»Wild, politisch ziellos und gewalttätig« – mit diesen Adjektiven belegte die Historikerin Petra Weber den syndikalistischen Flügel der Arbeiter*innenbewegung in der Weimarer Republik. Sie stand damit nicht allein. Auch viele andere Historiker*innen heften den Syndikalist*innen Etikette an, die jene als unbedeutende linke Splittergruppen abstempeln, die nur Unruhe gestiftet und keine gesellschaftliche Relevanz gehabt hätten. Jule Ehms vermutet hinter dieser Abwertung eine politische Agenda. »Die Strömungen der Arbeiter*innenbewegung, die den Funktionswandel der Gewerkschaften von einer reinen Interessenvertretung hin zu einer stärker systemstützenden Organisation nicht vollziehen und stattdessen an einem revolutionären Programm festhalten, wurden und werden als politische Akteur*innen auszuschließen versucht«, schreibt die junge promovierte Historikerin, die an der Martin-Luther-Universität Halle, an der Wiener Alma Mater und der University of Notre Dame (USA) Geschichte studiert hat. Sie hat eine beachtenswerte Publikation über die Arbeit der syndikalistischen Freien Arbeiter-Union in Deutschland in Betrieben zur Zeit der Weimarer Republik verfasst, die das immer wieder kolportierte falsche Bild zerfetzt. Vielmehr hatten syndikalistische Gewerkschaften nach der Revolution von 1918 …
„Weder Sektierer noch unbedeutend“ weiterlesenSchlagwort: Dampfboot Verlag
„Mietendeckel ist Sand im Getriebe“
taz: Herr Metzger, was versteht man unter der Finanzialisierung des Wohnungsmarkts? ….
„„Mietendeckel ist Sand im Getriebe““ weiterlesenMöglichkeiten von Befreiung
Karl Reitters »Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens«
Der 2011 verstorbene Heinz Steinert war ein Universalgelehrter. Er studierte Philosophie, Psychologie, Germanistik und Literaturwissenschaft, absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung, wurde im Fach Psychologie promoviert und habilitierte sich in Soziologie. Er war Mitbegründer und bis 2000 wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien und von 1978 bis 2007 Professor für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Nun ist eine Einführung in das Denken Steinerts, der mit seiner Arbeit immer auch die gesellschaftliche Emanzipation vorantreiben wollte, erschienen. Verfasst hat sie der Wiener Philosoph Karl Reitter.
Mit Adorno und der Frankfurter Schule hatte sich Steinert jahrelang beschäftigt. Während er trotz aller Kritik im Detail die Frankfurter Schule zum widerständigen Denken zählte, hielt er Max Webers zentrales Werk »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« für unwissenschaftlich. Reitter zeichnet in einem Kapitel die gravierenden Fehler nach, die Steinert Weber nachwies. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Kriminalsoziologen Steinert, der sich wissenschaftlich begründet für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse einsetzte und die Sinnhaftigkeit von Haftstrafen hinterfragte.
Dabei formulierte er Thesen, die gerade in der derzeitigen Law-and-Order-Stimmung erstaunlich aktuell sind: »Zwischen der Strenge der Strafen, der Anzahl der Menschen in Gefängnissen und der Summe der verübten Strafen besteht ein erkennbarer Zusammenhang. Weder die Höhe der Strafen noch die Wahrscheinlichkeit, eingesperrt zu werden, selbst die Todesstrafe verhindern Verbrechen.« Reitter schließt das informative Buch mit der Hoffnung, dass es dazu beitrage, »widerständiges Denken bekannter zu machen«. Das ist ihm zu wünschen.
Karl Reitter: Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens. Dampfboot-Verlag, Münster 2018, 213 Seiten
https://jungle.world/artikel/2018/43/moeglichkeiten-von-befreiung
Peter Nowak
»Der DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter«
Dietmar Wolf war in der linken DDR-Opposition aktiv und Mitbegründer der Unabhängigen Antifa Ostberlin. In diesem Herbst jährt sich zum 30. Mal die Gründung der Unabhängigen Antifa in verschiedenen Städten der DDR. Daran erinnert ein Buch mit dem Titel »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland«, das kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist (»Jungle World« 30/2017). Wolf ist bis heute Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift »telegraph«. Wegen seiner antifaschistischen Tätigkeit will er kein Foto von sich veröffentlicht sehen. Am 30. September wird er ab 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 in Berlin über die Geschichte der Unabhängigen Antifa in der DDR berichten.
Warum haben Sie und Ihre Mitstreiter die Unabhängige Antifa gegründet?
