Das deutsche Arbeitsschutzrecht kennt keine Kinderarbeit. Was eigentliche eine zivilisatorische Selbstverständigkeit sein sollte, wird von der deutschen Rentenversicherungsgesellschaft genutzt, um…
„Gibt’s nicht gibt’s“ weiterlesenSchlagwort: Ghettorenten
Zwei plus vier macht null
Die Forderung der griechischen Regierung nach Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus der NS-Zeit kommt hierzulande schlecht an. Dennoch könnte Griechenland Erfolg haben.
Die Andeutung zeigte Wirkung: Als der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos seine Bereitschaft äußerte, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, um den Reparationsforderungen Nachdruck zu verleihen, wurden auch die deutsche Politik und Öffentlichkeit nervös. Solche Ansprüche an Deutschland haben in den vergangenen Jahren auch griechische Regierungen vertreten, die von Sozialdemokraten oder Konservativen gestellt wurden. Aber sie wollten damit vor allem die eigene Klientel beruhigen und vertraten die Forderungen nie mit Nachdruck, obwohl der griechische Oberste Gerichtshof bereits im Jahr 2000 entschieden hatte, dass in Reparationsfragen deutsches Eigentum in Griechenland gepfändet werden dürfe.
Die neue griechische Regierung leitet die Ansprüche vor allem aus einer Zwangsanleihe ab, die die griechische Nationalbank während der NS-Besatzung an das Deutsche Reich zahlen musste und die nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspricht die Schuld inklusive Zinsen derzeit elf Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat auf die erste Parlamentsrede von Alexis Tsipras, in der er die Forderungen bekräftigte, lapidar erklärt, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Die Argumentation der Bundesregierung lautet, dass im Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Regelung der deutschen Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines »förmlichen Friedensvertrages« vertagt worden sei. Diese Regelung wiederum sei 1990 durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung gegenstandslos geworden. Die Bundesregierung legt den Vertrag so aus, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der Vertragspartner nicht mehr geregelt werden muss.
So wurde eine Argumentation entwickelt, mit der deutsche Regierungen auch schon in anderen Fällen versuchten, sich um Zahlungen an NS-Opfer zu drücken. Dabei geht es im Fall Griechenlands um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Schulden müssten auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurückgezahlt werden. Warum das Darlehen aber in die Kategorie Reparationen fallen soll, erläuterte Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut vor einigen Tagen im Deutschlandfunk: »Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist.« Hartwig kam zur Schlussfolgerung: »Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.«
Kurz zusammengefasst: Weil die Zwangsanleihe ein besonders großes Unrecht war, hält die Bundesregierung die Rückzahlung für unnötig. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der sogenannten Ghettorenten, als staatliche Stellen die Zahlungen ebenfalls lange verhinderten, so dass der Kreis der Betroffenen immer kleiner wurde. In diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine herkömmlichen Arbeitsverhältnisse gegeben habe, sondern der Zwang ausschlaggebend gewesen sei. Das war sicher nicht falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für einige Menschen doch noch eine Nachzahlung der Ghettorenten gab, war auch die Folge des großen Drucks, den die deutsche Politik irgendwann nicht mehr ignorieren konnte.
Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone als für eine Umschuldung ausspricht und Menschen sich für eine Bild-Kampagne mit der Parole »Kein weiteres deutsches Geld an Griechenland« fotografieren lassen, zeigt sich angesichts der deutschen NS-Schulden ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Doch bisher wird das Thema in der außerparlamentarischen Linken in Deutschland kaum aufgriffen. Auch bei der Mobilisierung zum Blockupy-Protest, bei dem die Solidarität mit Griechenland einen hohen Stellenwert einnimmt, wird auf die deutschen Schulden nur am Rande eingegangen. Das macht deutlich, dass geschichtspolitische Interventionen, die in den Neunzigern noch Debatten anregen konnten, heutzutage kaum noch eine Rolle spielen. Nur der AK Distomo fordert seit Jahren, Deutschland solle Entschädigungen zahlen. Er hat in einer Pressemitteilung die neue griechische Regierung aufgefordert, deutsche Immobilien in Griechenland zwangszuversteigern, sollte sich die deutsche Regierung weigern.
