»Wenn wir Nazis sehen, gibt’s Kleinholz!«

Die Wilden Cliquen von Berlin – antifaschistische Jugend

Immer wieder gibt es vor allem in den Berliner Boulevardmedien reißerische Artikel über Jugendliche, die sich in der Öffentlichkeit daneben benehmen. Nun hat der Berliner Historiker Jonas Kleindienst ein Buch herausgegeben, das die Geschichte und den öffentlichen Diskurs um die Wilden Cliquen Berlins in den 20er und 30er Jahren analysiert. Sie rekrutierten sich zumeist aus der Arbeiterklasse, kopierten und konterkarierten die bürgerliche Jugendbewegung.

Die Liste der Vorwürfe gegenüber jenen renitenten Jugendlichen war lang: Sie kleiden sich auffällig, lachen und musizieren laut in der Öffentlichkeit und lassen es älteren Menschen gegenüber an Respekt fehlen. Im sozialdemokratischen »Vorwärts« kam noch der Vorwurf der Naturzerstörung hinzu. Ein Chronist will beobachtet haben, wie drei Halbwüchsige »von jedem dritten Baum mit ihren Spazierstöcken die Kronen der tiefhängenden Zweige aus lauter Übermut« abschlugen. Sehr erfreut zeigte sich der »Vorwärts«-Autor, dass ein »Aktivbürger« schließlich den Jugendlichen zeigte, »was eine Harke ist und wacker zuschlägt«. Neben dem Ruf nach Züchtigung wurde auch ein stärkeres Eingreifen von Polizei und Fürsorge gefordert.

Versuche, die schon damals als »Halbstarke« titulierten Jugendlichen politisch zu organisieren, wie sie der KPD-nahe Rote Wander-Ring oder der autonome Freie Wanderring unternahmen, scheiterten an der Repression von Polizei und Jugendämtern sowie der Unlust vieler Jugendlicher, sich feste Strukturen zu geben. Bemerkenswert ist das Titelblatt der 1. Ausgabe des »Roten Wanderers« von September 1923, Zentralorgans des Roten Wanderringes. Hier wurden die diffamierenden Zuschreibungen einfach umgedreht. Der Leitartikel beginnt mit der Ansprache: »Verwahrloste Jugend! Lausejungen! Zuhälter! Strolche! Diebe! Plünderer! Wenn wir Nazis sehen, gibt’s Kleinholz!«

Für die meist stadtteilbezogenen Cliquen spielte die antifaschistische Aktion eine große Rolle. Neben dem oft handgreiflichen Protest gegen die den Deutschnationalen nahestehende Bismarckjugend befanden sie sich schon ab 1925 in heftigen Auseinandersetzungen mit den Verbänden der NSDAP. Während später einige Cliquenanführer zur SA überliefen, blieb die Mehrheit antinazistisch eingestellt und erfuhr, wie der Autor schreibt, »das gleiche Schicksal wie auch der Großteil der Kommunisten«. Sie wurden nach Hitlers Machtantritt sowohl von staatlicher Seite wie auch von den nun die Straßen beherrschenden SA-Stürmen mehr denn je verfolgt. Der Kriminalist Justus Erhardt, der sich in Weimarer Zeit als scharfer Gegner des Cliquenwesens hervorgetan hat, bemerkt 1934, dass »durch ordnungspolizeiliche Unternehmungen … die berüchtigten wilden Cliquen … zu einem großen Teil gesprengt worden« seien. Damit lag er falsch. Gruppen wie die Edelweißpiraten knüpften bei ihrem Widerstand gegen das NS-Regime bewusst an die Tradition der Wilden Cliquen.

Jonas Kleindienst hat historische Pionierarbeit geleistet. Leider verfällt der Autor gelegentlich in einen totalitarismustheoretischen Duktus, wenn er von der Bedrohung der Weimarer Republik »durch links- und rechtsradikale Kräfte« schreibt. Wie sich gerade jetzt wieder einmal zeigt, kommt diese fatale, blind machende Gleichsetzung den Nazis zugute.

Jonas Kleindienst: Die Wilden Cliquen Berlins. Verlag Peter Lang, Bern 2011. 126 S., geb., 22,80 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/212322.wenn-wir-nazis-sehen-gibt-s-kleinholz.html
Peter Nowak


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