Seit 1983 nahmen die offenen Aktivitäten von faschistischen Gruppen, zum größten Teil rechtsgerichtete Skinheads und Fußballfans, sprunghaft zu. Es kam immer wieder zu Überfällen auf Ausländer, Punks, linksalternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch feste faschistische Gruppen, die sich zum Beispiel »Bewegung 30. Januar« – in Anlehnung an die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 – oder »Bucher Front« nannten. Die hatten damals bereits Kontakte zu Westberliner Faschisten, die in der Folgezeit intensiviert wurden. Der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987 hatte in zweierlei Hinsicht Signalwirkung. Zum einen erhöhte sich die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads, zum anderen regte sich erstmals selbstorganisierter Widerstand. Daraus folgte die Gründung von unabhängigen Antifagruppen in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin dann im April 1989.
Warum gründete sich die Unabhängige Antifa in Ostberlin erst so spät?
Nach dem Nazi-Überfall in der Zionskirche gab es, ähnlich wie in Potsdam und Dresden, auch in Berlin einen Versuch von Punks im Umfeld der oppositionellen Umweltbibliothek und der Offenen Arbeit der Erlöserkirche, eine Antifagruppe zu gründen. Das schlug jedoch fehl. Zu verschieden waren die Vorstellungen, zu diffus die Ziele. Im April 1989 gab es dann einen zweiten Anlauf. Auslöser war das Gerücht, dass sich zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers DDR-weit Neonazis am 20. April in Potsdam versammeln wollten. Am 19. April fand in der »Kirche von Unten« (KvU) eine Podiumsveranstaltung zu Nazis in der DDR statt. Diese Veranstaltung war die Initialzündung für die Gründung einer Antifagruppe etwa zwei Wochen später. Daran beteiligten sich über 100 junge Menschen, die mehrheitlich nicht der Oppositionsszene angehörten.
Sehen Sie in der langen Weigerung der DDR-Verantwortlichen, die Existenz aktiver Neonazis in der DDR anzuerkennen, eher Hilflosigkeit oder Kalkül?
Es kann gar keinen Zweifel geben, dass die DDR im Wesen ein antifaschistischer Staat war. Nirgendwo wurde so rigoros und konsequent entnazifiziert wie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dabei darf sicher nicht verschwiegen werden, dass es ab 1948 vielen Nazis und Naziverbrechern gestattet wurde, wieder ins politische und gesellschaftliche Leben der DDR zurückzukehren und dort auch hohe politische, gesellschaftliche und militärische Positionen zu erlangen. Das ist einer der ganz großen Widersprüche des DDR-Antifaschismus. Man darf aber nicht verschweigen, dass die Zahl der Naziverbrecher und faschistischen Massenmörder, die in den westlichen Besatzungszonen und dann in der BRD erneut Einfluss erlangten und wirtschaftlich, militärisch und politisch Karriere machen durften, im selben Zeitraum deutlich höher war.
Warum konnte sich trotz der antifaschistischen Postulate in der DDR eine Naziszene etablieren?
Ein alles entscheidender Punkt für mich ist, dass sich die DDR im Gegensatz zur BRD auf antifaschistische Werte und Traditionen berief. Doch dieser DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter. Mit allen Mitteln und Möglichkeiten der staatlichen Gewalt wurde gegen neofaschistische Erscheinungen und Tendenzen vorgegangen. Gleichzeitig sollte dies unter allen Umständen im Geheimen geschehen und schon gar nicht thematisiert werden. Nachdem die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1948 mit dem Befehl 35 die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) für beendet erklärt hatte, wurde die gesamte Bevölkerung der SBZ/DDR automatisch zu Antifaschisten erklärt. Eine offene gesellschaftliche Aufarbeitung der Machtübergabe an Hitler und der Unterstützung durch den Großteil der deutschen Bevölkerung und eine Diskussion darüber, wie ein wirklicher sozialistisch-antifaschistischer Wiederaufbau nach der Befreiung Deutschlands stattfinden müsste, wären unumgänglich gewesen. Doch diese fanden nie statt.
Was waren die Gründe?
Dem standen Stalin und die stalinistisch beeinflussten Teile der KPD/SED im Weg. Es ging auch um den alleinigen Herrschaftsanspruch der KPD/SED, der sich grundlegend auf den Mythos vom ersten antifaschistischen Staat auf deutschem Boden stützte, in dem unter Führung der KPD/SED der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet worden sei. So ist es nicht verwunderlich, dass Ermittlungen gegen Alt- und Neonazis im Wesentlichen in die Verantwortung des DDR-Geheimdiensts MfS fielen. Die DDR-Justiz verurteilte faschistische Täter stets nur wegen sogenannten Rowdytums oder wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens.
Welches Verhältnis hatten die unabhängigen Antifagruppen zur DDR-Opposition?
