Blutspenden für die Gefangenen

Zur Geschichte der linken Antirepressionsarbeit
Hartmut Rübner untersucht in »Die Solidarität organisieren« die Antirepressionsarbeit linker Gruppen. Im
Fokus stehen die 1970er Jahre.

Nach der Demo beginnt die Antirepressionsarbeit.

Das zeigte sich einmal wieder nach der Blockupy-Demonstration Anfang Juni in Frankfurt am Main: Eine Arbeitsgruppe sammelt seitdem Gedächtnisprotokolle von Betroffenen und bereitet Klagen vor Gericht vor. Die Repression der Polizei im Rahmen der Krisen-Proteste führte zu Solidaritätskundgebungen im ganzen Land und zu einem Protestmarsch mit 20 000 Teilnehmern eine Woche später.

Wie die unterschiedlichen linken Zusammenhänge in der BRD und Westberlin von 1968 bis in die frühen 1980er Jahre auf die staatliche Repression reagierten, untersucht Sozialwissenschaftler Hartmut Rübner in seinem im Berliner Plättners Verlag herausgegebenen Buch »Die Solidarität organisieren«. Dabei wird schnell klar, dass es nie eine einheitliche linke Antirepressionsorganisation gegeben hat. Die Solidaritätsarbeit war immer eng mit den politischen Vorstellungen der Betroffenen verbunden, und so geht Rübner in gesonderten Kapiteln auf die Antirepressionsarbeit in autonomen und anarchistischen Zusammenhängen, die Solidarität mit den Gefangenen der RAF und die Roten Hilfen der unterschiedlichen maoistischen Parteien ein. Das Plural ist hier berechtigt. Denn in den 70er Jahren beriefen sich gleich drei Rote Hilfen auf das historische Vorbild aus der Weimarer Republik. Eine gemeinsame Kooperation war eher die Ausnahme, Abgrenzung die Regel.

Die Streitpunkte der frühen 70er Jahre muten zumindest in der Wortwahl heute fremd ein. So wurde darüber diskutiert, ob die Rote Hilfe eine »Organisation des Volkes« oder in erster Linie für den »Genossenschutz« zuständig sein sollte. Dahinter verbirgt sich auch die heute noch relevante Frage, ob es Solidarität nur für politische Aktivisten geben solle oder ob auch Ladendiebstahl oder das Fahren ohne Ticket ohne politischen Anspruch dazu gehöre.

Manche Aktionen von vor 40 Jahren muten heute anachronistisch an. So ist im Buch ein Flugblatt dokumentiert, in dem zum Blutspenden aufgerufen wird. Die Einnahmen sollten der Solidaritätsarbeit für Gefangene zu Gute kommen. »400 Genossen bringen schon 10 000 DM« werden die potenziellen Spender motiviert. Es ist eine der Stärken des Buches, dass Rübner zahlreiche zeitgenössischen Aufrufe, Plakate und Flugblätter abdruckt und so den Lesern einen guten Eindruck über die linken Materialien jener Jahre gibt. Hier wird mehr noch als an den Begleittexten das sehr große politische Spektrum deutlich, das mit der Solidaritätsarbeit angesprochen wurde. So wurde für das Ruselltribunal über die Situation der Menschenrechte in der BRD 1978 mit einer französischen Marianne mit wehender Fahne geworben. Und anarchistische Soligruppen warben mit der Parole »Reißt die Mauern ein – holt die Menschen raus« und meinten damit neben Gefängnissen auch Schulen, Kindergärten, Fabriken und Erziehungsheime. In einem informativen Kapitel stellt Rübner verschiedene Projekte der Randgruppenarbeit anarchistischer und autonomer Solidaritätsgruppen vor und verweist auf deren Grenzen. Ein Exkurs zur Solidaritätsarbeit in der Schweiz schließt das Buch ab. Es macht auch neugierig auf eine Fortsetzung der Geschichte der Solidaritätsarbeit der letzten 30 Jahre.

Rübner Hartmut, Die Solidarität organisieren. Konzepte, Praxis und Resonanz linker Bewegungen in Westdeutschland nach 1968. Plättners Verlag, 302 Seiten, 16,80 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/825616.blutspenden-fuer-die-gefangenen.html

Peter Nowak


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