Philipp Staab: Systemkrise Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus, Suhrkamp Verlag, Berlin 2025 220 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-518-12823-7

Mangelnde Zustimmung und Folgebereitschaft für den grünen Kapitalismus

Staab, der noch 2019 ein erhellendes Buch über den digitalen Kapitalismus geschrieben hat, bekräftigt mit seinem jüngsten Buch noch einmal, dass er mit Gesellschaftskritik abgeschlossen hat. So finden sich in seinem Buch auch keinerlei Verweise auf Bücher und Praxen, die in der Klimakrise Möglichkeiten eines antikapitalistischen Wandels erkennen wollen.

Der Soziologe Philipp Staab hat in den letzten Jahren eine Wandlung vom marxistischen Kapitalismuskritiker zum unkritischen Berater der ökologischen Transformation durchgemacht. Diese Entwicklung wird in seinem neuesten Buch „Systemkrise – Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus“ besonders deutlich. Dort fehlt jede …

… grundsätzliche Gesellschafts- und Staatskritik. Stattdessen liefert Staab eine erstaunlich unkritische Affirmation der Wirtschafts- und Klimapolitik der sogenannten Ampelkoalition. „Die zwischen 2021 und 2025 amtierende Bundesregierung hatte sich einer, im Vergleich zum bisher Dagewesenen, sehr ambitionierten Klimapolitik verschrieben“ (S. 13), schreibt Staab. Er übernimmt die grüne Erzählung von der sozial-ökologischen Transformation, der sich vor allem Robert Habeck verschrieben habe. „Mit ihrer Orientierung an der schmissigen Formel der Transformation hoffte die Bundesregierung, ein positives Zukunftsprojekt zu entwerfen, hinter dem sich die Menschen langfristig versammeln könnten, eine ansprechende Vorstellung des Machbaren in einer Welt voller Probleme“ (S. 13). Doch es gab massive Proteste gegen diese Version eines grünen Kapitalismus. Das knapp 220-seitige Buch dreht sich um die Träger*innen und die Gründe dieses Widerstands. Dabei will Staab gar nicht den Eindruck vermitteln, er wolle als objektiver Wissenschaftler untersuchen, ob die Proteste gegen die Politik von Habeck und Co. sich möglicherweise daraus speisten, dass viele Menschen erkannt hatten, dass hier die kapitalistische Ausbeutung nun mit grünem Anstrich durchgesetzt werden sollte. Solche Überlegungen kommen bei Staab nicht einmal in Frageform vor. Stattdessen klingt er wie ein Pressesprecher von Habeck, wenn er schreibt: „Das einstweilige politische Scheitern dieses Programms, das sich wie eben erwähnt keineswegs auf Deutschland beschränkt, ist vor diesem Hintergrund zweifellos erklärungsbedürftig. Dieser Eindruck wird noch durch den Umstand verstärkt, dass nicht nur die betreffenden Regierungen der Meinung waren, eine vielversprechende Strategie zu verfolgen. Man erwartete Zustimmung und Folgebereitschaft“ (S. 14).

Hier formuliert Staab erstaunlich deutlich ein autoritäres Politikverständnis. Die Regierenden erwarteten Zustimmung und Folgebereitschaft, doch Teile der Bevölkerung enttäuschten die Obrigkeit, in dem sie sich ihre eigenen Gedanken machten über den „grünen Modernisierungsstaat“ (S. 17), einen von Staab kreierten Begriff für den grünen Kapitalismus Habeckscher Prägung. Als Beispiele für die Proteste nennt Staab die Demonstrationen der Landwirt*innen und den Widerstand gegen das Heizungsgesetz. Auf internationaler Ebene benennt er noch die Proteste der Gelbwesten in Frankreich, die er hauptsächlich als antiökologischen Aufstand deutet und deren soziale Dimension er damit unterschlägt. Auch hier findet sich bei Staab wieder keinerlei Versuch, die Argumente der Kritiker*innen unvoreingenommen zu untersuchen. Dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen neue Belastungen durch den grünen Kapitalismus fürchten, kann er nicht nachvollziehen. Schließlich „versprach die große Transformation ja gerade den Ausgleich sozialer Härten, nahm also die sozialen Risiken für prekäre Gruppen in ihrer Agenda der sozialen Marktwirtschaft ausdrücklich ernst“ (S. 19), übt sich Staab erneut als Habecks Pressesprecher. Er fragt sich gar nicht erst, ob es vielleicht gute Gründe gibt, dass die Subalternen solchen Versprechen von Politiker*innen misstrauen. Das hätte er am Beispiel des versprochenen, aber nie ausgezahlten Klimagelds durchdeklinieren können.