Engagement für die Forderungen aus Griechenland haben in den vergangenen Tagen Politiker der Linkspartei gezeigt. In verschiedenen Talkshows hat etwa Sahra Wagenknecht Verständnis für die Haltung der griechischen Regierung gezeigt. Die Springer-Presse war nicht amüsiert. »Die Diskussion bei Anne Will kreiste verblüffend intensiv um rückwärtsgerichtete Schuldfragen – und trug wenig zu der pragmatischen Frage bei, wie man das Problem nach Lage der Dinge denn nun angehen soll. Ein Schuldenschnitt? Ein Austritt der Griechen aus der Euro-Zone?« versuchte die Berliner Morgenpost die deutsche Vergangenheit kleinzureden.
Der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano hat die ablehnende Haltung der Bundesregierung kritisiert. »Die Argumentation der Bundesregierung ist juristisch sehr dürftig und anfechtbar«, sagte der Rechtsprofessor in der Sendung »Kontraste«. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag, auf den sich die deutsche Regierung beruft, binde Griechenland nicht, denn es sei »nicht Partei dieses Vertrags«. Es sei »völkerrechtlich nicht zulässig, einen Vertrag zu Lasten Dritter – in diesem Falle Griechenlands – abzuschließen«.
Mittlerweile gibt es auch in den deutschen Medien die ersten Brüche. Im Streit um Entschädigungen für Griechenland solle die Bundesregierung einlenken, das sei moralisch und politisch richtig und würde verhindern, dass die Regierung Tsipras ihre Finanzmisere weiterhin mit der Vergangenheit verknüpfen könne, schreibt David Böcking auf Spiegel Online. Er beschreibt die deutsche Vergangenheitspolitik durchaus präzise: »Außerdem hat Deutschland auch andere NS-Opfergruppen nicht aus formaljuristischen Gründen entschädigt, sondern weil irgendwann der politische oder wirtschaftliche Druck zu groß wurde. So kam die Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter erst zustande, als sich deutsche Konzerne in den neunziger Jahren mit Sammelklagen in den USA konfrontiert sahen. Eine solche Stiftung sollte Deutschland nun auch für griechische Überlebende von NS-Massakern und die Angehörigen der Opfer einrichten.«
Der Kommentar macht deutlich, dass die Politik Griechenlands nicht so aussichtslos ist, wie Schäuble und Merkel suggerieren. Auch Vertreter der SPD und der Grünen befürworten seit einigen Tagen Reparationszahlungen. Nun bräuchte es noch weitere Gruppen und Einzelpersonen, die den Druck erzeugen, von dem Böcking spricht.
http://jungle-world.com/artikel/2015/12/51639.html
Peter Nowak
Wann zahlt Deutschland seine Schulden an Griechenland?
Während die deutsche Regierung zur neuen griechischen Administration auf Konfrontationskurs geht, bringt sich die Solidaritätsbewegung langsam in Position
Der neue griechische Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung betont, dass seine Regierung die Verpflichtungen einhalten will. Allerdings nicht gegenüber der EU-Troika, sondern gegenüber seinen Wählern, die die Troikapolitik in Griechenland abgewählt haben. Manche in der EU schienen das nicht begriffen zu haben, und fordern von der neuen griechischen Regierung, die Politik ihrer Vorgängerregierung fortzusetzen.
Das ist eine Aufforderung zum politischen Selbstmord. In der konservativen FAZ wird ganz offen ausgesprochen, dass Tsipras scheitern muss. Schließlich bestünde ja die Gefahr, dass ein Ende des Verarmungsprogramms in einem EU-Land auch in anderen Ländern Nachahmungseffekte auslöst.
