Überraschend war eher die Begründung. Da wird der Labor Party unter Corbyn nicht nur Antisemitismus, sondern auch Rassismus vorgeworfen. Der Vorwurf ist in sich nicht stimmig. Die dezidiert antizionistische Positionierung Corbyns könnte man aus einer gewissen Perspektive in die Nähe des Antisemitismus rücken [2]. Aber was soll dann der Vorwurf des Rassismus?
„Muss die Linke die EU verteidigen?“ weiterlesenSchlagwort: Deutschland
Beugt sich die griechische Bevölkerung dem Druck von EU und IWF?
Außerparlamentarische Initiativen aus ganz Europa werben für Nein beim Referendum am Sonntag. Mittlerweile wird die Kritik an der Rolle Deutschlands lauter, das seine Schulden nie gezahlt hat
1982 waren dem Magazin Der Spiegel die Szene-Gerüchte um den Container-Jo [1], der bei SPD-Rechten und linken AKW-Gegnern gleichermaßen unbeliebt war, eine eigene Kolumne wert. Wer hätte gedacht, dass der Bewegungsfunktionär mit SPD-Parteibuch drei Jahrzehnte später die griechische Bevölkerung via Deutschlandfunk auffordern [2] wird, Opfer für Europa zu bringen?
Das von der griechischen Regierung anberaumte Referendum am nächsten Sonntag kommentierte Leinen am Montag so:
Opfer für Europa habe auch Irland gebracht, weisen [3] Journalisten die griechische Regierung zurecht. Nur sie vergessen hinzuzufügen, dass die einkommensschwachen Menschen, die dafür bezahlen mussten, dort nicht gefragt wurden, ob sie dazu bereit sind. Schließlich ist diese Aufforderung zum Opfer für Europa nur die modernisierte Version der Opfer für das Vaterland. Europa hat in dieser Erzählung die Rolle der jeweiligen Heimatländer eingenommen.
Auch im nationalen Rahmen war und ist es nicht üblich, diejenigen, die die meisten Opfer bringen müssen, zu fragen, ob sie mit dem Programm einverstanden sind, das ihnen diese Opfer auferlegt. So wird auch das griechische Referendum entweder als Zeichen von Tsipras Gerissenheit oder Unfähigkeit gedeutet.
In dieser Lesart muss zu den Fähigkeiten eines guten Politikers gehören, der großen Bevölkerungsmehrheit Wahlversprechen zu machen und diese dann mit dem Verweis auf die kapitalistischen Sachzwänge zu ignorieren. Damit die große Mehrheit dazu bereit ist, muss der Politik eine mehr oder weniger große Prise Nationalismus, Sozialchauvinismus und bei Bedarf Antisemitismus beigemischt werden.
Tsirpras hatte in der letzten Woche durchaus mit der Versuchung gespielt, viele Wahlversprechen aufzugeben, um zu einem Einvernehmen mit den Institutionen [4] zu kommen. Dann wäre er zu einem der vielen sozialdemokratischen Politikern geworden, die vor der scheinbaren Macht des Faktischen eingeknickt sind. Wir wissen nicht, was Tsipras letztlich vor diesem Schritt zurückschrecken ließ.
Vielleicht war es das Wissen darum, dass ein Einknicken die Spaltung von Syriza und das Scheitern eines vor allem in Südeuropa mit viel Aufmerksamkeit verfolgten Aufbruchs bedeutet hätte. In seiner Erklärung [5] zur Ankündigung des Referendums [6] teilte der griechische Ministerpräsident mit:
Von der griechischen Regierung wurde verlangt, einen Vorschlag [7] zu akzeptieren, der neue unerträgliche Belastungen des griechischen Volkes kumuliert und den Aufschwung der griechischen Gesellschaft und Wirtschaft untergräbt, indem er nicht nur die Ungewissheit aufrecht erhält, sondern auch die gesellschaftlichen Ungleichheiten noch mehr aufbläht.
