Peter Nowak interviewt Detlef Georgia Schulze: Ein Gespräch über Klassen, Geschlechter und das Ganze.

Der Kapitalismus und die Klassen sind nicht das Ganze!

Die entscheidende Frage ist, ob wir von einer Wechselwirkung zwischen mehreren, grundlegenden (strukturellen) Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen ausgehen (das ist die Position des Feminismus von den 1960er bis 1980er Jahren, soweit dieser nicht in Umkehrung des marxistischen Klassenreduktionismus seinerseits geschlechterreduktionistisch war, sowie die intersektionale Position) oder ob wir von einem grundlegenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis – den Klassenverhältnissen – ausgehen, von denen beispielsweise das Geschlechterverhältnis „abgeleitet“ ist bzw. einseitig determiniert wird.

PN: In der Juni-Ausgabe von analyse & kritik war ein Interview mit Friederike Beier, die ein Buch zu Queerfeminismus und historischem Materialismus herausgegeben hat, erschienen. Du hast Dich ebenfalls des öfteren zu diesem theoretischen Feld geäussert.[1] Hast Du das Buch schon gelesen? ….

dgs: Nein.

PN: Darf ich Dir trotzdem ein paar Fragen stellen?

dgs: Nein – jedenfalls nicht zu dem Buch. Ich kann und will mich nicht zu einem Buch äussern, das ich nicht gelesen habe. Aber Du könntest mich mit ein paar Thesen konfrontieren, von denen wir offen lassen, ob sie in dem Buch stehen, oder ob ich das Buch vielleicht ganz anders verstehen würde, wenn ich es lesen würde.

PN: Was hältst Du von der These, „Dem historischen Materialismus zufolge muss sich die Kategorie Geschlecht verändern, wenn sich die Klassenverhältnisse ändern“?

dgs: Ja, das beschreibt den Marxismus korrekt. (Mehr als den Marxismus beschreiben, macht die These ja nicht. Sie sagt nur, was „[d]em historischen Materialismus zufolge“ der Fall ist – nicht, dass es tatsächlich so sei.) Gerade diesbezüglich liegt der Marxismus aber falsch.

Die These ist meines Erachtens einerseits zu stark („muss sich […] verändern“) und andererseits zu einseitig. Einverstanden wäre ich mit: „Die Klassenverhältnisse beeinflussen das Geschlechterverhältnis, wie auch das Geschlechterverhältnis die Klassenverhältnisse beeinflusst.“

Die entscheidende Frage ist, ob wir von einer Wechselwirkung zwischen mehreren, grundlegenden (strukturellen) Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen ausgehen (das ist die Position des Feminismus von den 1960er bis 1980er Jahren, soweit dieser nicht in Umkehrung des marxistischen Klassenreduktionismus seinerseits geschlechterreduktionistisch war, sowie die intersektionale Position) oder ob wir von einem grundlegenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis – den Klassenverhältnissen – ausgehen, von denen beispielsweise das Geschlechterverhältnis „abgeleitet“ ist bzw. einseitig determiniert wird.

PN: Was hältst Du von der Formulierung der „materialistischer Querfeminismus verbindet marxistische Klassenanalyse mit queerfeministischer Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität“?

dgs: Das löst bei mir den Verdacht eines Kurzschlusses zwischen Materialismus, Marxismus und Klassenanalyse aus – also in etwa im Sinne von: die eigentlich idealistische „queerfeministische Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität“ werde dadurch materialistisch, dass die „marxistische Klassenanalyse“ mit hineingemengt wird.

Materialismus ist aber weder an einen bestimmten Gegenstand noch an eine bestimmte (Wissenschafts-)Diszplin gebunden, sondern bezeichnet – nach richtigem Verständnis – in jeder Disziplin (so sie denn Wissenschaft ist), das ‚strenge‘ (nicht-voluntaristische, nicht-idealistische, …) Verhältnis der WissenschaftlerInnen zu ihrem jeweiligen Gegenstand.

Auch die Analyse des Geschlechterverhältnisses kann materialistisch betrieben werden – aber nicht, indem es aus den Klassenverhältnissen abgeleitet wird.

PN: Und was würdest Du generell zur Bezeichnung „materialistischer Queerfeminismus“ – unabhängig von der gerade zitierten (vielleicht) zu engen Definition – sagen?

dgs: Mir scheint, bevor „materialistischer Queerfeminismus“ definiert wird, wäre sinnvoll, „Querfeminismus“ zu definieren – also z.B. die Schnittmenge von materialististischem und idealistischem „Querfeminismus“ zu festzustellen und zu klären, wie sich „Queerfeminismus“ zu „queer und feministisch“ sowie „dekonstruktivtistischem Feminismus“ sowie „Feminismus“ überhaupt verhält. Mein Problem fängt nämlich schon bei „Querfeminismus“ an – und nicht erst bei dessen Verbindung mit dem historischen Materialismus.

Ich für meinen Teil, z.B., lehne die Zusammenziehung / den Begriff „Queerfeminismus“ und das, was er gemeinhin bezeichnet, ab. Gegen „queer und feministisch“ hätte ich weniger einzuwenden; der Begriff, den ich dagegen entschieden beanspruche ist: „dekonstruktivistischer Feminismus“.

PN: Was ist denn Deines Erachtens der Unterschied zwischen dekonstruktivistischem und queerem Feminismus? Hängt das (bzw. hängen die) nicht irgendwie zusammen?

dgs: Ja, sie hingen in der Anfangszeit von queer zusammen, aber sie haben unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Genauer gesagt, hat „queer“ einen spezifischeren Gegenstandsbereich: queer betrifft spezifisch den Bereich der Sexualitäten; Dekonstruktion ist dagegen ein allgemeiner philosophischer Ansatz, der für die Analyse unterschiedlicher Gegenstandsbereiche nützlich sein kann, aber zunächst einmal für die Analyse (philosophischer) Texte entwickelt wurde. Letzteres muss allerdings nicht heissen, dass der Ansatz nicht auch für ausserdiskursive Realitäten verwendet werden kann.

PN: Und was besagt der philosophische Ansatz der Dekonstruktion?

dgs: Auf die Gefahr hin, von Derrida-ExpertInnen Haue zu bekommen, würde ich sagen: Der Dekonstruktivismus zerlegt das vermeintlich Gegebene, Natürliche, Omnihistorische etc. pp. in seine – etwaig widersprüchlichen – Bestandteile / in seine Elemente, aus denen es entstanden bzw. zusammengesetzt ist. Derrida rückt die „innere Spannungen, Gegensätze und Aporien [jener Texte] ins Zentrum“ [Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 2, Metzler: Stuttgart/Weimar, 2005[2], 145 – 146 [145], s.v. Dekonstruktion (Dekonstruktivismus)]. Dekonstruktion heisst, „examining the texts of philosophy with an eye to their various blindspots and contradictions“ (Routledge Encyclopedia of Philosophy. Bd. 2, Routledge: London / New York, 1998, 835 – 839 [836]). Butler spricht davon, „den substantivischen Schein der Geschlechtsidentität in die konstitutiven Akte [zu] dekonstruieren“ (Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 60) – also zu zerlegen.

Insofern ich „zerlegt“ und „zerlegen“ sage, ist Dekonstruktivismus à la Schulze (nicht Derrida) vielleicht einfach nur die ‚Übersetzung‘ des

  • griechischen Fremdworts „analysieren“ (von griech. ἀναλύειν [analýein][2] = auflösen, zu ἀνά [aná] [= u.a. auf][3] und λύειν [lýein][4] [= lösen][5])
  • in das lateinisch-stämmige Fremdwort „dekonstruieren“ (zu lat. cōnstruere [1. Person Singular Präsens: cōnstruo, Partizip Perfekt: cōnstrūctum] = zusammenordnen, zu alt-lat. com [= mit, zusammen][6] + struere [= schichtweise über- oder nebeneinanderlegen, aufschichten, aneinanderfügen, errichten, ordnen][7]).

Im Zerlegen des vermeintlich Gegebenen, Natürlichen, Omnihistorischen etc. pp. in seine Bestandteile / in seine Elemente liegt eine tatsächlich produktive Verwandtschaft zum Marxismus; während es un-dekonstruktivistischer Hegelianismus ist, die Klassenverhältnisse zum „Wesen“ zu erklären, dessen blosse „Erscheinungen“ oder dessen blosser „Ausdruck“ alle anderen gesellschaftlichen Verhältnisse und Phänomene seien. Letztere Vorgehensweise ist allerdings auch nicht marxistisch, sondern – wie schon angedeutet – Verwechselung des Marxismus mit Hegelianismus.

Was die etwaigen Widersprüche zwischen den Elementen des zu Dekonstruierenden anbelangt, so sagt Derrida:

„Man könnte […] alle Gegensatzpaare wieder aufgreifen, […], um an ihnen nicht etwa das Erlöschen des Gegensatzes zu sehen, sondern eine Notwendigkeit, […].“ Die différance „stiftet zur Subversion eines jeden Reiches an.“[8]

Hört sich das nicht ziemlich nach Lenin an, der seinerseits sagte:

„Die Einheit (Kongruenz, Identität, Wirkungsgleichheit) der Gegensätze ist bedingt, zeitweilig, vergänglich, relativ. Der Kampf der einander ausschliessenden Gegensätze ist absolut, […].“

(LW 38, 338 – 344 [339]; Zur Frage der Dialektik)

Falls ich noch ein bisschen zu „dekonstruieren“ = „analysieren kalauern darf:

  • die kritische ‚Moderne‘ (einschliesslich des Marxismus) hat ‚aufgelöst‘ – analysiert;
  • die kritische ‚Postmoderne‘ (einschliesslich des strukturalen Marxismus von Althusser u.a.) ‚zerlegt‘ – dekonstruiert,
  • und die affirmative ‚Moderne‘ (einschliesslich des Hegelianismus und derjenigen, die Marxismus mit Hegelianismus verwechseln) haben synthetisiert und totalisiert.

