Nach Merz: Viel Lärm um nichts bei CDU und SPD

Hoffnungen, die mit dem Kandidaten Friedrich Merz verbunden wurden, übersehen wesentliche Probleme beider Parteien

Der Bedeutungsverlust der politischen Parteien kann von niemandem mehr bestritten werden. Doch je deutlicher das wird, desto mehr versuchen die Parteien mit Showelementen die Aufmerksamkeit der verdrossenen Bevölkerung auf sich zu lenken. Die USA haben es schon lange vorgemacht, wie man mit einer Show, die sich Vorwahlen nennt, Gelder und Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die CDU hat nun eine Art Vorwahlen hinter sich und heraus kam AKK. Schon in dem Kürzel wird die Beliebigkeit deutlich, die hinter einer Charaktermaske steckt, die für alles und nichts steht. Es soll hier auch nicht weiter verwendet werden, weil damit einer Banalisierung von Herrschaftsverhältnissen Vorschub geleistet wird. Genau wie der erste grüne Außenminister Joseph Fischer bleibt, heißt die neue CDU-Vorsitzende hier Kramp-Karrenbauer. In ihrer Beliebigkeit ähneln sich die alte und die neue CDU-Vorsitzende. Mit ihrer Beliebigkeit und ihrem Opportunismus sind sie die idealen Verwalter des aktuellen Spätkapitalismus.

Kein Zurück in die 1980er Jahren

Da mögen in der Union sich manche Altkonservative noch mal Inspiration vom Kandidaten Friedrich Merz versprochen haben. Sie erhoffen sich von ihm ein Zurück in das Westdeutschland der 1980er Jahre, als die Union noch Wahlergebnisse über 40 % einheimste. Doch Merz hätte damit nur scheitern können, weil sich weder der Stand des Kapitalismus noch die Gesellschaft zurückdrehen lassen.

Da entschied sich die knappe Mehrheit der Union dann doch für die unverbindliche Kramp-Karrrenbauer, weil sie wegen ihrer Biegsamkeit nicht so hart scheitern kann wie ein Friedrich Merz. Hatten sich bis vor der Wahl alle Kandidaten selbst übertroffen in Eigenlob, welch gute Show sie in den letzen Wochen in der Partei geboten haben, so wurden aus Partnern wieder Konkurrenten, kaum waren die Stimmen ausgezählt.

Vor allem die Ostverbände der Union mosern, weil sie sich von Friedrich Merz mehr Rückenwind bei den Wahlen versprochen hätten. Dann sind sie auch noch bei der Wahl des Generalsekretärs leer ausgegangen. Aber das ganze Gejammer der rechten CDUler aus dem Osten, viele sind selbst Westimporte, wurde von der Mehrheit der Delegierten überhört, weil Umfragen zeigen, dass in den Großstädten Kramp-Karrenbauer beliebter als Merz war.

Und warum im Osten ausgerechnet der westdeutsche Ultrakapitalist Merz der Union Stimmen gebracht hatte, bleibt das Geheimnis seiner Fans. Auf diesen Widerspruch wies der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke in einer Diskussionsrunde [1] im Deutschlandfunk hin unter der Fragestellung „Wohin steuert Annegret-Kramp-Karrenbauer die CDU?“. Doch er problematisiert nicht, was die Merz-Fans im Osten eigentlich umtreibt.

Sie träumen von einer Union, die die Oberhoheit über den rechten Stammtischen hat. Sie trauern Zeiten nach, als im Wendeherbst 1989 rechte Demonstranten gegen Linke und Nichtdeutsche hetzten und gleichzeitig Helmut Kohl hochleben ließen [2]. Dass auch Exponenten des Wendeherbstes 1989, die sich gegen die Ultrarechten heute positionieren, den Anteil der Rechten vor 19 Jahren kleinreden wollen, zeigt ein Interview [3] des DDR-Oppositionellen Martin Böttger in der taz.

Frage: Sie haben die Friedliche Revolution 1989 mitgestaltet. Es gibt Stimmen, die sagen, dass damals schon Rechtsextreme Anteil am Sturz der SED-Herrschaft hatten. Zu Recht?
Dafür hätte ich gerne Belege. Ich kenne auch keine solchen Akteure. Die, die ich kenne, kamen aus dem linken Milieu.

