Besprechung von: Meike Gerber, Emanuel Kapfinger, Julian Volz (Hg.), Für Hans-Jürgen Krahl, Beiträge zu seinem antiautoritären Marxismus, Mandelbaum Verlag, Reihe Kritik und Utopie, Wien 2022, 18 Euro

Brauchen wir eine neue Krahl-Lektüre?

Die von Emanuel Kapfinger als neoleninistisch bezeichneten linksautonomen Gruppen haben am Beispiel der Gelbwestenbewegung in Frankreich analysiert, dass es ihr nicht gelungen ist, eine linke Struktur zu bilden und sich dem Zangengriff von staatlicher Repression und reformistischer Vereinnahmung zu entziehen. Damit formulieren sie Erfahrungen, die viele außerparlamentarische Linke in den letzten Jahrzehnten immer wieder gemacht haben. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass es eben in großen Teilen der gesellschaftlichen Linken an einer Organisationsdebatte, die mit einer permanenten politischen Praxis verbunden ist, fehlt. Vielmehr stürzen sich Linke in verschiedene Kampagnen, bis sie sich meistens nach einigen Jahren aus der politischen Praxis zurückziehen und Zuflucht in der Theorie suchen. Damit müsste doch eigentlich Theorie und Praxis zusammen gedacht werden. Nur dann können sich theoretische Erkenntnisse in der Praxis einschreiben und Erfahren aus der politischen Praxis wieder in die theoretische Arbeit aufgenommen werden. Genau das hat Krahl in der kurzen Zeit seines politischen Wirkens praktiziert. Für ihn gab es diese Trennung in Theorie und Praxis nicht. Auch das ist Vermächtnis von Krahl.


Am 17. Januar 2023 wäre Hans-Jürgen Krahl 80 Jahre alt geworden. Ein Sammelband will den Anstoß geben, sich wieder den Schriften dieses wichtigen Theoretikers der Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu widmen. Dabei muss man sich die Frage stellen, welchen Gebrauchswert sie heute noch haben. …

… „SDS-Sprecher Krahl bei Unfall getötet“, lautete eine DPA-Meldung am 14.°Februar°1970. Am Vortag war das Fahrzeug, in dem der 27-Jährige Hans-Jürgen Krahl am Beifahrersitz saß, auf eisglatter Straße auf einer nordhessischen Bundesstraße gegen einen Lastwagen geprallt. Krahl war sofort tot, der Fahrer des Wagens starb wenig später im Krankenhaus. Drei weitere Wageninsassen überlebten schwerverletzt. Sie waren auf der Rückfahrt von einem Politiktreffen. Diskussionen über Strategie und Taktik revolutionärer Politik sowie das Verfassen von philosophischen und politikökonomischen Texten gehörten zu den zentralen Beschäftigungen im kurzen Leben von Krahl. Er hatte keinen festen Wohnsitz, übernachtete bei Freund*innen und Bekannten, war immer unterwegs zu Veranstaltungen und Diskussionen und verfasste Texte zum Verhältnis von Arbeiterklasse und Intelligenz und zur linken Organisationsdebatte. Seine Doktorarbeit über besondere Probleme im Werk von Marx konnte Krahl nicht mehr beenden. Krahl hinterließ einen Koffer mit philosophischen Exzerpten zu Hegel, Kant, Lukács, Marcuse, dem Theorie-Praxis-Verhältnis enthalten. Es waren Texte geschrieben im politischen Handgemenge, wenn er mal Zeit fand zwischen den vielen politischen Aktivitäten, mit denen er in den letzten Jahren seines Lebens rund um die Uhr beschäftigt war. Dazu gehörten Diskussionen, Demonstrationen, Besetzungen von Universitätsgebäuden, aber auch die Vorbereitung von Gerichtsverhandlungen, weil er für sein politisches Engagement mehrmals angeklagt war. Wenige Wochen nach seinem Unfalltod gab Oskar Negt in verschiedenen Medien des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) eine Anzeige auf, in der er nach verstreuten Manuskripten, Ausarbeitungen und Tonbändern mit Reden von Krahl suchte. Das Ergebnis war der 1971 herausgegebene Sammelband „Konstitution und Klassenkampf“, der damals in der akademischen Linken einige Beachtung fand. 1973 gab der marxistische Soziologe Helmut Reinicke in der Reihe „Internationale Marxistische Diskussion“ des Merve-Verlags eine 70-seitige Broschüre unter dem knappen Titel „Für Krahl“ heraus. Ausgehend von den in den sehr voraussetzungsvollen Texten, die in „Konstitution und Klassenkampf“ veröffentlicht wurden, verfasste Reinicke eine Art Leitfaden, in dem er festhielt, auf welche Punkte sich die linke Debatte konzentrieren sollte.

