
„Hunderte Aktivist*innen ziehen durch Neukölln. ‚Deutsche Wohnen enteignen‘, singen sie.“ (S.328) So beschreibt der Historiker Ralf Hoffrogge die Stimmung in den Abendstun- den des 26. September 2021, nachdem die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen (DW Enteignen) bei einer Volksabstimmung mit 56,9 Prozent in Berlin gewonnen hatte. Hoffrogge gehörte seit 2018 zum Kernteam von DW Enteignen. In seinem Buch beschreibt er detailliert wie es die kleine Initiative schaffte, eine …
… Mehrheit für die Vergesellschaftung von großen Wohnkonzernen zu gewinnen. Doch bis heute ist wurde keines der Häuser vergesellschaftet. Hoffrogge beschreibt, wie der erfolgreiche Volksentscheid auf bürokratischem Weg verschleppt wurde. So wurde eine Kommission eingerichtet, die erst klären sollte, ob eine Vergesellschaftung überhaupt mit der Verfassung und dem Grundgesetz in Einklang steht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine Vergesellschaftung mög- lich ist. Auch danach wurde der Volksentscheid aber nicht umgesetzt, sondern ein Rahmengesetz angekündigt. In dem Buch wird auch deutlich, dass die Initiative kaum Druckmöglichkeiten nutzte, um die Politik zu zwingen, den Entscheid auch umzusetzen. So konnte DW Enteignen immer nur beim politischen Geplänkel mitspielen und war bald im wahrsten Sinne des Wortes aus den Hal- len der Macht wieder auf die Straße gesetzt worden. Bei der Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse der Kommission zur Verfassungsmäßigkeit der Vergesellschaftung vorgestellt wurden, war sie erst gar nicht eingeladen. Hoffrogge schreibt: „Die abschließende Presse- konferenz im Roten Rathaus wurde mit Spannung erwartet. Die Übergabe geschah vor laufender Kamera, anwesend waren der neue Bürgermei- ster Kai Wegner und Christian Gäbler, der vom Staatssekretär zum Wohnsenator aufgestiegen war. Überreicht wurde der Bericht von der Vorsitzenden der Kommission Hertha Däubler- Gmelin. Die Initiative, die den Volksentscheid angestoßen hatte, war nicht eingeladen. Sie wurde auch auf Anfrage nicht zugelassen, nicht einmal für den Zuschauerraum.“ (S. 406) Die Initiative, die über viele Monate viel Arbeit in das Volksbegehren gesetzt und eine Mehrheit erreicht hatte, durfte also nicht einmal am Katzentisch der Macht Platz nehmen. Wäre das nicht Grund genug, kritischer auf die Strategie und Taktik der Initiative zu blicken, als es Hoffrogge tut?
Es ist seinem Buch anzumerken, wie eng er mit der Initiative DW Enteignen ver- bunden ist. So wird die große Mieter*innenbewegung in Berlin ausgeblendet, ohne die der Erfolg von DW Enteignen nicht möglich gewesen wäre. Selbst der Film „Mietrebellen“, mit dem Matthias Coers und Gertrud Schulte-Westenberg bereits 2014 die Berliner Mieter*innenbewegung dokumentiert haben, kommt im 500-Seiten-Buch nicht einmal vor. Auch andere der zahlreichen Bücher, die sich mit der neuen Solidarität in den Städten und dem umkämpften Wohnen befassen und in den letzten Jahren erschienen sind, sucht man in der Literaturliste vergeblich. Aber auch manche Kritiken, die beispielsweise im „Mieterecho“, der Zeitung der Berliner Mieter*innengemeinschaft an der Taktik von DW Enteignen zu lesen waren, hätten mehr Beachtung verdient. Sie werden von Hoffrogge erwähnt, aber immer mit dem Tenor, es handele sich hier um einige der wenigen Nörgler*innen, die die doch so erfolgreiche Initiative ausbremsen wollten. Dabei wäre die DW Enteignen gut beraten gewesen, sich die Einwände der Kritiker*innen genauer anzusehen. Denn in den erwähnten Texten im „Mie- terecho“ wurde davor gewarnt, dass der Berliner Senat die Ver- gesellschaftungsinitiative ausbremsen würde, weil nicht über einen konkreten Gesetzentwurf sondern eine Empfehlung an die Politik abgestimmt wurde. Hoffrogge schreibt auch, dass sich die DW Enteignen ausgerechnet einen von der FDP initiierten Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof aus dem Jahr 2020 um Vorbild genommen hatte. Doch die FDP hatte von Anfang nur einen Fake-Volksentscheid vor, von dem sie wusste, dass er schon aus gesetzlichen Gründen nie umgesetzt würde. Ist das ein gutes Vorbild für eine Initiative, die es mit der Vergesellschaftung ernst meint?Jetzt plant DW Enteignen einen neuen Anlauf für eine Abstimmung über Vergesellschaftung von Wohnkonzernen in Berlin, diesmal mit einem verbindlichen Gesetzestext. Es ist zu hoffen, dass sie auch von ihren Fehlern lernt und begreift, dass sie ohne die Berliner Mietrebell*innen, die es lange vor DW Enteignen gab, keinen Erfolg haben wird. Peter Nowak