Martin Böttger, Interview mit der taz

Als ihm der Verfasser die vermissten Belege mit Quellen zusandte, kam keine Reaktion. Daraus kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass er sich bloßgestellt fühlt, weil er schon vorher wusste, dass seine Aussagen nicht stimmen. Es wäre zu wünschen, dass eine Initiative junger Menschen aus dem Umfeld der Linkspartei, die sich eine Aufarbeitung der Wendezeit vorgenommen haben, sich auch mit der Frage befasst, welche Rolle die Rechte im Herbst 1989 hatte und wieweit sie auch von Westparteien unterstützt wurde.

Allerdings wird sich erst zeigen, ob ihr merkwürdiger Name Aufschwung Ost [4] und ihre Forderung nach einer „Ossi-Quote“ nicht doch Satire sind. Sollte sich darin ihre Politik erschöpfen, ist ihr Emanzipationsgehalt eher gering. Dabei wäre eine kritische Aufarbeitung der Wendeereignisse ein wichtiges linkes Politfeld.

SPD hoffte vergeblich auf Merz

Auf die SPD wird man darauf, wie bei allen linken Themen, keine Hoffnungen zu setzen brauchen. Sicher wird es zum Wendejubiläum auch aus der SPD die eine oder andere Mäkelei geben. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Übernahme der DDR nach dem Modell Kohl, wie sie die SPD 1989 äußerte, wird sie schon deshalb nicht wiederholen, weil sie vom damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine kam.

Der ist noch immer Sozialdemokrat, aber bekanntlich nicht mehr in der SPD. Mit ihm haben fast alle, die noch klassisch sozialdemokratische Politik machen, das heißt, den Kapitalismus nationalstaatlich einhegen wollen, die Partei verlassen. Einige Nachzügler verließen die Partei erst kürzlich, darunter der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow [5] und die sozialdemokratische Gewerkschaftlerin Susanne Neumann [6], die dadurch bekannt wurde, dass sie sich als prekär Beschäftigte noch die Mühe machte, der SPD ihre Politik um die Ohren zu hauen.

Beide wären sicher Bündnispartner der Linken. Dass sie erstmal auf Distanz bleiben, ist deren internen Konflikten geschuldet. Sowohl Bülow als auch Neumann sind in der linksparteiintern umstrittenen Bewegung „Aufstehen“ aktiv. Sollten sich die Wege zwischen der Linken und „Aufstehen“ endgültig trennen, woran in beiden Lagern einige hinarbeiten, könnten beide noch eine Rolle in neuen Formationen spielen.

Die hausgemachte Krise der SPD

Doch die SPD kann weder von dem internen Zwist in der Linken noch von der auch nach dem Parteitag ungeklärten Lage in der CDU profitieren. Ihre Krise ist hausgemacht. Nicht nur immer mehr Wähler fragen sich, wozu die SPD noch gebraucht wird. Auch viele Mitglieder können es nicht wirklich erklären. So begründet [7] die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, warum es sich lohnt, in der SPD so bleiben, wie folgt:

Die SPD vereinigt Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Anschauungen. Ihnen gemeinsam ist die Identifikation mit den sozialdemokratischen Grundwerten „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“, welche wichtige Referenzpunkte für linke Politik sind.

Annika Klose, Neues Deutschland

Hundert Jahre nachdem die SPD-Führung in Berlin und anderen Städten auf Menschen, die für Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf die Straße gingen, schießen ließ, hätte man sich von einer SPD-Linken ein kritischeres Bild von der eigenen Partei erwartet.

Doch die Jusos von heute sind die Führungsfiguren der Partei in den nächsten Jahren. Daher haben die Jusos von heute gar keine Zeit mehr, sich in jugendlicher Opposition zu üben. Schon wird Kevin Kühnert als möglicher SPD-Vorsitzender gehandelt, wenn vielleicht nach einem desaströsen Ausgang der Europawahlen Nahles gehen muss. Das bringt der SPD genau so wenig eine neue Perspektive, wie für sie die Wahl von Merz auf dem CDU-Vorsitz eine Rettung gewesen wäre.