Doch Staab bewegen ganz andere Fragen: „Muss man nicht zumindest davon ausgehen, dass die Menschen bereits in einer spezifischen, defensiven Weise gestimmt waren, die es ihnen auch ohne Kampagnen schwierig gemacht hätte, den Verbesserungsaussichten Glauben zu schenken?“ (S. 19) Nicht in der herrschenden Politik, sondern in der Unwilligkeit der Massen, dieser kritiklos zu folgen, sieht Staab das Problem. Dann moniert er, ganz im herrschenden Duktus befangen, dass Wähler*innen in Ostdeutschland trotz massiver Finanztransfers „Parteien der politischen Ränder“ (S. 20) zuneigen. In diesem Ton geht es die ganzen 200 Seiten weiter, auch wenn sich Staab in weiteren Kapiteln stärker mit soziologischen Problemen befasst. So stellt er die Frage, ob Jürgen Habermas‘ Klassiker „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ von 1973 angesichts der Klimakrise an Bedeutung verloren hat. Hier wiederholt Staab noch einmal, was schon in seinem 2022 ebenfalls bei Suhrkamp erschienenen Buch „Anpassung: Leitmotiv der nächsten Gesellschaft“ grundlegend war: „Basierte die ursprüngliche These der Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus auf einem emanzipatorischen Erwachen, ist die Ausrichtung des Wandels in der Gegenwart defensiv geprägt. Selbsterhaltung ist das entscheidende Grundmotiv.“

Da bekommt Staabs Beschwören von Folgsamkeit und Zustimmung noch einmal eine besondere, auch bedrohliche Note. Schließlich bezieht er sich positiv auf den Corona-Notstand, als Zustimmung und Folgebereitschaft notfalls repressiv durchgesetzt wurden. „Schon während der Hochzeit der Corona-Pandemie ließ sich etwa beobachten, wie große Teile der Bevölkerung in erzwungener Passivität Entlastung im Vertrauen auf wissenschaftliche Akteure wie Virologen und akademische Gremien fanden und mit technokratischer Sehnsucht auf die Politik der Zukunft blickten“ (S. 188). Wird hier schon mal mit Umweltnotstand geliebäugelt, bei dem es keinen Raum mehr für Proteste gibt und die Zustimmung zum grünen Kapitalismus autoritär durchgesetzt werden könnte?

Staab, der noch 2019 ein erhellendes Buch über den digitalen Kapitalismus geschrieben hat, bekräftigt mit seinem jüngsten Buch noch einmal, dass er mit Gesellschaftskritik abgeschlossen hat. So finden sich in seinem Buch auch keinerlei Verweise auf Bücher und Praxen, die in der Klimakrise Möglichkeiten eines antikapitalistischen Wandels erkennen wollen. So wird Kohei Saitos viel gelesenes Buch „Systemsturz: Der Sieg des Kapitalismus über die Zukunft“ nicht einmal in der Literaturliste erwähnt. Ökosozialistische Praxen wie die Aktion „Wir fahren zusammen“, bei der Klimaaktivist*innen die Tarifkämpfe von Mitarbeiter*innen des öffentlichen Nahverkehrs unterstützen, findet man in dem Buch ebenso wenig wie Bemühungen eines Bündnisses, ausgerechnet bei den Beschäftigten des Autokonzerns VW über die Verkehrswende zu diskutieren.

Das wären einige sehr konkrete Gegenentwürfe zu Staab, der unkritisch den grünen Kapitalismus verteidigt, der weder sozial noch ökologisch ist. Selbst die Tesla-Produktion von Elon Musk, bei der es nicht um den Schutz der Umwelt, sondern das Erschließen neuer Profitquellen geht, wird von Staab verteidigt. Es wäre wünschenswert, wenn eine solche unkritische Affirmation des grünen Kapitalismus auch an den Hochschulen und in der Klimagerechtigkeitsbewegung auf mehr Kritik stoßen würde.

Peter Nowak

Philipp Staab: Systemkrise

Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus

Suhrkamp Verlag, Berlin 2025

220 Seiten, 18 Euro

ISBN 978-3-518-12823-7

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