AnwohnerInnen wehren sich gegen teure Micro-Appartements, nicht aber gegen günstige Wohnungen

Gegen Luxus-Appartements in der Braunschweiger Straße 21

Wir leben in einer historischen Situation, in der auf Grund des Mangels an bezahlbaren Wohnraum, der Bau von Luxus-Appartements in großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wird.

„Dieses Projekt bietet zeitgemäßes Wohnen in historischem Umfeld und ist eine hervorragende Gelegenheit für Kapitalanleger“, bewirbt die Immobilienfirma Nagel Properties auf ihrer Homepage die geplanten Micro-Appartements in der Braunschweiger Straße 21. Dabei handelt es sich ausschließlich um Eigentumswohnungen. Die Käufer/innen könnten „aus erlesenen Musterkollektionen Fußböden, Bäder und Küche“ auswählen – „auf Wunsch mit Designermöblierung“. Angesprochen sind natürlich nur Menschen, die sich das leisten können. Eine Einzimmerwohnung mit rund 28 Quadratmetern kostet laut der Makleragentur Nagel Properties 170.000 Euro, das 55 Quadratmeter-Appartement bis zu 355.000 Euro. Das ergibt einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 6000 Euro. Laut der Internetseite des Immobilienmaklers First Citiz liegt der durchschnittliche Wohnungspreise in Neukölln derzeit bei 4500 Euro pro Quadratmeter. Viele Anwohner/innen rund um die Braunschweiger Straße 21 in Neukölln haben kein Verständnis dafür, dass auf einem Areal Luxus-Appartements entstehen sollen, auf dem viele Jahre….

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NRW-Wahl ist Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks in Deutschland

Selbst die Reste der Opposition sehen vor allem in Trump, Putin und Erdogan die Gegner – Ein Kommentar

So schnell und häufig hat wohl selten eine Ministerpräsidentin beteuert, dass sie allein für die Wahlniederlage verantwortlich ist, wie es Hannelore Kraft seit der NRW-Wahl immer wiederholte. Auch SPD-Politiker und Wahlhelfer wie der Grafiker Klaus Staeck[1] wurden nicht müde zu betonen, dass die Wahlniederlage in NRW durch die Landespolitik verursacht wurde. Auch die Grünen wollten in dem schlechten Wahlergebnis in NRW nur Landesursachen sehen.

Es ist klar, dass die beiden Parteien, die so schlecht abgeschnitten haben, fürchten, dass sich dadurch die Stimmung für die Bundestagswahlen verschlechtert. Unterschätzten sie damit nicht das Publikum, das noch den Reden der Politiker in Wahlkämpfen folgt? Hat man in der SPD nicht Schulz als Merkels chancenreichen Konkurrenten ausgegeben? Hat man nicht vor allem die NRW-Wahl als Startschuss für die Bundestagswahl ausgegeben? Und jetzt soll das alles nicht mehr wahr sein? Handelt es sich vielleicht auch hier um die vielzitierten alternativen Wahrheiten, dass die Ursachen von SPD und Grüne hauptsächlich im Land NRW liegen? Das Ziel ist klar: Die SPD will Martin Schulz aus der Schusslinie nehmen und die Grünen wollen sich noch eine Debatte über ihre beiden Vorsitzenden ersparen.

Rückkehr nach Emmerich

Eine NRW-Reportage[2] in der Wochenzeitung Freitag, in der die sogenannten Abgehängten aus verschiedenen Teilen von NRW unter dem alarmistischen Titel „Failed State NRW“[3] zu Wort kamen, zeigte, dass bei allen regionalen Problemen die Bundespolitik mit reinspielt. Da setzt ein Mann, der sich „Keule“ nennt, zum Rundumschlag auf die große Politik an und es wird deutlich, dass die Trennung in Landes- und Bundespolitik so gar nicht existiert.

„Das haben wir alles schön der SPD zu verdanken“, sagt er. Dem Schröder das mit Hartz IV, seitdem sei hier Rambazamba. Dem Bürgermeister, „der nichts taugt“, der sich um die Armen einen Dreck schere. Und dem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger, der laut Keule schuld daran sei, dass er sich nicht mehr allein vor die Tür traue. „Wenn die alle richtig malochen würden, die da kommen, dann könnten von mir aus noch ein paar Tausend herziehen. Aber stattdessen nur Verbrecher!“, sagt er.