Nach Außen hätte die SPD etwas Klassenkampf zelebriert. Wie das Verhältnis wirklich steht, hat der DGB-Vorsitzende mit SPD-Parteibuch, Reiner Hoffmann, der Neuen Ruhr Zeitung verraten [8]:

Frage: Ist Merz der Arbeitnehmerschreck, als der er oft dargestellt wird? Er wollte vor 15 Jahren den Kündigungsschutz extrem lockern und die 42-Stunden-Woche einführen.
Ich bin kein schreckhafter Mensch und treffe Friedrich Merz regelmäßig in der „Atlantikbrücke“. Merz hat dazugelernt und weiß, dass die neoliberalen Zeiten der CDU vorbei sind. Wenn er Nachhilfe braucht bei der Mitbestimmung oder bei der Tarifautonomie, dann stehe ich gern zur Verfügung.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, NRZ

Noch einige Streitpunkte

Nun kann die SPD-Führung hoffen, dass die Union bei der Frage um die Strafbarkeit der Werbung für Abtreibung einige Profilierungsmöglichkeiten [9] lässt. Kramp-Karrenbauer hat sich bereits gegen eine Reform des Paragrafen 219a [10] ausgesprochen.

Es wird sich zeigen, ob die SPD zumindest in dieser Frage den Druck einer starken außerparlamentarischen Bewegung [11] nachkommt.

Der UN-Migrationspakt und die Linke des Kapitals

Natürlich sind die SPD wie auch ein Großteil der Linkspartei treue Verteidiger des kürzlich abgenickten UN-Migrationspakts. An diesem Fall zeigt sich das Elend einer Linken, die nur das Wort Migration hört und schon alle, die die diesen Pakt kritisieren, in die rechte Ecke stellen. Damit geht sie den Interessen des Kapitals ebenso auf dem Leim wie der Kampagne der AfD und anderer rechter Kräfte.

Dabei hat der UN-Migrationspakt nichts mit Geflüchteten zu tun. Er soll die Migration im Interesse des Kapitals regulieren. Merkel sagte deutlich, dass damit „illegale Migration“ bekämpft werden soll. Es geht um Migration unter Kontrolle des Staates und im Interesse des Kapitals. Wenn Merkel dann noch erklärt, nicht Schleuser und Schlepper, sondern der Staat müsse entscheiden, wer einwandern darf, hätte es die AfD auch nicht anders ausdrücken könne. Für solch einen Pakt treten Linke in vielen Ländern ein. Der Journalist Pepe Egger hat in der Wochenzeitung Freitag gut begründet, was ihn bei der Debatte um den Migrationspakt nervt [12]:

Ich glaube, ich weiß jetzt, woher mein Puls rührt: Weil wir so etwas wie den UN-Migrationspakt noch bis vor wenigen Jahren kritisiert hätten. Aber von links. Wir hätten die Abschottungspolitik angeprangert, die Militarisierung der Grenzen, die erzwungenen Rückführungen und die Abschiebungen. Wir hätten Allianzen gebildet, nicht die einen gegen die anderen ausgespielt.

Pepe Egger, Wochenzeitung Freitag

Von der SPD erwartet jeder, dass sie im Interesse von Staat und Kapital handelt. Aber gibt es auch außerhalb dieser Partei fast nur noch Linke des Kapitals?

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-4247105
https://www.heise.de/tp/features/Nach-Merz-Viel-Laerm-um-nichts-bei-CDU-und-SPD-4247105.html