Botschaft der Würde für Europa?
Damit geht Tsipras natürlich ein hohes Wagnis ein. Er beruft sich nicht nur auf die jahrelangen Kämpfe gegen die Austeritätspolitik, ohne die Syriza nie zur Regierungspartei geworden wäre, sondern auch auf die griechische Demokratie und beschwört ein anderes Europa. Es muss sich nun zeigen, ob er damit die griechischen Wähler überzeugt.
Jetzt hoffen die Hüter der Austeritätspolitik in Europa, vor allem in Deutschland, dass die griechische Bevölkerung zermürbt von den vielen Opfern, die sie schon bringen müssen, nun freiwillig das Einverständnis für ein weiteres Diktat der Institutionen gibt, danach die Regierung zurücktritt und nach Neuwahlen die alten Parteien wieder an die Regierung kommen. Dann würde sich das Europa der Austerität bestätigt sehen und zur Tagesordnung übergehen.
Es ist dasselbe Europa, das Tsipras Vorvorgänger von der sozialdemokratischen Pasok zum Rücktritt zwang, nachdem er ebenfalls ein Referendum über das EU-Diktat angekündigt hatte. Dass Tsipras trotzdem nicht zögerte, die Bevölkerung zu befragen, spricht für ihn. Er gehört noch nicht zu den Politikern, denen der Machterhalt über alles geht. So hat er auch erklärt, dass seine Regierung natürlich akzeptiert, wenn die Bevölkerung den EU-Plänen zustimmt. Nur dann soll es nicht seine Regierung sein, die diese Politik umsetzt.
Wenn er im Ernstfall dabei bleibt, erteilt er all jenen sozialdemokratischen und linksreformistischen Politikern eine Lektion, die immer betonen, wie ungern sie bei der Umsetzung einer konservativen Politik mitmachen würden und sich damit entschuldigen, dass sie doch vielleicht einige soziale Spuren hinterlassen würden. Die Wähler allerdings geben dann lieber den konservativen und wirtschaftsliberalen Originalen den Vorzug und so führt jede linke Mitverwaltung der Austeritätspolitik zu einem Rechtsruck in der Gesellschaft.
Großbritannien, Finnland, Österreich und zuletzt Dänemark lieferten Beispiele dafür. So haben Tsipras und Syriza mit dem Schritt zum Referendum den Weg geöffnet, dass sie selbst nach einer Niederlage bei der Abstimmung als glaubwürdige Alternative bestehen können, die dann eben wieder Politik aus der Opposition macht. Vielleicht besteht darin die Botschaft der Hoffnung der Würde über Europa hinaus, die Tsipras jetzt leidenschaftlich beschwört [8].
Nein zur Erpressung durch EU und IWF
Noch ist das Referendum nicht entschieden. Gegen den Druck sämtlicher EU-Instanzen versucht auch in Deutschland ein Bündnis für ein Nein zum EU-Diktat [9] zu werben. Auch ein europäischer Aufruf [10] mobilisert für ein Nein beim Referendum.
Schon wird der 5. Juli, der Tag des Referendums, zum Tag des Wandels in Europa [11] erklärt. Trotz allen Pathos würde natürlich eine Ablehnung der EU-Pläne durch die griechische Bevölkerung linken Bestrebungen in Spanien und anderen europäischen Ländern Auftrieb geben.
Deutschland hat nie bezahlt
Auch der französische Ökonom Thomas Piketty [12], der mit seinen Schriften über die wachsende Ungleichheit Schlagzeilen machte, gehört zu den Gegnern der europäischen Austeritätspolitik und kritisiert dabei besonders die Rolle Deutschlands [13]. Auf die Frage, ob er sich freue, dass sich die französische Regierung entgegen ihrer Wahlversprechen der deutschen Austeritätspolitik unterordnet, antwortet Piketty:
Dann gibt Piketty seinen deutschen Lesern eine historische Lektion mit auf den Weg:
Mit dieser Einschätzung dürfte Piketty mit dem Hamburger Rechtsanwalt Martin Klingner vom AK Distomo [14] einig sein, der sich seit Jahren dafür einsetzt, dass die Opfer der deutschen NS-Herrschaft über Griechenland entschädigt wird. In einer Pressemeldung schrieb der Arbeitskreis.