Man könnte denken, da spricht ein AfD-Wähler, aber diese Keule wird als CDU-Wähler vorgestellt. „Siehste, die Merkel, die macht das. Der ist das ganz gleich, was die alle reden. Die macht das einfach“, sagt Keule triumphierend, dem die AfD „zu Nazi“ ist und die SPD „zu unfähig.“

Interessant ist in der Reportage, dass hier ein Bild vom Ruhrgebiet gezeichnet wird, in dem Abgehängte der unterschiedlichen Branchen über ihre Situation und die da oben schimpfen. Dabei hatte erst kürzlich mit „Das Gegenteil von Grau“[4] ein Film von Matthias Coers und Grischa Dallmer Premiere, der die vielfältigen sozialen Initiativen im Ruhrgebiet vorstellt. Senioren sind ebenso vertreten wie prekäre Wissenschaftler und Studierende.

Das Bild, das der Film vom Ruhrgebiet zeichnet, ist fast in allen Punkten konträr zu Reportagen vom abgehängten Ruhrgebiet, wie sie in den letzten Tagen nicht nur in der Wochenzeitung Freitag, sondern auch in vielen anderen Medien zu lesen waren. Sogar der Niederrhein wird als eine abgehängte Region vorgestellt. Mit dem Titel „Rückkehr nach Emmerich[5] wird auf Didier Eribons Bestseller „Rückkehr nach Reims“ rekurriert, einer Stadt, in dem mit dem Rückzug der Industrie die Tristesse Einzug hielt und die Rechten Erfolge zeigten.

Nur eine Schnittstelle gibt es zwischen dem Film der sozialen Selbstermächtigung und der Reportage des Freitag. Ein Redaktionsmitglied des Bochumer Straßenmagazins Bodo[6] kommt zu Wort. Obwohl er sinngemäß nichts Unterschiedliches über die Dortmunder Nordstadt sagt, ist der Kontext doch verschieden. „Was wir hier in der Nordstadt in den letzten Jahren erleben, ist eine Gentrifizierung von unten: Alle, die etwas geschafft haben, gehen weg. Noch ärmere Menschen kommen nach“, wird Bodo-Redaktionsleiter Bastian Pütter in der Freitag-Reportage zitiert.

Das klingt so, als würde hier ein Kampf der Ärmsten gegen die Armen stattfinden. Im Film „Gegenteil von Grau“ hingegen betont ein Bodo-Mitarbeiter, dass die Dortmunder Nordstadt immer ein Ort war, in dem sich Arbeitsmigranten vieler Länder angesiedelt haben. Das werde auch in Zukunft so bleiben. Das klingt weniger nach abgehängter Gegend, sondern auch nach Selbstermächtigung.

Wenn die Abgehängten ein starkes Deutschland wählen

Doch gerade hier ist der entscheidende Unterschied. Die sehr unterschiedlichen Menschen, die in „Gegenteil von Grau“ vorgestellt werden, erwarten wenig von der Parlamentspolitik, sind daher auch nicht enttäuscht von den Politikern. Sie sorgen in ihrem Alltag dafür, dass sich in ihrem Lebensumfeld etwas verändert.

In den Reportagen über das abgehängte NRW werden Menschen gezeigt, die arm sind, sich ihre Situation nicht erklären können, Ausländern oder „denen da oben“ die Schuld geben und am Konstrukt eines starken Deutschland festhalten. Bei dem in der Freitag-Reportage zitierten Mann mit dem Aliasnamen Keule ist Merkel noch der Garant dafür. Viele andere wählen die AfD, weil sie sich mit einem starken Deutschland identifizieren. Statt Solidarität setzen sie auf Standortnationalismus.