Darum geht es auch bei der Frage nach dem Verhältnis von Geschlechter- und Klassenverhältnissen: Sind die Geschlechterverhältnisse (und der Rassismus) eine blosse pars totalis[9] (lat. pars [Gentiv Singular: partis] = Teil[10]) der Klassenverhältnisse? Oder gibt es ein (strukturiertes) gesellschaftliches Ganzes, das aus mehreren grundlegenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen besteht? Sind die Klassenverhältnisse auch nur ein Teil des Ganzen und nicht die „Totalität“?

PN: Und was ist nun mit queer?

dgs: queer war zunächst das Aufgreifen der ‚zerlegenden‘ (dekonstruktivistischen) Herangehensweise auf dem Feld der Sexualitäten, und der dekonstruktivistische Feminismus der frühen Judith Butler war das Aufgreifen der ‚zerlegenden‘ (dekonstruktivistischen) Herangehensweise auf dem Feld der Geschlechter(verhältnisse). Es wurde gezeigt: Sexuelle Identitäten und der Geschlechterbinarismus sind nicht omnihistorische Gegebenheiten, sondern historisch-gesellschaftlich produziert:

„Beauvoir stellt fest, dass man zwar zur Frau ‚wird‘, aber dass dies stets unter gesellschaftlichem Druck geschieht. […]. Im ersten Band von Sexualität und Wahrheit legt Foucault dar, dass die eindeutige Konstruktion des ‚Sexus‘ (d.h., man ist sein eigenes Geschlecht und nicht das andere) […] im Dienste der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle der Sexualität produziert wird, […].“

(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 26, 143; kursive Hv. i.O.; fette Hv. hinzugefügt)

  • Erst im 19. Jahrhundert wurden bestimmte Handlungen zum Ausdruck einer Identität bzw. Persönlichkeit: „Die Sodomie – so wie die alten zivilen oder kanonischen [kirchlichen] Rechte sie kannten – war ein Typ von verbotener

Handlung, […]. Der Homosexuelle des 19. Jahrhunderts ist zu einer Persönlichkeit geworden, die über eine Vergangenheit und eine Kindheit verfügt, einen Charakter, eine Lebensform […] besitzt. […]. Sie [Seine Sexualität] ist ihm [dem Homosexuellen] konsubstantiell, weniger als Gewohnheitssünde denn als Sondernatur.“

(Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1998[10], 58; Hv. hinzugefügt)

  • Nicht alle Gesellschaften haben die graduelle Vielfalt von sexuellen Merkmalen, Eigenschaften[11] und Verhaltensweisen auf nur zwei Geschlechter reduziert, und die Gesellschaften, die diese Reduktion nicht vornahmen, wurden damit – wenn auch nur im Ergebnis – trotz weniger biologischen Kenntnissen – nicht nur der gesellschaftlichen, sondern auch der biologischen Realität mehr gerecht. Der Geschlechterbinarismus war freilich nicht nur „falsches Bewusstsein“, sondern ging mit einer tatsächlichen Formierung der Individuen zu Angehörigen eines von zwei Geschlechtern einher: „Es ging nie darum, dass ‚alles diskursiv konstruiert ist‘; diese Aussage, wenn und wo immer sie gemacht wird, gehört zu einer Art von diskursiven Monismus oder Linguistizismus. Er bestreitet die konstitutive Kraft des Ausschlusses, der Auslöschung, der gewaltsamen Zurückweisung und Verwerflichmachung [abjection] […].“[12]

PN: Du sagst „zunächst“. Ist queer inzwischen etwas anderes?

dgs: Ja, ich würde sagen: queer hat sich schon früh von dekonstruktivistischer Essentialismus-Kritik zu essentialistischem Identitätskult gewandelt: von „Geschlecht und Sexualität sind gesellschaftlich produziert“ zu „Geschlecht und Sexualität sind meine Wahl, Ausdruck meines inneren Wesens“. Der mittel-alte Foucault und die junge Butler hätten sich die Haare gerauft. Denn Butlers These in Gender Trouble war:

„[…] die Geschlechtsidentität [im englischen Original stand allerdings gar nicht gender identity, sondern gender.[13] Es wäre also – wenn schon Übersetzung – besser mit Geschlecht übersetzt worden.[14] dgs] ist ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen liesse, das es der Tat vorangeht. […]. Wenn die Attribute der Geschlechtsidentität[15] nicht expressiv, sondern performativ sind, wird die Identität, die sie angeblich nur ausdrücken oder offenbaren sollen, in Wirklichkeit durch diese Attribute konstituiert.“

(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 49, 207)

„es [gibt …] kein Subjekt […], das ‚vor‘ dem Gesetz steht“. Die Subjekte werden vielmehr „in Übereinstimmung mit den Anforderungen d[…]er Strukturen gebildet, definiert und reproduziert“[16].

(ebd., 17, 16)

Entsprechend hat Foucault von Subjektivierung[17] gesprochen – die Individuen sind nicht von Natur aus Subjekte, sondern sie werden subjektiviert.

Bereits wenige Jahre später wurde die gegenteilige These in der queer-Szene hegemonial: Die Geschlechtsidentität ist die Tat – die Wahl – eines Subjekts, das dieser Wahl vorausgeht und das mit seiner Wahl sein Selbst ausdrückt und nicht etwa gesellschaftlich determiniert ist.

PN: Und was sagst Du zu „Identitätspolitik“?

dgs: „Identitätspolitik“ ist inzwischen zu einer marxistisch-sozialdemokratisch-afd-istische Allerweltsbezeichnung für alles, was nicht deutsch- und/oder arbeitertümelnde Identitätspolitik ist (ja, mal wieder: „Die grössten Kritiker der Elche, sind selber welche.“), geworden. Beim Aufkommen von queer und dekonstruktivistischem Feminismus war Identitätspolitik dagegen spezifische Bezeichnung für die biologistische und kulturalistische Strömung im Feminismus (nicht: für den Feminismus) der 1980er Jahre[18] und entsprechende Strömungen unter Schwarzen und Schwulen. Butler kritisierte in diesem – essentialistischen – Sinne verstandenene Identitätspolitik:

„Die fundamentalistische Argumentation der Identitätspolitik tendiert zu der Annahme, dass zuerst eine Identität da sein muss, damit die politischen Interessen ausgearbeitet werden können und dann das politische Handeln einsetzen kann. Meine These ist dagegen, dass es keinen ‚Täter hinter der Tat gibt‘, sondern dass der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.“

(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 209)

PN: Was hältst Du von der These, unbezahlte Haus- und Sorgearbeit werde abgewertet und besonders von FLINTA verrichtet?

dgs:Wenig – von beiden oder allen Teilen der Doppel- oder Dreifach-These:

  • Die These, dass Haus- und Sorgearbeit unbezahlt sei, ist eine Erfindung einer bestimmten Variante der Nebenwiderspruchstheorie, die beweisen möchte, dass das patriarchale Geschlechterverhältnis kapital-nützlich sei.

    In Wirklichkeit ist innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit zwar unentlohnt (findet also ausserhalb des Lohnarbeit-Kapitalverhältnisses statt – also nix von wegen „Totalität“), aber nicht unbezahlt – der Ehegattenunterhalt[19] muss (mit entsprechenden Auswirkungen auf das Lohnniveau von Männern) genau deshalb bezahlt werden, damit die Person, die den Unterhalt erhält, die innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit leistet / leisten kann (und etwaig weniger oder gar keine Erwerbsarbeit leistet / leisten kann).

    Dass die innerfamiläre Arbeit – jedenfalls in heutigen Gesellschaften – vor allem Cis-Frauen zugewiesen wird, kann nicht aus dem Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis erklärt werden, sondern hat seine interne Ursache im patriarchalen Geschlechterverhältnis – und dies beeinflusst den Kapitalismus. Letzter ist insoweit das Objekt – nicht: das Subjekt – der Beeinflussung.
  • Damit sind wir bei dem nächsten Element der Dreifach-These: Dass vor allem Cis-Frauen innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit zugewiesen wird, ist gut erforscht; dass auch „-INTA“ (Intersexuelle, Non-Binäre, Transgender und Agender) beim Klo und Kinderpopos putzen an vorderster Front stehen, würde ich gerne erst einmal bewiesen sehen, bevor ich es glaube. Ich hatte um die Jahrtausendwende versucht, die Arbeitsteilung in Haushalten und Beziehungen, an denen (mindestens) eine transgender-Person beteiligt ist, zu untersuchen.[20] Viel hatte ich nicht herausgefunden[21]; aber ich war auf einige Indizien gestossen, dass es sowohl MzF- als auch FzM-transgender verstehen, ihre männlichen Sozialisation-Anteile zu nutzen, um sich insoweit von Cis-Frauen zu unterscheiden[22]. Ich habe daher den Verdacht, dass FLINTA in Bezug auf Haus- und Sorgearbeit eine unangemessene Verallgemeinerung ist.
  • Schliesslich: Haus- und Sorgearbeit ist zwar schlecht bezahlt; angesichts pronatalistischer Politik habe ich aber Zweifel, ob sie auch ideologisch abgewertet wird.

