Peter Nowak veröffentlicht regelmäßig im Overton Magazin.

Drei Fragen an Peter Nowak

Es waren Menschen mit migrantischen Hintergrund, die am 13. Juni 2006 in Kassel und Dortmund unter der Losung »Kein 10 Opfer« auf die Straße gegangen sind. Das Video von diesen Demonstrationen vier Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU, sollte wirklich alle Illusionen in die demokratischen Prozesse verfliegen lassen.

Sie berichten in Ihren Artikeln viel von den defekten demokratischen Prozessen in diesem Land: Haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die Abläufe hierzulande?



… Nein, Vertrauen in den demokratischen Prozess hierzulande habe ich keinesfalls. In einem Land, in dem über viele Jahre ein nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Menschen mit Migrationshintergrund ermorden konnte und der sogenannte Verfassungsschutz, der häufig ganz in der Nähe der NS-Mitglieder war, nichts gesehen und gehört haben will, wäre es höchst naiv, auf demokratische Prozesse zu vertrauen. Es waren Menschen mit migrantischen Hintergrund, die am 13. Juni 2006 in Kassel und Dortmund unter der Losung »Kein 10 Opfer« auf die Straße gegangen sind. Das Video von diesen Demonstrationen vier Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU, sollte wirklich alle Illusionen in die demokratischen Prozesse verfliegen lassen. Vertrauen habe ich, dass sich Menschen in diese Prozesse einmischen und dann auch, wenn sie einen langen Atem haben, diese Prozesse beeinflussen können.

Vielen Menschen fehlt heute schlicht das Vertrauen in Politik und Medien. Sehen Sie realistische Optionen oder gar Vorhaben, wie das wieder verbessert werden könnte?

Die Menschen, die beispielsweise in der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh mitarbeiten, haben auf Grund ihrer ganz konkreten Erfahrungen mit den Staatsapparaten in Deutschland, wenig Vertrauen in Politik und viele Medien. Sie haben aber durchaus Vertrauen in Medien, die nicht einfach Polizeiberichte nacherzählen. Dadurch wurde bekannt, dass die offizielle Version des Todes von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle im Januar 2005 nicht stimmen kann. Solche Beispiele kann man auch bei Arbeits- oder Mietkämpfen finden. Die Beteiligten haben mit Grund wenig Vertrauen in Politik und Medien, wenn ihre Kämpfe entweder verschwiegen oder entstellt dargestellt werden. Aber sie erkennen auch an, wenn Medien und auch manche Politiker ihre Anliegen ernst nehmen, ohne sie zu vereinnahmen.

Eine Zeitenwende scheint es gegeben zu haben, das Land lässt sich mit jenem von 1995 oder 2002 nicht vergleichen. Was war für Sie der Moment, der die Bundesrepublik in eine Mischung aus Bananenrepublik, Haltungsdiktatur, ein Land mit mangelnder Meinungsfreiheit und völlig arroganten Eliten verwandelte?

Ich mache mir Charakterisierungen wie Bananenrepublik und Haltungsdiktatur nicht zu eigen. Doch es hat sich nicht nur in Deutschland ein autoritärer Liberalismus etabliert, der auch von großen Teilen des grünen Milieus getragen wird. Diese Entwicklung hatte 1995 schon begonnen, als ein grüner Außenminister im ehemaligen Jugoslawien bomben ließ, wo die Wehrmacht große Verbrechen angerichtet hat. Die Jahre der Pandemie und die militaristische Zeitenwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, haben die Kritikunfähigkeit auch in einst linken und kritischen Kreisen massiv gefördert. Mit der Zeitenwende ist der deutsche Imperialismus wieder auf den Sprung – und ein Teil der Linken biedert sich ihm als Hilfswillige an. Darunter auch manche, die vor 30 Jahren vor diesen Worst-Case-Szenarien eines wieder erstarkten Deutschlands gewarnt haben. Da gilt es, diejenigen zu sammeln, mit denen auch in dieser Situation kein Staat zu machen ist, schon gar kein deutscher.

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