In Zeiten, als im Ruhrpott noch die Schornsteine rauchten, reichte ein Fußballverein für die eigene Identität. In Zeiten der Krise muss es schon die Nation sein. Wie weit der Standortnationalismus in die sozialdemokratische Wählerschaft geht, zeigt auch der Tarifabschluss der IG-Metall[7] mit den Verbänden der Zeitarbeitsbranche[8], der Leiharbeiter weiterhin schlechter stellt[9]. Der Gewerkschaftsjournalist der Wochenzeitung Jungle World Stefan Dietl liefert[10] eine plausible Erklärung dafür, dass die IG-Metall einen Tarifvertrag unterzeichnet, der die Leiharbeiter schlechter stellt, als sie ohne Vertrag wären, weil dann die gesetzlichen Bestimmungen greifen würden:

Die viel gerühmte Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie in der Weltmarktkonkurrenz fußt auch auf dem billigen und flexiblen Einsatz von Leiharbeit. Gerade den Industriegewerkschaften, die vorwiegend in exportorientierten Branchen präsent sind, ist dies durchaus bewusst. Im möglichen Verlust dieses Wettbewerbsvorteils sehen viele Beobachter nicht nur ein Risiko für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Exportindustrie, sondern auch für die Arbeitsplätze der dort traditionell gut organisierten Stammbelegschaften. Es ist daher wenig erstaunlich, dass die Gewerkschaften zwar auf eine gewisse Regulierung der Leiharbeit drängen, um so den Druck auf die Stammbeschäftigten etwas zu mindern, den Wettbewerbsvorteil billiger Leiharbeiter aber erhalten möchten.
Stefan Dietl

Der Tarifvertrag dient also nicht dazu, die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter zu verbessern, sondern sie im Interesse der Stammbelegschaft und des Standorts Deutschland auf Abstand zu halten. Unter solchen Bedingungen kann keine solidarische Aktion der Beschäftigten entstehen. Daher ist es auch kein Wunder, dass eine Partei, die noch die soziale Gerechtigkeit der SPD der 1970er Jahre hochhält, wie die Linkspartei in NRW knapp an der Fünfprozentklausel scheitert. Sie hätte auch knapp darüber kommen können. Der gesellschaftliche Rechtsruck hängt nicht an einigen hundert Stimmen.


Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks

Das Wahlergebnis ist aber ein Rechtsruck, was die Stärkung von CDU und FDP und das passable Ergebnis für die AfD zeigt. Alle drei Parteien, wenn sie auch in den nächsten Jahren nicht bündnisfähig sein werden, wollen ein starkes Deutschland, das kämpferische Gewerkschaften klein- und Migranten, die Deutschland nicht nützen, möglichst draußen halten.

Auch große Teile der SPD haben keine grundlegenden anderen Ziele. Daher ist es auch verkehrt, nun fieberhaft danach zu suchen, was die Politiker Kraft, Jäger oder Löhrmann falsch und Laschet und Lindner richtig gemacht haben. Dass sich in Deutschland anders als in Ländern der europäischen Peripherie keine linke Alternative zur Austeritätspolitik etablieren konnte, liegt an der Rolle Deutschlands als Hegemonialmacht in der EU.

Schlaue Köpfe haben bereits in den frühen 1990er Jahren auf deutschlandkritischen Kongressen erkannt, dass im wiedervereinigten Deutschland Linke im und außerhalb des Parlaments eine Randgruppe analog zur USA werden würden. Bei den Wahlen würde es nur darum gehen, wer den Standort Deutschland besser repräsentiert. Dass dabei die Union die Nase vorn hat, ist nicht verwunderlich.

Mit der Wahl von Trump wurde Merkel auch von liberalen und grünennahen Medien zur Verteidigerin der freien Welt ausgerufen. Sie wurde als demokratische Lichtgestalt im Vergleich zu Putin, Erdogan und Trump gefeiert und Deutschland wurde als das Land der Freien ausgerufen. Wer noch von Niedriglöhnen, Armut in den Städten und der Ausbreitung der Billigjobs in Deutschland redete, wurde bestenfalls belächelt.

Auch außerhalb des sozialpolitischen Gebietes gab es kaum noch gesellschaftlichen Widerstand. Da wurde noch zwei Jahre über die NSA und die Rolle deutscher Geheimdienste gesprochen. Doch die aus der Bloggerszene hervorgegangene re:publica[11] wurde dieses Jahr endgültig zum Kirchentag der Internetszene[12], wo sich Jahr für Jahr Politiker aller Bundestagsparteien die Klinke in die Hand geben. Proteste[13] gegen einen Bundeswehrstand auf der re:publicca gab es immerhin noch vereinzelt.

