Beiderseits der Barrikade

Revolution
in Bayern

Es gibt wohl nur wenige historische Großereignisse, die im Nachhinein von einer derartigen politischen Verzerrung und Entstellung gekennzeichnet sind wie die Bayerische Räterepublik, urteilt Rudolf Stumberger. Er konzentriert sich in seinem neuen Buch auf Akteure, die vor 100 Jahren auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade standen.

Ausführlich schildert er die politische Vita des ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik, Kurt Eisner. In seiner kurzen Regierungszeit versuchte Eisner die unterschiedlichen Parteiflügel zu versöhnen. Es war ihm nicht vergönnt. Von den Rechten von Anbeginn an mit antisemitischer Hetze verfolgt, wurde er am 21. Februar 1919 von einem Mitglied der völkischen Thule-Gesellschaft erschossen. Stumberger erwähnt, dass sich Eisners Frau Else 1940 in Frankreich das Leben nahm, als die deutsche Wehrmacht einmarschierte. Sein Sohn aus erster Ehe wurde 1942 im KZ Buchenwald ermordet. Auch an Eisners Privatsekretär Felix Fechenbach, der dessen Vermächtnis zu wahren suchte, rächten sich die Nazis: Er wurde 1933 von SA-Männern ermordet.

Stumberger stellt auch Eisners Freund, den Anarchisten Gustav Landauer, vor. Dabei spart er nicht mit Kritik am seiner Meinung nach »rückwärtsgewandten Anarchismus«. Er würdigt Landauer als Bildungsreformer und Erneuerer der Künste. Der Schriftsteller wurde nach der Zerschlagung der Bayerischen Räterepublik im Münchener Zuchthaus Stadelheim schwer misshandelt und am 2. Mai 1919 erschossen. Verantwortung dafür trug der rechte Sozialdemokrat Johannes Hoffmann, der als »Noske von Bayern« berüchtigt war. Nachdem er auch die Vollstreckung des Todesurteils gegen den Kommunisten Eugen Leviné am 5. Juni 1919 nicht verhinderte, hatte er selbst in seiner Partei kaum noch Freunde. Hoffmann zog sich aus der Politik zurück, ein Bürgerblock übernahm die Macht und baute Bayern zur rechten Ordnungszelle aus. Mit Oswald Spengler präsentiert Stumberger einen Exponenten der Rechten.

Das letzte Kapitel ist dem titelgebenden »roten Matrosen« Rudolf Egelhofer gewidmet. Der Kommandeur der bayerischen Roten Armee wurde nach Verhaftung und ebenfalls schweren Misshandlungen am 3. Mai 1919 erschossen. Der Sohn aus einer Arbeiterfamilie zählt zu den »Vergessenen der Geschichte«, zitiert der Autor Walter Benjamin. Über Egelhofer ist wenig bekannt, in Polizeiberichten und Artikeln der bourgeoisen Presse sind nur Verleumdungen zu lesen. »Er galt als Bestie in Menschengestalt.« In der DDR waren Straßen und ein Raketenschnellboot nach Egelhofer benannt. Doch auch dessen Name verschwand nach 1990. In der Bundesrepublik hatte man das von völkischen Kreisen und den Nazis geprägte Negativbild von ihm tradiert. Stumbergers Buch leistet hier einen Beitrag zur dringend notwendigen Korrektur.

Rudolf Stumberger: Das Raubtier und der rote Matrose. Fake News, Orte und Ideologien der Revolution und Räterepublik in München 1918/19. Alibri, 163 S., br., 15 €.

Peter Nowak