So heißt es in einen Kommentar [1] auf dem Wirtschaftsseiten der FAZ:
Aus seinem knappen Wahlsieg leitet der neue Ministerpräsident nicht nur ab, dass er die Legitimation erhalten habe, das versprochene Ausgabenprogramm zu verwirklichen, sondern auch, dass ihm andere das nötige Geld hierfür geben müssten. An diesem Punkt zerschellen hoffentlich die griechischen Wunschträume an der ungemütlichen Realität: Griechenland ist nicht kreditwürdig und bekommt an den Finanzmärkten keine langfristigen Kredite zu bezahlbaren Zinsen.
Schon zuvor hatte die FAZ mit der Schlagzeile: „Die Troika lässt sich nicht abschaffen“ [2] deutlich gemacht, dass es für das Blatt eine Instanz gibt, die mächtiger als gewählte Politiker ist. In der FAZ werden auch Leserkommentare zitiert, die eine angebliche Enttäuschung der griechischen Wähler über „die Stümper Varoufakis und Tsipras“ wiedergeben [3]. Auch baldige Neuwahlen werden gefordert, damit für die Bundesregierung und den ihnen nahestehenden Medien das Gespenst einer anderen Politik wieder aus dem EU-Raum verschwindet.
Mehr Sozialdemokratie wagen
Doch langsam macht sich auch die Solidaritätsbewegung bemerkbar. Die Akteure und ihre Aussagen sind sehr unterschiedlich. „Mehr Sozialdemokratie wagen“ könnte der Inhalt des Aufrufs [4] lauten, der vom Vorsitzenden des DGB und all seiner Einzelgewerkschaften mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei unterzeichnet wurde:
Einen ganz anderen Tenor hat ein Aufruf [5] der linken Neuen Antikapitalistischen Organisation:
Allerdings wird auch mit Kritik an der Koalitionsentscheidung von Syriza nicht gespart:
Wird der 18. Marz die erste Solidaritätsaktion für Griechenland?
Auch das Blockupy-Bündnis [6], das seit mehreren Monaten einen Aktionstag gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main vorbereitet, kritisiert den Koalitionspartner von Syriza:
Der Aktionstag am 18. März konnte jetzt zu einem ersten europaweiten Aktionstag mit der griechischen Linken werden. Schließlich versucht die EZB die neue griechische Regierung ökonomisch unter Druck zu setzen. So hat die EZB eine Sonderregelung mit Athen suspendiert und damit den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld erschwert. Am 21./22. Februar wird es ein Treffen der bundesweiten Griechenlandsolidarität [7] in Köln geben, in dem es auch um die Vorbereitung des 18. März gehen soll.
Wann zahlt Deutschland die Schulden?
Bisher spielt in der Debatte in Deutschland ein Aspekt noch keine Rolle, der in den letzten Tagen in Griechenland in den Mittelpunkt rückte. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich die neue Regierung auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich zahlen musste und nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspräche dies heute elf Milliarden Euro.
Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren eine Rückzahlung und nennen weit höhere Summen. Alle bisherigen Regierungen haben nicht gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das hat sich unter der neuen Regierung geändert. Die Bundesregierung hat auf Tsipras Parlamentsrede mit der lapidaren Erklärung reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen.
Mittlerweile wird an einer Argumentation gebastelt, mit der die deutsche Regierung auch schon in anderen Fällen versucht hat, NS-Opfer leer ausgehen zu lassen. Dabei geht es um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Während Schulden auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurück gezahlt werden müssen, hat es die Bundesregierung mit viel Druck erreicht, dass alle Reparationsforderungen abgegolten sind.
Warum das Darlehen nicht in die Kategorie Schulden, sondern Reparationen fällt, erläuterte [8] im Deutschlandfunk Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut [9]:
Kurz zusammengefasst heißt es, weil das Darlehen ein besonders großes Unrecht war, will sich die Bundesregierung von der Rückzahlung drücken. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der Ghettorenten, wo staatliche Stellen und Behörden mit allen Mitteln [10] versuchten die Zahlung zu verhindern.