Der aktuelle Kampf der griechischen Regierung hat die Forderungen nach Reparationen und Entschädigung etwas in den Hintergrund gedrängt. Am Montag fand in Berlin ein von der Linksfraktion veranstaltetes Hearing [15] unter der Überschrift „Ungesühnt, aber Unvergessen – Deutsche Verbrechen in Griechenland und die Frage der Reparationen“ statt.
Die drei zentralen Fragen, die dort von Historikern, Politikern und Angehörigen von Opfern diskutiert wurden, lauteten: Ist die Reparationsfrage erledigt? Dürfen Nazi-Opfer auch nach 70 Jahren noch Wiedergutmachung verlangen? Darf Deutschland die Zwangsanleihe behalten?“
Die Referenten betonten die Notwendigkeit von Reparationen, Entschädigung und Rückzahlung der Zwangsanleihen. Es ging den aus Griechenland angereisten Angehörigen nicht um das Geld, sondern um die Gerechtigkeit für die Opfer. Doch alle Referenten zogen auch Parallelen zur aktuellen Politik.
So wies der griechische Rechtsanwalt Sarantos Theodoropoulos darauf hin, dass bereits vor mehr als 70 Jahren NS-Funktionäre die Zwangsanleihe damit rechtfertigten, dass nur so Griechenland seinen Verpflichtungen, damals für Nazideutschland, nachkommen könne. Theodoropoulos nannte diese Zwangsanleihe denn auch sarkastisch „unser erstes Memorandum“.
Wenn eine solche Sichtweise in größeren Teilen der griechischen Bevölkerung verankert ist, gibt es vielleicht doch die Hoffnung, dass sie mehrheitlich den aktuellen Memoranden ihre Zustimmung verweigern.
http://www.heise.de/tp/news/Beugt-sich-die-griechische-Bevoelkerung-dem-Druck-von-EU-und-IWF-2731439.html
Peter Nowak
Links:
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Die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt
Die letzten Tage dürften für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben
In Griechenland läuft alles auf eine große Notstandskoalition hinaus (Machtspiele der großen Parteien in Griechenland). Das ist auch die Folge der Lektion, welche die griechische Regierung in der letzten Woche gelernt hat. Sie lautet, dass die Demokratie keineswegs das konstitutionelle Element der europäischen Gemeinschaft ist. Die kurze Zeit zwischen der Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse und der Absage wenige Tage später durch den griechischen Ministerpräsidenten zeigten die Panik auf in welche die EU-Elite geriet, als der Regierungschef eines EU-Landes es wagte, die Bevölkerung befragen zu wollen, ob sie den Maßnahmen überhaupt zustimmt, die gravierende Auswirkungen auf ihr Leben haben..
Dabei war es die Absicht des griechischen Ministerpräsidenten, den von der EU geforderten Kurs der Haushaltssanierung durch ein Referendum gestärkt umsetzen zu können. Damit wäre nicht nur seine Regierung, sondern auch die EU-Politik bestätigt worden. Aber allein die Möglichkeit, dass, wie nun mal bei demokratischen Abstimmungen nicht zu vermeiden, die Mehrheit auch mit Nein stimmen könnte, führte zu Panikreaktionen, als stünde ein kommunistischer Umsturz in Athen bevor. Schließlich könnte der demokratische Virus auch auf andere Länder übergreifen. Dass der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten massiv war, verschweigen die Befürworter dieses Kurses gar nicht.
„Die EU ist kein Wohlfahrtsverein“
„Seit dem G-20-Gipfel von Cannes ist ein für alle Mal klar: Die EU ist kein Wohlfahrtsverein. Die Konsequenzen dieser Einsicht werden erheblich sein – auch was Verwerfungen angeht“, kommentiert die FAZ am Wochenende.
„Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt“, beantwortet das konservative Blatt die rhetorische Frage selber.
Während der FAZ-Kommentator durch die Verwendung des Pronomens „Wir“ den Standpunkt der deutschen Regierung selbstverständlich einnimmt, dann aber anonyme Märkte als Begründung für den Notstand der Demokratie heranzieht, bleiben konservative Medien in den europäischen Nachbarländern weniger allgemein. So schrieb der Figaro:
„Ab sofort wird Europa stärker den deutschen Prioritäten Rechnung tragen müssen – vor allem auch in der Budgetdisziplin, die von Berlin aus gesehen seit der griechischen Krise in Europa aus dem Ruder gelaufen ist.“
Damit trägt das regierungsnahe Blatt der Tatsache Rechnung, dass der französische Präsident mit seinen Bestreben, die Maastrichter Stabilitätskriterien zu lockern, an der deutschen Bundeskanzlerin gescheitert ist. Sarkozy wollte eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, um die Proteste gegen die EU-Spardiktate, die nicht nur in Griechenland seit Wochen zu beobachten sind, einzudämmen.
Die Grenzen der Demokratie bekam auch Italien schon zu spüren, dessen Wirtschaftspolitik in Zukunft von EU und IWF überwacht werden soll. Doch nicht die Berlusconi-Regierung, sondern die Gewerkschaften, Studierenden und sozialen Bewegungen sind es, die schon lange gegen weitere soziale Verschlechterungen mobil machen. Sie kämpfen nicht gegen Berlusconi, um einen EU-genehmen Sparkommissar zu akzeptieren.
Was geschieht, wenn sich die sozialen Bewegungen nicht verlaufen?
Die deutsche Regierung, verwöhnt von den marginalen sozialen Protesten im eigenen Land, will die gesamte EU-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik gestalten. Was aber passiert, wenn sich die sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und vielleicht demnächst in Frankreich nicht verlaufen und marginalisieren lassen wie in Deutschland?
Diese Frage wird sich vermehrt stellen, nachdem in den letzten Tagen am Beispiel Griechenland die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt so deutlich wie nie markiert wurden. Die letzten Tage dürften da auch für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben In Zukunft werden sie in den europäischen Nachbarländern verstärkt gegen das EU-Modell Deutschland geführt werden. Illusionen über demokratische Prozesse bei den Aktivisten dürften endgültig geschwunden sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150775
Peter Nowak
Weniger Protestcamps, mehr Lohnkämpfe
Den Griechen würde es eher helfen, wenn die Menschen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gingen
Eine Veranstaltung diskutierte die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise und linke EU-Kritik.
In Griechenland und Spanien protestierten in den letzten Wochen Tausende gegen die Krisenpolitik der EU. In Deutschland hatten Versuche, ebenfalls Protestcamps zu organisieren, wenig Erfolg. Warum die Bewegung nicht überschwappt und Appelle, sich mit den Aktivisten in Madrid und Athen zu solidarisieren, oft gut gemeint, aber hilflos sind, erläuterte der Publizist Jörg Kronauer am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. Der Kölner Publizist zitierte aus Studien einflussreicher Denkfabriken und ließ Politiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen. In diesen Kreisen wird Angela Merkel als europäische Kanzlerin bezeichnet und die EU als »Weltmacht im Werden« gegen die USA in Stellung gebracht. Kronauer erinnerte daran, dass die Frontstellung gegen den Dollar bei der Euro-Einführung eine wichtige Rolle spielte.