In Zeiten von Putin und Trump ist Deutschland plötzlich der Hort der Freiheit. Selbst explizit deutschlandkritische Bands wie die Antilopengang[14] singen auf dem Konzert für Deniz Yücel auf einer Veranstaltung[15], die auch von der rechtskonservativen Welt unterstützt wird. „In Zeiten, in denen die Pressefreiheit aber nicht nur durch Inhaftierungen von Journalisten, sondern auch in demokratischen Ländern durch Rufe wie ‚Lügenpresse‘ von AfD bis Donald Trump bedroht ist, wird umso deutlicher, dass Pressefreiheit uns alle angeht“, schreibt[16] die Mitorganisatorin Doris Akrap. In einer Situation, in der in Deutschland ein gesellschaftlicher Rechtsruck im Gange ist und selbst schlaue Linke vor allem in Putin, Erdogan und Trump den Gegner sehen, können Merkel und ihre Nachfolger fast ohne Proteste herrschen.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/NRW-Wahl-ist-Ausdruck-des-gesellschaftlichen-Rechtsrucks-in-Deutschland-3714498.html
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.staeck.de/
[2] http://www.freitag.de/autoren/bartholomaeus-von-laffert/dortmund-hart
[3] http://de-de.facebook.com/derfreitag/photos/a.401082522921.196897.313744767921/10155401665597922/?type=3
[4] http://gegenteilgrau.de/
[5] https://www.taz.de/Wahl-in-Nordrhein-Westfalen/!5405856/
[6] http://www.bodoev.de/
[7] http://www.igmetall.de/26-2017-25361.htm
[8] http://www.ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/branchenzuschlaege-sechste-zuschlagsstufe-verabschiedet
[9] http://www.labournet.de/politik/alltag/leiharbeit/leiharbeit-gw/hoechstueberlassungsdauer-der-metall-und-elektroindustrie-geknackt-ig-metall-stimmt-zeitarbeit-bis-zu-vier-jahren-zu/
[10] http://jungle.world/artikel/2017/18/vier-jahre-leiharbeit
[11] https://re-publica.com/de
[12] http://www.tagesspiegel.de/berlin/digitalkonferenz-in-berlin-die-re-publica-ist-erwachsen-geworden/19762552-all.html
[13] http://www.metronaut.de/2017/05/konfetti-gegen-die-bundeswehr-und-warum-die-republica-eine-chance-verpasst-hat/
[14] http://www.antilopengang.de/
[15] http://www.facebook.com/events/1901717233437127/
[16] http://www.taz.de/!164199/

Wohnen und „Recht auf Stadt“-Kämpfe im Ruhrgebiet

MieterEcho online 09.05.2017

Zum Dokumentarfilm DAS GEGENTEIL VON GRAU

Die Filmaufführung war am Sonntagabend im Lichtblick-Kino ausverkauft. Einige BesucherInnen mussten auf einen späteren Termin vertröstet werden. Gezeigt wurde DAS GEGENTEIL VON GRAU, der neue Film des Regisseurs Matthias Coers. Dort werden über 20 MieterInnen- und Recht auf Stadt-Initiativen aus dem Ruhrgebiet vorgestellt.
Coers hat unter aktiven MieterInnen einen guten Namen. Schließlich ist er einer der Regisseure des Films Mietrebellen, der seit drei Jahren in vielen Kinos in der ganzen Republik gezeigt wird und mittlerweile in 7 Sprachen übersetzt wurde. Er zeigt die Vielfältigkeit und Entschlossenheit der Berliner MieterInnenbewegung und motiviert auch Menschen in anderen Städten und Regionen. Dazu gehören auch die AktivistInnen der Initiative „Recht auf Stadt Ruhr“. Sie haben sich an Coers gewandt, weil sie nach dem Vorbild der MIETREBELLEN eine Art Bewegungsfilm für das Recht auf Stadt im Ruhrgebiet machen wollten. 2015 hat Matthias Coers gemeinsam mit Grischa Dallmer und dem Ruhrgebiets-Team mit den Dreharbeiten begonnen und der Kontakt zu den verschiedenen Gruppen ist dann über die Stadtaktiven vor Ort entstanden. Ende März hatte der Film bei Teampremieren im https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/das-gegenteil-von-grau.html
MieterEcho online 09.05.2017

Peter Nowak

Peter Nowak

Voneinander lernen!