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[1] https://www.deutschlandfunk.de/nach-merkel-wohin-steuert-annegret-kramp-karrenbauer-die-cdu.1784.de.html?dram:article_id=435306
[2] https://www.heise.de/tp/features/Der-blinde-Fleck-in-der-Debatte-4180355.html
[3] http://www.taz.de/!5542009/
[4] https://www.facebook.com/pages/category/Political-Organization/Aufbruch-Ost-3291890190836053/
[5] https://www.marco-buelow.de/
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/schlagfertige-gewerkschafterin-fruehere-putzfrau-susanne-neumann-verlaesst-die-spd/23720420.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107021.linke-in-der-spd-es-lohnt-sich-zu-kaempfen.html
[8] https://www.nrz.de/politik/dgb-chef-hoffmann-lehnt-gruenen-plaene-fuer-hartz-iv-ab-id215815093.html
[9] https://www.tagesschau.de/inland/abtreibungen-werbeverbot-koalition-101.html
[10] https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html
[11] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/
[12] https://www.freitag.de/autoren/pep/grosse-aufregung

Nordsee vor Deliveroo

Online-Abstimmung über schlimmsten Unionbuster

Derzeit laufen die Planungen für die nächste Protestaktion gegen ein Unternehmen, das Betriebsräte behindert. Eine Initiative fordert härteres Durchgreifen der Staatsanwaltschaften.

Am Freitag, den 13. April, wird es Ärger geben: An diesem Tag könnte der britische Essenskurier Deliveroo, der Flughafensicherheitsdienst I-Sec oder die Imbisskette Nordsee Besuch von kritischen Gewerkschaftern bekommen. Die drei Unternehmen sind von der Initiative aktion./.arbeitsunrecht nominiert worden, weil sie durch die Behinderung von Betriebsräten negativ aufgefallen sind. Bis 15. März können Interessierte im Internet noch darüber abstimmen, wer Ziel des Protests werden soll. Im Moment liegt Nordsee vorne, dicht gefolgt von Deliveroo.

Immer dann, wenn der 13. eines Monats auf einen Freitag fällt, organisiert die Initiative mit Sitz in Köln gemeinsam mit einem Netzwerk engagierter Gewerkschafter_innen eine Aktion gegen »Unionbusting«. Das Wort, das aus den USA stammt, hat sich für den organisierten Kampf gegen Betriebsräte mittlerweile auch in Deutschland eingebürgert. Der Fischrestaurantkette Nordsee, die zur Unternehmensgruppe Theo Müller gehört, wirft die Arbeitsrechtsinitiative vor, langjährige Betriebsratsmitglieder kurz vor den Betriebsratswahlen zu leitenden Angestellten befördert zu haben. Dadurch können sie sich nicht mehr zur Wahl stellen.

Das I-Sec-Management hat sich durch die Kündigung von drei Betriebsräten für einen Besuch qualifiziert. Mittlerweile seien mehrere Hausverbote gegen sie ausgesprochen worden, um den Kontakt zur Belegschaft zu unterbinden. Auch der Widerstand gegen die Entlassungen soll sanktioniert werden. Der auf Unionbusting spezialisierte Arbeitsrechtler Walter Naujocks verklagte den gekündigten Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter auf Schadenersatz in Millionenhöhe. Ihr Protest gegen die Kündigungen soll dem Unternehmen geschadet haben.

Dem Management von Deliveroo wiederum wird vorgeworfen, in Köln eine Betriebswahl gezielt sabotiert zu haben, indem die Zahl der Festangestellten reduziert und die Zahl der Selbstständigen erhöht wurde. Die Initiative moniert auch, dass die Deliveroo-App, mit der die Arbeit organisiert wird, so umgestellt wurde, dass die Beschäftigten nicht mehr untereinander, sondern nur noch mit ihrem Schichtkoordinator Kontakt aufnehmen konnten. In Berlin forderte die Freie Arbeiter Union bisher vergeblich einen Tarifvertrag.

