Den Dienst an der Waffe verweigern – obwohl das eigene Land brutal angegriffen wurde? Der Pazifist Ruslan Kotsaba saß deswegen in seinem Heimatland Ukraine schon in Haft. Ein Gespräch

„Die Lage für Pazifisten in der Ukraine ist gefährlich“

Ruslan Kotsaba wurde 1966 geboren. Er ist Mitbegründer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung. Wegen seiner Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er in der Ukraine mehrmals inhaftiert und von Ultrarechen angegriffen.

der Freitag: Herr Kotsaba, warum halten Sie trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine an Ihrer pazifistischen Überzeugung fest? ….

Ruslan Kotsaba: Wenn ich erst einmal damit einverstanden bin, dass Menschen getötet werden können, nur weil Krieg ist, muss ich auch akzeptieren, selber getötet zu werden. Da machte ich nicht mit. Ich bin weiterhin überzeugt, dass es keinen berechtigen Krieg gibt. Daher werde ich bis an mein Lebensende keinen Krieg rechtfertigen. Das verbietet mir meine christliche Überzeugung. Ich bin nicht berechtigt, anderen Menschen das Leben zu nehmen.

Wann sind Sie mit Ihrer Position an die Öffentlichkeit getreten?

Anfang 2015 habe ich mich auf Youtube gegen die Kriegführung im Osten des Landes gewandt. In dieser Zeit starben in der Provinz Donezk auf beiden Seiten täglich Menschen, ohne dass das ein großes Thema war. Einige dieser Menschen hatte ich vorher als Journalist interviewt. Zudem habe ich den damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko informiert, dass ich die Einberufung verweigern werde und meine ukrainischen Landsleute aufgerufen, sich ebenfalls der Einberufung zum Militär zu widersetzen. 

Welche Reaktionen gab es auf Ihren Aufruf?

Nur wenige Tage später, am 7. Februar 2015, wurde ich verhaftet und wegen Landesverrats und Behinderung der Streitkräfte angeklagt. Erst ein Jahr nach meiner Verhaftung erhielt ich die Möglichkeit, vor Gericht zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. In einer zweistündigen Aussage begründete ich meine pazifistische Haltung. Am 12. Mai 2016 verurteilte mich ein Gericht in Iwano-Frankiwsk zu einer Haftstrafe von 42 Monaten wegen Behinderung der Streitkräfte. Die Anklage wegen Landesverrat hatte das Gericht fallenlassen. Mitte Juli 2016 hob ein Berufungsprozess das Urteil und den Haftbefehl auf, sodass ich nach 16 Monaten Untersuchungshaft freigelassen wurde.

Doch dieser Freispruch wurde wieder aufgerufen und das Verfahren im Jahr 2020 erneut aufgenommen. Neben der staatlichen Repression gab es auch mehrere Angriffe von Neonazis auf mich. Bei einer dieser Attacken wurde ich an einem Auge verletzt, sodass meine Sehfähigkeit bis heute eingeschränkt ist. Mit Beginn des russischen Einmarschs ist die Lage für Pazifisten in der Ukraine noch gefährlicher geworden, weil die Ultrarechten, die vorher noch von den Geheimdiensten kontrolliert wurden, jetzt offener agieren können. 

Bekommen Sie Unterstützung aus Deutschland und den anderen EU-Ländern?

Unterstützung kommt von Organisationen wie Connection e.V., die sich weltweit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzen. Die Politiker in der EU machen einen großen Fehler, dass sie die Deserteure in der Ukraine, aber auch in Russland und Belarus nicht viel stärker unterstützen. Der Krieg könnte gestoppt werden, wenn die Zahl der Verweigerer wächst. Stattdessen werden immer mehr Waffen geliefert, wodurch nur mehr Tod und Zerstörung angerichtet wird.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan im Herbst des zu Ende gehenden Jahres bei einer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vor dem Pazifismus warnte?

Ich kannte Zhadan schon, als er noch ein Liberaler war. Er ist in nationalistische Kreise abgerutscht und äußert sich heute offen russophob. Dafür wird er in Deutschland auch im liberalen Milieu gemocht. Mich erstaunt nur, dass er dafür einen Friedenspreis bekommt. Mich hat allerdings auch gewundert, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments bekam und nicht der inhaftierte Wikileaks-Gründer Julian Assange, der ihn viel mehr verdient hätte.

Sie sollten 2019 den Aachener Friedenspreis verliehen bekommen. Bedauern Sie, dass es die Absage wegen einer als antisemitisch empfundenen Passage in einer Rede von Ihnen gab?

Ich bedauere die Formulierung in meiner Rede aus dem Jahr 2011. Doch sie wurde damals gezielt verwendet, um nicht nur mich, sondern auch den Bundestagsabgeordneten der Linken Andrej Hunko, der mich unterstützte, zu diskreditieren. Ich habe mich daher selber entschieden, den Preis nicht anzunehmen, weil ich vermeiden wollte, in einer Auseinandersetzung, in der es eigentlich gar nicht um mich geht, instrumentalisiert zu werden.

Glauben Sie, dass pazifistischen Positionen in der Ukraine wieder mehr Gehör finden?

Ich bin weiter der Überzeugung, dass ein Bündnis zwischen der russischen und der ukrainischen Bevölkerung möglich ist. Doch man muss feststellen, dass Wladimir Putin mit dem Krieg solche Vorstellungen mindestens um 30 Jahre zurückgeworfen hat. Wir müssen nur jetzt klarmachen, dass man nicht die gesamte russische Bevölkerung für die Verbrechen Putins verantwortlich machen kann 

Peter Nowak ist Journalist und Mitherausgeber des 2022 erschienenen Buchs Nie wieder Krieg ohne uns… Deutschland und die Ukraine.

Interview: Peter Nowak