Regisseur Matthias Coers spricht über Wohnkämpfe und seinen neuen Film »Das Gegenteil von Grau«

Zur Person

In dem Film »Das Gegenteil von Grau«, der am 5. Mai (19 Uhr) im Kino Moviemento und am 7. Mai (19 Uhr) im Lichtblickkino gezeigt wird, stellt der Berliner Filmemacher Matthias Coers Initiativen zum Wohnkampf im Ruhrgebiet vor. Mit dem Regisseur sprach Peter Nowak.

Wie haben Sie den Kontakt mit den Initiativen im Ruhrgebiet hergestellt?

Mit dem Film »Mietrebellen« habe ich Filmveranstaltungen im Ruhrgebiet gemacht. Dort bin ich in Kontakt gekommen mit Aktiven von »Recht auf Stadt Ruhr«, die vom Film sehr angetan waren. Gemeinsam haben wir überlegt, wie man für das Ruhrgebiet eine Art Bewegungsfilm für das Recht auf Stadt machen kann. 2015 haben wir mit den Dreharbeiten begonnen und der Kontakt zu den verschiedenen Gruppen ist dann über die Stadtaktiven vor Ort entstanden. Es gab zwar schon Verbindungen zu den Mietern vom Zinkhüttenplatz, aber so kam dann auch die Zusammenarbeit mit Freiraum- und Transition-Town-Initiativen zustande. Meine Idee vom dokumentarischen Filmen ist, Filme nicht über andere zu machen, sondern mit ihnen. Und das ist bei diesem Projekt gut gelungen, denn die Fähigkeiten und Talente liegen ja besonders vor Ort.

Der Film »Mietrebellen« handelte von Berlin, wo Sie selber in der Mieterbewegung aktiv sind. War es schwierig, in einer Region einen Film zu drehen, in der Sie nicht leben?

Da ich das Ruhrgebiet gut kenne, auch selber dort schon gearbeitet habe, und dort zudem eine offenherzige Mentalität herrscht, war es eher einfach, in einen kommunikativen und filmischen Prozess einzutreten. Es geht ja auch darum, Initiativen, die in den Nischen der Städte ihre Arbeit tun, zu sammeln und in einem Film vorzustellen. Voraussetzung dafür ist natürlich auch die Lust der Aktiven, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Schließlich ist es das Thema des Films, wie jenseits des marktwirtschaftlichen Interesses verstetigt organisiert und gearbeitet werden kann.

Wo sind die Gemeinsamkeiten der im Film vorgestellten Projekte?

Die 20 vorgestellten Projekte engagieren sich im Ruhrgebiet zwischen Freiraum- und Wohnkämpfen, in nachbarschaftlichen Gärten und Solidarischer Landwirtschaft. Sie alle leisten Pionierarbeit in einer Region mit starkem Strukturwandel. Das Ruhrgebiet ist entstanden als eine Industriegesellschaft und ist heute eine krisenhafte Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft. In den so entstandenen Stadtstrukturen herrscht eine gewisse Agonie, der von den Städten mit Eventkultur begegnet werden soll.

Welches Projekt hat Sie besonders beeindruckt?

Persönlich halte ich die Initiative kitev oder Refugees’ Kitchen für beispielhaft, da sie es kontinuierlich und mit Sichtbarkeit schaffen, zusammen mit Geflüchteten und Menschen aus ganz Europa auf lokaler Ebene temporäre wie dauerhafte Residence- und Arbeitsformen zu entwickeln.


Was können die Zuschauer in Berlin von der Arbeit der Initiativen im Ruhrgebiet mitnehmen?

Auf den ersten Blick mangelt es hier nicht an emanzipativen Orten und engagierten Menschen. Aufgrund aber des großen Raum- und Flächenbedarfs sowie der ordnungspolitischen Durchsetzung als Hauptstadt und Ort kapitalistischer Macht und Normalität erhält auch Berlin eine restriktivere Seite. Es muss voneinander gelernt werden, um auf Dauer gemeinschaftliche Raumnutzung wie Urban Gardening, Wohnformen wie Genossenschaften und Wagenplätze oder emanzipatives Zusammenleben mit geflüchteten Menschen konkret zu realisieren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1050033.voneinander-lernen.html
Interview: Peter Nowak

Auf-Ruhrgebiet

Nach seinem Film »Mietrebellen« hat der Regisseur Matthias Coers nun einen Dokumentation über widerspenstige Projekte im Ruhrgebiet vorgestellt. Sie schaffen Utopien en miniature.