Profitiert von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und der gemeinsamen Währung hat die deutsche Wirtschaft, wie Kronauer an verschiedenen Daten zeigte. Während das deutsche Außenhandelsvolumen wächst, weil der EU-Raum der Hauptabnehmer für deutsche Produkte ist, ist Frankreich ins Defizit gerutscht. Kronauer betonte allerdings auch, dass es innerhalb deutscher Kapitalkreise auch EU-kritische Stimmen gibt. Als aktuelles Beispiel nannte er den Aufruf von Mittelständlern, die sich mit Verweis auf die hohen Kosten gegen die EU-Rettungspakte für Griechenland wandten. Solche Stimmen werden lauter, je stärker die deutsche Industrie ins außereuropäische Ausland exportiert, prognostiziert der EU-Analytiker. »Die Industriezweige, deren Absatzmärke in Asien liegen, haben weniger Interesse an der EU als die Branchen, die für den europäischen Markt produzieren.«
Dass allerdings auch den Plänen der deutschen Eliten Grenzen gesetzt sind, machte der Referent am Beispiel von Zukunftsszenarien führender Banken deutlich. Danach wird die politische und ökonomische Bedeutung Deutschlands, aber auch der EU insgesamt im Jahr 2050 im internationalen Maßstab zurückgehen. Ländern wie China, Indien und Brasilien wird hingegen ein Machtzuwachs prognostiziert. Kronauer wies darauf hin, dass solche Szenarien auch Ursachen verstärkter innerimperialistischer Kämpfe sein können, die durchaus nicht immer friedlich ausgetragen werden müssen.
In der lebhaften Diskussion nach dem Vortrag wurde die Notwendigkeit der Reformulierung einer linken EU-Kritik betont, die weder ein Zurück zum alten Nationalstaat postuliert, noch sich zum linken Feigenblatt des EU-Blocks macht. Die europaweite Forderung nach einer Schuldenstreichung für Länder wie Griechenland könnte eine Klammer für Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern sein. Eine Gewerkschafterin brachte einen anderen Aspekt in die Debatte: »Die deutsche Niedriglohnpolitik konkurriert Länder an der europäischen Peripherie nieder. Wenn die Lohnabhängigen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gehen, stellen sie dieses Modell in Frage und unterstützen auch die Protestierenden in Griechenland und Spanien.«
http://www.neues-deutschland.de/artikel/201629.weniger-protestcamps-mehr-lohnkaempfe.html
Peter Nowak
Wir weisen zurück!
Für einen nichtinstrumentellen Umgang mit Jüdinnen und Juden !!!
Dass die Aufführung von Warum Israel in Hamburg verhindert wurde, ist für mich ein Ausdruck von Zensur. Die Deutschen, ob linksradikal oder nicht, haben sich wie Herren aufgespielt. Diese Rolle dürfen sie nie wieder spielen.“
Der französische Filmregisseur Claude Lanzmann in einem Interview zur Verhinderung der Präsentation seines Films „Warum Israel“ durch israelkritische Hamburger Linke . Weitere Texte zu diesem Thema siehe die Ausgabe 12-09
Wer oder was ist eigentlich links in Hamburg?
Streiflichter über/aus einen/m abgründigen Konflikt
„Ich wusste aber immer, dass die internationale Linke solidarisch hinter uns steht. Ich wusste immer, dass ich von linken internationalen Bewegungen nicht nur Zustimmung und moralische Unterstützung erwarten kann, sondern ganz reale Unterstützung …Wenn ihr Euch die Mühe gegeben habt, bis hierhin zu lesen, wird Euch der Schock, den ich bei meinem letzten Deutschland-Besuch erlebte, nicht überraschen. Da wurde mir nämlich klar, dass es in der deutschen Linken eine lautstarke Gruppe gibt, die die Solidarität mit meinem Kampf als antisemitisch bezeichnet und mich selber als einen mit Selbsthass infizierten Juden.“
Aus einem Brief des israelische Friedensaktivisten Yossi Wolfson an die deutsche Linke
Die politischen Ansichten von Yossi Wolfson und Claude Lanzmann dürften, gerade was die Haltung zu Israel und dem Nahostkonflikt betrifft, sehr weit auseinanderliegen. Doch beide eint eins: Sie sind Juden, die von links sich verstehenden nichtjüdischen Deutschen auf unterschiedliche Weise angefeindet, beschimpft, behindert wurden.
