
Da soll man besser zu dem Buch „Koukoulofori Die Vermummten“ greifen, das anders als der Untertitel „Anarchie und Widerstand in Griechenland 1967 – 1996“ erwarten lässt, einen gut lesbaren Überblick über die griechische Linke jenseits der Kommunistischen Partei (KKE) bietet. Die Erwähnung der KKE ist deshalb notwendig, weil sich an ihr viele linke Gruppen abarbeiteten. Es blieb oft nicht bei verbalen Auseinandersetzungen, auf Demonstrationen gab es gelegentlich militante Auseinandersetzungen zwischen der KKE und den unabhängigen linken Gruppen, egal ob sie sich als Kommunistinnen, Anarchistinnen oder Sozialrevolutionär*innen verstehen. Sie alle haben in dem Buch von Robert Klein ihren Platz. Wer erfahren will, woher diese starken Konflikte im linken Spektrum herrühren, bekommt in dem Buch …
… einige Antworten. Die Wurzeln liegen schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, als eine Militärdiktatur Griechenland beherrschte. Noch bis in die 1970er Jahren hatte die KKE unter der rebellischen Jugend großen Einfluss. „Obwohl unter linken Jugendlichen und Studierenden in dieser Phase eine kulturelle Aufbruchstimmung herrschte, landeten erstaunlich viele bei der KKE/KNE“ (S. 77). Im Glossar erfahren wir, dass es bei der KNE um die Jugendorganisation der KKE handelt. Ausführlich wird geschildert, wie sich in den letzten Jahren der Obristendiktatur der linke Widerstand vervielfachte und ausdifferenzierte. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass das Militärregime zu diesem Zeitpunkt mit großem Terror gegen jede Opposition vorging. Beschrieben wird die Folter in den Gefängnis und Polizeizellen und die
erzwungenen Reueerklärungen, in denen die Personen unterschreiben mussten, dass sie sich in Zukunft jeder kommunistischen Tätigkeit enthalten. Damit sollte vor allem die Arbeit der KKE lahmgelegt werden, denn ihre Mitglieder waren besonders davon betroffen. Der Terror gegen Linke hatte in Griechenland seit den 1930er Jahren nicht aufgehört. Schon Ende der 1940er Jahre begann der Bürgerkrieg, bei dem die profaschistischen griechischen Kräfte mit Unterstützung von Großbritannien und den USA die Linke blutig zerschlug. Besonders im Fokus stand die damals starke Kommunistische Partei, die in den Untergrund gedrängt wurde. Nach einer kurzen Tauwetterphase in der ersten Hälfte der 1960er Jahre erreichte der Terror gegen die Linke nach
dem Militärputsch 1967 in Griechenland einen neuen Höhepunkt.
Die Folgen des November 1973
Ausführlich wird in dem Buch auf den Aufstand gegen die Junta im November 1973 und die Besetzung von Hochschulgebäuden in Athen eingegangen. Das ist ein wichtiges Datum für sämtliche Strömungen der Linken in Griechenland bis heute. Im Buch wird der November 1973 als entscheidende Zäsur für die
griechische Linke dargestellt. Damals erstarkten Gruppen der radikalen Linken, darunter Anarchistinnen, aber es waren auch viele Anhängerinnen unterschiedlicher kommunistischer Theorien darunter. Nach der blutigen Niederschlagung des NovemberAufstands in Griechenland bildeten sich auch erste bewaffnete Gruppen, deren meist kurze Geschichte im Buch beschrieben wird. Nicht nur Linksradikale auch Sozialdemokrat*innen und Linksbürgerliche hatten ihre bewaffneten Formationen. Einige der bewaffneten
Gruppen nahmen Rache an bekannten Folterern der Junta. In dem Buch ist der Brief eines Gefangenen der Junta an den Philosophen JeanPaul Sartre abgedruckt, der aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt wurde und die Welt über die Zustände in den griechischen Folterknästen aufrüttelte. Der Gefangene schreibt sehr eindringlich: „Sartre hörst Du mich? Ich weiß, dass es Vietnam gibt. Ich bin unbedeutend gegenüber den Feuern dieser Hölle. Aber ich schwöre Dir, Sartre, unsere Tage in diesem Polizeigefängnis sind der Keim eines zweiten Vietnam“ (S. 131).