Die nächste Freitagsaktion fällt mitten in die bundesweiten Betriebsratswahlen, die alle vier Jahre stattfinden. »Bei keiner Wahl in Deutschland werden demokratische Grundrechte so mit Füßen getreten wie bei Betriebsratswahlen«, sagt der Sprecher der aktion./.arbeitsunrecht, Elmar Wiegand. Dennoch werde nur selten darüber berichtet, kritisiert seine Mitstreiterin Jessica Reisner. Das vergleichsweise große Medieninteresse an dieser Abstimmung hat mit dem Versuch der AfD zu tun, eine rechte, unternehmerfreundliche Konkurrenz zum DGB aufzubauen. Die Initiative aktion./.arbeitsunrecht richtet dagegen den Fokus auf die alltägliche Behinderung von Betriebsratsarbeit und kritisiert »die skandalöse Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden«. In Hessen hat sie nun eine Unterschriftensammlung gestartet. Damit wird die Generalstaatsanwaltschaft aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Betriebsratsbehinderung nicht länger straffrei bleibt. Anlass sind aktuelle Fälle am Frankfurter Flughafen.

aus Neues Deutschland: 9.3.2018

Peter Nowak

Interviewt die Rechten, wo Ihr sie trefft?

Über den Drang linker und liberaler Autoren und Redaktionen, mit Personen aus dem Umfeld der AfD und der Neuen Rechten ins Gespräch zu kommen

Der linksreformerische Publizist Thomas Wagner hat kürzlich unter dem Titel „Die Angstmacher“[1] ein Buch herausgebracht, das mit dem Anspruch auftritt, ganz neue Erkenntnisse vor allem über die Neue Rechte und die 68er-Bewegung zu liefern. So heißt es in den Verlagsinformationen[2].

Mit dem Aufkommen der AfD droht die Neue Rechte breite bürgerliche Schichten zu erfassen. Wer sind ihre Ideengeber, und worin haben sie ihre Wurzeln? Thomas Wagner stellt erstmalig heraus, wie wichtig „1968“ für das rechte Lager war, weil es einen Bruch in der Geschichte des radikalrechten politischen Spektrums markiert, der bis heute nachwirkt. Das zeigen unter anderem die Gespräche, die Wagner mit den Protagonisten und Beobachtern der Szene geführt hat, darunter Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Martin Sellner, der inzwischen verstorbene Henning Eichberg, Alain de Benoist, Falk Richter und Frank Böckelmann. Wagners Buch liefert eine spannende Übersicht über die Kräfte und Strömungen der Neuen Rechten und ihre Ursprünge.

Was hat die Neue Rechte mit der 68er-Bewegung zu tun?

Nun gibt es allerdings schon viel Literatur, die sich damit beschäftigt, dass die außerparlamentarische Rechte sich einige Aktionsformen der 68er-Bewegung angeeignet und auch den italienischen Theoretiker Antoni Gramsci und dessen Hegemoniekonzept studiert hat, der allerdings kein 68er war. Nur sagt das wenig über die völlig konträren Inhalte beider Bewegungen aus.

Verwirrender wird das Ganze noch, wenn Wagner den Gründungsmythos einer außerparlamentarischen Rechten auf den 21. Mai 1970 legt. Damals randalierten Rechte jeglicher Couleur in Kassel gegen das Treffen von Willi Brandt mit dem DDR-Politiker Willi Stoph. Die Ablehnung der Anerkennung der DDR und damit die zumindest zeitweilige Akzeptanz der deutschen Teilung einte Rechtskonservative, Vertriebenenfunktionäre und Neonazis. Sie gründeten die „Aktion Widerstand“ und schrien Parolen wie „Brandt an die Wand“.

Neben Brandt und anderen Entspannungspolitikern hassten sie die 68er-Bewegung in all ihren Ausprägungen. Sie sahen sich sogar als Stoßtrupp gegen die Ideen der 68er-Bewegung und feierten den Dutschke-Attentäter.

Die NPD hat in diesen Kreisen damals rapide an Einfluss nicht aus ideologischen Gründen verloren, sondern weil sie den Einzug in den Bundestag 1969 knapp verfehlt hat. Die Neue Rechte steht also nicht im Kontext der 68er-Bewegung, sondern ist eine ihrer größten Feinde. Doch ein Buch verkauft sich allemal besser, wenn nun auch ein linker Autor die 68er und die Rechte von heute irgendwie in Verbindung bringt. Politisch ist das so falsch, wie wenn man die NSDAP mit der Novemberrevolution kurzschließt und nicht erwähnt, dass die Vorläufer der Nazis in jenen Freikorps bestanden, die Todfeinde der Revolutionäre waren. Sie waren in den Jahren 1918/19 an vielen Massakern und Erschießungen von aufständischen Arbeitern beteiligt.