Die von uns eindeutig verurteilte Verhinderung des Films „Warum Israel“ Ende Oktober in Hamburg ist der wohl bekannteste, aber nicht der einzige Fall, wo Linke in Deutschland gegen jüdische Menschen und ihre Arbeit vorgegangen sind. Es ist mittlerweile zur Regel geworden, dass Juden, die sich positiv zu Israel verhalten, von israelkritischen Linken in Deutschland zumindest mit Misstrauen begegnet wird. So sollte, um nur ein aktuelles Beispiel zu erwähnen, der Wiener Publizist Karl Pfeiffer erstmal eine Erklärung über seine Rolle im israelischen Unabhängigkeitskampf abgeben, um in einem autonomen Zentrum in Bielefeld als Redner auftreten zu dürfen.
Auch von israelsolidarischen Kreisen wiederum wird in unterschiedlichem Maße Druck auf Jüdinnen und Juden ausgeübt, die sich kritisch zur israelischen Politik äußern. Erinnert sei nur an die Kampagne gegen Felicia Langer im Sommer 2009, nachdem sie das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Daran haben sich neben rechten Gruppen auch israelsolidarische Linke beteiligt.
Es ist eine Schande, dass ausgerechnet in Deutschland jüdische Menschen daran gehindert werden, ihre politischen Ansichten zum Nahostkonflikt zu vertreten und dass Filme von jüdischen Künstlern verhindert werden. Dabei ist es egal, wie die jüdischen Menschen zu Israel stehen und wie sie den Nahostkonflikt beurteilen.
Henryk M. Broder hat genauso das Recht, seine Lesart des Nahostkonfliktes zu verbreiten, ohne einer Kampagne ausgesetzt zu sein, wie Michel Friedman und Felicia Langer. Es ist völlig normal, dass unter Juden – wie zu vielen anderen Themen – auch zur israelischen Politik unterschiedliche Ansichten bestehen. Damit stehen sie in einer guten Tradition. Es hat unter Juden immer pro, – nicht-, und antizionistische Positionen gegeben.
Ein auch polemisch ausgetragener Streit darum, ist das Normalste auf der Welt. Antisemitische Töne bekommt die Auseinandersetzung dann, wenn den Personen ihr Judentum vorgehalten oder abgesprochen wird. Dazu gehört die Vorstellung, ein Jude müsse die israelische Politik verteidigen, ebenso wie das umgekehrte Ansinnen, er müsse sie kritisieren oder sich überhaupt dazu äußern.
In Teilen der propalästinensischen deutschen Linken war und ist es üblich, sich Kritik an der israelischen Politik durch jüdische Stimmen beglaubigen zu lassen. Das ist genauso abzulehnen, wie der Versuch von Israel-Verteidigern zurückgewiesen werden muss, verbal gegen Juden vorzugehen, die eine kritische Sicht auf Israel haben.
Vor 20 Jahren, als in kleinen Gruppen der Linken die Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus begann, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass einige der dort ausgetauschten Argumente einmal von deutschen Linken dazu benutzt werden könnten, um Juden klarzumachen, wie sie sich zu Israel zu positionieren haben.
Die Nachkommen der deutschen Volksgemeinschaft, vor nunmehr 65 Jahren erst durch die Alliierten am weiteren Judenmorden gehindert, sollten die letzten sein, die in dieser Debatte Zensuren verteilen. Auch jede Instrumentalisierung der unterschiedlichen jüdischen Ansichten zu Israel für den innerlinken Meinungskampf in Deutschland ist abzulehnen.
Die nichtjüdischen Deutschen – israelkritisch, solidarisch oder was immer – sollten in dieser Debatte einfach nur mal das Maul halten.
Antonin Dick, als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten in England geboren
Peter Nowak, Journalist, Berlin
Bernhard Schmid, Journalist, Paris