Es gab gute Kontakte zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und die KvU in Berlin. Das kam auch daher, dass einige Mitglieder dieser anarchistischen Gruppen in den Antifagruppen aktiv waren. Der große Teil der Oppositionsgruppen, auch einige linke, marxistische, trotzkistische, nahm die Antifagruppen und das Thema Rassismus und Nazis in der DDR aber nicht wirklich ernst.
Die Maueröffnung ermöglichte direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis?
Das Verhältnis war nicht unproblematisch. Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mussten viele Antifaschisten aus der DDR feststellen, dass es ihnen unter Linken nicht anders ging als mit dem Rest der Gesellschaft. Bevormundung, Herabwürdigung und ideologische Eingliederungsversuche aus dem Westen führten sehr schnell dazu, dass auch unter den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt. Während westdeutsche Antifagruppen Anfang der Neunziger mit der AABO eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem Muster der K-Gruppen der Siebziger und dem historischen Vorbild des stalinistischen Rotfrontkämpferbunds aufbauen wollten, schufen Antifagruppen aus der ehemaligen DDR das sogenannte Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.
Die Pogrome von Hoyerswerda bis Rostock haben zu einer bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion geführt, ob die dortigen Neonazis Produkt der DDR oder der Wende waren. Was denken Sie darüber?
Zu sagen, die Nazis in der DDR seien nicht Produkt der DDR gewesen, wäre natürlich Blödsinn. Gleichzeitig ist es auch großer Blödsinn, wenn Menschen behaupten, schuld sei der Zwangskollektivismus der DDR gewesen, weil dort alle Kinder im Kindergarten gleichzeitig auf den Topf gesetzt wurden. Man darf den sozialen Zusammenbruch durch die Zerstörung der DDR-Wirtschaft und die massenhafte Existenzvernichtung durch den kapitalistischen Raubzug nach dem 3. Oktober 1990 nicht gänzlich ignorieren. Es mag sein, dass die Bereitschaft, rassistisches und antisemitisches Gedankengut auf die Straße zu tragen und Gewalt auszuüben, im Osten größer ist. Fakt ist aber auch, dass es neben den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock das rassistische Pogrom in Mannheim-Schönau im Mai 1992 und die rassistischen Mordanschläge in Mölln und Solingen gab. Im Übrigen wurde die AfD 2016 in Mannheim-Schönau bei den dortigen Landtagswahlen mit 30 Prozent stärkste Partei.
Sie sind noch heute in der antifaschistischen Bildungsarbeit tätig. Sehen Sie angesichts des Aufstiegs der AfD noch eine besondere Rolle der Unabhängigen Antifa der DDR oder ist das für Sie nur noch eine historische Frage?
Es ist auch der Beharrlichkeit antifaschistischer Politik und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass selbst bürgerliche Medien heute die AfD als faschistisch einordnen. Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt und zum Transfer von antifaschistischer Geschichte und Wissen. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten von 2017 kaum etwas über die Antifaschisten von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn über die von 1987.
https://jungle.world/artikel/2017/39/der-ddr-antifaschismus-war-lediglich-ein-staatlich-verordneter
Interview: Peter Nowak
Alleinige, halbe oder gar keine Schuld?
In einem Band setzen sich Historiker mit dem Anteil Deutschlands am Ersten Weltkrieg auseinander
Warum noch ein Sammelband zum Ersten Weltkrieg, nachdem zum 100. Jahrestag eine Fülle von Publikationen erschienen ist? Diese Frage beantworten die Historiker Axel Weipert, Salvador Oberhaus, Detlef Nakath und Bernd Hüttner mit ihrem, dem Jubiläum zwar nachhinkenden, aber wichtigem Buch. Es behandelt drei Themen, die bisher in der Debatte eher ein stiefmütterliches Dasein fristeten. Einbezogen sind hier zudem Autoren aus verschiedenen europäischen Ländern.
Der erste Teil des Bandes widmet sich der geschichtspolitischen Deutung des Ersten Weltkriegs. Bereits 2013 bemühten sich der britisch-australische Historiker Christopher Clark und der Berliner Politwissenschaftler Herfried Münkler, das Deutsche Reich von seiner besonderen Verantwortung für den Ausbruch des Weltkriegs freizusprechen. Besonders Münkler polemisierte heftig gegen den Historiker Fritz Fischer, der im wilhelminischen Deutschland den Hauptkriegstreiber gesehen hatte. Die These von der Alleinschuld Deutschlands wird im Band kontrovers diskutiert. Der in Hagen lehrende Geschichtswissenschaftler Wolfgang Kruse stellt die Debatte in einen aktuell-politischen Kontext: Wenn Deutschland angeblich an beiden Weltkriegen nicht Schuld gewesen sei, könne es heute »als eigentlich ganz normale Nation auch mit gutem Gewissen seine prosperierende Stellung in Deutschland und Europa genießen«.