PN: Kennst Du die Philosophin Jule Govrin oder hast etwas von ihr gelesen?

dgs: Nein.

PN: Hast Du trotzdem eine Meinung zur These, dass der Kapitalismus spezifisch ausbeutet, je nach Identität und Kategorisierung.

dg: Ja.

PN: Verrätst Du sie mir?

dg: Ja. Das scheint mir eine weitere Variante der marxistischen Nebenwiderspruchs-Theorie zu sein: Der Kapitalismus sei der Hauptwiderspruch, der ausbeute, und die „Identität[en] und Kategorisierung[en]“ seien die Nebenwidersprüche.

Herrschaft und Ausbeutung im Geschlechterverhältnis erfolgen aber in Wirklichkeit nicht durch „den Kapitalismus“, sondern durch das herrschende Geschlecht – also (Cis-)Männer. Sie haben den Machtvorteil daraus, dass der Ehegatten-Unterhalt zunächst durch ihre Taschen fliesst und sie konsumieren einen Teil der innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit (auch des – grossen – Teils der innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit, die sie – die Männer – nicht leisten). Sie haben den Vorteil aus der geschlechtshierarchischen Teilung der Erwerbsarbeit und der Frauenlohndiskriminierung (dem gender pay gap).

Ausserdem ist der meines Erachtens unzutreffende Gedanke auch noch schief ausgedrückt: Wenn überhaupt, dann beutet nicht „der Kapitalismus“, sondern die kapitalistische Klasse aus.

PN: Sind Frauen und Männer Klassen oder ist auch diese These Deines Erachtens unzutreffende „Nebenwiderspruchstheorie“?

dgs: Nebenwiderspruchstheorie ist diese These nicht, denn sie ordnet die Geschlechter ja nicht den Klassen im marxistischen Sinne unter, sondern ordnet sie – durch Gleichbezeichnung – den Klassen im Sinne des Marxismus gleich. Insofern ist mir die These durchaus sympathisch.

Aber mir scheint es kein guter (präziser) Sprachgebrauch zu sein, das gleiche Wort für zwei unterschiedliche Gegenstände (Klassen im marxistischen Sinne einerseits und Geschlechter andererseits) zu verwenden.

Statt den marxistischen Klassenreduktionismus dadurch zu unterlaufen, dass auch Geschlechter (und vielleicht auch die verschiedenen rassifizierten gesellschaftlichen Gruppen) „Klassen“ genannt werden, erscheint mir sinnvoller, den Nebenwiderspruchs-Marxismus frontal anzugreifen und zu sagen: Der Kapitalismus und die Klassen sind nicht das Ganze und erst recht nicht das Totale![23] Gesellschaftsformationen sind nämlich keine Totalitäten, sondern komplex-gegliederte Ganzheiten.[24] Arbeitsteilung, Ausbeutung und Herrschaft entlang der Linie von raceclass und gender beeinflussen sich wechselseitig, aber sind nicht auseinander ableitbar.

PN: Hast Du noch eine provozierende These auf Lager?

dgs: Wenn du schon so fragst, will ich mich nicht lumpenlassen:

Sowohl „Queerfeminismus“ als auch „materialistischer Feminismus“ im heutigen Sinne sind Anti-Feminismus (sofern unter „Feminismus“ nicht – wie es m.E. falsch ist – die „Frauenfrage“, sondern – wie es m.E. richtig ist – jene spezifische Theorieformation und politische Bewegung der 60er- bis 80er Jahre verstanden wird, die den Begriff „Feminismus“ in der BRD überhaupt erst weit verbreitet / üblich gemacht hat[25][, 26]):

  • Der „Queerfeminismus“ macht das Patriarchat zum Nebenwiderspruch der Transphobie

    und
  • der „materialistische Feminismus“ im heutigen Sinne macht das Patriarchat zum Nebenwiderspruch der (kapitalistischen) Klassenverhältnisse.

Gegen derartige Nebenwiderspruchstheorien standen – m.E.: richtigerweise – sowohl der radikale als auch der sozialistische als auch der materialistische (französische) Feminismus (Christine Delphy, Monique Wittig u.a.) der 1970er und 1980er Jahre – und auch die frühe Judith Butler beanspruchte, „den Begriff der feministischen Kritik zu radikalisieren.“[27]

Indem Christine Delphy den Begriff der häuslichen Produktionsweise einführte, um das patriarchale Geschlechterverhältnisse zu analysieren[28], und die Geschlechter selbst zu Klassen erklärte[29], brach sie mit der marxistischen Vorstellung, das Geschlechterverhältnis aus dem Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis, aus dem Verhältnis zwischen der Klasse der Lohnabhängigen und der Klasse der KapitalistInnen oder überhaupt aus den Klassenverhältnissen im marxistischen Sinne abzuleiten. Indem Monique Wittig von der suppression of men as class sprach:

„Our fight aims to suppress men as class, not through genocidal, but a political struggle. Once the class ‚men‘ disappears, ‚women‘ as a class will disappear as well, for there are no slaves without masters.“

(Monique Wittig, One is not born a woman [1981], in: dies., The Straight Mind, Beacon Press: Boston, 1992, 9 – 20 [14]),

brach sie mit der Vorstellung, die „Diktatur des Proletariats“, der Sozialismus oder überhaupt die LohnarbeiterInnenbewegung werde die „Befreiung der Frau“ bringen.

PN: Friederike Beier beruft sich doch aber auf den französischen, materialistischen Feminismus…

dgs: Das mag sein. Ich habe das Buch – wie eingangs gesagt – nicht gelesen. Ich habe hier nicht das Buch von Friederike Beier kritisiert, sondern einige Thesen, die Du mir vorgehalten hast. Falls Friederike Beier mit dem französischen, materialistischen Feminismus die globale marxistisch-nebenwiderspruchstheoretische „Frauenfrage“ bekämpft, werde ich Friederike Beier-groupie.

PN: Dann musst Du jetzt wohl tatsächlich Friederike Beier-groupie werden:

„Dem Begriff des Geschlechterverhältnisses kommt eine Schlüsselrolle zu, denn er ermöglicht es, Geschlechterungleichheit als strukturelles gesellschaftliches Verhältnis (wie das zwischen Kapital und Arbeit) zu betrachten, durch das Geschlecht hergestellt wird. Dieses Verhältnis wird laut Delphy sowohl von den ökonomischen Produktionsverhältnissen, als auch von den patriarchalen familiären Verhältnissen geprägt. Beide stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. So gelingt es Delphy im Gegensatz zu dogmatischen marxistisch-feministischen Überlegungen in den 1970er Jahren, nach denen das Geschlechterverhältnis als ein reines Anhängsel der Produktionsbedingungen verstanden wurde, das Patriarchat als mit den Produktionsbedingungen verwobenes, aber gleichzeitig davon unabhängig bestehendes Machtverhältnis zu denken.“

(Friederike Beier, Für einen materialistischen Queerfeminismus als Theorie und Praxis gegen Patriarchat, Heterosexismus und Kapitalismus, in: dies. [Hg.], Materialistischer Queerfeminismus Theorien zu Geschlecht und Sexualität im Kapitalismus, Unrast: Münster, 2023, 7 – 23 [12])

dgs: Keine Einwände! Dann frage ich mich nur, warum das nicht in dem ak-Interview vorkommt…

Literatur:

Die marxistische „Frauenfrage“:

  • Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats,
    • in: MEW 21, 25 – 173 (dort handelt es sich um die vierte Auflage von 1892).
    • In Band I/29 der MEGA sind dagegen – ausser der vierten Auflage auf S. 125 – 271 – eine Vorbereitende Notiz (3 – 5), die erste Auflage von 1884 (7 – 117), eine Nota aggiunta pel lettore italiano (118), eine Note til den danske laeser (119 – 120), Vorbereitende Notizen zur 4. Auflage (121 – 123) sowie die – von Engels autorisierten – italienische (273 – 362), dänische (363 – 446) und französische Übersetzung (447 – 569).
    • Vgl. dazu auch noch in Band IV/27 der MEGA die Ethnologische Exzerpthefte von Marx[30], die Engels bei der Arbeit am Ursprung verwendete: siehe insb. https://megadigital.bbaw.de/M3933891 / https://megadigital.bbaw.de/exzerpte/detail.xql?id=M5176449.[31]
  • Clara Zetkin, Für die Befreiung der Frau! Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris 19. Juli 1889, in: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. I, Dietz: Berlin/DDR, 1957, 3 – 11.
  • dies., Die frauenrechtliche Petition, das Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechts betreffend [1895], in: ebd., 53 – 62.[32]
  • dies., Zur Erwiderung [1895], in: ebd., 63 – 68.[33]
  • dies., Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen. Rede auf dem sozialdemokratischen Parteitag zu Gotha [1896], in: ebd., 95 – 111.
  • dies., Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung [1920], in: ebd., Bd. II, 1960, 260 – 289; zuvor (zuerst?), in: Die Kommunistische Internationale II. Jg. H. 15, 1921, 530 – 555.
  • dies., Bericht über die Frauenbewegung, in: Protokoll des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Moskau, 22. Juni bis 12. Juli 1921), Verlag der Kommunistischen Internationale (Auslieferungsstelle für Deutschland: Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley: Hamburg), 1921[34]909 – 925 (mit anschliessendem Redebeitrag von Alexandra Kollontai auf S. 925 – 930 sowie Resolution über die Internationale Verbindung der Kommunistinnen und das Internationale Kommunistische Frauensekretariat auf S. 930 – 931 und 932 – 933 sowie Protokollierung der Abstimmung über die Resolutionen auf S. 934).
  • Vierundzwanzigste Sitzung. Montag, den 27. November 1922. Die kommunistische Arbeit unter den Frauen, in: Protokoll des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale. Petrograd-Moskau vom 5. November bis 5. Dezember 1922, Verlag der Kommunistischen Internationale (Auslieferungsstelle für Deutschland: Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley: Hamburg), 1923[35]725 – 757.

