Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex begonnen. Auch Verbindungen zum NSU werden untersucht

„Besonders die Bedeutung rechtsextremer Netzwerke steht im Fokus“

Der Ausschuss zur Untersuchung der rechten Anschläge in Berlin-Neukölln hat die Arbeit aufgenommen. André Schulze, Abgeordneter für die Grünen aus Neukölln und Mitglied des Untersuchungsausschusses, spricht im Interview über das Gremium, das vor allem rechtsextreme Netzwerke ausleuchten und auch mögliche strukturelle Probleme in den Sicherheitsbehörden aufdecken will.

Was soll der Ausschuss konkret leisten?

… Am Donnerstag, dem 16. Juni, hat die dringend notwendige Aufarbeitung der Anschlagsserie in Neukölln begonnen. Auf Grundlage des detaillierten Einsetzungsbeschlusses wollen wir die Gründe für die fehlenden Ermittlungserfolge untersuchen und Fehler im Rahmen der Ermittlungen und im Umgang mit den Betroffenen aufklären. Dabei steht für uns besonders die Bedeutung rechtsextremer Netzwerke für die Begehung der Straftatenserie im Fokus. Ebenso müssen wir die Aufstellung der Sicherheitsbehörden in diesem Bereich in den Blick nehmen. Als Ergebnis dieses Ausschusses wollen wir neben der Aufklärung offener Fragen auch Handlungsempfehlungen für die Sicherheitsbehörden geben, um rechte Strukturen gezielt unter stärkeren Ermittlungsdruck zu setzen. Wir wollen, dass die Menschen in dieser Stadt sicher sind vor rechtsextremer Gewalt. Diese Aufklärungsarbeit ist unsere Verpflichtung gegenüber den Betroffenen.

Die rechte Anschlagsserie begann bereits 2009. Warum wurde der Untersuchungsausschuss erst jetzt eingesetzt?

Es hat eine Weile gedauert, bis in den Sicherheitsbehörden und auch der Politik die Einsicht gereift ist, dass die Anschläge seit 2009 als Serie zu betrachten sind, da es sich mutmaßlich um verbundene Netzwerke und Individuen handeln könnte. Aus der Zivilgesellschaft und von den Betroffenen wurde darauf schon länger hingewiesen. Und in der Tat haben die Strukturen, die jetzt untersucht werden, ja auch noch eine deutlich weiter zurückreichende Vergangenheit. Daher ist es auch richtig, dass der Untersuchungsausschuss die Straftaten im gesamten Zeitraum von 2009 bis 2021 in den Blick nimmt.

Welchen Eindruck hatten Sie vom ersten Tag des Untersuchungsausschusses?

Die erste Sitzung war konstruktiv, ich freue mich, dass auch CDU und FDP haben erkennen lassen, dass sie durchaus bereit sind, sich an der Aufklärungsarbeit im Ausschuss zu beteiligen. Ich glaube, dass der Ausschuss in der vorliegenden Konstellation und wenn die Zivilgesellschaft auch den Druck auf den Ausschuss hochhalten kann, dass dann sehr konstruktiv gearbeitet werden kann.

Sie hatten in einer Pressemitteilung betont, dass sie ein besonderes Augenmerk auf die Rolle rechtsextremer Netzwerke bei der Neuköllner Straftatenserie legen. Was meinen Sie damit?

Rechtsextreme Netzwerke in Berlin bestehen schon seit Jahrzehnten. In diesen Netzwerken werden Feindeslisten erstellt, Demonstrationen besucht und eben auch Straftaten geplant und begangen. Wir wollen uns als Grüne unter anderem darauf konzentrieren, nachzuvollziehen, welche personellen und strukturellen Kontinuitäten in rechten Netzwerken in Neukölln und Berlin bestehen, wie die Sicherheitsbehörden mit diesen Netzwerken umgegangen sind und welche Rolle sie in den Ermittlungen gespielt haben. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen könnte es gut sein, dass an der Straftatenserie seit 2009 durchgängig derselbe relativ kleine Personenkreis beteiligt gewesen ist.

Zivilgesellschaftliche Gruppen wollen auch Untersuchungen, ob es Kontakte dieser rechten Strukturen in Polizei und Justiz gibt. Soll es dazu auch Untersuchungen geben?

Dieser parlamentarische Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe herauszuarbeiten, wie es dazu kommt, dass bei einem begrenzten Kreis von Tatverdächtigen über Jahre keine Täter*innen festgestellt werden konnten. Dabei schauen wir uns die Sicherheitsbehörden sehr genau an. Dazu gehört auch, dass wir verstehen wollen, ob und wenn ja an welchen Stellen es persönliche oder strukturelle Probleme in unseren Behörden gegeben hat. Eine Frage ist dabei auch, inwiefern Personen aus den Sicherheitsbehörden selbst Teil von rechten Netzwerken sind bzw. entsprechende Kontakte bestehen. Also ja, das werden wir untersuchen.

Zivilgesellschaftliche Gruppen kritisierten, dass auch die AfD Vertreter*innen in Untersuchungsausschuss entsenden kann. Finden Sie diese Kritik berechtigt?

Die Kritik ist nachvollziehbar. Es ist sehr problematisch, dass auch die AFD bei diesem Untersuchungsausschuss Einblick in viele Akten bekommen wird. Das Untersuchungsausschussgesetz ist hier aber sehr klar: Ohne eine Teilnahme aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen kann ein solcher Ausschuss nicht stattfinden. Das war in der Koalition einheitliche Rechtsauffassung. Wir haben trotzdem den Auftrag, die Betroffenen, die Zeug*innen und das antifaschistische Berlin bestmöglich vor der AFD und rechten Strukturen zu schützen. Das werden wir im Verlauf des Ausschusses immer mitdenken.

Wie sieht der Zeitplan und die Agenda des Untersuchungsausschusses aus?

Wir müssen uns im Ausschuss über den zeitlichen Ablauf noch verständigen. Es ist aber klar, dass mit den Befragungen der Sicherheitsbehörden erst nach gründlichem Aktenstudium begonnen werden kann. Die Agenda ist dagegen soweit klar, die ergibt sich ja aus dem detaillierten Einsetzungsbeschluss.

Werden auch Verbindungen zwischen den Neukölln-Komplex und dem NSU untersucht?

Ja, diese Frage stellen wir uns im Einsetzungsbeschluss. Diesem Auftrag des Abgeordnetenhauses wollen wir natürlich im Ausschuss bestmöglich nachgehen.

Das Interview führte Peter Nowak.

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