Solidarität mit Rolf Pohle
Die Folter war mit dem Ende des Militärregimes nicht beendet. Die meisten
Folterspezialisten „arbeiteten“ weiter im Repressionsapparat des bürgerlichen
Staates. Unter den „ersten Toten der Demokratie“ (S. 163) war der 16jährige Schüler Isidoros Isidoropoulis, der Flugblätter einer kleinen leninistischen Gruppe verteilte. Auch Alekos Panagoulis, ein Abgeordneter der linksliberalen Zentrumsunion, der bewaffnet gegen das Militärregime gekämpft hatte, wurde ermordet. In dem Buch werden die Kontakte zwischen der griechischen und der westdeutschen Linken in den 1970er Jahren beschrieben. So gab es in Griechenland eine große Solidaritätskampagne für Rolf Pohle, der im Zuge der von der Bewegung 2. Juni durchgeführten Entführung des Berliner CDUPolitikers Peter Lorenz aus einem Gefängnis in der BRD freikam, wo er wegen RAFMitgliedschaft inhaftiert war. Pohle wurde im Juli 1976 in Athen erneut verhaftet und sollte an die BRD ausgeliefert werden. Dagegen wandte sich in Griechenland eine breite Solidaritätsbewegung, die schließlich gegen massiven Druck aus der BRD Erfolg hatte. Pohle konnte in Griechenland bleiben. Er hatte Ende der 1960er Jahre als AStAVorsitzender der Universität München Solidaritätsaktionen mit den in Bayern lebenden Gegnerinnen der griechischen Junta organisiert, was ihm viele Sympathien im Exilland einbrachte. Pohles Verhaftung sorgte auch dafür, dass in Griechenland die Situation der politischen Gefangenen in der BRD thematisiert wurden. Ein Abschnitt aus einem Bericht von Pohles Rechtsanwalt Christian Ströbele deutet an, welches politische Klima damals in Griechenland herrschte. „Bald erschienen überall kritische Berichte. Die politischen Gefangenen in Deutschland und ihre Sonderbehandlung in deutschen Gefängnissen wurden zum Thema. Der deutsche Staat an der Seite der Imperialisten und vor gar nicht so langer Zeit auch an der Seite der griechischen Obristen, das interessierte die Griechen. Tausende gingen in Athen auf die Straße und demonstrierten gegen den deutschen Imperialismus und für die Unterstützung der Anarchisten in Deutschland“ (S. 165/66). Damals brauchte man nicht gesondert erwähnen, dass die BRD gemeint war, wenn in dem Text von deutschen Staat die Rede war. Auffallend ist auch, dass Ströbele mit dem Herausgeber des Buches einen diffusen Anarchismusbegriff teilt. Denn die Gefangenen der RAF zumindest verstanden sich ebenso als Kommunistinnen wie ein Teil der griechischen Oppositionellen, die im Buch unter den Anarchismusbegriff subsumiert werden.
Stammheim in Griechenland
Unter der Überschrift „Das Echo von Stammheim in Griechenland“ wird über
zahlreiche Demonstrationen und bewaffnete Angriffe auf Filialen deutscher Firmen in Griechenland nach der Todesnacht von Stammheim am 18. Juni 1977
berichtet. „Bei dem versuchten Angriff auf eine AEGZentrale in einem Industrieviertel zwischen Athen und Piräus wurde am 20. Oktober 1977 Christos Kassimis von der Polizei erschossen“ (S. 171). Es ist ein Verdienst des Buches, auf diese heute nur wenig bekannte transnationale Solidarität gegen Repression in den 1970er und 1980er Jahren eingegangen zu sein. Sie fand ihre Fortsetzung in den großen Demonstrationen in Deutschland und Griechenland, nachdem Alexandros Andreas Grigoropoulos, ein 15jähriger Jugendlicher, 2008 im linken Athener Stadtteil Exarcheias von der Polizei erschossen wurde. Diese Solidarität hält bis in unsere Tage an, wenn in Griechenland linke Gefangene im Hungerstreik sind oder Opfer von Polizeigewalt werden. . Peter Nowak
https://rote-hilfe.de/sites/default/files/2025-12/RHZ_2025_4_web.pdf