Der Potsdamer Historiker Jürgen Angelow hingegen verteidigt Münkler und Clark. »Jede Innovation in die Forschung, jede Neubewertung der Darstellung, die mit einer Neubewertung der Forschung einhergeht, wird umstritten sein und auf den Widerstand älterer Auffassungen stoßen.« Gegen die besondere Verantwortung des Deutschen Reiches für den Kriegsausbruch argumentiert er mit Liebknecht, Luxemburg und Lenin, die davon ausgingen, dass sämtliche großen europäischen Staaten für die politische Situation verantwortlich waren, die in den Weltkrieg führte. Der Historiker schließlich sieht im Versuch, Deutschland von der Verantwortung für den Ersten Weltkrieg reinzuwaschen, »Argumentationshilfen für militärische Interventionen im Ausland«.
Im zweiten Teil des Buches setzen sich sieben Autorinnen und Autoren mit der Frage auseinander, welchen Anteil die durch den Ersten Weltkrieg ausgelöste Brutalisierung bei der Etablierung von Faschismus und Nationalsozialismus hatte. So bezeichnete der marxistische britische Historiker Eric Hobsbawn den Ersten Weltkrieg als »Maschine zur Brutalisierung der Welt«. Diese Formulierung wurde zum Buchtitel. Der spanische Historiker und Kulturwissenschaftler Angel Alcalde zeichnet die Debatte um die These des US-Historikers und Faschismusforschers George L. Mosses nach, der eine enge Verbindung zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Aufstieg der europäischen Rechten sah.
Im dritten Teil des Buches befassen sich elf Autoren mit dem Einfluss des Weltkriegs auf die Arbeiterbewegung und die politische Linke. Milos Bakovic Jadzic skizziert die Geschichte der serbischen Sozialdemokratie , die nicht wie die anderer Länder eine »Burgfriedenspolitik« betrieb. Ein weiteres Kapitel widmet sich den wenig erforschten Antikriegsprotesten slowenisch-sprachiger Frauen in Österreich-Ungarn; diese hielten über die gesamten Kriegsjahre an. Axel Weipert beklagt, dass die Aktivitäten der Rätebewegung in Deutschland und Österreich-Ungarn, die entscheidenden Anteil am Sturz der Monarchie hatten, in der Geschichtsschreibung lange Zeit kaum erwähnt wurden. Der Politwissenschaftler Malte Meyer schließlich untersucht die »Verpreußung« der Arbeiterbewegung in Deutschland. Damit rekurriert er auf einen Begriff, den der Sozialist 1937 im französischen Exil prägte. Die Verbreitung militaristischer Ideologie in den Kreisen von Kleinbürgertum und der Arbeiterschaft ist auch bereits von Linken wie Rosa Luxemburg als Sozialmilitarismus heftig kritisiert worden. Meyer zählt allerdings auch Organisationen wie den KPD-nahen Rotfrontkämpferbund zu den Männerbünden mit militaristischer Attitüde.
Axel Weipert/Salvador Oberhaus/ Detlef Nakath/Bernd Hüttner (Hg.): Maschine zur Brutalisierung der Welt. Der Erste Weltkrieg – Deutungen und Haltungen 1914 bis heute. Dampfboot Verlag, 363 S., br., 35 €.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1058025.alleinige-halbe-oder-gar-keine-schuld.html
Peter Nowak
Überdosis Trump in den deutschen Medien
– aber zu den Berliner Wahlen nur Kunstkritik?
Droht Anfang November ein Bundespräsident Trump? Diesen Eindruck konnte man in den letzten Wochen haben. Fast täglich wurden wir mit den neuesten Äußerungen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten bombardiert, die in der Regel mit dem Hinweis versehen waren, nun habe Trump endgültig seine Chancen auf einen Sieg verspielt. Wenn es doch anders kommt, wird der Großteil dieser Medien das alte Feindbild Amerika polieren, das unter Bush und Reagan so gut zog und unter Obama etwas floppte.
