
«In der Bundesrepublik findet Zensur statt. Diese Zensur ist insofern schwer nachzuweisen, als sie nicht offen, sondern verdeckt vonstattengeht (…) Bei dieser Zensur handelt es sich um eine freiwillige Selbstzensur der der Redakteur, Lektoren, Herausgeber oder Verlagsdirektoren», so antwortete die Schriftstellerin Gisela Elsner 1986 auf einen Fragebogen, die Literaturzensur in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 betreffend. Damals war Elsner schon neun Jahre Mitglied der …
…. Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und war darüber hinaus auch als Schriftstellerin bekannt.
Entlang der politischen Landschaft
Das ist heute anders. Viele kennen Elsner nur aus dem Film «Die Unberührbare», in dem ihr Sohn Otto Röhler sie als drogenabhängige Salonkommunistin darstellt. Umso erfreulicher, dass die Wissenschaftsre- dakteurin Tanja Röckemann im Verbrecher-Verlag das Buch «Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und 1968» herausgebracht hat, das der kommunistischen Schriftstellerin gerecht wird. Um Gisela Elsner als organisierte Kommunistin und der politischen Natur ihres literarischen Werks Rechnung zu tragen, konstituiert sich die vorliegende Studie massgeblich «entlang der politischen Landschaft der Bundesrepublik», beschreibt Röckemann in der Einleitung ihre Herangehensweise.
Bei der Lektüre wird klar, wie viel linke Geschichte in den letzten Jahrzehnten verschüttet wurde. Das wird schon bei dem Eingangszitat deutlich. Wenn heute von Zensur die Rede ist, denken natürlich alle sofort an die DDR. Dass es Reglementierungen kritischer Literatur auch in der BRD gegeben hat, wird heute als alte DDR- Propaganda abgetan. Schliesslich singen heute auch einst linke Intellektuelle das Hohelied auf die ach so freiheitliche Demokratie der BRD, die mit dem Fall der Mauer in ganz Deutschland gesiegt habe. Wer da noch Zweifel äussert, wird schnell als ewiggestrig an den Rand gestellt. Da ist es umso erfreulicher, dass Röckemann in dem Buch die Diskussionen wieder bekannt macht, die in den 1970er-Jahren längst nicht nur in linksradikalen Kreisen über Zensur, Berufsverbote und die massive Einschränkung der Demokratie in der BRD geführt wurden.
Scharfe Polemik
Mitte der 1980er-Jahre allerdings, in der Zeit also, in der Elsner über Zensur und Selbstzensur in der BRD schreibt, hatte sich der Wind schon gedreht. Viele Ex- Linke hatten bereits ihren Frieden gemacht mit den Verhältnissen in der BRD oder sich im sektiererischen linken Zirkelwesen eingeigelt. Auch darüber urteilt Elsner mit scharfer Polemik. So schreibt sie in einem Brief an Chris Hirte, der als Lektor des Verlags «Volks und Welt» auch für die DDR-Ausgaben von Elsners Büchern zuständig war, im Jahr 1986: «Der mörderischen, nihilistischen Anarchie des Imperialismus, der immer deutlicher einen dritten Weltkrieg anpeilt, setzen die ausserparlamentarisch Revoluzzernden, auf die schiefe Bahn geratenen Kleinbürgersöhne, Bürgersöhne, Künstler:innen und In- tellektuelle sowie die heimatlosen Linken, die bislang in einer nur minimalen Weise Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung und zur Arbeiterklasse erreichen konnten und deshalb, einschliesslich der kleinbürgerlich-pazi- fistischen Friedensbewegung, zur Erfolgslosigkeit determiniert sind, die gedanklichen Schwachstellen des Anarchismus entgegen.»
Abgesehen von ihrer traditionskommunistischen, unreflektierten Anarchismusschelte könnte die polemische, aber doch sehr zutreffende Beschreibung der zeitgenössischen Linken auch von Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza nach 1989 stammen. Elsner hatte aber schon Jahre vorher wenig Vertrauen in das Milieu der westdeutschen Linken. Auch ihre Einschätzung der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre war viel ernüchternder und auch realistischer als die propagandistischen Lobeshymnen, die damals von der DKP und ihren Medien zu hören waren. Deshalb hatte Elsner auch ihre Probleme mit der DKP, denen Röckemann ein eige- nes Kapitel widmet. Im Juni 1989 trat Elsner sogar aus der DKP aus, doch vier Monate später machte sie diesen Schritt rückgängig. Elsner wollte sich nach dem Fall der Mauer nicht mit den vielen gemein machen, die damals der DKP oder linker Politik insgesamt den Rücken kehrten. Schliesslich hatte Elsner auch keine Umwege über die Sozialdemokratie genommen, wie Röckemann betont.