Einige zwischen 1945 und 1975 im englischen und französischen Sprachraum erschienene Werke zum Geschlechterverhältnis und Erscheinungsjahr deren deutscher Übersetzungen: Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe, Gallimard: Paris, 1949http://ark.bnf.fr/ark:/12148/cb39288758s.

Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt: Hamburg, 1951 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/450285936/04

Betty Friedan: The Feminine Mystique. Norton: New York, 1963https://lccn.loc.gov/62010097 Norton & Company: New York, 2013 https://lccn.loc.gov/2012045561[36].

Der Weiblichkeitswahn oder Die Mystifizierung der Frau Rowohlt: Hamburg, 1966 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/456665048/04.

Juliet Mitchell: Woman’s estate. Penguin: Harmondsworth, 1971https://lccn.loc.gov/72179682.

Frauenbewegung, Frauenbefreiung. Verlag Frauenpolitik: Münster, 1978 (197 S.) Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/780227425/04. Ullstein: Frankfurt/M / Berlin / Wien, 1981 (189 S.; „Ungekürzte Ausg.“) Enthält in überarbeiteter Form u.a. den bereits im Nov./Dez. 1966 in Heft I/40 der New Left Review erschienen Aufsatz Women: The Longest Revolution. Dieser ist (in – nach den Zwischenüberschriften [siehe Anhang 1] zu urteilen – geringfügig anderer Form) auch enthalten in der Veröffentlichung, die den Aufsatztitel zum Buchtitel (Women: The Longest Revolution[37] / Frauen – die längste Revolution. Feminismus, Literatur, Psychoanalyse[38]) macht. Dort heisst es im Klappentext der deutschen Ausgabe: „Schon in den sechziger Jahren hat Juliet Mitchell über Probleme der Frauen in unserer Gesellschaft geschrieben, zu einem Zeitpunkt als das Stich- und Reizwort ‚Feminismus‘ in den aufgeregten öffentlichen Debatten noch nicht vorkam.“ Der erste Teil der deutschen Ausgabe hatte noch 1987 den Titel „Aspekte der Frauenfrage“.

Germaine Greer. The female eunuch MacGibbon & Kee: London, 1970https://lccn.loc.gov/73536657.

Der weibliche Eunuch. Aufruf zur Befreiung der Frau. S. Fischer: Frankfurt [am Main], 1971 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/720006406/04.

Shulamith Firestone: The dialectic of sex. The case for feminist revolution. Morrow: New York, 1970https://lccn.loc.gov/70123149.

Frauenbefreiung und sexuelle Revolution: Fischer: Frankfurt [am Main], 1975 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/750206322/04.

Kate Millett: Sexual politics. Doubleday: Garden City, N.Y., 1970https://lccn.loc.gov/70103769.

Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft. Desch: München, 1971. Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/457602546/04. Kiepenheuer & Witsch: Köln, 2018. Inhaltsverzeichnis (abweichende Paginierung!): https://d-nb.info/1158681194/04.

Christine Delphy: L’ennemi principal, in: Partisans N[os] 54-55: Libération des femmes, année zéro,‎ juill.-oct. 1970, 157 – 172.

The main enemy. A materialist analysis of women’s oppression. Women’s Research and Resources Centre Publications: London, 1977 (66 S.) https://lccn.loc.gov/81456263. Auch in: Feminist Issues 1980, 23 – 40. Anscheinend keine deutsche Übersetzung.

Mariarosa Dalla Costa / Selma James / Movimento di lotta femminile di Padova: Potere femminile e sovversione sociale / Il posto della donna / Maternità e aborto Marsilio: Padova, 1972 (87 S.)

Mariarosa Dalla Costa / Selma James: Le pouvoir des femmes et la subversion sociale. Librairie adversaire: Genève, 1973 (152 S.) http://ark.bnf.fr/ark:/12148/cb35191827k

Mariarosa Dalla Costa / Selma James: The Power of women and the subversion of the community / Woman’s place Falling Wall Press: Bristol, Eng., 1973 (78 S.) https://lccn.loc.gov/76352461.

Mariarosa Dalla Costa / Selma James: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Merve: [West]berlin, 1973 (89 S.) Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/730296873/04.

Gayle Rubin: The traffic in women: notes on the „political economy“ >of sex in: Rayna Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Women, Monthly Review: New York, 1975, 157 – 201. https://lccn.loc.gov/74021476.

Frauentausch. Zur Politischen Ökonomie von „Geschlecht“, in: Gabriele Dietze / Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Helmer: Königstein/Ts., 2006, 69 – 122. >Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/979686318/04.

Der Bielefelder Ansatz[39] als eine Variante des biologistischeDifferenz- oder Radikalfeminismus:

Dekonstruktivistischer, sozialistischer[40] und strukturaler Feminismus:

  • Lydia Sargent[41]Women and Revolution. A Discussion of the Unhappy Marriage of Marxism and Feminism, South End Press: Boston, MA, 1981; darin u.a.:
  • Frigga Haug, Männergeschichte, Frauenbefreiung, Sozialismus. Zum Verhältnis von Frauenbewegung und Arbeiterbewegung, in: Das Argument H. 129, Sept./Okt. 1981, 649 – 664 [eine Reflexion der Entwicklung ihrer Position von der marxistischen „Frauenfrage“ zu einer sozialistisch-feministischen Position.

    Obwohl die späteren sozialistischen Feministinnen auch schon 1969 erkannten, „[d]ass die Frauenfrage älter ist als der Kapitalismus, […]. Dass die Arbeiterbewegung, die Parteien und Gewerkschaften, in denen sie sich organisatorisch äussert, die Frauenfrage nicht anständig vertraten“ (651), war ihre anfängliche Politik:

    „Da wir die politischen Ziele nicht aufgeben wollten, musste es eine sozialistische Frauenorganisation sein. Wie dachten wir den Zusammenhang von Sozialismus und Frauenfrage? Orientiert auf die politischen Organisationen, die unsere Interessen nicht vertraten, sahen wir unsere Hauptaufgabe in der Schulung der Frauen für die politischen Aufgaben, ihrer Befähigung, sich in Versammlungen zu Wort zu melden, Flugblätter zu schreiben usw., und in der Erarbeitung der Einsicht, dass sie sich zusätzlich zu ihrer Organisation in Frauengruppen ‚richtig politisch‘, mindestens gewerkschaftlich, organisieren müssten. Wir hatten z.B. im Statut einen Paragraphen, der die zusätzliche Mitgliedschaft in der Gewerkschaft verbindlich machte. Ausserdem sahen wir unsere Aufgabe in der Agitation zur Berufstätigkeit, zur Befreiung aus ökonomischer Abhängigkeit.“ (652; Hv. i.O.)

    Später kamen sie zur Einsicht:

    „Arbeiterbewegung und Frauenbewegung sind nicht auseinander ableitbar, keine der beiden Bewegungen ist auf die andere reduzierbar.“ (658)[42]].