Sehr bekannt und schnell vergessen

In der ersten Hälfe der 1970er Jahre war der SDS-Aktivist Krahl bei der akademischen Intelligenz bekannt wie Marx, Lenin und Dutschke, so dass Reinicke ihn ebenso im Titel der Broschüre nur mit dem Nachnamen titulierte. Allerdings zeigte sich hier auch das Problem, dass die Texte von Krahl fast ausschließlich im Umfeld der studentischen Aktivist*innen der APO gelesen wurden. Doch den meisten Menschen in Deutschland war Krahl höchstens durch Zeitungsmeldungen bekannt, die sich über die linken Umtriebe des SDS echauffierten. Seine begrenzte Rezeption erklärt auch, warum der Theoretiker Krahl schnell vergessen wurde. Denn die Zeit der offenen linken theoretischen Debatten ging 1972 auch in der APO zu Ende. Der SDS hatte sich nur wenige Tage nach Krahls Tod offiziell aufgelöst. Bei Krahls Beerdigung wurden die Modalitäten der Abwicklung besprochen. Es begann die Zeit der Parteigründungen, als Teile der akademischen Intelligenz noch einmal die 1920er Jahre nachzuspielen versuchten und damit nach wenigen Jahren scheiterten. Das wiederum war aber vielen der ehemaligen APOAktivist*innen Grund genug, Frieden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu machen. Viele beteiligten sich Anfang der 1980er Jahre am grünen Parteigründungsprozess. Da ging es mehrheitlich nicht mehr um die proletarische Revolution, sondern um eine Zivilisierung des Kapitalismus. Für ein solches Unterfangen aber waren die Theorien eines Hans-Jürgen Krahl nicht zu gebrauchen. Mit ihnen war im Wortsinn kein Staat zu machen. Genau das macht Krahl wieder für linke Intellektuelle interessant, die auf der Suche nach Theoretiker*innen sind, die weder die kapitalistischen Staaten des Westens noch die nominalsozialistischen in der Realität aber staatskapitalistischen Staaten des Ostens affirmierten. Dazu gehören Meike Gerber, Emanuel Kapfinger und Julian Volz, die kürzlich im Mandelbaum-Verlag einen Sammelband mit dem programmatischen Titel „Für Hans-Jürgen Krahl“ herausgegeben haben.

In der Einleitung rekapitulieren sie das kurze Leben von Krahl, der seine politische Arbeit beim völkischen Ludendorff-Bund begann. Als er ihn 1961 verließ und die Junge Union (JU) im niedersächsischen Alfeld mitbegründete, sei das schon ein „enormer Schritt zur Aufklärung“ gewesen, wie es sich Krahl in einer Prozesserklärung selbst bescheinigte. Sein Studium begann er in Göttingen. Dort trat er zunächst in eine Burschenschaft ein, aus der er ausgeschlossen wurde, weil er sie liberalisieren wollte.

Kurz vor der Praxis wieder in die Theorie“

1964 trat Krahl in den SDS ein, was die Herausgeber*innen als Zäsur betrachten. „Krahl entschloss sich also seine Klasse zu verraten, trat 1964 dem SDS und ging ein Jahr später für ein weiteres Jahr nach Frankfurt. Dort begann er seine Dissertation bei Theodor W. Adorno, der ihn entscheidend prägen sollte“1, schreiben Gerber, Kapfinger und Volz. Mehrere der 15 Aufsätze in dem Buch drehen sich um die politischen Hintergründe seines Bruchs mit seinem Doktorvater ab 1968. Schließlich sparte Krahl nicht mit Kritik an seinem Lehrer Theodor W. Adorno. Dieser wäre aufgrund der Faschismuserfahrung gegenüber jeglicher subversiven Praxis angstvoll eingestellt. Zudem mangele es den Denkern der Frankfurter Schule an einem zu aktualisierenden konstitutiven Klassenbegriff. Verdinglichung überblende im Denken der Kritischen Theorie die Ausbeutungserfahrung, aus der antagonistische Praxis erwachsen könnte und sollte, so Krahl.