«Ich stehe vor dem Nichts»
Weil sie eben nicht zu denen gehörte, die ihren po- litischen Opportunismus zur politischen Tugend verklärten, bekam Elsner auch bald Schwierigkeiten im Literatur- betrieb. So handelt das Buch auch von den Grenzen, die einer kommunistischen Schriftstellerin in der BRD der 1980er-Jahre gesetzt wurden. Akribisch geht Röckemann auf den Umgang des Rowohlt-Verlags mit Elsner ein. Zunächst wurde die Autorin mit ihren Romanen wie «Das Berührungsverbot», «Der Punktsieg» und «Abseits» bei Rowohlt sehr willkommen geheissen. Doch Röckemann zeichnet nach, wie sich der Konflikt zwischen Autorin und Verlag zuspitzt, bis sie 1986 vom Verlag gekündigt wurde. Als der Verband der Schriftsteller:innen in dem Konflikt vermitteln will, wird das von der Leitung des Rowohlt-Verlags brüsk zurückgewiesen.
Es gehe «nicht um die literarische Qualität von Elsners Werk», sondern um andere Dinge zwischen Elsner und dem Rowohlt-Verlag, die ich Ihnen nicht darstellen möchte», zitiert Röckemann aus einem Schreiben des Rowohlt-Chefs Michael Naumann. Wie stark die Verlagskündigung Elsner auch finanziell traf, zeigt ein Brief, den sie an ihren Freund und Genossen Ronald M. Schernikau im Oktober 1986 schrieb: «Ich stehe wirklich vor dem Nichts. Seit Tagen kann ich kaum gehen, weil meine Knie butter- weich sind.» Es ist erfreulich, dass Röckemann öfter auch auf die prekäre finanzielle Situation der Autorin hinweist. Nach dem Rausschmiss bei Rowohlt konnten die DDR-Verlage die Verluste etwas ausgleichen. Elsner gehörte zu einer Reihe deutschsprachiger Autor:innen aus der BRD, der Schweiz und Österreich, deren Bücher in der DDR verlegt wurden. Nach dem Mauerfall verloren sie auch diese Einnahmequelle.
Neuauflage ihrer Bücher
Das Buch macht aber auch deutlich, dass das Ende der DDR für Elsner eine viel fundamentalere Zäsur war. 1990 löst Elsner ihre Wohnung in München auf und macht sich auf den Weg nach Berlin. Doch bald gibt sie ihre Umzugspläne auf und geht zurück nach München. «In der DDR bestand für mich die Gefahr, dass man mich ins Irrenhaus einliefert», schreibt sie im August 1990 an ihren Freund und Genossen Ronald M. Schernikau. Er wurde für Elsner ein wichtiger Briefpartner. Röckemann bezeichnet Elsner wie Schernikau als sperrige Kommunist:innen. Beide waren Mitglieder der DKP und durchaus Kritiker:innen des offiziellen Parteikurses. Beide machen sich aber nicht gemein mit den Bestrebungen, die Partei zu sozialdemokratisieren. Schernikau liess sich noch im Herbst 1989 in die DDR einbürgern. Er verteidigte auf dem letzten Schriftstellerkongress im März 1990 seine vielbeachtete Rede, die ein Lob des Kommunismus, aber nicht der SED war. Beide überlebten die DDR nur kurz. Schernikau starb am 20. Oktober 1991 in Berlin an Aids, Gisela Elsner verübte am 13. Mai 1992 Selbstmord. Schernikau wurde in den letzten 30 Jahren im The- ater und Radio wiederentdeckt. Es wäre zu wünschen, wenn das Buch dazu beitragen würde, dass auch die Bücher von Gisela Elsner wieder mehr gelesen werden. Der Verbrecher-Verlag hat einige neu aufgelegt. Peter Nowak