Auch in diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine normalen Arbeitsverhältnisse gab, sondern der Zwang ausschlaggebend war. Das war sicher nicht mal falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für viel zu wenige Leute noch eine Nachzahlung der Ghettorenten [11] ist auch eine Folge eines größeren Drucks, den auch die deutsche Politik nicht ignorieren kann. Es wird sich zeigen, ob ein solcher Druck auch im Fall Griechenland erreicht werden kann.
Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als für eine Umschuldung ausspricht [12], zeigt ein solches Ergebnis angesichts der deutschen NS-Schulden noch mal ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Hier wäre eine besondere Form der Griechenlandsolidarität gefragt, die die Rolle Deutschlands in den letzten 70 Jahren kritisch unter die Lupe nimmt.
http://www.heise.de/tp/news/Wann-zahlt-Deutschland-seine-Schulden-an-Griechenland-2545829.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
[12] http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/umfrage-zu-grexit-und-schuldenschnitt-jeder-zweite-deutsche-plaediert-fuer-aust
„Von Versäumnissen ablenken“
Wem ist die Auszahlung der Ghettorenten zu verdanken?
Es ist der Ausdauer der ehemaligen Ghettoarbeiter, der engagierten Rechtsanwälte wie Simona Reppenhagen, der progressiven Richter wie Jan-Robert von Renesse, aber auch der engagierten Forscher wie Stephan Lehnstaedt zu verdanken, dass nun auch eine rückwirkende Zahlung von Ghettorenten ab 1997 an bestimmte Personen möglich ist.
Welche Folgen hatte die Verzögerung?
Wegen der totalen Verweigerungshaltung der Rentenversicherung bis 2009 und mancher bis heute andauernden Blockaden starben über 25 000 eigentlich berechtigte Überlebende, ohne je eine Rente erhalten zu haben, obwohl sie einen Antrag gestellt hatten. Nach wie vor sind nach Schätzungen etwa 15 000 bis 25 000 weitere Überlebende weltweit bei den Ghettorenten nicht berücksichtigt worden.
Weshalb werden Ghettoarbeiter aus Polen ausgenommen?
Um diese Diskriminierung zu rechtfertigen, beruft sich die Bundesregierung auf ein deutsch-polnisches Sozialabkommen von 1975. Das Abkommen hat aber nichts mit Ghettorenten zu tun, was auch der polnische Versicherungsträger ZUS mehrfach bestätigt hat.
Wie kann die Diskriminierung der polnischen Ghettoarbeiter beendet werden?
Es gibt praktisch nur zwei Wege, diese Ungleichbehandlung zu beenden. Entweder durch eine einseitige Verbalnote zum Zustimmungsgesetz zum Sozialabkommen von 1975 oder aber durch den Abschluss eines Ein-Punkt-Vertrags mit Polen, der lauten müsste: »Abweichend vom deutsch-polnischen Sozialabkommen haben Ghettobeschäftigte aus Polen, die die Kriterien von Paragraph 1 ZRBG erfüllen, einen Anspruch auf eine volle Ghettorente aus Deutschland.« Deutschland wird voraussichtlich den letzteren Weg wählen, um damit von seinen langjährigen Versäumnissen abzulenken und außenpolitisch sein Gesicht zu wahren.
http://jungle-world.com/artikel/2014/29/50242.html
Interview: Peter Nowak
Es sind nur noch wenige Überlebende
Azize Tank über die längst überfällige Gesetzesnovelle zu den sogenannten Ghettorenten und diskriminierte Ghettobeschäftigte in Polen
Der Bundesrat hat am letzten Freitag die Gesetzesnovelle zur rückwirkenden Zahlung von sogenannten Ghettorenten gebilligt. Bis dahin war es ein weiter Weg. Warum dauerte die Entscheidung so lange?