Tabubruch: Frag die Rechten

Eine weitere verkaufsfördernde Maßnahme besteht dahin, Tabubrüche zu inszenieren. Dazu gehören im Fall von Wagner ausführliche Interviews mit führenden Vertretern der Neuen Rechten in und außerhalb der AfD. „Damit haben Sie fast gegen so einen linksliberalen Konsens verstoßen und mit den Rechten gesprochen. Hat das etwas gebracht“, wird Wagner von einem NDR-Journalisten gefragt[3]. Die Antwort wirft weitere Fragen auf:

Mir hat es gebracht, genauer zu verstehen, wer was wo von wem gelernt hat – also zunächst ein historisches Interesse, wie es wirklich gewesen ist. Wenn man versteht, wie diese Provokationsmethoden funktionieren, und dass es ganz ähnliche Provokationsmethoden sind, die auch von der Neuen Linken seit den 60er-Jahren verwendet wurden, dass man dann vielleicht die Möglichkeit hat, gelassener darauf zu reagieren – und nicht so hysterisch wie es derzeit zum Teil der Fall ist.

Thomas Wagner

Zunächst einmal hat Wagner Recht, wenn er sich gegen manche antifaschistische Kurzschlussreaktion wendet, die jede Provokation eines AfD-Politikers so aufbläst, dass sie erst richtig bekannt wird und damit der Rechtspartei eher nützt. Zudem bedeuten auch zweistellige Wahlergebnisse für die AfD noch keine Wiederkehr von Weimarer Verhältnissen. Doch Wagners Argumentation ist nicht schlüssig.

Wenn er wirklich der Meinung ist, dass die Neuen Rechten die Erben 68er sind, wäre das ja kaum Grund für Gelassenheit. Schließlich haben die 68er kulturell die Republik verändert – und es ist keineswegs beruhigend, wenn das der Apo von Rechts auch gelänge. Denn Wagner sieht völlig von den unterschiedlichen Zielstellungen ab. Die Rechten wollen die letzten Reste von 68 aus der Gesellschaft tilgen, die es ja sowieso nur auf kulturellem Gebiet gab. Es wurden nur die Teile des 68er-Aufbruchs adaptiert, die dem Kapitalismus nützen.

Zudem ist nicht erkennbar, warum Wagner mit den Rechten reden muss, um ihre Strategie und Taktik zu verstehen. Denn solche Interviews sind zunächst und vor allem Selbstdarstellungen. Das zeigt sich an dem Gespräch mit Ellen Kositza[4], einer der Theoretikerinnen der Neuen Rechten in der Wochenzeitung Freitag. „Es geht sehr launig und zivilisiert zu in der Auseinandersetzung mit der Rechten. Gab es eine bestimmte Sorte Tee und Kuchen dazu?“ fragte eine Leserin sehr treffend.

Denn obwohl der Freitag-Journalist Michael Angele seine Distanz zu den Rechten in seinen Fragen deutlich werden ließ, gelang es nicht, die medienerfahrene Kositza wirklich grundlegend aus der Reserve zu locken. Dabei bot sie genügend Anknüpfungspunkte, wo sie die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen als langweilig bezeichnete und sich damit nicht nur gegen Menschen aus anderen Ländern, sondern auch gegen Lohnabhängige wandte, die sich gewerkschaftlich für ihre Interessen einsetzen: „Ich denke auch, das heutige Proletariat ist nicht, was es war. Heute sehe ich da dicke Menschen mit Plastiküberzügen am Leib und Trillerpfeife im Mund vor mir. Da empfinde ich wenig Solidarität.“

Diese Plauderei über das Landleben im Harz jedenfalls sagt weniger über die Rechte aus als ein Buch, in dem Autorinnen und Autoren deren Strategie und Taktik analysieren und in den gesellschaftlichen Kontext rücken.


Hätte die Weltbühne Hitler interviewen sollen, um das 3. Reich zu verhindern?