Was die angeblich karrierehemmenden Äußerungen Trumps betrifft, sei nur daran erinnert, dass Präsident Reagan zum Scherz vor einem nicht abgeschalteten Mikrophon der Sowjetunion mal den Krieg erklärte. Beim konservativen Wählersegment hat ihm das nicht geschadet. Was aber die „Überdosis US-Wahlen“ in den hiesigen Medien betrifft, so hat Karsten Laske in der Wochenzeitung Freitag treffend formuliert[1]: „Eine Nachricht, wer am Ende das Ding gewonnen hat und Präsident wird. Das nehme ich gern zur Kenntnis.“
Berlin-Wahl entscheidet über Karriereknick von Gabriel
Bis dahin könnten wir uns ja mal daran erinnern, dass in den nächsten Wochen in Mecklenburg Vorpommern und Berlin Landtags- bzw. Abgeordnetenhauswahlen abgehalten werden, die durchaus nicht unwichtig für die repräsentative Politik in Deutschland sind. Hier könnte sich entscheiden, ob Sigmar Gabriel noch vor den Bundestagswahlen seinen innerparteilichen Absturz erlebt.
Obwohl viele Konkurrenten ihn gerne die Bundestagswahlen verlieren lassen würden, weil auch sie keine viel besseren Ergebnisse erzielen würden, wäre Gabriel wohl nicht mehr zu halten, wenn die Partei in Mecklenburg Vorpommern nicht mehr den Ministerpräsidenten stellen würde und auch in Berlin hinter die Union zurück fiele. Bisher liegt sie in Umfragen nur noch wenige Punkte vor der Henkel-CDU. Zudem dürfte sich bei beiden Landtagswahlen die Etablierung der rechtspopulistischen AFD fortsetzen, so dass sie dann auch für die Bundestagswahlen gute Ausgangsbedingungen hat.
In Mecklenburg-Vorpommern wird sich zeigen, ob daneben noch eine offen neonazistische Partei eine Chance zum Einzug ins Parlament hat. Die NPD liegt in den Umfragen in einem Bereich, der das nicht als unmöglich erscheinen lasst.
Kunstkritik oder Wahlkampf
Das müssten eigentlich Gründe genug sein, die hiesigen Wahlen und nicht die neuesten Trump-Äußerungen mehr in den Fokus der Berichterstattung zu stellen. Doch in den letzten Wochen hatte man den Eindruck, es handelte sich bei den Wahlen um eine Freiluft-Kunstausstellung. Die Wahlplakate der verschiedenen Parteien wurden zum Gegenstand ästhetischer Betrachtungen, wie sie sonst bei Ausstellungen erfolgen.
Dazu haben die Parteien auch selber beigetragen. So verzichtete die SPD auf ihren ersten großen Plakatwänden ganz auf ihr Logo[2] und zeigte nur ihren Spitzenkandidaten Müller blass im Hintergrund, während im Vordergrund das Leben einer Metropole vorbeizog, beispielsweise eine Frau mit Kopftauch, die eine Rolltreppe hochfährt.
Die Piratenpartei, obwohl bei den Wahlen wohl chancenlos, hat im Bezirk Berlin-Friedrichshain das Thema Gefahrengebiet[3] sogar mit Leuchtdioden zum Ausdruck gebracht. Mittlerweile wurden diese Plakate aber wohl von Sammlern kurzerhand entwendet. Damit hat die Partei nach den Wahlen zumindest nicht das Problem der Entsorgung ihrer eigenen Plakate. Vor allem kleine Parteien erleben eine Überraschung, wenn ihnen eine Rechnung ins Haus flattert, weil sie die ihre Werbung nicht fristgemäß entsorgt haben.
Auch die AFD-Plakate waren Gegenstand ästhetischer Betrachtungen, weil sie Homosexuelle Islamkritik vortragen lassen. Dabei haben sie doch nur von ihren rechtspopulistischen Freunden aus anderen Ländern abgeschrieben, die etwa in Frankreich und Belgien schon längst erkannt haben, dass man auch ungeliebte Minderheiten mal wahltaktisch umarmen kann. Diese Avancen stoßen durchaus bei manchen in der Zielgruppe auf Zustimmung. Bei so viel Kulturkritik im Wahlkampf war man überrascht, dass manchmal auch über Inhalte gestritten wurde.
So reklamierte die SPD „Oma Anni“, die für ein Plakat der Linken als Mietrebellin[4] ausgewiesen wird, für die Sozialdemkokraten[5].
Die Seniorin hat erklärt, dass sie schon so lange SPD wählt, dass sie das mit 95 nicht mehr ändern will. Zum Glück für die Linke hat sie aber der Partei die Zustimmung gegeben, ihr Konterfei für Wahlkampfzwecke zu verwenden. Die Frage wäre jetzt, ob Oma Anni der Ausschluss drohen würde, wenn sie denn SPD-Mitglied wäre. So ist der ganze Streit für die Linke sogar von Vorteil. Sie kann so aufzeigen, dass sogar bei der SPD-Traditionswählerschaft die Vorbehalte gegen die Linkssozialdemokraten zurückgehen und könnte damit entsprechende Signale in die SPD-Stammwählerschaft senden.
