Die zwei Bücher «Digitaler Kapitalismus» und «Marx und die Roboter» liefern einen Überblick über die linke Digitalisierungsdebatte. Aufgezeigt wird unter anderem, wie die Digitalisierung alle Lebens- und Arbeitsbereiche erfasst hat und es sich dabei um Hyperkapitalismus handelt.

Klassenkampf im digitalen Kapitalismus

Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit, edition Suhrkamp, 339 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3-518-07515-9 Florian Butollo/Sabine Nuss (HRsG.), Marx und die Roboter, Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit, Dietz Berlin, 350 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3320-02362-1

Viele Begriffe gibt es für die gegenwärtige kapitalistische Akkumulationsstufe, für die kennzeichnend das Wachsen der Internetkonzerne ist. Der in Berlin lehrende Soziologe Philipp Staab hat mit seinem Buchtitel «Digitaler Kapitalismus» einen argumentativ begründeten Vorschlag gemacht. In sieben Kapiteln beschreibt er ….

…… Unterscheidungsmerkmale zu anderen kapitalistischen Akkumulationsphasen. Für Staab ist der Kern des digitalen Kapitalismus ein Programm zur Privatisierung der Märkte.

Vom Staat gefördert

Am stärksten ist das Buch, wo Staab gegen eine linke Wissenschafts- und Theoriefraktion argumentiert, die im Internetzeitalter bereits das Ende des Kapitalismus angebrochen sieht. Da ist Jeremy Rifkin ebenso zu nennen wie Paul Masson, auch Antonio Negri nicht zu vergessen. Deren Träumereien entgegnet Staab kurz und prägnant, das Internetzeitalter ist kein Post- sondern ein Hyperkapitalismus. Die Geschäftsmethoden im IT-Sektor gleichen denen des Finanzkapitalismus. Beiläufig räumt Staab auch den Mythos von den Internetnerds ab, die in ihren Garagen den Grundstock für den digitalen Kapitalismus gelegt hätten. Tatsächlich kann er nachweisen, dass die IT-Branche vom Staat von Anfang an massiv gefördert wurde. Viele ihrer Produkte sind im Militärbereich entstanden. «Die digitale Assistentin Siri wollte ursprünglich die Kommunikation auf dem Schlachtfeld erleichtern, nicht den Anruf beim Friseursalon oder andere Aufgaben übernehmen, zu denen die Technologie heute hauptsächlich verwendet wird.»

Vage Hoffnung

So prägnant Staab den digitalen Kapitalismus und die von ihr ihm weiter vorangetriebene Ungleichheit beschreibt, so schwach fallen Gegenstrategien aus. Staab mag sich nicht auf eine klare Position festlegen, das endet so: «Zum einen ist mir die Zielsetzung einer solchen Analyse verdächtig, liefe sie angesichts der Präjudizierung der Theorie doch letztlich auf die Frage hinaus, ob diese Proteste Inkubatoren kommen- der Gegenmacht oder Kämpfe auf verlorenen Posten sind. Beides sind politische Positionen, die man ver- treten kann. (…) Ich sehe darin wenig Sinn». Das kommt dabei heraus, wenn man mar- xistische Ansätze, wenn überhaupt, nur am Rande wahrnimmt und die Theorie des Staatsmonopolkapitalismus gerade mal in einer Fussnote abhandelt. Stattdessen walzt Staab die auch nicht mehr so neue bürgerliche These breit, dass es im digitalen Kapitalismus kaum grösseren Widerstand geben wird, weil die Konzerne mit den Konsument*innen verbündet sind. Damit nimmt er die Werbekampagne von Amazon und Co. für bare Münze. So bleibt bei Staab am Ende nur die vage Hoffnung auf eine «gute digitale Gesellschaft der staatsbürgerlichen Anrechte» im Rahmen der EU.

