathrin, Die modernen Wanderarbeiter*innen, Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte, Unrast-Verlag, Münster 2021, 140 Seiten, 12,80 Euro, ISBN: 978-3-89771-299-7.
https://www.graswurzel.net/gwr/category/ausgaben/459-mai-2021/