Die Senioren sind in Feierlaune. Mit ihrer Mieterinitiative Zinkhüttenplatz haben sie den Abriss einer historischen Arbeitersiedlung verhindert. Dabei hatten sie nicht einmal von der Mehrheit der Linkspartei Unterstützung.

Ihr inspirierender Kampf ist in der Dokumentation »Das Gegenteil von Grau« zu sehen, der in dieser Woche Premiere hat. Knapp 20 außerparlamentarische Initiativen werden im Film vorgestellt. Das Spektrum reicht von Graffiti-Sprüherinnen – es sind tatsächlich nur Frauen – über einen anarchistischen Infoladen, über Projekte mit Geflüchteten bis zum Leerstandskino in Dortmund-Nord.

»Alle Projekte leisten Pionierarbeit im Ruhrgebiet, einer Region mit starkem Strukturwandel aus der Industriegesellschaft in eine krisenhafte Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft«. So beschreibt der Regisseur Matthias Coers gegenüber »nd« das Verbindende der vorgestellten Initiativen. Besonders das Oberhausener Projekt Kunst im Turm (kitev) und die Initiative Refugees‘ Kitchen, eine mobile Küche, in der Geflüchtete und Künstler zusammenarbeiten, haben Coers beeindruckt. Der Regisseur war durch den Film »Mietrebellen«, der den Widerstand gegen Vertreibung und Mieterhöhungen in Berlin dokumentiert, auch über Deutschland hinaus bekannt geworden.

Zur Entstehungsgeschichte: Bei einer Filmveranstaltung im Ruhrgebiet hatte Coers Aktive der Initiative »Recht auf Stadt Ruhr« kennengelernt. »Gemeinsam haben wir überlegt, wie man für das Ruhrgebiet auch eine Art Bewegungsfilm für das Recht auf Stadt machen kann«, so Coers. Die Filmarbeiten haben sich dann zwei Jahre in die Länge gezogen, weil Coers den Film nicht über sondern mit den Initiativen gemeinsam drehte.

Es werden Menschen vorgestellt, die in den Nischen der Städte ihre Utopien umsetzen wollen. Das kann ein »Reparaturladen« oder ein besetztes Gewächshaus sein, in dem sich Senioren ganz selbstverständlich darüber unterhalten, wie sie ein Schloss geknackt haben. Die kurzen Filmgespräche dokumentieren die Unterschiedlichkeit der einzelnen Projekte: Während einige mit linken Politikern kooperieren, betonen andere die Autonomie von Staat und Parteien. Ein Mitarbeiter des Bochumer Straßenmagazins »bodo« erläutert, wie ein Arbeiterstadtteil vor Jahrzehnten zum Zufluchtsort von Migranten wurde und bis heute geblieben ist. Die von Berlin nach Oberhausen »migrierten« Künstler von kitev fragen sich, ob ihr Projekt nicht gegen ihren Willen zur Gentrifizierung beitragen könnte.

Die Dokumentation ist ein aktueller Bewegungsmelder für ein anderes Ruhrgebiet. So hätte der Film mit dem vagen Titel »Das Gegenteilgenteil von Grau« vielleicht passender »Auf-Ruhrgebiete« heißen können. Auf jeden Fall macht er neugierig auf mehr und Lust, die Entwicklung der vorgestellten Projekte weiter zu beobachten.

vDer Film hat seine Premieren an den folgenden Tagen
Do., 23.03., 19:00 Uhr | Roxy Kino, Münsterstraße 95, Dortmund
Fr., 24.03., 19:00 Uhr | Alibi, Gladbecker Straße 10, Essen
Sa., 25.03., 19:00 Uhr | kitev, Willy-Brandt-Platz 1, Oberhausen
So., 26.03., 19:00 Uhr | Lokal Harmonie, Harmoniestraße 41, Duisburg
Mo., 27.03., 19:00 Uhr | Endstation Kino, Wallbaumweg 108, Bochum

www.gegenteilgrau.de

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1045514.auf-ruhrgebiet.html

Peter Nowak