und
Syndikalismus
Anarchismus wird häufig mit Chaos, Gesetzlosigkeit und Gewalt in Verbindung gebracht. Der Historiker Lucien van der Walt und der Journalist Michael Schmidt…
…möchten dieses Vorurteil ausräumen. Die beiden südafrikanischen Autoren wollen »eine wirkliche und globale Geschichte des Anarchismus und Syndikalismus« von deren Aufkommen in den 1860er Jahren bis in die Gegenwart bieten. Den großen Anspruch haben sie eingelöst. Geboten wird eine Fülle von historischen Beispielen aus aller Welt, differenziert die sehr heterogene anarchistische Szene beleuchtet. Anarchismus sei, so die Autoren, »kein universeller Aspekt der Gesellschaft oder des menschlichen Seelenlebens«. Er entwickelte sich innerhalb der sozialistischen und Arbeiterbewegung. Das Autorenduo bricht mit der zählebigen Auffassung, der Anarchismus sei ein großer Baukasten, aus der sich jeder seine individuelle Lebensphilosophie basteln kann Walt und Schmidt charakterisieren ihn als »ein Produkt der Moderne«, der »vor dem Hintergrund der Industriellen Revolution und dem Emporkommen der Moderne« entstand. Eine solche historische Verortung schließt Theoretiker wie den Individualisten Max Stirner, aber auch religiöse Schwärmer wie Leo Tolstoi aus, die wegen irgendwelcher vager Gleichheitspostulate gerne zur anarchistischen Familie gerechnet werden.Walt und Schmidt untersuchen die Herausforderungen und Probleme, vor denen anarchistische und syndikalistische Aktivisten im Laufe der Geschichte standen. Sie gehen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ein. Viele Syndikalisten verstanden sich explizit nicht als Anarchisten oder stellten aus taktischen Gründen ihre anarchistischen Ansichten nicht in den Mittelpunkt. Umgekehrt gab es in der klassenkämpferischen anarchistischen Tradition Stimmen, die sich kritisch bis ablehnend über Syndikalisten äußerten, die in den Gewerkschaften ein Modell der Organisierung in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft sahen. Walt und Schmidt diskutieren die unterschiedlichen Ansätze und wägen die konträren Argumente sorgfältig ab. Der Leser stellt schnell fest, dass viele Debatten in der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung jenen in der sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung ähneln. Beispielsweise: Kann und muss eine Gewerkschaft mehr als nur unmittelbare Tagesforderungen stellen? Das Autorenduo bescheinigt der marxistischen Arbeiterbewegung in Theorie und Praxis etliche Verdienste. Vor allen die Geschichte der als Wooblies bekannten Gewerkschaft IWW zeige, dass viele syndikalistische Aktivisten sich nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 zumindest für einige Jahre in der kommunistischen Arbeiterbewegung engagierten. Auch in der frühen Sowjetunion arbeiteten nicht wenige Anarchisten in den Räten mit,. Lenin und andere Bolschewiki der ersten Stunde versuchten syndikalistische Strömungen zur Mitarbeit in der Roten Gewerkschaftsinternationale zu gewinnen. Diese Ansätze der gegenseitigen Anerkennung wurden unter Stalin eliminiert, Syndikalisten und Anarchisten gerieten in die Mühlen des Großen Terrors.Das von Holger Marcks und Andreas Förster kongenial ins Deutsch übersetzte Buch kann Linke anregen, sich wieder an die gemeinsamen Ziele, den Aufbau einer Welt ohne Kapitalismus, zu erinnern und Streit hintenanzustellen.
Lucien van der Walt / Michael Schmidt
Schwarze Flamme – Revolutionäre Klassenpolitik im Anarchismus und Syndikalismus,
Großformat, Broschur, 560 Seiten, Nautilus-Verlag Hamburg, 2013, ISBN 978-3-89401-783-5, 39,90;
Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/835246.anregungen-fuer-linke.html
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