  • dies., Frauenfrage und Gewerkschaftspolitik – Das Beispiel: Setzen, in: Das Argument H. 135, Sept./Okt. 1982, 644 – 652 [der Aufsatz zeigt am Beispiel des Setzer(innen)berufes, dass die geschlechtshierarchische Teilung der Erwerbsarbeitsarbeit mindestens so sehr von lohnabhängigen Männern und Männer dominierten Gewerkschaften durchgesetzt wurde, wie vom Kapital[43]].
  • Jutta Kolckenbrock-Netz, Frauen in der Politik und/oder autonome Politik der Frauen, in: Moderne Zeiten. Sozialistisches Magazin 6-7/1983, 33 – 37 [die genannte Zeitschrift war auf dem linken Flügel der frühen Grünen angesiedelt].
  • dies. / Marianne Schuller, Frau im Spiegel. Zum Verhältnis von autobiographischer Schreibweise und feministischer Praxis, in: Irmela von der Lühe (Hg.), Entwürfe von Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts (Argument-Sonderband 92), Argument: [West]berlin 1982, 154 – 174 [die Autorinnen warfen die Frage auf, „ob nicht mit der blossen Übernahme eines Genrekonzepts [Autobiographie], das sich nicht zufällig gerade in Verbindung mit der Konstituierung der bürgerlichen Literatur im 18. Jahrhundert profiliert hat, das Begehren der Frauen nach kultureller Artikulation nur laut wird, um sogleich stillgestellt zu werden, anstatt dass es sich revolutionär, d.h. kultur- und gesellschaftsverändernd freisetzte.“ (155)].
  • Susanne Lettow / Ariane Brensell, Artikel „doppelte Militanz“, in: Wolfgang Fritz Haug (Hg.), Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 2, Argument: Hamburg, 1995, Sp. 822 – 825
    • (824): „die Politik der d[oppelten] M[ilitanz reklamiert] die Eigenständigkeit der Kämpfe der Frauen gegen reduktionistische Einheitspolitiken“
    • (822, 824): „eigenständige Kämpfe gegen die vielfältigen Formen männlicher Macht und Herrschaft […] führen“; „Angriff auf den alltäglichen Sexismus in den [linken] Organisationen“ / „against male-dominated power relations“.
    • (822): „Die Kritik feministischer Sozialistinnen richtete sich gegen den monolithischen Herrschaftsbegriff des Marxismus der II. und III. Internationale. […]. Gegen diesen Reduktionismus verwiesen [… sie] auf die Notwendigkeit, die Spezifik patriarchale Unterdrückungsverhältnisse zu erkennen“ (meine Hv.).
  • Projekt Sozialistischer Feminismus (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik, Argument: Berlin, 1984; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/840289421/04, darin u.a.:
    • 5 – 8: f.h. [Frigga Haug] / k.h. [Kornelia Hauser], Vorwort
      • (5 f.): „Geschlechterverhältnissen [… sind] eingewoben […] in die Produktionsverhältnisse und […] bestimmen [sie mit].“
    • 24 – 41 und 102: Gabriele Dietrich, Die unvollendete Aufgabe einer marxistischen Fassung der Frauenfrage,
      • (32): „McDonough und Harrison (1978[44], 11-41) haben herausgearbeitet, dass Produktionsverhältnisse nicht nur Klassenverhältnisse sind, sondern zur gleichen Zeit durch das, was Feministinnen das Patriarchat nennen, geformt sind, so dass das Patriarchat so nicht nur den Reproduktionsprozess dominiert, sondern auch die Klassenverhältnisse und den Produktionsprozess durchwandert.“
      • (33): „Der Widerstand, der überwunden werden muss, ist das materielle Interesse des männlichen Arbeiters, die geschlechtliche Arbeitsteilung zu Hause und am Arbeitsplatz so zu lassen, wie sie ist“.[45]
      • (34): „Zusammenfassend können wir sagen, dass sich die doppelte Ausbeutbarkeit der Frauen im Kapitalismus[46] in den Bereichen Arbeit, Sexualität und Fruchtbarkeit der Wirkung des Patriarchats auf die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb und ausserhalb des Hauses, in der Hausarbeit und anderer Subsistenzproduktion und in der gesellschaftlichen Produktion verdankt.“
      • (35 – Zwischenüberschrift): „Die materielle und gesellschaftliche Basis der Frauenunterdrückung: Gegen Biologismus“
    • 9 – 23 und 42 – 102: Frigga Haug / Kornelia Hauser, Geschlechterverhältnisse. Zur internationalen Diskussion um Marxismus-Feminismus
      • (68, 71): „die Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse begreifen“ / „Behandlung der Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse“[47]
      • (87): „Der Begriff der ‚doppelten Militanz‘ […] wird hier politisch richtungsweisend; er steht auf der Seite der (politischen) Subjekte und erlaubt die Aktivitäten etwa einer Frau in der Gewerkschaft und in der Frauenbewegung zu fassen unter dem Aspekt von Problembündelungen.“
  • Autonome Frauenredaktion (Hg.), Frauenbewegungen in der Welt
    • Bd. 1: Westeuropa, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1988; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/881103829/04; darin:
      • S. 25 – 52: Frigga Haug, Perspektiven eines sozialistischen Feminismus. 20 Jahre Frauenbewegung in Westdeutschland und West-Berlin:

        „Ich schreibe als Feministin unter Sozialisten und als Sozialistin unter Feministinnen.“ (25)[48]

        „Sie [Die Frauenbewegung] spaltete sich in einen Teil, der mehr und mehr das Patriarchalische der Herrschaft ins Zentrum rückte, und einen anderen, der den Kapitalismus als Hauptübel auf eine Weise begriff, dass alle Frauenfragen als ein Nebending erschienen; schon in der einfachen Begriffsverknüpfung von patriarchalisch und kapitalistisch [„kapitalistisch-patriarchalisch“] klingt ein Problem an, das die sozialistischen Frauen bis heute als Frage nach dem Grund einer autonomen Organisierung beunruhigt und die autonomen Frauen nach dem Grund von Organisierung überhaupt.“ (28 f.)[49]
      • „die Wahrnehmung von Männern als Herrschenden, die in anderen Kontexten Beherrschte sind, zeigt Herrschaft nicht einfach als Druck von oben, sondern eher als ein Netz, das die Gesellschaft durchzieht.“ (29)[50]
      • „Unsere Presseresolution hiess: ‚Auf dem Kongress kamen wir überein, uns separat zu organisieren, solange Frauen in besonderer Weise und mehr unterdrückt sind als Männer […]‘ Es waren dies die Sätze aus dem Statut des Sozialistischen Frauenbundes Westberlin, die uns später den Ruf einbrachten, nicht wirklich autonom zu sein, […].“ (31)[51]
    • Bd. 2: „Dritte Welt“, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1989; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/891446079/04.
    • Bd. 3: Aussereuropäische kapitalistische Länder, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1990; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/900471603/04.
  • Judith Butler, Merely Cultural, in: New Left Review 227/1998, 33 – 44 (= Dokumentation des Panels Locations of Power der Tagung Politics and Languages of Contemporary Marxism vom Dezember 1996 und [in einer älteren Fassung] in der Nr. 52/53 der Zeitschrift Social Text Fall/Winter 1997) [Butler bezog sich in diesem Aufsatz gegen den Vorwurf, ihre Beschäftigung mit Geschlecht und Sexualität sei ‚bloss kulturell‘, zustimmend[52] auf Äusserungen von Marx und Engels, in denen diese die ‚tägliche (Re)produktion des unmittelbaren Lebens‘ (MEW 3, 29, 21, 27) in ihren Begriff der materiellen Determinante einschlossen, sowie auf die Rezeption dieser Formulierungen durch die sozialistischen Feministinnen der 70er und 80er Jahre:

    „Indeed, many of the feminist arguments during that time sought not only to identify the family as part of the mode of production, but to show how the very production of gender had to be understood as part of the ‚production of human beings themselves‘, according to norms that reproduced the heterosexually normative family. […]. Essential to the socialist-feminist position of the time was precisely the view that the family is not a natural given, and that as specific social arrangement of kin functions, it remained historically contingent and, in principle transformable. The scholarship in the 1970s and 1980s sought to establish the sphere of sexual reproduction as part of the material conditions of life, a proper and constitutive feature of political economy.“ (39 f.).
  • Joan W. Scott, Experience, in: Judith Butler / Joan W. Scott (Hg.), Feminists Theorize The Political, Routledge: New York, 1992, 22 – 40.

    „Experience [… is] not the origin of our explanation, not the authoritative (because seen or felt) evidence that grounds what is known, but rather that which we seek to explain, that about which knowledge is produced. […]. Experience is, in this approach, not the origin of our explanation, but that which we want to explain.“ (26, 38)[53]
  • Joan W. Scott, Phantasie und Erfahrung, in: Feministische Studien 2/2001, 74 – 88.

Ein mit dem sozialistischen Feminismus sympathisierender Überblick über die marxistische „Frauenfrage“, den Bielefelder Ansatz und die sozialistischen Feministinnen auf dem Stand von Ende der 1980er Jahre:

Die in der linksradikalen (autonomen und antiimperialistischen) Szene Anfang der 1990er Jahre massgebliche Kritik der marxistischen Nebenwiderspruchstheorie:

Peter Nowak

Fussnoten:

1 Zum Beispiel: [Rezension zu:] Scheidelinien: Anja Meulenbelt über Sexismus, Rassismus und Klassismus, in: kritische-lesen.de Nr. 10/2011: Überschneidungen von Unterdrückungen. >De-konstruktiv oder doch nur destruktiv? Eine politische Zwischenbilanz nach 15 Jahren queer Lesbianis­mus, in: Gabriele Dennert / Christiane Leidinger / Franziska Rauchut (Hg.), In Bewegung bleiben. 100 Jah­re Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Querverlag: Berlin: 2007, 322 – 325. Reden wie der Mainstream. Für eine feministische Kritik an queerer Politik, in: analyse & kritik Nr. 563 v. 19.8.2011, 12. [Beitrag zum Veranstaltungswochenende 20 Jahre TREND Onlinezeitung vom 29.01. bis 31.01.2016 in Berlin]; https://archive.org/details/trend20jahre300116schulze [Vortrag und Diskussion: 1:33:51 Std.:Min.:Sek.] – und dazu: Sexismus statt Patriarchat? -ismus-Kritik statt Gesellschaftsanalyse und Revo­lutionstheorie?, in: linksunten vom 08.02.2016. Für den Feminismus der 51 Prozent. Thesen und Anti-Thesen zum Manifest „Feminismus für die 99 Pro­zent“, in: analyse & kritik Nr. 652 vom 16.9.2019, S. 26.

2 Siehe: https://www.dwds.de/wb/etymwb/analysierenhttps://www.owid.de/artikel/405376 (zu: Analyse usw.), https://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.04.0057%3Aalphabetic+letter%3D*a%3Aentry+group%3D139%3Aentry%3Da%29nalu%2Fw2 und http://dge.cchs.csic.es/xdge/%E1%BC%80%CE%BD%CE%B1%CE%BB%E1%BD%BB%CF%89 (beides zu: ἀναλύειν).

