»Landesweiter Streik in Notaufnahmen« – so heißt ein vierminütiges Video, das den Arbeitskampf von Beschäftigten in französischen Krankenhäusern im März 2019 dokumentiert. Knapp ein Jahr bevor die Covid-19-Pandemie in Europa ausbrach, protestierten sie gegen eine Gefährdung von Patienten und Beschäftigten durch die mangelnde Personal- und Materialausstattung. Mittlerweile sind solche nicht nur in französischen Kliniken herrschenden Zustände wegen der Bedrohung durch das Coronavirus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zu finden ist der Kurzfilm im Online-Archiv von labournet.tv. Seit dem 30. Januar 2011, also seit zehn Jahren, leistet das nur aus Frauen bestehende Videokollektiv einen Beitrag dazu, dass – so das Motto – »die Kämpfe zirkulieren«. Die Videosammlung soll die Situation von …
… Lohnarbeiterinnen und -arbeitern, deren Selbstorganisation, Arbeitskämpfe und gesellschaftliche Gegenentwürfe dokumentieren.
Johanna Schellhagen, eine der Gründerinnen von labournet.tv, kritisiert im Gespräch mit der Jungle World, dass die lohnarbeitende Bevölkerung heutzutage gesellschaftlich kaum zu Wort komme. Wenn über sie berichtet werde, erscheine sie meist als »hilfloses Opfer«. Jeanne Neton von labournet.tv sagt: »Selbst wenn über einen Streik berichtet wird, werden meist nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter interviewt, sondern die Gewerkschaftsfunktionärinnen und -funktionäre – oder sogar nur die Arbeitgeber und genervte Kunden. Dem setzen wir etwas entgegen, indem wir aus der Perspektive der Arbeitenden selbst berichten.«
»Viele Leute in Europa denken, es gebe Arbeiterinnen und Arbeiter im klassischen Sinn höchstens noch in China. Das schlägt sich auch im linken Videoaktivismus nieder«, berichtet Schellhagen. Im Mai 2014 hatte ihr Kollektiv über die Frage »Warum Filme über Arbeitskämpfe machen?« mit Gästen aus mehreren Ländern diskutiert und dazu fünf Videos gedreht, die auf der Plattform heruntergeladen werden können. Inspiriert wurden die Mitglieder von labournet.tv dabei von den Medwedkin-Gruppen, einem Kollektiv von linken französischen Filmemachern wie Chris Marker und Arbeitern, das in den sechziger Jahren Filme über Arbeitskämpfe in französischen Fabriken gedreht hatte. Bekannt ist Markers Dokumentarfilm »À bientôt, j’espère« (»Bis bald, hoffentlich«, 1968), in dem die Streikenden einer Textilfabrik in Besançon über ihren Alltag, ihren Kampf und ihre Forderungen sprechen.
»Es gibt einen immensen Bedarf an Leuten, die losziehen, wenn gestreikt wird, und den Arbeiterinnen und Arbeitern ein Mikrophon unter die Nase halten oder eine Veranstaltung organisieren, in der diese berichten können, was bei ihnen im Betrieb passiert und wofür sie kämpfen«, resümiert Schellhagen ihre zehnjährigen Erfahrungen bei labournet.tv. Sie beschreibt damit auch einen wichtigen Teil der Arbeit des kleinen Videokollektivs. So machte es 2015 mit seinem Film »Die Angst wegschmeißen« Arbeitskämpfe vornehmlich migrantischer Beschäftigter in der norditalienischen Logistikindustrie in Deutschland bekannt.
Vor dem Beginn der Pandemie organisierte das Kollektiv regelmäßig Veranstaltungen mit Protagonisten seiner Videos. Derzeit muss diese Solidaritätsarbeit virtuell stattfinden. So findet sich auf der Plattform der Film »1 336 jours. Des hauts, débats, mais debout« (»1 336 Tage. Höhen, Tiefen, aber immer aufrecht«, 2015) mit deutschen Untertiteln. Darin dokumentierte der französische Regisseur Claude Hirsch den mehrjährigen Kampf der Beschäftigten einer Teefabrik in der Nähe von Marseille, der von Erfolg gekrönt war: Die Beschäftigten betreiben das Unternehmen mittlerweile in Selbstverwaltung. Zurzeit werden auch in Deutschland Verkaufswege für den dort produzierten Tee aufgebaut, der nach der Dauer des Arbeitskampfs »1 336« heißt.
Einen eigenen Kampf führt das Kollektiv von labournet.tv auch noch: den um seine Finanzierung. Die anfängliche Förderung durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt besteht nicht mehr. Deshalb benötigt das Kollektiv Unterstützung. Schließlich fallen für die Filmproduktion, den Verwaltungsaufwand, die Büro- und Servermiete und andere Posten monatliche Kosten von etwa 5 000 Euro an. »Wir können auf Dauer nur weitermachen, wenn zu unseren derzeit 120 Fördermitgliedern noch 380 weitere dazukommen«, sagt Schellhagen. Peter Nowak
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