Zudem hat die Linke damit klargestellt, dass sie tatsächlich eine echte Mietrebellin abgelichtet haben, die mit anderen Senioren seit Jahren gegen massive Mietsteigerungen in der Siedlung am Steinberg am Rande von Berlinkämpft. Andere Parteien haben für ihre Figuren von professionellen Darstellern spielen lassen.
Dass die Debatte über die Berliner Wahlen in den Medien bisher mehr oder weniger unter Kunstkritik lief, zeigt den Bedeutungsverlust der Parteienpolitik. Wo scheinbar alles Event und Kunst wird, kann die Wahl natürlich keine Ausnahme machen. Warum soll auch um politische Inhalte gestritten werden, wenn prinzipiell alle Parteien scheinbar dasselbe wollen, nämlich den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken, und daher austauschbar sind.
Weil die Zwänge der kapitalistischen Wirtschaft keine Experimente erlauben und Justiz, Schuldenbremse und EU-Verträge dafür sorgen, dass auf keinen Fall eine Reform verabschiedet wird, die nicht „der Wirtschaft“, wohl aber der Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung Verbesserungen bringt, gibt es auch keinen Grund mehr, bei Wahlen über Politik zu streiten.
Innere Sicherheit als Wahlkampfthema
Da kommen zumindest für die Sicherheitspolitiker aller Parteien die Anschläge der letzten Wochen wie gerufen, um doch noch etwas Politik in den Wahlkampf zu bringen. Die schon abgeschriebene Henkel-CDU hofft, mit Forderungen nach einem Burka-Verbot und nach der Rücknahme der doppelten Staatsbürgerschaft noch aufzuholen.
Denn für ein Burka-Verbot sind auch viele Menschen, die sich für eine säkulare Gesellschaft einsetzen[6] und nicht zu den traditionellen CDU-Wählern zählen. Tatsächlich kann ein Burkaverbot durchaus nicht einfach mit einer Law-and-Order-Politik gleichgesetzt werden und es wäre töricht von Grünen, Sozialdemokraten und Linken, wenn sie als Reflex die Burka verteidigen würden und die Kritik von Feministen und Säkularen ignorieren würden.
Für die Henkel-CDU ist es der letzte Versuch, doch mit dem Sicherheitsthema bei den Berliner Wahlen zu punkten. In den letzten Wochen ist er mit seiner Politik gescheitert, soziale Konflikte um das linke Hausprojekt Rigaer Straße 94[7] zu einem Thema der Sicherheitspolitik zu machen. Doch zumindest in der unmittelbaren Nachbarschaft waren alle Versuche gescheitert, die Bewohner der Hauses, die in der Mehrheit Mietverträge haben, als „Chaoten und Politkriminelle“ zu figurieren. In den Tagen der Rund-um-die-Uhr-Belagerung des Hauses durch die Polizei wuchs die Solidarität der Nachbarschaft[8].
Dadurch wurde auch die Gentrifizierung im Stadtteil ein Thema für Menschen, die sich bisher nicht politisch artikulieren[9]. Nachdem die Forderung nach Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in der Nachbarschaft immer lauter wurden, die Henkel-CDU aber dazu nicht bereit war, sorgte ein Gerichtsurteil für zeitweilige Entspannung.
Die Räumung von einigen Räumen des Hausprojekts wurde als rechtswidrig erklärt, die Belagerung beendet. Das Beispiel bestätigt die These, die die Politikwissenschaftlerin Anna Kern in ihrem jüngsten Buch Urbane Sicherheitsregime im Neoliberalismus[10] ausführlich begründete. Die Produktion von Sicherheit und Unsicherheit ist gesellschaftlich bedingt und es gibt durchaus nicht nur die Frontstellung repressiver Staat gegen die Bevölkerung.
Wenn große Teile dieser Bevölkerung da nicht mitmachen, hat die Law-and-Order-Politik keine Grundlage. Das musste die Henkel-CDU im Fall der Rigaer Straße erfahren. Ob sie mit dem Versuch die Anschläge der letzten Wochen für Gesetzesverschärfungen mehr Erfolg hat, wird sich am Wahlabend zeigen. Dann werden wir auch feststellen, dass die vollmundigen Erklärungen von Grünen und SPD, mit der Henkel-CDU kein Bündnis einzugehen, nur bis zum Wahlabend gelten.