3 Siehe https://www.dwds.de/wb/etymwb/ana-https://www.dwds.de/wb/etymwb/an (beides zu: dt. ana-, an-), https://archive.org/details/etymological-dictionary-of-greek-2010/page/97/mode/1uphttps://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.04.0057%3Aalphabetic+letter%3D*a%3Aentry+group%3D125%3Aentry%3Da%29na%2F1 und http://dge.cchs.csic.es/xdge/%E1%BC%80%CE%BD%E1%BD%B1 (allezu drei: ἀνά) sowie https://archive.org/details/etymological-dictionary-of-proto-germanic/page/26/mode/1up (zu: proto-germ. ana).

4 1. Person Singular Präsens: λύω [lýō].

5 Siehe: https://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.04.0057%3Aalphabetic+letter%3D*l%3Aentry+group%3D58%3Aentry%3Dlu%2Fwhttps://archive.org/details/etymological-dictionary-of-greek-2010/page/881/mode/1up (beides zu: λύειν) und https://archive.org/details/lexikon-der-indogermanischen-verben/page/417/mode/1up und https://archive.org/details/EncyclopediaOfIndoEuropeanCulture/page/n509/mode/1up (zum zugrundeliegenden in­doeuropäischen Etymon) sowie http://www.zeno.org/nid/20002654814 und http://www.zeno.org/nid/20002481529 (zu: lat. so-lvere und luere) sowie https://archive.org/details/etymological-dictionary-of-proto-germanic/page/334/mode/1up (zu: proto-germ. leusan) und https://www.etymonline.com/word/solve (zu engl. solve) und https://www.dwds.de/wb/etymwb/verlieren (zu: dt. verlieren).

6 Siehe: http://www.zeno.org/nid/2000229088X und https://archive.org/details/MichielVaanEtymologicalDictionaryOfLatin_201811/page/n141/mode/1up (beides zu: alt-lat. com).

7 Siehe https://www.dwds.de/wb/etymwb/konstruieren (zu: dt. konstruieren), http://www.zeno.org/nid/20002305518 und http://www.zeno.org/nid/20002664372 (zu: lat. cōn-struere und struere) sowie https://archive.org/details/MichielVaanEtymologicalDictionaryOfLatin_201811/page/n605/mode/1up (zu: lat. struere).

8 Jacques Derrida, Die différance, in: ders., Randgänge der Philosophie. Erste vollständige deutsche Ausgabe, Passagen: Wien, 1988, 29 – 52, 318 f. (43, 47) = Peter Engelmann (Hg.), Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Reclam: Stuttgart, 1990, 76 – 113 (98, 103) (dt. Übersetzung des frz. Textes in: Bulletin de la Société française de philosophie Juli-Sept. 1968)

9 „Ein expressive Kausalitätsverständnis denkt zwar immerhin die Auswirkungen des Ganzen auf die Teile – aber es denkt sie als Anwesenheit eines einheitlichen Wesens in allen Teilen (pars totalis); es denkt die Teile als Aus­druck einer Totalität, aber nicht in ihrer Spezifität.“ (dgs, Die Norm (in) der Geschichte. Die Struktur des Struktur­funktionalismus und die Struktur des Strukturalismus, in: dgs / Sabine Berghahn / Frieder Otto Wolf (Hg.), Rechtss­taat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie? Bd.: 1: Die historischen Voraussetzungen, Westfälisches Dampfboot: Münster, 2010, 206 – 254 [FN 27 auf S. 216 f. <217>])

10 Siehe: http://www.zeno.org/nid/20002544350.

11 „Biologie und Physiologie […] treffen eine weitaus weniger trennscharfe und weniger weitreichende Klassifizie­rung als manche Sozialwissenschaft (und das Alltagsbewusstsein) und entwerfen ein sehr viel differenzierteres Bild des scheinbar so wohlumrissenen binären biologischen Geschlechts. ‚Weibliches und männliches Geschlecht (sex) […] werden nicht mehr als zwei entgegengesetzte, einander ausschliessende Kategorien verstanden, sondern viel­mehr als Kontinuum, […].“ (Regine Gildemeister / Angelika Wetter, Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung, in: Gudrun-Axeli Knapp / An­gelika Wetterer [Hg.], Traditionen. Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Kore: Freiburg i. Br., 1992, 201-254 [209]) „Klassifikationskriterien können […] die Genitalien zum Zeitpunkt der Geburt oder die Chromosomen sein, die im Zuge vorgeburtlicher Analyseverfahren festgestellt werden; beide müssen nicht notwendigerweise übereinstimmen“ (Candace West / Don H. Zimmermann, Doing gender, in: Judith Lorber / Susan A. Farell (Hg.), The Social Con­struction of Gender, Sage: Newbury Park / London / New Dehli, 1991, 13 – 37 zit. n. Gildemeister/Wetterer a.a.O., 14 f.)

Dies ist – und dies ist auch dann, wenn weniger auf biologische Tatsachen als auf gesellschaftliche Einflüsse auf Verhaltensweise abgestellt wird – eine andere Argumentation als der heute übliche un-ironische subjektivistische Bezeichnungs-Voluntarismus.

12 Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin Verlag: Berlin, 1995, 30.

13 „[…], gender is always a doing, though not a doing by a subject who might be said to preexist the deed.“ (Judith Butler, Gender trouble, New York / London, 1990, 25).

Im englischen Original ging es auf derselben Seite etwas tiefer weiter mit: „There is no gender identity behind the expressions of gender“ – das war Butlers These! – In der deutschen Ausgabe wurde daraus gemacht: „Hinter den Äusserungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity).“

Ohne deutsche Verdoppelung des Wortes „Identität“, das auf Englisch nur einmal steht, wäre zu übersetzen gewe­sen: „Hinter den Äusserungen von Geschlecht [den vergeschlechtlichen Handlungen, kulturellen Codes etc.] liegt keine Geschlechtsidentität.“

14 Vielleicht ist diese Übersetzungsungenauigkeit eine der Ursachen dafür, dass so wenig über Geschlecht als gesellschaftliche Konstruktion und so viel über Geschlecht als individuelle Wahl gesprochen wird.

15 Auch dort steht auf Englisch gender (und nicht gender identity): „If gender attributes, however, are not express­ive but performative, then theses attributes effectively constitute the identity they are said to express or reveal.“ (Ju­dith Butler, Gender trouble, New York / London, 1990, 141)

16 Dabei sind die gesellschaftlichen Strukturen allerdings widersprüchliche, weshalb die These von der gesell­schaftlichen Determination der Subjekte keinen Determinismus bedeutet.

17 „Subjektivierung der Menschen“ (Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 199810, 78); vgl. auch das Partizip Präsens „subjektivierend“ (ders., Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 19941, 238, 247), das einen Vorgang der Subjektivierung impliziert: Das, was Subjekte hervorbringt, ist „subjektivierend“.

18 Vgl.: „[…] wo eine bestimmte Identitätskonfiguration anstrebt, ‚die Stelle des Wirklichen‘ einzunehmen, um durch Selbst-Naturalisierung die eigene Hegemonie zu festigen und auszudehnen, ist von […] revolutionä­rer Praxis nichts übrig geblieben als ein konkretistisches, reifiziertes, Politik lähmendes Fundament.“ (Sa­bine Hark, ‚Jenseits‘ der Lesben Nation? Die Dezentrierung lesbisch-feministischer Identität, in: Verein So­zialwissenschaftliche Forschung für Frauen – SFBF – e.V. (Hg.), Zur Krise der Kategorien. Frau – Lesbe – Geschlecht, Selbstverlag: Frankfurt am Main 1994, 89 – 112 [100]) „Queer Nation [eine Gruppe, die in der AIDS-Krise der 1980er Jahre entstand] defined itself as opposite identity politics.“ (Mary Bernstein, Stichwort „Identity Politics“, in: Nancy A. Naples et al., The Wiley Black­well Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies. Vol. III, Wiley Blackwell: Chichester (West Sussex), 2016, 1365 – 1367 [1365]) Cornelia Eichhorn, Zwischen Dekonstruktion und Identitätspolitik. Eine Kritik zur feministischen Debatte um Judith Butler, in: Die Beute. Politik und Verbrechen 1/1994, 40 – 43 (40, li. Sp. [Kritik des Differenzfemi­nismus als Prepetuierung von biologistischen und kulturalistischen Zuschreibungen], 41 re. Sp. („Butler […] legt […] die unvermeidliche Schwäche jeder Identitätspolitik, selbst den Prozess des normativen Aus­schlusses fortzuschreiben, offen.“) 42 li. Sp. [dekonstruktivistisches Projekt versus biologistische und kul­turalistische Rettungsversuche). „stiessen […] Identitätspolitiken […] zunehmend auf Kritik“ / „Identität wurde fortan als kontingent“ / „Queere Ansätze richten sich gegen die Essentialisierung“ (http://gender-glossar.de/glossar/item/37-queer-politics).

19 „Ehegattenunterhalt“ wird der Beitrag, den einE EhepartnerIn zum Lebensunterhalt des/der anderen leistet, ge­nannt. Typisches Beispiel für den Fall, dass der Beitrag in Geld (z.B. Zahlung in eine gemeinsame Haushaltskasse) geleistet wird, ist der Fall, dass einE EhepartnerIn (allein oder weit überwiegend die Haus- und Erziehungsarbeit er­ledigt und deshalb) weniger oder gar kein eigenes Erwerbsarbeit-Einkommen hat. Der andere Eheteil ist dann ver­pflichtet anderweitig – typischerweise durch Geld aus Erwerbsarbeit oder Vermögen – zum Familienunterhalt beizu­tragen.

Die Pflicht zum Ehegattenunterhalt ist im Recht der BRD in § 1360 BGB geregelt (https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1360.html; ältere Fassungen des Paragraphen gibt es dort: https://lexetius.de/BGB/1360,4).

