Angry Workers: Class Power! Über Produktion und Aufstand. Unrast-Verlag, 528 S., br., 24 €.

Wo bleibt nur die Wut?

Eine linkskommunistische Gruppe aus London berichtet in einem Buch über die Entscheidung, die politische Arbeit wieder in die Fabriken zu verlegen – und über ihre Erfahrungen mit den Arbeitern

Im Jahr 2014 entschieden wir uns, in ein Arbeiterviertel West-Londons zu ziehen. Wir hatten das dringen de Bedürfnis, aus der kosmopolitischen Blase auszubrechen und un sere Politik im Alltagsleben der Arbeiter*innenklasse zu verankern.« Mit die sem Bekenntnis leitet die Gruppe Angry Workers ihr kürzlich im Unrast-Verlag erschie nenes Buch »Class Power! Über Produktion 
und Aufstand« ein. In Großbritannien sorg te es bereits 2020 für viele Diskussionen in  der Linken. Denn die Angry Workers agieren gegen den linken Trend, was schon im Ein gangsstatement deutlich wird. Sie verlassen mit den linken Szenebezirken nicht nur eine Komfortzone, sie grenzen sich auch von einer linken Identitätspolitik ab, die immer neue diskriminierte Minderheiten kennen, aber von Klassen nichts mehr hören will. Dabei sind die Angry Workers keineswegs …

 … Anhänger*innen einer marxistisch-leninistischen Partei, wie es viele der Linken wa ren, die in den 1970er Jahren aus politischen Gründen in die Fabrik gingen. »Diejenigen, die Kategorien mögen, können uns als Links kommunisten einordnen. Das mag wenigen etwas sagen, und es ist nicht wirklich wich tig, dass revolutionäre Politik unserem Verständnis nach auf der Selbstorganisation der Arbeiterklasse beruht«, beschreiben die Autor*innen den Ausgangspunkt ihres Engage ments. Die Gestaltung dieses Ansatzes chan giert im Buch zwischen zwei Polen. 


Gemeinsam in der Verschiedenheit 
Hier gibt es zum einen den »spontihaften« Blick auf den Politikansatz: Job suchen und Stress machen. Damit wird auch ausgedrückt, dass es für die Angry Workers kein großes Problem darstellt, einen Job wieder zu ver lieren – womit sie sich unterscheiden vom Großteil ihrer Kolleg*innen, die (oft schlecht 
bezahlte) Lohnarbeit verrichten. Sie arbeiten nicht aus politischen Gründen, sondern weil ihnen ohne Job schlicht das Geld für die Miete fehlt. Viele Arbeiter*innen müssen außer dem noch Kredite abbezahlen, was es noch 
schwieriger macht, auf den Lohn zu verzich ten, und sei er noch so gering. 
Mit einer gewissermaßen elaborierteren Stoßrichtung sprechen die Angry Workers zum anderen davon, dass das Konzept der ArbeiterSelbstuntersuchung im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht: »Als Arbeiter*innen müssen wir gemeinsam den Arbeitsprozess, die Spaltungslinien, die Position des Unter nehmens in der Zulieferkette, die rechtliche Situation und den hierarchischen Gewerkschaftsapparat verstehen, um uns effektiv und selbstständig gegen die Bosse zu organisieren«, schreiben sie. Diesen Anspruch lösen die Angry Workers bei den drei Arbeiteruntersuchungen, die im Buch veröffentlicht sind, gut ein. Sehr detailliert beschreiben sie dort die jeweiligen Fabriken, ihre Rolle in der aktuellen Ökonomie und die Zusammenset zung der Belegschaft. Dabei geht es immer auch darum, Anknüpfungspunkte für Protest und Widerstand zu finden. 

Proletarische Widerstände 
Ihre achtjährige Fabrikintervention ist jedoch nicht von großen Erfolgen gekrönt – auch wenn sie im Fabrikalltag immer wieder klei ne Verbesserungen gemeinsam mit den Kol leg*innen durchsetzen konnten. »Warum stehen die Menschen nicht für ihre Rechte ein?« Diese Frage stellt sich eine Angehörige der Angry Workers, die für längere Zeit in der Lebensmittelfabrik Bakkavor arbeitete. Viele der Kolleg*innen hatten einen indischen Migrationshintergrund. Dort startete die Kollegin der Angry Workers ihre Organisations versuche, bei denen sie von ihren Genoss*innen außerhalb der Fabrik durch das Verteilen von Flugschriften unterstützt wurde. Die Arbeiter*innen lasen diese zwar durchaus, weil sie durch die präzisen Informationen der Kollegin aus dem Betrieb ganz konkrete Proble me in der Fabrik ansprachen. Trotzdem zogen die Angry Workers nach einem Jahr ein ernüchterndes Fazit: »Wir stießen mit unseren Aktivitäten … an eine Wand aus Beton. We der die Flugblätter noch unser Mitteilungs blatt hatten viel bewirkt. Es war nach wie vor schwierig, mit Kolleg*innen zu sprechen und an Informationen zu kommen, die nicht auf Tratsch, Gerüchten und stiller Post beruhten.« Daraufhin engagierte sich die Kollegin in der GMB, einer Gewerkschaft, die sich stark auf betriebliches Organizing stützt. Hier betonen die Angry Workers, dass sich an ihrer linkskommunistischen Kritik an Gewerkschaften, »die existieren, um zwischen Kapital und Arbeit zu vermitteln, nicht um diesen Gegensatz zu überwinden«, nichts geändert hat. Mit der Arbeit in der Gewerkschaft sollte erkundet werden, ob so bessere Verbindungen zu den Kolleg*innen hergestellt werden könnten. Aber auch hier waren die Ergebnisse ernüchternd. Das Problem be stand allerdings nicht – wie sonst häufig – in einem Gewerkschaftsvorstand, der die Basisaktivitäten hemmt. Vielmehr war der GMB Vorsitzende für die Verhältnisse der Branche 
ein linker Gewerkschafter, der die Aktivitäten der Angry Workers ausdrücklich unterstützte und sogar deren Schriften als Anregung benutzte. Zum Konflikt kam es stattdessen mit einer Gruppe von männlichen Gewerkschaftern, die alle aus derselben Provinz in Indien kamen, sich also schon lange kannten und 
durch die linke Neueinsteiger-Gewerkschaft ihre Macht bedroht sahen. Zumal sich die Angry-Workers-Kollegin schnell mit ihnen anlegte und eine Neuwahl der gewerkschaftlichen Vertrauenspersonen erzwang, mit dem Vorwurf an einige dieser Kollegen, ihre Verwandten auf die Liste der gewerkschaftlichen Ver trauenspersonen gesetzt zu haben. Ob es taktisch klug war, diesen Konflikt 
so früh zu suchen, darüber fehlt im Buch eine kritische Reflektion. Zudem wurde bei diesem Vorgehen nicht berücksichtigt, dass enge verwandtschaftliche Kontakte in migrantischen Communitys auch Teil von Widerstandsstrategien sein können, die nicht vorschnell mit dem Label der Vetternwirt schaft abgetan werden sollten. In dieser Aus einandersetzung zeigt sich auch, dass die Angry Workers natürlich ihre eigene, eben linkskommunistische politische Agenda haben, die auch mit der Selbstorganisation be stimmter Segmente der Arbeiter*innen in Konflikt geraten kann. 