„Kurz vor der Praxis wieder in die Theorie“ heißt der Beitrag von Meike Gerber über das Spannungsverhältnis von Kritischer Theorie und widerständiger Praxis. Gerber stellt ihrem Beitrag ein Zitat von Krahl voran: „Als wir ….(P.N.) das Konzil der Frankfurter Universität belagerten, kam als einziger Professor Herr Adorno zu den Studenten zum Sit in. Er wurde mit Ovationen überschüttet, lief schnurstracks auf das Mikrofon zu und bog kurz vor dem Mikrofon ins Philosophische Seminar ab, also kurz vor der Praxis wieder in die Theorie“.2

Angela Davis so unbekannt wie Hans-Jürgen Krahl?

Während Adorno revolutionäre Praxis für unmöglich hielt, stellte sich mit Herbert Marcuse ein anderer Exponent der Frankfurter Schule auf die Seite der Protestbewegung. Auch die Marcuse-Schülerin Angela Davis wird in dem Buch als eine der Vertreterinnen des antiautoritären Marxismus in den USA vorgestellt, deren theoretische Arbeiten in den USA lange Zeit ebenso ignoriert worden seien wie die Texte von Krahl in Deutschland. Allerdings wird dabei übersehen, dass die Rezeptionsgeschichte von Angela Davis in den USA sich doch sehr von der von Krahl unterschieden hat. Davis wurde 1970 in den USA wegen des Vorwurfs angeklagt, Unterstützung bei der missglückten Befreiung eines Black Panther-Gefangenen aus dem Hochsicherheitsgefängnis geleistet zu haben. Ihr drohte die Todesstrafe. Eine weltweite Solidaritätsbewegung sorgte für ihren Freispruch. Damals wurden ihre theoretischen Beiträge zum Antirassismus und der besonderen Unterdrückung von Schwarzen Frauen, später auch ihre Beiträge zur Kritik am Gefängnissystem, dem sogenannten gefängnisindustriellen Komplex, nicht nur in den USA breit rezipiert. Wie bekannt Angela Davis auch heute noch in Deutschland ist, zeigte sich erst am 6.°Oktober°2022 in Berlin-Kreuzberg. Dort hielt Angela Davis am Oranienplatz eine Rede zur Unterstützung von antirassistischen Initiativen, zu der über 3000 Zuhörer*innen kamen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nicht alle ihre Fans ihre Texte kennen, so war Davis nie so vergessen wie Krahl. Heute spielt die Marxistin Angela Davis eine wichtige Rolle als antirassistische und feministische Theoretikerin.

Kein Theoretiker des Intersektionalismus

Aber gerade das sind Themenfelder, die in den Texten von Krahl keine Rolle spielen. Dass Krahl zur Debatte über rassistische und patriarchale Unterdrückungsverhältnisse wenig beigetragen kann, schreiben die Theoretiker*innen der neuen Krahl-Lektüre an mehreren Stellen. Es ist positiv hervorzuheben, dass sie nicht versuchen, in bestimmten Krahl-Fragmenten doch noch intersektionalistische Elemente hineinzuinterpretieren.

Die Relektüre mehr als 50 Jahre später steht natürlich vor der Frage, was können Krahls Texte heute zur Debatte für einen antiautoritären Marxismus beitragen. Die Bedeutung wird von den Herausgeber*innen des Buches eher behauptet als belegt. Andreas George und Samuel Denner analysieren in ihrem Beitrag, wie sich Krahl mit der veränderten Rolle der Intelligenz in der Gesellschaft beschäftigte und aus den Untersuchungen eine neue Klassentheorie herausarbeiten wollte. Das war ein zentrales Thema seiner nachgelassenen überwiegend fragmentarischen Schriften, was schon Helmut Reinicke 1973 in seiner Broschüre „Für Krahl“ herausgearbeitet hat. Das Verdienst der Autor*innen des Sammelbandes besteht vor allem darin, den Theoretiker Krahl wieder dem Vergessen entrissen und einen Einblick in das weitgehend unerschlossene Universum seiner theoretischen Arbeiten gegeben zu haben. Nun liegt es an interessierten Leser*innen, das Angebot anzunehmen und über die Aktualität von Krahls Thesen zu diskutieren.