20 http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/schulze-detlef-georgia-2004-06-10/PDF/schulze.pdf [urn:nbn:de:kobv:11-10067225].

21 S. 259: „zum Kriterium der Hausarbeitsverteilung liessen sich nur relativ wenige und grobe Erkenntnisse gewinnen“.

22 Zusammenfassend: a.a.O. (FN 20), 259 unten – 262 oben.

23 „das System, in dem wir leben“. Oder: Warum die kapitalistische Produktionsweise nicht das Ganze ist, in: linksunten vom 23.07.2015https://linksunten.indymedia.org/es/system/files/data/2017/05/5659230635.pdf.

24 „Wenn ich mir erlauben darf, etwas provozierend zu sein, so scheint mir, dass man Hegel die Kategorie der Totalität überlassen kann und für Marx die Kategorie des Ganzen beanspruchen sollte.“ (Louis Althusser, Ist es einfach in der Philosophie Marxist zu sein?, in: ders., Ideologie und Ideologische Staatsapparat, VSA: Hamburg/Westberlin, 1977, 51 – 88 [65]; Hv. i.O.)

Das „Allgemeine, oder das durch Vergleichung herausgesonderte Gemeinsame, ist selbst ein vielfach Geglieder­tes, in verschiedne Bestimmungen auseinanderfahrendes.“ (MEGA II/1.1, 17 – 45 [23 <Zeile 4 – 10 und 15 – 18>] – kursive Hv. und Unterstreichung i.O.; fette Hv. hinzugefügt; vgl. MEW 13, 615 – 642 [617] und MEW 42, 15 – 45 [20 f.])

25 Die zunächst unter französischem, dann auch englisch-amerikanischen Einfluss auch hierzulande schon am An­fang des 20. Jh. aufgekommene substantivische Ableitung vom Adjektiv „feminin“ „Feminismus“ hatte zwar „von An­fang an auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft bezogene“ Bedeutungen, wurde aber erst „seit den 60er Jah­ren vor dem Hintergrund der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der deutschen Studentenbewegung zu­nehmend politisiert und kontrovers diskutiert in der Bed. ‚(Richtung und Theorie innerhalb der) Frauenbewegung; Bestrebungen, die ein neues Selbstverständnis der Frauen, die Aufhebung der traditionellen Rollenverteilung, die Gleichstellung und Stärkung des Einflusses von Frauen in der Gesellschaft anstrebt; (übertriebenes) Eintreten für die Frauenemanzipation’“ (https://www.owid.de/artikel/406383).

Vgl. auch meinen Beitrag zur Veranstaltung zu Feminismus und Marxismus der Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin am 10.03.2015; https://www.perspektive.nostate.net/480 / https://www.perspektive.nostate.net/files/feminismus_2015_marxismus.mp3, Min. 7:13 – 12:07 (bes. 11:52 – 12:07).

26 Anders als im deutschen Sprachraum, wo nicht nur im Marxismus, sondern auch im Kontext der bürgerlichen Frauenbewegung von „Frauenfrage“ gesprochen wurde (s. z.B.: https://d-nb.info/941794121 / https://d-nb.info/941794121/04 und https://d-nb.info/94846304X / https://d-nb.info/94846304x/04), wurde im franzö­sischen und englischen Sprachraum „Feminismus“ und „Feministin“ auch schon in Bezug auf die erste Welle der Frauenbewegung um 1900 verwendet (bei FN 15a und 15b) – und insofern vielleicht auch in Bezug auf sozialde­mokratische und kommunistische Frauenpolitikerinnen. Da wo in englischen Zetkin-Übersetzungen feminist oder feminism steht, fungieren diese Begriffe allerdings nicht als Bezeichnungen für Zetkins eigene bzw. die – erst so­zialdemokratische, dann kommunistische – Politik, sondern als Bezeichnung für abgelehnte Positionen, zum Beispiel: Das, was ins Englische als feminist literature übersetzt wird („The first proletarian dictatorship is a real pi­oneer in establishing social equality for women. It is clearing away more prejudices than could volumes of feminist literature.“ [https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1925/erinnerungen/lenin.html]) heisst im deutschen Original „frauenrechtlerische Literatur“, über die Zetkin mit negativer Bewertungen sprach: „Die erste Diktatur des Proletariats ist wahre Bahnbrecherin für die volle soziale Gleichberechti­gung der Frau. Sie rottet mehr Vorurteile aus als Bände frauenrechtlerischer Literatur.“ [https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1925/erinnerungen/lenin.html]) Das, was ins Englische (in einem Lenin-Zitat, das Zetkin anführt) als feminism übersetzt wird („‚The thesis must clearly point out that real freedom for women is possible only through Communism. The inseparable connection between the social and human position of the woman, and private property in the means of production, must be strongly brought out. That will draw a clear and ineradicable line of distinction between our policy and feminism. […].“ [https://www.marxists.org/archive/zetkin/1924/reminiscences-of-lenin.htm]), heisst im deutschen Original „Frauenrechtlerei“, über die Zetkin/Lenin gleichfalls abwertend sprachen: „‚Die Richtlinien müssen scharf zum Ausdruck bringen, dass wahre Frauenbefreiung nur möglich ist durch den Kommunismus. Der unlösbare Zusammenhang zwischen der sozialen und menschlichen Stellung der Frau und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln ist stark herauszuarbeiten. Damit wird die feste, unverwischbare Trennungslinie gegen die Frauenrechtlerei gezogen. […].’“ (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1925/erinnerungen/lenin.html)

27 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1991, 13.

28 „The domestic mode of production, as a model, as a set of relations of production, existed before the capitalist mode of production. It is distinct. There is no theoretical link between the two. But obviously there are concrete links.“ (C.D., [Statement], in: Christine Delphy / Danièle Léger, Debate on Capitalism, Patriarchy, and the Women’s Struggle, in: Feminist Issues Summer 1980, 41 – 50 [43])

29 „For my part I analyze the situation of women as being a common situation, a class situation.“ (C.D., [State­ment], in: Christine Delphy / Danièle Léger, Debate on Capitalism, Patriarchy, and the Women’s Struggle, in: Femi­nist Issues Summer 1980, 41 – 50 [43, s.a. 46: „the wife does not have the same relations of production (i.e., the same relationship to her daily bread) as her husband does“ – sofern sie nicht – neben der Arbeit in der häuslichen Produktionsweise – auch noch Lohnarbeit leistet; in letzterem Fall handelt es sich teils um gemeinsame und teils um unterschiedliche Produktionsverhältnisse]) 30 Diese Exzerpthefte waren bereits 1972 auf Englisch gedruckt erschienen (https://stabikat.de/Record/421411023/Permalink; 19742: https://d-nb.info/979144795: Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/979144795/04); bei Suhrkamp erschien 1976 eine deutsche Übersetzung (https://d-nb.info/760321043; In­haltsverzeichnis: https://d-nb.info/760321043/04). Dazu hier nur zwei Anmerkungen: Die deutsche Ausgabe – ist trotz des Eindrucks, den das deutlich weniger detaillierte Inhaltsverzeichnis der deutschen Ausgabe erwecken kann – weitgehend, aber nicht völlig inhaltsgleich mit der englischen. In der deutschen Ausgabe ist nicht nur die Einleitung von Krader und das von Marx eh auf Deutsch Ge­schriebene, sondern auch das von Marx auf Englisch aus (englischen) Büchern Exzerpierte und Kom­mentierte, übersetzt (bzw. auf Deutsch stehen geblieben). (Ich würde trotzdem empfehlen die MEGA-Edi­tion zu verwenden und die deutsche Ausgabe allenfalls als Lesehilfe heranzuziehen, da die MEGA die au­thentische Form des marxschen Textes deutlich besser dokumentiert als das Buch.) Siehe ausführlich dazu meinen separaten Text Hinweise zu Karl Marx‘ Ethnologischen Exzerptheften bei scharf-links vom 08.09.2025 31 MEGA I/29 erschien 1990 – noch herausgegeben vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU – im Dietz-Verlag; Band IV/27 erst jüngst – ausschliesslich digital herausgegeben und freizugänglich – auf der Website der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

32 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1895/01/petition.html, Abschnitt I.

33 ebd., Abschnitt II.

34 Annotierte und herausgeberisch eingeleitete englische Neuübersetzung: John Riddell (Hg.), To the Masses. Pro­ceedings of the Third Congress of the Communist International, 1921, Brill: Leiden/Boston, 2015.

35 Annotierte und herausgeberisch eingeleitete englische Neuübersetzung: John Riddell (Hg.), Toward the United Front. Proceedings of the Fourth Congress of the Communist International, 1922, Brill: Leiden/Boston, 2012.

36 „Introduction by Gail Collins — Preface and acknowledgments — The problem that has no name — The happy housewife heroine — The crisis in woman’s identity — The passionate journey — The sexual solipsism of sigmund freud — The functional freeze, the feminine protest, and margaret mead — The sex-directed educators — The mis­taken choice — The sexual sell — Housewifery expands to fill the time available — The sex-seekers — Progressive dehumanization : the comfortable concentration camp — The forfeited self — A new life plan for women — Epilogue — Afterword by anna quindlen — Thinking back and to the future — Metamorphosis : two generations later — Introduc­tion to the tenth anniversary edition — Notes — Index — Reading group guide“.