Entweder die CDU ist der große Verlierer, dann kommt es zu einer Koalition der Parteien links von der Union. Sollte aber die CDU stärkste Partei werden, werden alle sagen, der Wähler hat eben anders entschieden. Zumindest hat die Debatte über die Innere Sicherheit dazu geführt, dass im Vorfeld der Berliner Wahlen nicht nur über die Ästhetik der Plakate gesprochen wird.
http://www.heise.de/tp/artikel/49/49192/1.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[0]
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Abgeordnetenhaus.jpg
[1]
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/lasst-es-doch-einfach-mal
[2]
http://www.tagesspiegel.de/berlin/wahlkampagne-fuer-berlin-spd-wirbt-mit-mueller-aber-ohne-parteilogo/13944720.html
[3]
https://berlin.piratenpartei.de/wp-content/uploads/2016/06/bknvuTLQ.jpg
[4]
http://images.google.de/imgres?imgurl=http://bilder4.n-tv.de/img/incoming/crop18365631/7811322856-cImg_16_9-w1200/oma-anni.jpg&imgrefurl=http://www.n-tv.de/politik/Linke-werben-mit-SPD-Waehlerin-Oma-Anni-article18365676.html&h=675&w=1200&tbnid=LS1nOToFaFEZQM:&tbnh=90&tbnw=160&docid=kj8AyfSvo9_EhM&client=firefox-b&usg=__1NfVVIOv1rCFm-lXEDMkKOtRScE=&sa=X&ved=0ahUKEwjyk7T1x9LOAhWLJsAKHU0pBd0Q9QEINjAH
[5]
https://www.berlinonline.de/mitte/nachrichten/4519369-4015813-streit-um-oma-anni-aus-kleinkleckersdorf.html
[6]
http://www.a3wsaar.de/aktuelles/details/d/2014/07/12/ja-zum-burka-verbot-in-frankreich/
[7]
https://rigaer94.squat.net
[8]
https://nordkiezlebt.noblogs.org/
[9]
http://mietenstoppfriedrichshain.blogsport.de
[10]
http://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/produktion-von-un-sicherheit-urbane-sicherheitsregime-im-neoliberalismus
Ein Jubiläum kommt bestimmt
Die Technische Universität Berlin hat sich der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit gewidmet.
»Universitäten oder Hochschulen besinnen sich meist dann auf ihre Geschichte, wenn ihnen ein Jubiläum ins Haus steht«, sagte Carina Baganz Mitte Juli im Lichthof der Technischen Universität (TU) Berlin. Die am Zentrum für Antisemitismusforschung arbeitende Historikerin stellte dort das von ihr herausgegebene Buch »Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung – die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus« vor – drei Jahre vor dem 70. Jubiläum der TU.
Wenig überraschend für Kenner der Materie sind Baganz’ Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Hochschule vor 1933. »An der TH Berlin hatte die nationalsozialistische Ideologie bereits lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten Einzug gehalten. 1927 löste die sozialdemokratische preußische Landesregierung die Studentenschaften auf, weil die sich geweigert hatten, die Zusammenarbeit mit großdeutschen antisemitischen Studentenschaften zu beenden, die Juden und Marxisten die Mitgliedschaft verweigerten. Schon 1931 erlangen die NS-Studentenverbände bei Studierendenwahlen fast eine Zweidrittelmehrheit.«
Nicht nur die Studierenden, sondern auch des Lehrpersonals der TH Berlin musste nach 1933 nicht gleichgeschaltet werden, weil dort schon vor 1933 großdeutsche und völkische Ideologien weit verbreitet waren. So war der Widerstand gering, als jüdische Wissenschaftler die Hochschule verlassen und oft auch ihre akademischen Titel zurückgeben mussten. Einige der Betroffenen verwiesen auf ihre patriotische Gesinnung und ihre Verdienste im Ersten Weltkrieg, was ihnen allerdings nur kurzzeitig das Amt rettete. Für die meisten entlassenen Wissenschaftler brach eine Welt zusammen. Mehrere Entlassene verübten Selbstmord, anderen gelang die Flucht. Nicht wenige wurden später in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.
Ein bisher noch wenig erforschtes Kapitel ist der Einsatz von meist osteuropäischen Zwangsarbeitern an der TH Berlin wie auch an anderen deutschen Hochschulen. Im Dachgeschoss eines Gebäudes der TH Berlin in der Franklinstraße 29 war ein Zwangsarbeitslager mit mindestens 140 als »Ostarbeiter« bezeichneten Männern, Frauen und Kindern eingerichtet worden, die in den letzten Kriegsjahren die Schäden beheben mussten, die durch Bombenangriffe an Einrichtungen der Hochschule entstanden. Die Existenz dieser Zwangsarbeiter wurde erst bekannt, als Baganz in alten Akten Beschwerdebriefe von Hochschulmitarbeitern entdeckte, die die »Ostarbeiter« für die Belastung der Kanalisation verantwortlich machten. »Die meisten von ihnen kommen aus Dörfern und haben weder jemals ein Klosett mit Wasserspülung gesehen, noch eine Ahnung von der Müllbeseitigung in europäischen Städten«, schrieb ein Oberingenieur Traustel im September 1944 an den Rektor der TH Berlin.