Krahl und die Rolle der akademischen Intelligenz

Die Rolle der akademischen Intelligenz spielt dabei eine wichtige Rolle. Krahl hatte schon Mitte der 1960er die Veränderung in der Zusammensetzung der Klasse der Lohnabhängigen und den Bedeutungszuwachs der akademischen Intelligenz gut analysiert. Krahl wandte sich schon in den 1960er Jahren gegen einen industrie-proletarisch verengten Klassenbegriff, den er als strategische Fehleinschätzung bezeichnete. Für Krahl ist Industrieproletariat nur ein Segment in der Klasse der Lohnabhängigen. Klassenbewusstsein könnte nur hergestellt werden durch die Organisierung einer wissenschaftlichen Intelligenz, des Heers der Industriearbeiter*innen und der produktiven Angestellten. Wenn Krahl in seinen Fragment gebliebenen 1969 verfassten „Thesen zum allgemeinen Verhältnis von wissenschaftlicher Intelligenz und proletarischem Klassenbewußtsein“ feststellt, dass sich sozialrevolutionäre Strategien nicht mehr in der klassischen Weise auf das Industrieproletariat beziehen können, hatte er uneingeschränkt Recht behalten, auch und gerade gegen viele seiner ehemaligen SDS-Genoss*innen, die dann wenige Jahre später die proletarische Wende gerade in klassischer Weise auf das Industrieproletariat beschränken wollten. Eine neue Krahl-Lektüre sollte sich also seine Thesen dazu noch einmal vornehmen. Dabei stellt sich dann natürlich die Frage, inwiefern dies in einer Zeit noch aktuell ist, in der ein relevanter Teil der Linken der Überzeugung ist, dass die Kategorie Proletariat heute an Bedeutung verloren hat bzw. gar keine Relevanz mehr besitzt. Krahl schrieb in seinen Thesen schon: „Die objektive Integration relevanter Teile wissenschaftlicher Intelligenz in den produktiven Gesamtarbeiter macht diese noch nicht zu bewussten Proletariern“. Das gilt natürlich für die Klasse der Lohnabhängigen in ihrer Gesamtheit. Die erneute Beschäftigung mit den Texten von Krahl auch bedeuten, Kategorien wie Klassenanalyse und Klassenbewusstsein wieder in eine linke Diskussion zu bringen. Natürlich wäre es auch eine lohnende Frage, in Anschluss an Krahls Thesen zu fragen, ob sich auf globaler Ebene tatsächlich der Anteil der wissenschaftlichen Intelligenz gegenüber den Industriearbeiter*innen so signifikant erhöht hat oder ob das eine Erscheinung der Metropolen ist. So würden bei einer Relektüre auch Krahls Thesen selbst kritisch zur Diskussion stehen.