Ähnlich wie beim Kampf um die Entschädigungen für ZwangsarbeiterInnen gingen auch der Auszahlung von Ghettorenten zahlreiche Klagen und Gerichtsverfahren von Opferseite voraus. Über Jahre sind positive Entscheidungen für die Überlebenden von den Rentenversicherungsträgern verschleppt und verhindert worden. Damit sparen die Rentenversicherungsträger viel Geld, das ehemaligen jüdischen ArbeiterInnen in nationalsozialistischen Ghettos zusteht. Trotz zahlreicher Missstände und Hindernisse bei der Auszahlung, vor allem wegen der Blockadehaltung der Deutschen Rentenversicherung Rheinland, kam es im Jahr 2002 dennoch endlich zur Verabschiedung des Gesetzes. Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis die Bundesregierung, auch durch den Druck der Linksfraktion, einlenkte und bereit war, endlich die Ghettorenten rückwirkend ab 1997 auszuzahlen.
Was bleibt noch zu tun?
Ghettobeschäftigte mit Wohnsitz in Polen werden leider immer noch diskriminiert. Wir haben in den letzten Monaten intensiv für eine Lösung gekämpft. Wir fordern, dass es im September während der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen endlich zum Abschluss eines Abkommens mit der Republik Polen kommt.
Was stimmt Sie zuversichtlich?
Wir haben im Juni die Bundesregierung gefragt, welche Schlussfolgerungen sie nach einem Treffen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik in Polen zieht bezüglich der Ghettorenten an bislang von den Zahlungen Ausgeschlossene. Sie räumt in der Antwort ein, dass das im Zusammenhang mit historischen Umständen zu sehen ist. Das deutsch-polnische Sozialabkommen bereinigte durch die Gebietsveränderungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstandene Probleme, die die Bevölkerungsverschiebungen mit sich brachten. Das hat aber nichts mit Ghettorenten zu tun. Um die Diskriminierung der Ghettobeschäftigten mit Wohnsitz in Polen zu beenden, muss Deutschland abweichend von dem Abkommen von 1975 einen Vertrag mit Polen abschließen.
Wie viele Menschen beträfe das?
Von den 1000 im Jahre 2000 von der Jüdischen Kombattanten-Vereinigung gestellten Anträgen auf Rente leben heute nur noch rund 250 Personen.
Wie reagieren Organisationen der NS-Verfolgten in Polen und in Deutschland?
In Polen herrscht angesichts der jüngsten Entwicklungen verhaltener Optimismus. Neben den polnischen Juden sind nach wie vor vermutlich 15 000 bis 25 000 Überlebende weltweit von jeglichen Ghettorenten ausgeschlossen, insbesondere aus Gegenden wie Transnistrien und Ungarn. Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte ebenfalls eine zügige Beseitigung der Diskriminierung polnischer Juden. Auch das Internationale Auschwitz-Komitee und die Berliner VVN-BdA setzen sich für eine schnelle Übereinkunft ein.
Wie beurteilen Sie die Versuche, fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Kreis der berechtigten Ghettorenten-Empfänger weiter einzuschränken?
Das Problem ist, dass wegen der totalen Verweigerungshaltung der Rentenversicherung bis 2009 und mancher bis heute andauernder Blockaden über 25 000 eigentlich berechtigte Überlebende starben, ohne je eine Rente erhalten zu haben. Und das, obwohl sie einen Antrag gestellt hatten! Dank der Rückendeckung durch Politik und Justiz konnten die deutschen Rentenversicherer massenhaft Anträge ablehnen. Was wir bis heute sehen, ist die Kontinuität einer »Wiedergutmachung«, die immer nur dann stattfindet, wenn der politische Druck zu groß wird.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/939403.es-sind-nur-noch-wenige-ueberlebende.html
Interview: Peter Nowak
Der Bundesrat hat am letzten Freitag die Gesetzesnovelle zur rückwirkenden Zahlung von sogenannten Ghettorenten gebilligt. Bis dahin war es ein weiter Weg. Warum dauerte die Entscheidung so lange?