Es wird so getan, als würde der Aufstieg der Rechten dann gestoppt, wenn wir die nur ausführlich interviewen und auch in linken und liberalen Medien selber zu Wort kommen lassen.

Hätte man die Nazis von der Macht fernhalten können, wenn Hitler und Co. auch in der Weltbühne, einer bekannten linksliberalen Zeitung der Weimarer Republik, zu Wort gekommen wären, muss man sich hier fragen. Dabei waren damals Gespräche zwischen NSDAP-Mitgliedern und entschiedenen Nazigegnern Teil der politischen Kultur. Nicht nur die KPD beteiligte sich an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit Nazis, die nach genauen Regelungen abliefen und trotzdem oft in Saalschlachten endeten. Auch Anarchisten wie Rudolf Rocker und Erich Mühsam beteiligten sich zwischen 1930 und 1933 an Diskussionen mit den Nazis in und außerhalb der NSDAP, wie eine kürzlich von der Initiative für ein Gustav-Landauer-Denkmal in Berlin[5] erstellte Broschüre zur Geschichte des Anarchismus in Berlin-Kreuzberg[6] mit Quellen belegt.

Diese Gespräche waren also nicht einfach einer Wende der KPD zum Nationalismus hin geschuldet, sondern gehörten zur politischen Kultur der Nazigegner vor 1933. Nur hat sie die Nazis nicht von der Macht ferngehalten. Daraus sollten die Gegner der Rechten von heute ihre Schlüsse ziehen. Interviewt die Rechten, wo er sie trefft, ist zumindest keine antifaschistische Strategie.

„Keine Bühne für die AfD und die Neue Rechte“

Einen anderen Weg gehen Künstler, die sich in einem Offenen Brief dagegen wenden, dass Vertreter der AfD und der Neuen Rechten zu Diskussionsveranstaltungen in Theater und andere Kultureinrichtungen eingeladen werden. Sie haben sich in Offenen Briefen[7] dagegen gewandt, dass den Rechten so eine Bühne geboten wird.

Diese Initiative hat eine große Resonanz[8] erfahren und wiederum zu Debatten[9] geführt. In der Jungle World haben zwei der Künstler, die den Offenen Brief initiiert haben, ihre Weigerung, den Rechten eine Bühne zu bieten, noch einmal verteidigt[10].

„Ich denke, man sollte sich einem vorgeblichen Dialog mit den Rechten verweigern. Erstens ist dazu schon viel gesagt worden und die Positionen sind klar. Zweitens sollte das Völkische auch nicht diskutierbar werden. Ich sehe das eher als unproduktive Debatte. Wer etwas davon hat, sind die Rechten: Sie bekommen eine Bühne und somit auch die Legitimation, ihre Parolen und Thesen zu verbreiten“, erklärt die Theaterregisseurin Konstanze Schmitt[11]. Das gilt nicht nur für das Theater, sondern ist auch eine Kritik an liberalen und linken Autoren und Medien, die unbedingt mit Rechten reden wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Interviewt-die-Rechten-wo-Ihr-sie-trefft-3819191.html
Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3819191

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-angstmacher.html
[2] http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-angstmacher.html
[3] https://www.ndr.de/kultur/Thomas-Wagner-ueber-sein-Buch-Die-Angstmacher,journal964.html
[4] https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/die-rechte-in-der-richte
[5] https://gustav-landauer.org/blogs/denkmalinitiative
[6] https://gustav-landauer.org/content/veranstaltung-auf-den-spuren-einer-vergessenen-politischen-bewegung-die-anarchistische
[7] https://nationalismusistkeinealternative.net/offener-brief-an-das-thalia-theater-keine-buehne-fuer-die-afd-kein-podium-fuer-rassisten-ladet-baumann-aus/
[8] https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=13646:kritik-an-geplanter-diskussionsveranstaltung-mit-afd-chefideologen-in-zuerich&catid=126:meldungen-k&Itemid=100089
[9] http://www.zeit.de/2017/10/zuerich-afd-marc-jongen-auftritt-proteste/seite-2
[10] https://jungle.world/artikel/2017/34/ist-das-ein-hunger-nach-realitaet
[11] http://www.konstanzeschmitt.net/

Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt

Auf einem Medienkongress in Berlin wurden manche Mythen über die Internetgesellschaft in Frage gestellt
Viel wurde über Revolution geredet am 8. und 9. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt, über die im arabischen Raum ebenso wie über die Internetrevolution. Die sollte eigentlich im Mittelpunkt des von Freitag und Taz organisierten Medienkongresses stehen, der das Motto trug: „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt.“

Doch in die Planungsphase fielen die Aufstände von Tunesien, Ägypten und Libyen und so bekam die Revolution auch wieder eine gesellschaftspolitische Dimension. Auf der Eröffnungsveranstaltung wurden beide Revolutionsvorstellungen verbunden. Über die Rolle des Internet bei den Aufständen diskutierten Medienaktivisten aus Ägypten, Tunesien, Irak und Belarus. Sie stellten unisono klar, dass die ganz realen Aufstände auf den Plätzen und Straßen die Revolution ausmachen und das Internet lediglich ein wichtiges Hilfsmittel sei. So betonte die ägyptische Aktivistin Mona Seif, sie sehe als politische Aktivistin das Internet als eine Möglichkeit, ihre Ideen zu verbreiten.

Die tunesische Bloggerin Lina ben Mhenni betonte ebenfalls die Rolle des Internets für die Koordination der Proteste. Victor Malishevsky aus Belarus berichtete über eine eher demobilisierende Seite des Internetaktivismus. So hätten in seinem Land viele Menschen das Ansehen eines Live-Streams von Demonstrationen im Umfeld der letzten Präsidentenwahlen als ihren Beitrag zur Oppositionsbewegung bewertet, ohne sich an einer Demonstration beteiligt zu haben.

Blogger nicht gleich Dissident

Der Medienwissenschaftler und Blogger Evgeny Morozov räumte mit manchen romantischen Vorstellungen über die politische Dissidenz der Blogger auf und lieferte einige Gegenbeispiele. So zahlte die chinesische Regierung an Blogger 50 Cent, damit sie Beiträge und Kommentare posten, die die chinesische Regierung in ein gutes Licht rücken. Wie Blogger Spitzeldienste für die Polizei leisten, zeigte sich auch im Fall von Adrian Lamo, der Bradley Manning bei den US-Behörden denunzierte, wichtige Informationen an Wikileaks weitergeleitet zu haben.

Sowohl die Solidarität mit Manning als auch die Folgen der Internetplattform Wikileaks waren Themen in den rund zwei Dutzend Workshops und Diskussionen am Samstag. Gerade am Beispiel von Wikileaks wird jetzt schon deutlich, dass der Plattform von den Medien eine Rolle zugeschrieben wurde, die sie mit weder personell noch technisch erfüllen konnte. Seit Monaten wird über den Wikileaks-Gründer mehr diskutiert als über die veröffentlichten Dokumente.

Morozov warnte auch vor der Vorstellung, das Internetzeitalter sei die beste Stütze für demokratische Bestrebungen in der Politik. Die Online-Welt sei wesentlich leichter manipulierbar als Zeitungen und bei weitem nicht so transparent, wie manche Menschen glauben, betonte er. Seine Mahnung auch bei Bloggern genau auf die Inhalte zu schauen, hätte auf dem Kongress gleich im Anschluss beherzigt werden können, als ein Videobeitrag der kubanischen Bloggerin Yoani Sanchez gezeigt wurde. Die selbst innerhalb der kubanischen Opposition wegen ihrer ultrarechten Thesen umstrittene Bloggerin wurde auch auf der Konferenz als Ikone der Meinungsfreiheit gefeiert.

Auffällig war das Fehlen von Positionen auf der Konferenz, die die eine grundsätzliche Kritik auch an den Verhältnissen in Deutschland leisteten. Wenn man bedenkt, in welchen Umfeld und Kontext die Taz Ende der 70e Jahre gegründet wurde, bekommt das Kongressmotto eine zusätzliche Bedeutung. Die Gründer hatten sich eine grundlegende politische Umwälzung auf die Druckfahnen geschrieben und das Internet bekommen.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/149632
 
Peter Nowak