Krahl und die Organisationsfrage

Das gilt auch für die Organisationsfrage, mit der sich Krahl in seinen Schriften immer wieder beschäftigte, wie Robin Mohan in seinem Text in dem Buch darlegt. Tatsächlich trieb ihn bereits vor mehr als 50 Jahren die Frage um, wie eine marxistische Organisation auf der Höhe der Zeit aussehen kann. Klar war ihm aber bereits damals, dass ein 20er Jahre-Revival nicht die Lösung sein kann, wie es die Genoss*innen in den verschiedenen Parteigründungsprozessen praktizierten. Krahl übte allerdings auch scharfe Kritik an bestimmten Spielarten des Anarchismus, für die gleich jedes Organisationskonzept unter Autoritarismus-Verdacht gerät. Dabei sind auch und gerade diese scheinbar so spontaneistischen Politikformen von informellem Autoritarismus geprägt, weil dort Personen oder informelle Zusammenhänge, die länger aktiv sind, mehr Informationen besitzen und so natürlich auch die Diskussionen und die Konzepte prägen. Seit den 1990er Jahren gibt es gerade in den autonom-spontaneistischen Kreisen eine Debatte über diesen Autoritarismus in den eigenen Strukturen. Sie war der Beginn von bundesweiten Organisationen der außerparlamentarischen Linken in Deutschland wie der Interventionistischen Linken oder dem Umsganze-Bündnis, die mit autonomen Politikformen brachen, ohne sich als leninistische Organisation zu verstehen. Mittlerweile gibt es allerdings in Teilen der jüngeren außerparlamentarischen Linken, die sich keiner dieser Organisationen zuordnen, eine Rückbesinnung auf kommunistische Organisationsmodelle, die Emanuel Kapfinger in einen Beitrag in der Zeitschrift analyse und kritik 684 vom August 2022 als neoleninistisch kritisiert. In dem Text bezieht er sich auf politische Debatten bei linken Gruppierungen wie translib in Leipzig oder dem im Umfeld der Berliner Kiezkommunen gegründeten Bund der Kommunist*innen Berlin. Er hätte auch ähnliche Organisierungsdebatten bei den Angry Workers nennen können, einem politischen Zusammenhang, der in dem Buch „Angry Workers Class Power!“ ein Resümee seiner mehrjährigen Betriebs- und Fabrikintervention in Großbritannien gezogen habt. Auch sie stellen sich schließlich die Frage, ob sie perspektivisch eine kommunistische Organisation gründen sollten. Sie haben mit einer ganz anderen Praxis ähnliche Erfahrungen gemacht wie die von Kapfinger genannten Gruppierungen und kommen zu dem Fazit, dass sich die Frage einer linken Organisation nicht ausklammern lässt, wenn es um Perspektiven linker Praxis geht. Gerade am Beispiel der Angry Workers bietet sich die Gelegenheit, die beiden zentralen Fragen gemeinsam zu diskutieren, die schon Helmut Reinicke als theoretisches Vermächtnis von Krahl benannte: die Organisationsfrage und die Frage der Neuzusammensetzung der Klasse.

Einheit von Theorie und Praxis

Die von Kapfinger als neoleninistisch bezeichneten linksautonomen Gruppen haben am Beispiel der Gelbwestenbewegung in Frankreich analysiert, dass es ihr nicht gelungen ist, eine linke Struktur zu bilden und sich dem Zangengriff von staatlicher Repression und reformistischer Vereinnahmung zu entziehen. Damit formulieren sie Erfahrungen, die viele außerparlamentarische Linke in den letzten Jahrzehnten immer wieder gemacht haben. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass es eben in großen Teilen der gesellschaftlichen Linken an einer Organisationsdebatte, die mit einer permanenten politischen Praxis verbunden ist, fehlt. Vielmehr stürzen sich Linke in verschiedene Kampagnen, bis sie sich meistens nach einigen Jahren aus der politischen Praxis zurückziehen und Zuflucht in der Theorie suchen. Damit müsste doch eigentlich Theorie und Praxis zusammen gedacht werden. Nur dann können sich theoretische Erkenntnisse in der Praxis einschreiben und Erfahren aus der politischen Praxis wieder in die theoretische Arbeit aufgenommen werden. Genau das hat Krahl in der kurzen Zeit seines politischen Wirkens praktiziert. Für ihn gab es diese Trennung in Theorie und Praxis nicht. Auch das ist Vermächtnis von Krahl.

Wenn der Sammelband zu einer Neuen Krahl-Lektüre beitragen könnte, die aus seinen Texten dann „Beiträge für einen antiautoritären Marxismus“ machen würde, hätte er seinen Zweck erfüllt. Dafür könnte dann die schon zitierte Angela Davis tatsächlich ein Beispiel sein, die theoretisch und auch praktisch bis heute die Debatten um das Zusammenwirken von kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler und rassistischer Unterdrückung bereichert.

Literatur:

Hans-Jürgen Krahl (Jahreszahl). Konstitution und Klassenkampf,.Schriften und Reden 1966-1970. Verlag Neue Kritik. 

Helmut Reinicke (2020). Für Krahl. Internationale Marxistische Diskussion 37, Merve Verlag,

Angry Workers, ClassPower! Über Produktion und Aufstand, Unrast-Verlag. 

Kapfinger Emanuel (2022). „Weder antiautoritär noch leninistisch. Was Hans-Jürgen Krahl mit der proletarischen Wende nach 1968 zur Parteidiskussion von Teilen der linken Szene beitragen kann“, in: analyse und kritik 684,  

1Gerber Meike, Emanuel Kapfinger und Julian Volz (Hg.), Für Hans-Jürgen Krahl, Beiträge zu seinem antiautoritären Marxismus, Mandelbaum-Verlag, 13.1

2ebd., 171