Ein weiteres Forschungsthema wäre der Umgang mit Opfern und Tätern an der Hochschule nach 1945. So wurde selbst ein Nationalsozialist der ersten Stunde wie Willi Willing, der sich an der TH Berlin für die Maßnahmen gegen jüdische Hochschulangehörige mit Hingabe eingesetzt hatte, als minderbelastet eingestuft. Willing war seit 1925 NSDAP-Mitglied und befasste sich neben seiner Universitätskarriere mit dem Einsatz von wissenschaftlich ausgebildeten KZ-Häftlingen in der NS-Forschung. Auch der letzte Rektor der TH, Oskar Niemczyk, konnte seine Wissenschaftslaufbahn schon 1946 an der neugegründeten TU Berlin fortsetzen. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahre 1961 gab es an der Universität sogar eine Feierstunde. Während die meisten ehemaligen NS-Wissenschaftler nach 1945 ihre Karriere fortsetzen konnten, erging es den Opfern nicht so gut. Als Dimitri Stein, dem als Jude 1943 an der TH seine Promotion im Fach Elektrotechnik verweigert worden war, in den fünfziger Jahren seine Promotion an der TU Berlin zu Ende führen wollte, wurde ihm mitgeteilt, man habe nun ganz andere Sorgen. Erst 2008 wurde Stein nach 65 Jahren der Doktortitel überreicht.
Schon in den fünfziger und sechziger Jahren gab es engagierte Studierende und eine kleine Minderheit von Wissenschaftlern, die der Geschichte nachgingen und die Verstrickung ihrer Institute in den Nationalsozialismus erforschten. Sie waren in der Regel mit großen Schwierigkeiten bis hin zu Klagedrohungen konfrontiert, wie Gottfried Oy und Christoph Schneider in ihrem kürzlich unter dem Titel »Die Schärfe der Konkretion« im Dampfboot-Verlag erschienenen Buch detailliert nachweisen. Dort beschreibt Reinhard Strecker, der als Student 1959 mit der von ihm konzipierten Wanderausstellung »Ungesühnte Nazijustiz« für große Aufregung sorgte, die Reaktion des Dekans der Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin: »Das, was ich täte, dafür hätte man in der Weimarer Zeit die Leute ins Zuchthaus gesteckt und da gehörte ich auch hin. Dokumente aus dem Ausland zu besorgen, um Deutsche ins Gefängnis zu bringen, das sei wirklich das Letzte an nationaler Verkommenheit.« Auch der damalige Chefredakteur der Tübinger Studentenzeitschrift Notizen, Hermann L. Gremliza, war 1964 massiven Anfeindungen ausgesetzt, als er unter dem Titel »Die braune Universität. Tübingens unbewältigte Vergangenheit« die NS-Karriere des Juristen Georg Eißer und des Germanisten Gustav Bebermeyer nachzeichnete.
Oy und Schneider beschreiben in ihrem Buch sehr genau, wie sich aus diesen Auseinandersetzungen an vielen Hochschulen eine deutschlandkritische Bewegung entwickelte, die sehr schnell nicht nur die Ära des NS erforschen, sondern auch die Realität im Nachkriegsdeutschland kritisieren wollte. Welch zentrale Stellung dabei die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus einnahm, zeigen die Autoren am Beispiel eines von den Wissenschaftlern Margherita von Brentano und Peter Furth veranstalteten Seminars mit dem Titel »Antisemitismus und Gesellschaft«, das ein wichtiger Bezugspunkt für eine neue Linke jenseits von SPD und KPD war. Dabei weisen die Autoren überzeugend nach, dass gerade nach 1968 die Beschäftigung mit dem NS umschlägt in einen allgemeinen Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Besonders Rudi Dutschke wird ein »verflachter, nahezu sinnentleerter Faschismusbegriff« bescheinigt. In dieser Entwicklung sehen Schneider und Oy auch einen wichtigen Grund dafür, dass die neue Linke innerhalb kurzer Zeit mehrheitlich eine proisraelische gegen eine antizionistische Politik austauschte.
Wie falsch die These vieler Achtundsechziger war, dass die deutsche NS-Geschichte bewältigt worden und deshalb der Kampf gegen den Imperialismus weltweit zu führen sei, macht nicht nur die Veröffentlichung über die NS-Geschichte an der TU Berlin selbst deutlich. Bei der Vorstellung des Buchs von Baganz war die Zahl der anwesenden Studierenden überaus gering.
http://jungle-world.com/artikel/2013/30/48143.html
Peter Nowak