37 Virago Press: London, 1984; https://lccn.loc.gov/85672330.

38 S. Fischer: Frankfurt am Main, 1987; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/871042835/04.

39 Vgl. dazu die Hinweise auf kritische Sekundärliteratur in meinem Aufsatz: Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation der Kapitals“, in: Hintergrund. Marxistische Zeitschrift für Gesellschaftstheorie und Politik II/1991, 22 – 33 (31 – 33: Literaturverzeichnis).

40 „Sozialistischer Feminismus“ im Unterschied zur marxistischen „Frauenfrage“:

„Unlike Marxist feminists they [socialist feminists] don’t prioritise socialism over feminism. They see these pro­jects as intimately intertwined. Socialist feminists see all forms of oppression as linked and the goal should be to end all oppression.“

(Nancy Arden McHugh, Feminist Philosophies A-Z, Edinburgh, 2007, 134 – 135 [135])

„Both liberal feminists and traditional Marxists believe that this question [what constitutes the oppression of women and how can that oppression be ended?] can be answered in terms of the categories and principles that were formulated originally to deal with other problems. […]. Socialist feminism shares with radical feminism the belief that older established political theories are incapable, in principle, of giving an adequate account of women’s oppression and that, in order to do so, it is necessary to develop new political and economic categories.“

(Alison M. Jaggar, Feminist politics and human nature, Rowman & Littlefield: Totowa, New Jersey, 1988, 124)

„Socialist feminism argues that men have a specific material interest in the domination of women and that men construct a variety of institutional arrangements to perpetuate this domination. Socialist feminism goes beyond the conventional definition of ‚economy‘ to consider activity that does not involve the exchange of money; for example, by including the procreative and sexual work done by women in the home.“

(Maggie Humm [Hg.], The Dictionary of Feminist Theory, Edinburgh University Press: Edinburgh, 20032, 270 – 271 [270])

Folglich ist der vor dem angeführten Zitat stehende Satz („Unlike radical feminism, socialist feminists refuse to treat economic oppression as secondary; unlike Marxist feminists they refuse to treat sexist oppression as secondary.“) schief: Es geht nicht darum, das als blosser „Überbau“ verstandene Geschlechterverhältnisse der Ökonomie gleich­zuordnen, sondern es gilt zu erkennen, dass sowohl Klassen- als auch Geschlechterverhältnisse sowohl an der ma­teriellen Basis (die Ökonomie i.e.S. eingeschlossen) als auch im Überbau existieren – und darin unterscheidet sich der sozialistische Feminismus in der Tat sowohl vom radikalen Feminismus (der zu einem Primat des Geschlechter­verhältnisses tendiert) als auch vom Marxismus (der einen Primat der Klassenverhältnisse explizit vertritt).

41 „Writers trying to place these larger feminist issues, such as reproductive self-determination, into the context of an overall political struggle for a feminist socialism are Lydia Sargent (1981), Linda Gordon (1976) and Rosalind Petchesky (1986).“ (Maggie Humm [Hg.], The Dictionary of Feminist Theory, Edinburgh University Press: Edin­burgh, 20032, 270 – 271 [271]; Hv. hinzugefügt)

42 Es fehlte aber auch dann noch die Einsicht (oder zumindest die begriffliche Umsetzung der Einsicht), dass auch das Geschlechterverhältnis materiell ist und im speziellen auch in der Ökonomie existiert (diese Einsicht wurde erst später artikuliert). Statt dessen wurde formuliert: „Der in ihnen [im „sozialistische[n] Teil der Frauenbewegung, [in] d[en] autonomen sozialistischen Frauenorganisationen“] gelebte Zusammenhang von Sozialismus und Feminismus ist geeignet, jene Forschung voranzutreiben, die das Zusammenwirken der Machtstrukturen, der ökonomisch-politi­schen und der patriarchalischen, untersucht.“ (662)

43 „Der Überrepräsentierung bei den männlichen Facharbeitern entspricht eine Unterrepräsentierung bei den Frau­en sowohl in der Gewerkschaft als auch in den Entscheidungsgremien gemessen an ihrer Zahl. ‚Unter den gewähl­ten Tarifkommissionsmitgliedern gab es 1975/76 keine Frau.‘ (Weber, S. 28; eine gute knappe Geschichte der Dru­ckergewerkschaft findet sich bei Weber, S. 15-43) Vor dem Hintergrund solcher Daten wirken der Einbruch durch den Fotosatz und damit die Versuche der Unternehmer, weibliche Schreibkräfte einzusetzen, wie eine Katastrophe. Der Fotosatz, so hört man allgemein, hat Tausende gut ausgebildeter Arbeiter (die besten) arbeitslos gemacht; ‚vollkommen ungebildete‘ Leute traten an ihre Stelle, die – so hörte ich kürzlich auf einer Grossveranstaltung – nicht einmal die Rechtschreibung beherrschen müssen.“ (645)

44 McDonough Roisin / Rachel Harrison, Patriarchy and Relations of Production, in: Annette Kuhn / AnnMarie Wol­pe (Hg.), Feminism and Materialism. Women and Modes of Production, Routlegde & Kegan Paul: London u.a., 1978 (Inhaltsverzeichnis: https://swbplus.bsz-bw.de/cgi-bin/result_katan.pl?item=bsz006896634inh.htm), 11 ff.

45 Inkonsequent bzw. blauäugig ist dagegen der Satz unmittelbar davor: Die „patriarchalische Komponente in der Arbeitsteilung spaltet die Arbeiterklasse, und daher muss der Kampf dagegen auch in den Klassenkampf integriert werden (was vielerorts schon geschieht).“

46 Mir erscheint die Formulierung „doppelte Ausbeutbarkeit der Frauen im Kapitalismus“ zwar schief, aber auch bei Dietrichs Formulierungen wird deutlich, dass die Zweifachkeit der Ausbeutung von lohnabhängigen Frauen nicht al­lein das Werk des Kapitalismus ist, sondern besteht, weil es zusätzlich zum Kapitalismus noch das patriarchale Ge­schlechterverhältnis gibt (Dietrich sagt: „Wirkung des Patriarchats“).

47 Ich selbst würde eher formulieren, „die Produktionsverhältnisse nicht nur als Klassen-, sondern auch als Geschlechterverhältnisse begreifen“, damit nicht das Missverständnis entstehen kann, die Geschlechterverhältnisse seien Teil der Klassenverhältnisse (vgl. das etwas weiter oben angeführte Zitat aus dem Vorwort der derselben Ver­öffentlichung, mit dem ich völlig einverstanden bin).

48 Also kein „Totalitäts“-Denken Weder: „Wenn Du wahrhaft etwas gegen Frauenunterdrückung machen möchtest, dann musst Du sozialistisch (kommunistisch) sein und gegen den Kapitalismus kämpfen“, Noch die ‚feministische‘ Umkehrung davon: „Wenn Du wahrhaft etwas gegen den Kapitalismus tun möchtest, musst Du für Lohn für Hausarbeit kämpfen, weil Du erst damit die vom Marxismus verkannte Quelle des Mehrwerts stilllegen kannst“ – sondern: Auch wenn ‚ich‘ (also die Autorin des zitierten Textes, Frigga Haug) beides bin: feministisch und sozialistisch bin – weder ergibt sich das eine aus dem anderen, noch das andere aus dem einen.

49 Ich verstehe dies dahingehend, dass die sozialistischen Feministinnen eine dritte Position vertraten oder zumin­dest nach einer dritten Position suchten: weder die marxistische Position, dass der Klassenwiderspruch der Haupt- bzw. Grundwiderspruch sei; noch die radikalfeministische Position, dass das Geschlechterverhältnis der Haupt- bzw. Grundwiderspruch sei, sondern, dass es mindestens zwei Grundwidersprüche gibt, die sich wechselseitig beeinflussen, aber nicht auseinander ableitbar sind – weder in eine noch in die andere Richtung.

50 Also nicht: Die lohnabhängigen Männer als Zwischenschicht zwischen der kapitalistischen Klasse und den „doppelt“ vom Kapital – so die marxistische Nebenwiderspruchs-These – unterdrückten Frauen, sondern

51 Also: Nicht nur die radikalen Feministinnen, sondern auch die als „nicht wirklich autonom“ von der Männer-Lin­ken geltenden sozialistischen Feministinnen erkannten, dass Frauen nicht nur „mehr unterdrückt sind als Männer“, sondern auch „in besonderer Weise“ – also: dass das Geschlechterverhältnis nicht blosser „Ausdruck“ der Klassen­verhältnisse oder des Warentauschs ist, sondern, dass wir es mit einem „Netz“ (Haug, a.a.O., 29 oben; auch 41: „Knüpfen und Lösen von Macht- und Herrschaftsschlingen“) von mehreren Herrschafts- und Ausbeutungsverhält­nissen zu tun haben. – Warum wollen heute demgegenüber manche zurück zu einem Ableitungsdenken (‚Die Kategorie Geschlecht muss sich verändern, wenn sich die Klassenverhältnisse ändern‘) und den etwaigen materialistischen Charakter des Feminismus anhand des Kriteriums „Antikapitalismus“ prüfen – statt daran, ob das Geschlechterverhältnis selbst materialistisch oder idealistisch analysiert wird?

52 „clearly inaugurated by Marx and Engels with their own insistence“; „Marx famously wrote“; „he makes clear“; „Engels clearly expands“ (39).

53 Die heutige queer-Szene vertritt genau das Gegenteil dieses dekonstruktivistischen Ansatzes: Das eigene Sehen und Fühlen sei der autoritative Grund allen Wissens.