Profiteure benennen

Auch die 19 Aufsätze, die in dem im Dietz-Verlag von Florian Burillo und Sabine Nuss herausgegebenen Sammelband «Marx und die Roboter» bewegen sich zum grössten Teil auf einer beschreibenden Ebene. Da wird teilweise sehr detailreich erklärt, wie die Digitaliierung alle Lebens- und Arbeitsbereiche erfasst hat. Vor allem der Aufsatz von Franziska Drechsel und Kristina Dietz zur Digitalisierung in der Landwirtschaft und Florian Butollos Essay zur Reorganisierung globaler Wertschöpfungsketten im digitalen Zeitalter geben eine Ahnung von den gravierenden Umwälzungen der letzten Jahre.Positiv ist, dass in dem Buch auch Autor*innen zu Wort kommen, die der Erzählung vom ungebremsten Siegeszug des digitalen Zeitaltes widersprechen. So beschreibt Sabine Pfeiffer an konkreten Beispielen, wie die Einführung von Robotern im betrieblichen Arbeitsalltag scheitert. Dabei spielt auch der proletarische Eigensinn eine grosse Rolle. Denn die Beschäftigten stellen sich die Frage, die Pfeiffer an den Schluss ihres Aufsatzes stellt. «Wer profitiert von den schöpferischen Prozess und wer hat darunter zu leiden?». Diese Frage kann man nur sinnvoll beantworten, wenn man die Klassenfrage auch in der Wissenschaft stellt. Doch das ist nur bei wenigen der Autor*innen im Buch der Fall. So liefert Christian Meyer einen fundierten Überblick auf die materialistische Technologiediskussion der letzten Jahrzehnte. Die ist durchaus kontrovers, was Meyer mit Verweis auf verschiedene Schriften von Karl Marx begründet. Der Jenaer Soziologe zeigt auf, dass sich das Technikverständnis aus dem ersten Band des Kapitals von dem aus Marx Maschinenfragment unterscheidet. Daher ist es nur verständlich, dass daraus auch unterschiedliche theoretische Zugänge entstanden sind.

Sehr anregend zu lesen ist auch Frigga Haugs Bericht über die Geschichte des 1972 am psychologischen Institut der Freien Universität Berlin gegründeten Projekts «Automation und Qualifikation». Haug beschreibt die verschiedenen Wege, die manchmal auch Sackgassen waren und wie die Projektteilnehmer*innen ihre theoretischen Annahmen manchmal ändern mussten, weil sie sich in der betrieblichen Praxis als Irrtümer herausstellten. Haugs Bericht inspiriert, weil er uns teilhaben lässt, an einer Zeit, als linke Studierende noch mit den Proletarier*innen gemeinsam den Kapitalismus überwinden wollten. Doch ist diese Zeit wirklich Vergangenheit?

Bausteine für eine linke Gegenerzählung


Der letzte Aufsatz des Buches lässt zumindestHoffnung, dass es auch in Zukunft wieder eine solche theoretische Praxis geben könnte. Der in Basel lehrende Soziologe Simon Schaupp skizziert gemeinsam mit dem in München lehrenden Wissenschaftssoziologen Georg Jochum die Möglichkeiten einer nachhaltigen und demokratischen Wirtschaftsplanung im digitalen Zeitalter.Simon Schaupp hatte bereits in anderen Texten zum Projekt Cybersin geforscht, wo während der Regierungszeit der Unidad Popular in Chile mit Hilfe von Kybernetik eine demokratische Planung erprobt wurde. Fast 50 Jahre später sind die technischen Voraus- setzungen wesentlich besser. Schaupp und Jochum zeigen einen Weg auf, wie eine globale Linke sich an die Spitze einer fortschrittlichen Bewegung stellen könnte, die die Möglichkeiten der Technik für eine rationale Gestaltung der Gesellschaft nutzt. Damit würde sie auch einen wichtigen Beitrag gegen die irrationalen Bewegungen leisten, die in der Corona-Krise wieder einmal sehr deutlich wurden. Sie entstehen, weil viele Menschen wissen, dass es mit der kapitalistischen Welt nicht mehr so weitergeht, aber eine fortschrittliche linke Gegenerzählung weitgehend fehlt. Schaupp und Jochum wie auch andere Autor*innen liefern Bausteine für eine solche Gegenerzählung. Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort: