„Von Versäumnissen ablenken“

Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat dem Gesetz zur Auszahlung der sogenannten Ghettorenten zugestimmt. Personen, die in einem nationalsozialistischen Ghetto arbeiten mussten, erhalten nun rückwirkend ab 1997 eine Rente – es sei denn, sie kommen aus Polen. Für diese Gruppe sei der polnische Versicherungsträger zuständig, behauptet die Bundesregierung bislang. Kamil Majchrzak ist Mitglied der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten«. Er setzt sich für die Auszahlung der Ghettorenten für polnische Juden ein.

Wem ist die Auszahlung der Ghettorenten zu verdanken?

Es ist der Ausdauer der ehemaligen Ghettoarbeiter, der engagierten Rechtsanwälte wie Simona Reppenhagen, der progressiven Richter wie Jan-Robert von Renesse, aber auch der engagierten Forscher wie Stephan Lehnstaedt zu verdanken, dass nun auch eine rückwirkende Zahlung von Ghettorenten ab 1997 an bestimmte Personen möglich ist.

Welche Folgen hatte die Verzögerung?

Wegen der totalen Verweigerungshaltung der Rentenversicherung bis 2009 und mancher bis heute andauernden Blockaden starben über 25 000 eigentlich berechtigte Überlebende, ohne je eine Rente erhalten zu haben, obwohl sie einen Antrag gestellt hatten. Nach wie vor sind nach Schätzungen etwa 15 000 bis 25 000 weitere Überlebende weltweit bei den Ghettorenten nicht berücksichtigt worden.

Weshalb werden Ghettoarbeiter aus Polen ausgenommen?

Um diese Diskriminierung zu rechtfertigen, beruft sich die Bundesregierung auf ein deutsch-polnisches Sozialabkommen von 1975. Das Abkommen hat aber nichts mit Ghettorenten zu tun, was auch der polnische Versicherungsträger ZUS mehrfach bestätigt hat.

Wie kann die Diskriminierung der polnischen Ghettoarbeiter beendet werden?

Es gibt praktisch nur zwei Wege, diese Ungleichbehandlung zu beenden. Entweder durch eine einseitige Verbalnote zum Zustimmungsgesetz zum Sozialabkommen von 1975 oder aber durch den Abschluss eines Ein-Punkt-Vertrags mit Polen, der lauten müsste: »Abweichend vom deutsch-polnischen Sozialabkommen haben Ghettobeschäftigte aus Polen, die die Kriterien von Paragraph 1 ZRBG erfüllen, einen Anspruch auf eine volle Ghettorente aus Deutschland.« Deutschland wird voraussichtlich den letzteren Weg wählen, um damit von seinen langjährigen Versäumnissen abzulenken und außenpolitisch sein Gesicht zu wahren.

http://jungle-world.com/artikel/2014/29/50242.html

Interview: Peter Nowak


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