Bernd Drücke (Hg.): Die Kriegslogik durchbrechen! Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg. Verlag Graswurzelrevolution 2025. 128 Seiten. ca. 19.00 SFr. ISBN: 978-3.9390-59-5.

„Wir müssen keine Feinde sein“

Ein Band dokumentiert Stimmen, die sich durch den Konflikt im Gaza nicht verhärten lassen wollen. Am 12. Dezember stellt Herausgeber Bernd Drücke das Buch um 20 Uhr im Buchladen Schwerze Risse in der Gneisenaustr. 2a in Berlin vor und zur Diskussion

Am 27. September 2025 fand in Berlin die grösste Demonstration für ein Ende des Gazakriegs statt. Doch vor manchen jüdischen Antimilitarist*innen fehlte bei den Reden, auf den Transparenten und auf den Flugblättern eine deutlichere Absage auch an die Hamas. Einige von ihnen hatten sich am Berliner Lustgarten zu einer kleinen Kundgebung versammelt. Dort konnte man Menschen hören, die darüber klagten, dass jüdische Menschen für die Politik Israels in Berlin und anderen Städten angegriffen werden. Dabei betonten diese Redner*innen, dass sie selber die Politik der ultrarechten israelischen Regierung klar verurteilten, genauso wie die Angriffe der Hamas. Solche nachdenklichen Stimmen zwischen den Stühlen finden sich auch in dem Buch mit dem programmatischen Titel …

…. „Die Kriegslogik durchbrechen“ „graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg“ dokumentiert, wie es im Untertitel heisst. Das Adjektiv hat zwei Bedeutungen. Die Metapher Graswurzelbewegung steht für eine Organisierung an der Basis jenseits von staatlichen Institutionen.

Graswurzelrevolution (ist zudem der Name einer seit über 50 Jahren bestehenden Monatszeitung, die für Antimilitarismus, Staats- und Machtkritik steht. Die Autor*innen der GWR lehnen Kriege und Gewalt von allen Seiten ab. Genau von diesen Grundsätzen sind die dokumentierten Texte in dem Band geleitet, das vom verantwortlichen Redakteur der GWR Bernd Drücke herausgegeben wird. Die überwiegende Mehrzahl der Texte wurde in den letzten Jahren in der gwr veröffentlicht.

„Krieg, Hass Tod und unendliche Leiderfahrungen müssen nicht das letzte Wort im israelisch-palästinensischen Konflikt bleiben“, äussert Drücke im Vorwort eine Hoffnung. „Das gilt nicht nur für die geschundene Gaza-Bevölkerung sondern auch für die jüdisch-israelische Bevölkerung“, ergänzt der in Jerusalem lebende Soziologe Moshe Zuckermann in seinem kurzen Geleitwort.

Gleich mehrmals kommt in dem Band Swetlana Nowoshenowa zu Wort, die die Organisation Palestinias and Jews for Peace gegründet hat und in verschiedenen Reden in den letzten Monaten unermüdlich betonte: „Wir müssen keine Feinde sein“. Sie muss sich immer wieder Vorwürfe anhören, sie wäre eine „selbsthassende Jüdin“. Mit diesen Schmähbegriff setzt sich Nowoshenowa in einem Beitrag in dem Band auseinander. Er gehört längst zum Repertoire eines neuen Antisemitismus, von dem jüdische Menschen betroffen sind, die sich gegen die Kriegstommeln wenden.

Aber natürlich gehen auch die Islamisten der Hamas mit Einschüchterung und Gewalt gegen Palästinenser*innen vor, die aus der Kriegslogik aussteigen wollen. Wer erinnert sich noch an die Proteste von Bewohner*innen des Gaza, die gegen islamistischen Rackets protestierten, die sich dagegen wehren zu unfreiwilligen Schutzschilden für deren Angriffe auf Israel zu werden? Mehrere der Oppositionellen wurden ermordet oder mussten aus dem Land fliehen. Deswegen ist die Parole „Free Gaza from Hamas“ durchaus richtig, wenn denn auch die Solidarität mit der israelischen Opposition gefordert wird.

Zu loben ist der Mut der Combatants for Peace, die in dem Buch vorgestellt werden. Es sind Ex-Soldaten wie der ehemalige IDF-Kämpfer Chen Alon und der ehemalige militante Palästinenser Ahmed Helou, die heute für ein gemeinsames Miteinander im Nahen Osten eintreten. Natürlich kommt auch das Hamas-Pogrom vom 7. Oktober 2023 in verschiedenen Beiträgen zur Sprache. Da wird berichtet, dass auch Palästinenser*innen und Beduinen zu den Menschen gehören, die in den ersten Stunden Hilfe für die Verletzten organisierten. Es ist das grosse Verdienst der Autor*innen des Bandes, dass sie auf beiden Seiten des Konflikts Menschen sehen, die Rechte haben, die leiden, die unter Schmerzen sterben.

Gegen Hamas und Kahanismus

Es macht Mut, diese Texte von Menschen zu lesen, die sich von der scheinbar übermächtigen Kriegslogik nicht verhärten lassen. Die Lektüre sei auch allen empfohlen, die in den Konflikt vor lauter Geo- und Machtpolitik die Menschen nicht mehr sehen. Das gilt für die pro-palästinensische Seite, wo manche in dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober 2023 irgendetwas Fortschrittliches sehen wollen. Das gilt auch für alle, die bis heute die Kriegspolitik der israelischen Regierung bedingungslos verteidigen und sogar teilweise wegreden wollten, dass die Zivilbevölkerung des Gaza während der Kriegshandlungen an Hunger litt.

Die bedingungslosen Verteidiger*innen der israelischen Regierung lassen auch ausser Acht, dass in Jerusalem eine Regierung mit einem rechtskonservativen Premierminister und mehreren kahanistischen Ministern amtiert. Der Kahanismus ist eine israelische Spielart des Faschismus und war in Israel lange auch juristisch geächtet. Es ist kein Wunder, dass die ultrarechten Politiker*innen aus aller Welt in der aktuellen israelischen Regierung ihr Vorbild sehen. Deswegen sind sie weiterhin antisemitisch. Das bekommen auch all die Jüdinnen und Juden zu spüren, die eben die aktuelle israelische Regierung nicht bedingungslos verteidigen sondern an jüdisch-kosmopolitische Traditionen anknüpfen. Sie stehen damit durchaus in guter Tradition.

Wurde doch auch Hannah Arendt, deren 50. Todestag aktuell erinnert wird, angegriffen, weil sie sich als liberale Kosmopolitin nicht bedingungslos zur israelischen Politik bekannte. All die Autor*innen des Buches „Die Kriegslogik durchbrechen“ stehen ebenfalls in dieser guten Tradition einer Linken, mit der kein Staat zu machen ist und kein Krieg zu führen ist. Es gibt also viele Gründe zu hoffen, dass dieses Buch viel Verbreitung findet. Vielleicht kann es auch helfen, die innerlinke Kriegslogik zu durchbrechen, die vor allem in Deutschland beim Nahostkonflikt herrscht.

Peter Nowak

Bernd Drücke (Hg.): Die Kriegslogik durchbrechen! Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg. Verlag Graswurzelrevolution 2025. 128 Seiten. ca. 19.00 SFr. ISBN: 978-3.9390-59-5.