Schwachstellen im Produktionsprozess 
Diese Agenda wird auch an an anderen Stel len im Buch deutlich, etwa in der Polemik gegen Linke, die Lebensmittelkonzerne ab lehnen und auf die angeblich besonders gesunde und natürliche bäuerliche Subsistenz wirtschaft setzen: »In die Verteufelung der Großkonzerne stimmen wir nicht mit ein. 
Sie bieten auch Möglichkeiten. Anstatt von einer kleinbürgerlichen Schicht (Kleinunter nehmer, Kleinhändler und Bauern) und ihrer  konservativen politischen Lobby beherrscht zu werden, liegt die moderne Lebensmittel industrie in den Händen von Abertausen den global verbundenen Arbeiter*innen, die unter denselben, immer schlechter werden den Bedingungen arbeiten.« So verteidigen die Angry Workers die Großproduktion im Lebensmittelbereich gegen eine linke Romantik des Primitivismus. An anderer Stelle rechnen sie vor, dass noch mehr Menschen verhungern müssten, wenn weltweit wieder auf Subsistenzwirtschaft gesetzt würde. Gerade im boomenden Lebensmittelsektor, aber auch in der Logistikindustrie sehen 
die Angry Workers die Basis für einen neu en weltweiten Aufschwung einer transna tionalen Arbeiter*innenbewegung. »Wenn wir uns moderne Lagerhäuser und die Logistik des Lebensmittelhandels ansehen, … 
kommen wir auch zu der Frage der Automa tisierung, und damit neben der Aufregung rund um die zunehmende Bedeutung des Dienstleitungssektors einen weiteren ideologischen Hype, der uns glauben machen will, 
das manuelle Arbeit im Kapitalismus in den nächsten zwei Generationen verschwunden sein wird«, argumentieren die Angry Workers gegen gängige linke Glaubenssätze. 

Gretchenfrage Organisierungsform 
Sehr fundiert nehmen die Linkskommu nist*innen zudem die weitverbreitete Ideo logie des demokratischen Sozialismus aus einander, die in Großbritannien vor allem in der kurzen Zeit, als der Sozialist Jeremy Corbin die Laborpartei führte, große Teile der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken in Großbritannien erfasst hatte. Im Kapitel »Revolutionäre Strategie« 
formulieren die Angry Workers ein kommu nistisches Programm, das sehr an die Texte der Bolschewiki in ihrer Aufstandsphase erinnert. So beschreibt etwa der Abschnitt »Die Macht der Klasse und ihre ungleiche Entwicklung« sehr detailliert, welche Milieus der Mittelschicht in Zeiten des Aufstands 
gezügelt werden müssen. »Die Mittelschicht hat politisches Gewicht und kann sich eines repressiven Apparats bedienen. … Die beste Weise, ihren Einfluss zu minimieren, ist, sie von der essenziellen Produktion und Distribution abzukoppeln«: Etwas abstrakt wird hier beschrieben, dass diese kleinbürgerlichen Schichten in einem revolutionären Prozess gezwungen werden müssen, »sich gerne als Gleiche produktiv in die Gesellschaft 
einzubringen«. Damit sind wir bei Problemen, mit de nen sich Wladimir Iljitsch Lenin bereits 1917 auseinandersetzte. Doch es stellt sich sofort die Frage, wer denn die formulierten revolutionären Ziele gegenwärtig umsetzen soll – die zerklüftete Arbeiter*innenbewegung ist dazu jedenfalls aktuell nicht in der Lage. Klar scheint auch, dass es nicht – wie vor 100 Jahren in der Sowjetunion – eine zentralisti sche Partei sein kann. Hier drängt sich also die Organisationsfrage zwangsläufig wieder in den Vordergrund, die die Angry Workers eigentlich gerne umgehen wollen. Sie stellen dennoch die richtigen Fragen und be nennen aktuelle Probleme für eine linke Theorie und Praxis – die Antworten müs sen wohl unter anderem von den Leser*in nen kommen.  Peter Nowak

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