Ein Jubiläum kommt bestimmt

Die Technische Universität Berlin hat sich der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit gewidmet.

»Universitäten oder Hochschulen besinnen sich meist dann auf ihre Geschichte, wenn ihnen ein Jubiläum ins Haus steht«, sagte Carina Baganz Mitte Juli im Lichthof der Technischen Universität (TU) Berlin. Die am Zentrum für Antisemitismusforschung arbeitende Historikerin stellte dort das von ihr herausgegebene Buch »Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung – die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus« vor – drei Jahre vor dem 70. Jubiläum der TU.

Wenig überraschend für Kenner der Materie sind Baganz’ Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Hochschule vor 1933. »An der TH Berlin hatte die nationalsozialistische Ideologie bereits lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten Einzug gehalten. 1927 löste die sozialdemokratische preußische Landesregierung die Studentenschaften auf, weil die sich geweigert hatten, die Zusammenarbeit mit großdeutschen antisemitischen Studentenschaften zu beenden, die Juden und Marxisten die Mitgliedschaft verweigerten. Schon 1931 erlangen die NS-Studentenverbände bei Studierendenwahlen fast eine Zweidrittelmehrheit.«

Nicht nur die Studierenden, sondern auch des Lehrpersonals der TH Berlin musste nach 1933 nicht gleichgeschaltet werden, weil dort schon vor 1933 großdeutsche und völkische Ideologien weit verbreitet waren. So war der Widerstand gering, als jüdische Wissenschaftler die Hochschule verlassen und oft auch ihre akademischen ­Titel zurückgeben mussten. Einige der Betroffenen verwiesen auf ihre patriotische Gesinnung und ihre Verdienste im Ersten Weltkrieg, was ihnen allerdings nur kurzzeitig das Amt rettete. Für die meisten entlassenen Wissenschaftler brach eine Welt zusammen. Mehrere Entlassene verübten Selbstmord, anderen gelang die Flucht. Nicht wenige wurden später in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.

Ein bisher noch wenig erforschtes Kapitel ist der Einsatz von meist osteuropäischen Zwangsarbeitern an der TH Berlin wie auch an anderen deutschen Hochschulen. Im Dachgeschoss eines Gebäudes der TH Berlin in der Franklinstraße 29 war ein Zwangsarbeitslager mit mindestens 140 als »Ostarbeiter« bezeichneten Männern, Frauen und Kindern eingerichtet worden, die in den letzten Kriegsjahren die Schäden beheben mussten, die durch Bombenangriffe an Einrichtungen der Hochschule entstanden. Die Existenz dieser Zwangsarbeiter wurde erst bekannt, als Baganz in alten Akten Beschwerdebriefe von Hochschulmitarbeitern entdeckte, die die »Ostarbeiter« für die Belastung der Kanalisation verantwortlich machten. »Die meisten von ihnen kommen aus Dörfern und haben weder jemals ein Klosett mit Wasserspülung gesehen, noch eine Ahnung von der Müllbeseitigung in europäischen Städten«, schrieb ein Oberingenieur Traustel im September 1944 an den Rektor der TH Berlin.

Ein weiteres Forschungsthema wäre der Umgang mit Opfern und Tätern an der Hochschule nach 1945. So wurde selbst ein Nationalsozialist der ersten Stunde wie Willi Willing, der sich an der TH Berlin für die Maßnahmen gegen jüdische Hochschulangehörige mit Hingabe eingesetzt hatte, als minderbelastet eingestuft. Willing war seit 1925 NSDAP-Mitglied und befasste sich neben seiner Universitätskarriere mit dem Einsatz von wissenschaftlich ausgebildeten KZ-Häftlingen in der NS-Forschung. Auch der letzte Rektor der TH, Oskar Niemczyk, konnte seine Wissenschaftslaufbahn schon 1946 an der neugegründeten TU Berlin fortsetzen. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahre 1961 gab es an der Universität sogar eine Feierstunde. Während die meisten ehemaligen NS-Wissenschaftler nach 1945 ihre Karriere fortsetzen konnten, erging es den Opfern nicht so gut. Als Dimitri Stein, dem als Jude 1943 an der TH seine Promotion im Fach Elektrotechnik verweigert worden war, in den fünfziger Jahren seine Promotion an der TU Berlin zu Ende führen wollte, wurde ihm mitgeteilt, man habe nun ganz andere Sorgen. Erst 2008 wurde Stein nach 65 Jahren der Doktortitel überreicht.

Schon in den fünfziger und sechziger Jahren gab es engagierte Studierende und eine kleine Minderheit von Wissenschaftlern, die der Geschichte nachgingen und die Verstrickung ihrer Institute in den Nationalsozialismus erforschten. Sie waren in der Regel mit großen Schwierigkeiten bis hin zu Klagedrohungen konfrontiert, wie Gottfried Oy und Christoph Schneider in ihrem kürzlich unter dem Titel »Die Schärfe der Konkretion« im Dampfboot-Verlag erschienenen Buch detailliert nachweisen. Dort beschreibt Reinhard Strecker, der als Student 1959 mit der von ihm konzipierten Wanderausstellung »Ungesühnte Nazijustiz« für große Aufregung sorgte, die Reaktion des Dekans der Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin: »Das, was ich täte, dafür hätte man in der Weimarer Zeit die Leute ins Zuchthaus gesteckt und da gehörte ich auch hin. Dokumente aus dem Ausland zu besorgen, um Deutsche ins Gefängnis zu bringen, das sei wirklich das Letzte an nationaler Verkommenheit.« Auch der damalige Chefredakteur der Tübinger Studentenzeitschrift Notizen, Hermann L. Gremliza, war 1964 massiven Anfeindungen ausgesetzt, als er unter dem Titel »Die braune Universität. Tübingens unbewältigte Vergangenheit« die NS-Karriere des Juristen Georg Eißer und des Germanisten Gustav Bebermeyer nachzeichnete.

Oy und Schneider beschreiben in ihrem Buch sehr genau, wie sich aus diesen Auseinandersetzungen an vielen Hochschulen eine deutschlandkritische Bewegung entwickelte, die sehr schnell nicht nur die Ära des NS erforschen, sondern auch die Realität im Nachkriegsdeutschland kritisieren wollte. Welch zentrale Stellung dabei die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus einnahm, zeigen die Autoren am Beispiel eines von den Wissenschaftlern Margherita von Brentano und Peter Furth veranstalteten Seminars mit dem Titel »Antisemitismus und Gesellschaft«, das ein wichtiger Bezugspunkt für eine neue Linke jenseits von SPD und KPD war. Dabei weisen die Autoren überzeugend nach, dass gera­de nach 1968 die Beschäftigung mit dem NS umschlägt in einen allgemeinen Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Besonders Rudi Dutschke wird ein »verflachter, nahezu sinnentleerter Faschismusbegriff« bescheinigt. In dieser Entwicklung sehen Schneider und Oy auch einen wichtigen Grund dafür, dass die neue Linke innerhalb kurzer Zeit mehrheitlich eine pro­israelische gegen eine antizionistische Politik austauschte.

Wie falsch die These vieler Achtundsechziger war, dass die deutsche NS-Geschichte bewältigt worden und deshalb der Kampf gegen den Imperialismus weltweit zu führen sei, macht nicht nur die Veröffentlichung über die NS-Geschichte an der TU Berlin selbst deutlich. Bei der Vorstellung des Buchs von Baganz war die Zahl der anwesenden Studierenden überaus gering.

http://jungle-world.com/artikel/2013/30/48143.html

Peter Nowak


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