Ähnlich wie beim Kampf um die Entschädigungen für ZwangsarbeiterInnen gingen auch der Auszahlung von Ghettorenten zahlreiche Klagen und Gerichtsverfahren von Opferseite voraus. Über Jahre sind positive Entscheidungen für die Überlebenden von den Rentenversicherungsträgern verschleppt und verhindert worden. Damit sparen die Rentenversicherungsträger viel Geld, das ehemaligen jüdischen ArbeiterInnen in nationalsozialistischen Ghettos zusteht. Trotz zahlreicher Missstände und Hindernisse bei der Auszahlung, vor allem wegen der Blockadehaltung der Deutschen Rentenversicherung Rheinland, kam es im Jahr 2002 dennoch endlich zur Verabschiedung des Gesetzes. Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis die Bundesregierung, auch durch den Druck der Linksfraktion, einlenkte und bereit war, endlich die Ghettorenten rückwirkend ab 1997 auszuzahlen.
Was bleibt noch zu tun?
Ghettobeschäftigte mit Wohnsitz in Polen werden leider immer noch diskriminiert. Wir haben in den letzten Monaten intensiv für eine Lösung gekämpft. Wir fordern, dass es im September während der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen endlich zum Abschluss eines Abkommens mit der Republik Polen kommt.
Was stimmt Sie zuversichtlich?
Wir haben im Juni die Bundesregierung gefragt, welche Schlussfolgerungen sie nach einem Treffen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik in Polen zieht bezüglich der Ghettorenten an bislang von den Zahlungen Ausgeschlossene. Sie räumt in der Antwort ein, dass das im Zusammenhang mit historischen Umständen zu sehen ist. Das deutsch-polnische Sozialabkommen bereinigte durch die Gebietsveränderungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstandene Probleme, die die Bevölkerungsverschiebungen mit sich brachten. Das hat aber nichts mit Ghettorenten zu tun. Um die Diskriminierung der Ghettobeschäftigten mit Wohnsitz in Polen zu beenden, muss Deutschland abweichend von dem Abkommen von 1975 einen Vertrag mit Polen abschließen.
Wie viele Menschen beträfe das?
Von den 1000 im Jahre 2000 von der Jüdischen Kombattanten-Vereinigung gestellten Anträgen auf Rente leben heute nur noch rund 250 Personen.
Wie reagieren Organisationen der NS-Verfolgten in Polen und in Deutschland?
In Polen herrscht angesichts der jüngsten Entwicklungen verhaltener Optimismus. Neben den polnischen Juden sind nach wie vor vermutlich 15 000 bis 25 000 Überlebende weltweit von jeglichen Ghettorenten ausgeschlossen, insbesondere aus Gegenden wie Transnistrien und Ungarn. Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte ebenfalls eine zügige Beseitigung der Diskriminierung polnischer Juden. Auch das Internationale Auschwitz-Komitee und die Berliner VVN-BdA setzen sich für eine schnelle Übereinkunft ein.
Wie beurteilen Sie die Versuche, fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Kreis der berechtigten Ghettorenten-Empfänger weiter einzuschränken?
Das Problem ist, dass wegen der totalen Verweigerungshaltung der Rentenversicherung bis 2009 und mancher bis heute andauernder Blockaden über 25 000 eigentlich berechtigte Überlebende starben, ohne je eine Rente erhalten zu haben. Und das, obwohl sie einen Antrag gestellt hatten! Dank der Rückendeckung durch Politik und Justiz konnten die deutschen Rentenversicherer massenhaft Anträge ablehnen. Was wir bis heute sehen, ist die Kontinuität einer »Wiedergutmachung«, die immer nur dann stattfindet, wenn der politische Druck zu groß wird.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/939403.es-sind-nur-noch-wenige-ueberlebende.html
Interview: Peter Nowak