
Karlsruhe ist immer eine Reise wert. Wen es demnächst dorthin verschlägt, sollte unbedingt einen Abstecher zum Badischen Kunstverein machen. Dort sind noch bis Mitte November Arbeiten des rumänischen Künstlers Stefan Bertalan zu sehen, der erst Jahre nach seinem Tod hierzulande größere Aufmerksamkeit bekommt. In den Räumen des Kunstvereins sind …
… größere und kleinere Zeichnungen von Pflanzen und zum kleineren Teil auch von Tieren zu sehen, die Bertalan über viele Jahre geschaffen hat. Wer die akribisch gestalteten Bilder von Tulpenblüten und -blättern betrachtet, kann ermessen, wie intensiv sich der Künstler über viele Jahre damit beschäftigt haben muss. So passt auch der poetische Titel der Ausstellung sehr gut: „Ich habe 130 Tage mit einer Sonnenblume gelebt“.
Eine so intensive Beschäftigung mit der Natur ist in der Kunstszene in letzter Zeit häufiger zu beobachten. Es ist auch ein Reflex auf die massiven Beeinträchtigungen, die unsere kapitalgetriebene Produktions- und Lebensweise der natürlichen Umwelt zufügt. In einer Zeit, in der viele Pflanzen- und Tierarten vielleicht bald nicht mehr existieren, wächst das Interesse daran, sie zumindest in Kunstform zu erhalten. Das ist kein neues Phänomen – schon die Naturbegeisterung der frühen Romantik war ein Reflex auf die immensen Umweltschäden durch die Frühindustrialisierung.
Locker und informativ
Durchaus romantische Stellen finden sich auch in dem im Büchner-Verlag erschienenen Band „Ein Tag unter Bienen“. Vom Verfasser Gregor Haniak ist nur bekannt, dass er studierter Biologe und langjähriger Imker ist. Er hat nicht nur 130 Tage, sondern viele Jahre lang mit Bienen zusammengelebt, sie beobachtet, aber auch ihren Honig verarbeitet. Im Vorwort beschreibt der Verlag, was Haniak zu dem Buch motiviert hat: „‚Ein Tag unter Bienen‘ vereint auf harmonische Weise erkenntnisreiche und anschauliche Wissensvermittlung mit einer unterhaltsamen, fesselnden und teils humorvollen Leseerfahrung.“ Dieser Anspruch wird größtenteils eingelöst. Haniak beschreibt die alltäglichen Tätigkeiten eines Imkers, der etwa im Frühjahr die Bienenstöcke öffnet und nachsieht, wie die Tiere den Winter überstanden haben. Ständiger Wegbegleiter ist Haniaks Hund, der eine wichtige Rolle in der Erzählung einnimmt. Das 250-seitige Buch ist in die drei Tageszeiten Morgen, Mittag und Abend unterteilt. Der Band besticht durch seine ansprechende Gestaltung, angefan gen vom Cover. Der Text wird durch zahlreiche Zeichnungen aufgelockert, die Bienen, Pflanzen, aber auch den Hund des Autors zeigen. Das steigert die Lesefreundlichkeit enorm. Auch die Suche nach einem Lesezeichen kann man sich sparen, weil ein gelbes Bändchen im Buch diese Funktion übernimmt.
Romantik oder Ökonomie?
Tatsächlich enthält das Buch viele nützliche Informationen über das Leben der Honigbiene und auch über die biologische Beschaffenheit des Insekts. So erfahren wir: Bienen wie auch Schmetterlinge schmecken mit den Füßen – diese übernehmen also die Funktion, die beim Menschen die Zunge erfüllt. Durch Härchen mit Geschmackszellen am Fuß erhalten die Tierchen schon beim Betreten der Blüten zahlreiche Informationen über den Zuckergehalt des dortigen Nektars. So verlieren sie keine Zeit bei der Nektarsuche. Viel erfahren wir auch über das Leben im Bienenstock, die Funktion der Königin, der Drohnen und der Arbeitsbienen, den Bau der Waben und die Prozedur der Honigherstellung. Der Autor erzählt auch vom Umzug eines Bienenvolkes, dem die Wabe zu klein geworden ist. Bestimmte Bienen inspizieren den neuen Ort, der dann von allen gewählt wird. Hier und da hat man den Eindruck, dass das Leben der Bienen dann doch zu stark vermenschlicht wird. So spricht Haniak von „mutigen“ Bienen, die sich besonders früh im Frühjahr aus dem Bienenstock wagen. Da stellt sich die Frage, ob es nicht einfach Instinkt ist. Wir erfahren auch von der Zwangsräumung eines Bienenvolkes, an der der Autor selbst beteiligt war. Die Bienen hatten sich in der Garage einer Familie niedergelassen, die auf dem Land lebt, aber möglichst nicht von der Natur behelligt werden wollte. Als eine Biene den Mann im Garten stach und dann die neuen fliegenden Mitbewohner entdeckt wurden, wurde Imker Haniak um Rat gefragt. Der beschreibt, wie er die Bienen samt Wabe in einen Kasten packte und umsiedelte. Dabei bedachte er die Familie wegen ihrer großen Angst vor den „Killerbienen“ und deren Stichen mit leichtem Spott. Aber er hatte viel Verständnis für das Anliegen der Menschen, ihre Behausungen bienenfrei zu halten. Keine grundsätzliche Kritik äußert Haniak auch an der Ausnutzung der Arbeit der Bienen durch die Men- schen, die schließlich den Honig verwerten. Dazu ist der Autor eben doch zu sehr Imker und lässt sich an vielen Stellen auch von entsprechen- den Überlegungen zur Verwendung des Honigs leiten. Im Buch ergibt das dann eine seltsame Mischung aus romantischen Elementen – wobei die Großartigkeit der Natur beschrieben wird – und der Bejahung der ökonomischen Logik, die eben permanente Eingriffe in diese Natur nötig macht. Damit ist Haniak nahe bei einem großen Teil des Mittelstandes, für den der Bienenhonig ein Symbol naturnaher Ernährung ist.
Nicht nur Honigproduzentinnen
Nur an einzelnen Stellen übt Haniak an einer Überausbeutung der Bienen Kritik und wendet sich dagegen, in ihnen allein Honigproduzentinnen zu sehen. Das kann man ihm auf keinen Fall vorwerfen, denn das 250-seitige Buch ist eine einzige Eloge auf das Leben der Bienen, das die Natur so trefflich eingerichtet habe. Manchmal gerät Haniak regelrecht ins Schwärmen über die Arbeit im Bienenhaus und die fleißigen Arbeitsbienen, deren einzige Funktion darin besteht, Honig zu produzieren, neue Waben zu bauen und das Leben der Bienenkönigin zu schützen. Gerade hier hätten einige philosophische Anmerkungen gut gepasst. So finden sich, für viele sicher überraschend, im „Kapital“ von Karl Marx interessante Anmerkungen zum Vergleich von Menschen und Bienen: „Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinen Kopf gebaut hat, bevor er sie aus Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Produkt heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ Es ist etwas schade, dass Haniak sich mit solchen Gedanken überhaupt nicht beschäftigt. Sie hätten seinem Buch eine noch größere Tiefe und Überlegungen jenseits einer romantischen Naturbetrachtung mehr Raum gegeben. ■
Peter Nowak
Ausstellung: Stefan Bertalan. Ich habe 130 Tage mit einer Sonnenblume gelebt, bis 23.11., Badischer Kunstverein, Karlsruhe, Waldstr. 3, Di-Fr 11-19, Sa/So 11-17 Uhr